OGH 10Ob504/93

OGH10Ob504/938.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier, Dr.Bauer, Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erika W*****, kaufmännische Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Franz Kriftner und Dr.Christian Sparlinek, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Johann Helmut W*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Longin Josef Kempf und Dr.Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, wegen Unterhalts infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 15. März 1993, GZ R 1051/92-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Peuerbach vom 6.Oktober 1992, GZ C 209/92 -17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

"1. Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen vierzehn Tagen 80.364,72 S samt 4 % Zinsen seit 1.5.1992 zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren, der Beklagte sei schuldig, der Klägerin weitere 64.635,28 S samt 4 % Zinsen seit 1.5.1992 zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Der Beklagte hat der Klägerin binnen vierzehn Tagen einen einschließlich 1.905,90 S Umsatzsteuer und 2.112 S anderer Barauslagen mit 13.547,40 S bestimmten Teil der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zu ersetzen.

4. Die Klägerin hat dem Beklagten binnen vierzehn Tagen einen mit 3.200 S bestimmten Teil seiner Barauslagen im Berufungsverfahren zu ersetzen."

Die Klägerin hat dem Beklagten binnen vierzehn Tagen die einschließlich 603,84 S Umsatzsteuer und 3.000 S anderer Barauslagen mit 6.623,04 S bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Parteien ist gemäß § 55 Abs 3 EheG mit dem Ausspruch nach § 61 Abs 3 leg cit geschieden, daß der damals klagende Ehemann die Zerrüttung allein verschuldet hat.

Aufgrund des (zwischen den Parteien) am 17.11.1988 vor dem Bezirksgericht Linz-Land zu 1 C 25/88 geschlossenen Scheidungsvergleiches hat der Beklagte der Klägerin einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 1.500 S zu zahlen. Diesem Vergleich lagen ein monatliches Durchschnittseinkommen der Klägerin von rund 8.000 S und des Beklagten von rund 18.500 S netto und der Umstand zugrunde, daß der Beklagte keine weiteren Sorgepflichten hatte. Im Vergleich war festgehalten, daß der vereinbarte Unterhalt 36 % des "Familieneinkommen" genannten beiderseitigen Einkommens abzüglich des Einkommens der Klägerin ausmache und daß diese Relation - abgesehen von der Änderung anderer Umstände - bis zur Pensionierung des Beklagten aufrecht bleibe. Danach sollte sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin mit 40 % des "Familieneinkommens" unter Anrechnung des Einkommens der Klägerin und allenfalls geänderter Umstände berechnen.

Mit der am 16.3.1992 gerichtshängig, am 29.4.1992 streitanhängig gewordenen Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten für das Jahr 1991 rückständigen Unterhalt von zunächst 100.000 S. Der Beklagte sei in den Ruhestand getreten und habe von seinem ehemaligen Arbeitgeber im Jahre 1991 aus dem Titel der Abfertigung insgesamt etwa 750.000 S netto, monatlich also etwa 62.750 S (richtig 62.500 S) netto erhalten. Die Klägerin habe in diesem Jahr nur ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 12.250 S bezogen. 40 % der Summe der beiderseitigen Einkommen betrügen 29.900 S. Ziehe man davon das Einkommen der Klägerin von 12.250 S und den verglichenen Unterhaltsbetrag von 1.500 S ab, dann errechne sich für das Jahr 1991 ein weiterer monatlicher Unterhaltsanspruch von 16.150 S, insgesamt also von 193.800 S, von dem die Klägerin zunächst vorsichtshalber nur 100.000 S einklagte. Die Klägerin habe ihre Ansprüche erstmals mit einem Schreiben vom 20.9.1991 fällig gestellt. Da sie über den genauen Zeitpunkt der Pensionierung des Beklagten nicht informiert sei, beantragte sie in der Klage eine Gehaltsauskunft des ehemaligen Arbeitgebers über den Zeitraum September 1990 bis März 1992 und einen Bezugsnachweis der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er stehe seit (Februar 1991) in keinem Arbeitsverhältnis, sondern sei arbeitslos und befinde sich noch nicht im Ruhestand. Daher sei noch von dem im Unterhaltsvergleich vereinbarten Prozentsatz von 36 % des "Familieneinkommens" auszugehen. Beim Einkommen des Beklagten könnten nur die im jeweiligen Monat allenfalls zusätzlich zur Arbeitslosenunterstützung ab Februar 1991 bezogenen Abfertigungsbeträge berücksichtigt werden. Für die Monate Februar bis September 1991 könnte die Klägerin allerdings keinen höheren Unterhalt verlangen, weil der Beklagte vor Erhalt ihres Aufforderungsschreibens vom 20.9.1991 auf keinen Fall in Verzug gekommen sei. Da die Ansprüche in diesem Schreiben nicht konkretisiert worden seien, sei der Verzug für den gesamten eingeklagten Unterhaltsbetrag nicht eingetreten. Da sich der Beklagte der Leistung nicht absichtlich entzogen habe, könne für eine länger als ein Jahr vor der Klagezustellung liegende Zeit Unterhalt überhaupt nicht gefordert werden.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 6.10.1992 behauptete die Klägerin, der Beklagte habe sich der Leistung absichtlich entzogen, und dehnte das Klagebegehren auf 145.000 S samt 4 % Zinsen seit 1.5.1992 aus. Die erhöhte Klagsforderung ist das abgerundete Zwölffache von 12.132,66 S. Der letztgenannte Betrag soll sich "laut der den Parteien zur Kenntnis gebrachten Berechnung des Richters ergeben, wenn man zur Abfertigung zum Arbeitslosengeld auch noch die Beträge für freiwillige Abfertigung und Überbrückungshilfe und Pensionsabfindung anteilsmäßig hinzurechne". Nach dem Sinn dieses Vorbringens in seinem Zusammenhang blieb weiterhin nur die Unterhaltsleistung für das Jahr 1991 Klagegegenstand.

