OGH 14Os182/93

OGH14Os182/9315.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Feber 1994 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner, Dr. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Obergmeiner als Schriftführerin, im Verfahren zur Unterbringung des Emmerich S* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB (§§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1; 15, 269 Abs. 1; 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1 StGB) über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 30. September 1993, GZ 33 Vr 2.437/92‑36, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Weiss, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00182.930000.0215.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

 

Gründe:

 

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 15. Dezember 1957 geborene Frührentner Emmerich S* gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Das Gericht sprach aus, daß der Betroffene unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, am 23. September 1992 in Linz Taten begangen hat, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, (1) als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB, (2) als Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB sowie (3) als Vergehen der versuchten schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 (Abs. 1), 84 Abs. 2 Z 1 StGB zuzurechnen gewesen wären, weil er

1. Walter P* und Herbert W* durch gefährliche Drohung mit dem Tod, nämlich durch die Äußerung: "Wenns aussteigts, bringe ich euch um!", wobei er diesen Worten durch Herausklappen der Klinge eines Taschenmessers Nachdruck verlieh, zum Verbleiben im Rettungswagen genötigt hat;

2. die Polizeibeamten Insp. Gerald R* und Bez.Insp. Gerhard L* mit Gewalt und durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung, nämlich seiner Vorführung zum Polizeiarzt zwecks Einweisung in das Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus, zu hindern versucht hat, indem er gegen die Genannten heftige Stichbewegungen mit einem Taschenmesser führte und dabei äußerte: "Kommt nicht näher, sonst stech ich euch ab!";

3. Insp. Gerald R* durch Führen eines Stiches mit einem Taschenmesser gegen den Hals des Genannten zu verletzen versucht hat, wobei die Tat mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, begangen wurde.

Der Betroffene bekämpft dieses Urteil mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung.

Die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 a, 9 lit. a und 9 lit. B des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde versagt.

Mit der Tatsachenrüge (Z 5 a) wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Urteilsannahmen, daß er durch seinen Widerstand (Faktum 2) bewußt eine Vorführung zum Polizeiarzt verhindern und bei seinem tätlichen Angriff (Faktum 3) den Polizeibeamten R* verletzen wollte.

Aus den Akten ergeben sich aber entgegen dem Beschwerdevorbringen keine (erheblichen) Bedenken gegen die Richtigkeit entscheidender Tatsachenfeststellungen zur subjektiven Tatseite. Das Erstgericht begründete seine Überzeugung von den tataktuellen Bewußtseinsinhalten des Betroffenen damit, daß dieser in der Hauptverhandlung die jeweiligen Willensbetätigungen eingeräumt hatte. Dabei entging der Tatsacheninstanz keineswegs, daß die Einlassung des Betroffenen in der Hauptverhandlung auf Grund eines akuten psychotischen Zustandes unlogische und irreale Behauptungen enthielt. Dieser in den Urteilsgründen (US 11) hervorgehobene Umstand schloß jedoch eine würdigende Berücksichtigung seiner Angaben bei Ermittlung der subjektiven Tatseite nicht von vornherein aus. Angesichts einer logischen und empirischen Adäquanz der bekundeten Willensinhalte zu den auf Zeugenaussagen (US 3) beruhenden Urteilsannahmen über den objektiven Sachverhalt bietet die Einbeziehung dieser Angaben des Betroffenen in den entscheidenden Bereich der tatrichterlichen Erwägungen keinen Anlaß, die geltend gemachten Zweifel gegen die bemängelten Feststellungen aufkommen zu lassen. Im übrigen ist es für den versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt (Faktum 2) dem Beschwerdestandpunkt zuwider irrelevant, ob der Betroffene auch wußte, daß es dabei um eine Vorführung zum Polizeiarzt ging. Zur Beurteilung, daß er sich auch subjektiv gegen eine Amtshandlung im Sinne des § 269 Abs. 1 StGB wendete, reicht seine an sich unbestrittene Kenntnis darüber aus, daß er von amtierenden Polizeibeamten gegen seinen Willen "mitgenommen" (S 217) oder "festgenommen" (S 286) werden sollte.

Es bestehen auch keine (erheblichen) Bedenken gegen die Feststellung des Verletzungsvorsatzes beim tätlichen Angriff gegen den Polizeibeamten Insp. Gerald R* (Faktum 3), in welchem Zusammenhang sich das Erstgericht ausführlich mit den Einlassungen des Betroffenen befaßt hat (US 9 ff).