Das Erstgericht sprach der Klägerin 120.000 S samt 4 % Zinsen seit 1.5.1992 zu und wies das Mehrbegehren von 25.000 S samt diesen Zinsen ab.

Es traf insbesondere folgende Tatsachenfeststellungen: Die Klägerin bezog im Jahre 1991 ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 12.871,66 S. Der Beklagte war bis 31.1.1991 mehr als 25 Jahre bei einem Linzer Arbeitgeber beschäftigt. Sein letzter Aktivbezug im Jänner 1991 betrug 27.550 S brutto. Im Jahre 1991 erhielt der Beklagte eine Abfertigung in der Höhe des Zwölffachen des monatlichen Entgeltes. Davon erhielt er drei monatliche Entgelte im Gesamtbetrag von 102.705 S brutto im Jänner 1991, in dem ihm insgesamt 111.716 S ausgezahlt wurden. Im Februar 1991 erhielt er neben anderen Einkünften noch ein anteiliges Weihnachts- und Urlaubsgeld, insgesamt

8.427 S. Im März wurden ihm 228 S abgezogen. Von April bis Dezember 1991 wurden ihm von den jeweiligen Abfertigungsbeträgen von 34.235 S brutto jeweils 31.965 S ausgezahlt. Im April 1991 betrug der Auszahlungsbetrag wegen einer noch für 1990 zustehenden Prämie von 13.775 S brutto 43.399 S. Die bisher genannten Nettoauszahlungen im Jahre 1991 machten insgesamt 419.341 S aus. Seit 1.2.1991 erhält der Beklagte ein tägliches Arbeitslosengeld von 384,70 S. Im Jänner 1992 erhielt er von seinem früheren Dienstgeber eine freiwillige Abfertigung von 82.100 S brutto und eine sogenannte Überbrückungshilfe von 147.078 S brutto. Die Höhe dieser Beträge ist vom Alter des Dienstnehmers abhängig. Sie werden ab der Vollendung des 55.Lebensjahres bis höchstens zur Vollendung des 59.Lebensjahres gewährt. Der Beklagte wurde erst am 21.6.1991 55 Jahre alt. Freiwillige Abfertigung und Überbrückungshilfe ergeben auf den Monat umgerechnet die Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld und 80 % des letzten Normalbezuges. Weiters erhielt der Beklagte im Jänner 1992 auch eine einmalige Pensionsabfertigung für die früher übliche Firmenpension von 91.748 S brutto. Die drei im Jänner 1992 ausgezahlten Beträge machten insgesamt 280.614 S netto aus. Der Beklagte bezieht keine Pension von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten. Er ist seit 9.6.1989 wieder verheiratet. Seine Ehegattin kündigte ihr Arbeitsverhältnis als kaufmännische Angestellte zum 15.12.1990, ist seither als arbeitssuchend gemeldet und bezog zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz ein monatliches Arbeitslosengeld von 7.000 S. Der Beklagte erwähnte gegenüber der Klägerin nie, daß er eine Abfertigung erhalten habe. "Erst im Zuge dieses Verfahrens habe er im Betrieb seines früheren Dienstgebers gehört, daß die Abfertigung etwas mit der Höhe der Unterhaltsleistungen zu tun habe."