Zum verbleibenden allgemeinen Vorbringen der Tatsachenrüge, wonach ein Zurechnungsunfähiger nicht mit Vorsatz handeln könne, bedarf es der Klarstellung, daß damit nicht auf der Tatsachenebene, sondern mit dem Inhalt rechtlicher Begriffe argumentiert wird und die in der Beschwerde unterstellten Begriffsinhalte von den normativen Grundlagen abweichen. Im Sinne des Gesetzes kann jeder strafrechtlich Handlungsfähige vorsätzlich handeln, daher können dies auch Geisteskranke, Volltrunkene und Strafunmündige (SSt 55/15). Die Vorsätzlichkeit eines Tuns ist nämlich nicht dadurch bedingt, daß die Handlung dem Täter zur Verantwortlichkeit zugerechnet werden kann. Vorsatz setzt vielmehr keine Beurteilung nach den die Schuld konstituierenden Maßstäben voraus; er ist wertfrei (Maurach‑Zipf § 22 Rz 3).

Ebenfalls unbegründet sind die Rechtsrügen (Z 9 lit. a und lit. b), welche die Zubilligung eines Tatbildirrtums oder einer Tatbegehung in Putativnotwehr anstreben.

Der Beschwerde ist nicht zu entnehmen, über welches Tatbestandselement der verübten Delikte der Täter geirrt haben soll, weshalb dieser Einwand schon vom Ansatz her einer sachbezogenen Überprüfung unzugänglich ist (§ 285 a Z 2 StPO). Das weitere sinngemäße Vorbringen, der Betroffene habe sich subjektiv zufolge seiner Geisteskrankheit in einer Art Panikreaktion rechtswidrig angegriffen gefühlt und in vermeintlicher Notwehr gehandelt, bezieht sich auf eine für die Anstaltseinweisung nach § 21 Abs. 1 StGB unerhebliche Fallgestaltung, weshalb es dahinstehen kann, inwieweit Verfahrensumstände überhaupt auf eine solche Gegebenheit hinweisen. Ein auf den Einfluß des die Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen ausschließenden abnormen Geisteszustandes rückführbarer Irrtum, der zu der Einbildung eines rechtfertigenden Sachverhalts ‑ wie etwa einer Notwehrsituation ‑ führt, muß bei Beurteilung der Anlaßtat nach § 21 Abs. 1 StGB außer Betracht bleiben (Leukauf‑Steininger Komm3 § 21 RN 9). In solchen Fällen ergibt sich nämlich die Straflosigkeit des Rechtsbrechers hinsichtlich einer Anlaßtat eben ausschließlich aus der zustandsbedingten Beeinflussung des Tatgeschehens im Sinne des § 21 Abs. 1 StGB.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

In der Berufung wendet sich der Betroffene gegen die Urteilsannahme, daß das Zustandsbild seiner Geisteskrankheit und die Art der begangenen Taten befürchten lassen, er werde unter dem Einfluß seiner Erkrankung weitere strafbare Handlungen mit schweren Folgen begehen. Die hiezu ins Treffen geführten Einwände halten indes einer Überprüfung nicht stand:

Es ist unrichtig, daß die vom Erstgericht über die Art und Eigenschaft der Erkrankung des Betroffenen eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. S* und Univ. Prof. Dr. J* sich nur auf Beobachtungen in der Hauptverhandlung stützen und deshalb ein damaliger Medikamenteneinfluß erörterungsbedüftig gewesen wäre. Die beiden Sachverständigen hatten den Betroffenen vielmehr bereits im Vorverfahren untersucht und dort schriftliche Befunde und Gutachten abgegeben. Der Umstand, daß der Sachverständige Dr.S* in der Hauptverhandlung auf erweiterter Erkenntnisgrundlage und unter eingehender Begründung zu einer ungünstigeren Gefährlichkeitsprognose gelangte als in seiner schriftlichen Expertise, stand der Verwertbarkeit der Begutachtungsergebnisse nicht entgegen.

Es trifft ferner nicht zu, daß nach den Verfahrensergebnissen von der psychischen Erkrankung des Betroffenen keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehe. Angesichts der nicht in Zweifel gezogenen Art der Krankheit ‑ nämlich paranoider Schizophrenie ‑ und der vom Berufungswerber unter Vernachlässigung der Expertenmeinungen bestrittenen Hinweise auf seine Aggressionsneigung ist auch bei Bedachtnahme auf Art und Ursache der Anlaßtaten die krankheitsbedingte Begehung einer strafbedrohten Handlung mit schweren Folgen mit Recht befürchtet worden.

Demnach erweist sich die Unterbringung des Betroffenen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher als unerläßlich, weshalb auch der Berufung ein Erfolg zu versagen war.

 

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