In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht zunächst aus, daß die für das Jahr 1991 geltend gemachten Unterhaltsansprüche nicht verfristet seien. Die im Jahre 1991 ausgezahlte Abfertigung sei mit monatlich 34.945,08 S netto, das seit 1.2.1991 bezogene Arbeitslosengeld mit monatlich 10.707,48 S netto gleichmäßig auf das ganze Jahr aufzuteilen. Die freiwillige Abfertigung und die Überbrückungshilfe seien zumindest seit Beginn des Arbeitslosengeldbezuges im Februar 1991 zu berücksichtigen und anteilig mit monatlich 3.804,45 S anzusetzen. Daraus errechne sich ein monatliches Gesamtnettoeinkommen des Beklagten im Jahre 1991 von 49.456,91 S. Nach Hinzurechnung des Nettoeinkommens der Klägerin von 12.871,66 S errechne sich ein "Familieneinkommen" im Sinn des Unterhaltsvergleiches von 62.328,57 S. Davon stünden der Klägerin nach diesem Vergleich, weil der Beklagte noch nicht in Pension sei, 36 %, also 22.438,28 S, abzüglich ihres eigenen Einkommens, daher S 9.566,62 S bzw gerundet 9.600 S zu. Bei Aufteilung der Pensionsabfindung von 81.378,06 S netto auf vier Jahre wären dem Monatseinkommen des Beklagten 1.695 S zuzurechnen, wodurch sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin auf 11.295 S erhöhen würde. Da eine Aufteilung der Pensionsabfindung auf einen kürzeren Zeitraum den Unterhaltsanspruch der Klägerin erhöhen würde, sei dieser mit 11.500 S anzunehmen. Da der Beklagte davon 1.500 S geleistet habe, habe er für das Jahr 1991 insgesamt 120.000 S nachzuzahlen und diesen Betrag ab dem der Klagezustellung nachfolgenden Monatsersten mit 4 % zu verzinsen.

Das Berufungsgericht gab der in erster Linie auf gänzliche Abweisung des Klagebegehrens gerichteten Berufung des Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die Revision zulässig sei.

Es erachtete die bekämpften Tatsachenfeststellungen als nicht entscheidungswesentlich und den Einwand der verspäteten Geltendmachung des erhöhten Unterhaltsanspruches für nicht berechtigt. Die Einbeziehung der im Jänner 1992 ausgezahlten besonderen Leistungen des früheren Dienstgebers des Beklagten (Pensionsabfindung, freiwillige Abfertigung und Überbrückungshilfe) in die Bemessungsgrundlage sei vom Vorbringen der Klägerin umfaßt, die das ausgedehnte Klagebegehren ausdrücklich unter Berücksichtigung dieser Einkommensbestandteile errechnet habe. Da es sich bei der freiwilligen Abfertigung und der Überbrückungshilfe um Leistungen des (früheren) Dienstgebers zum teilweisen Ausgleich der durch die Aufgabe des Arbeitsplatzes bedingten Einkommensminderung handle, seien diese Einkünfte auf den Zeitraum aufzuteilen, in dem ein solcher Ausgleich erreicht werden soll. Dies seien im allgemeinen die Jahre "zwischen dem 55. und dem 59.Lebensjahr". Da der Beklagte jedoch schon etwas mehr als vier Monate vor "Erreichung" (richtig Vollendung) seines 55.Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei, seien die erwähnten Leistungen nicht auf 48, sondern auf 52 Monate (vom tatsächlichen Beginn des Arbeitslosengeldbezuges bis zur Vollendung des 59.Lebensjahres) aufzuteilen. Dadurch erhöhe sich die monatliche Unterhaltsbemessungsgrundlage ab Februar 1991 um 5.396 S (280.614 S : 52). Das bedeute für das Jahr 1991, in dem diese Leistungen elfmal anzurechnen seien, eine Erhöhung der Jahresbemessungsgrundlage um insgesamt 59.356 S. Dadurch erhöhe sich das monatliche Nettoeinkommen des Beklagten auf 50.598,90 S. Die im Unterhaltsvergleich für den Fall der Pensionierung des Beklagten vorgesehene Erhöhung des Prozentsatzes von 36 auf 40 sei schon für den Zeitraum anzuwenden, in dem der beklagte zwar noch keine Pension, aber Arbeitslosenunterstützung beziehe. Dies sei sachgerecht, weil ein Teil der Leistungen des Dienstgebers nach dem Ausscheiden des Dienstnehmers ruhegenußähnlichen Charakter habe (Pensionsabfindung, freiwillige Abfertigung und Überbrückungshilfe), und weil der Beklagte nach seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben nicht mehr mit Aufwendungen für die Berufsausübung belastet und insoweit einem Alterspensionisten gleichgestellt sei. Andere Anhaltspunkte für die im Unterhaltsvergleich vorgesehene Erhöhung des Prozentsatzes seien nicht erkennbar. 40 % des aus dem Einkommen des Beklagten von 50.598,90 S und dem Einkommen der Klägerin von 12.871,66 S zusammengesetzten "Familieneinkommens" von 63.470,56 S betrügen 25.388,22 S. Ziehe man davon das Einkommen der Klägerin von 12.871,66 S und sodann von dem abgerundeten Betrag von 12.500 S den vereinbarten Unterhaltsbetrag von 1.500 S ab, ergebe sich eine zusätzliche monatliche Unterhaltsforderung von 11.000 S, für das Jahr 1991 somit eine Unterhaltsnachzahlung von 132.000 S, die sogar über dem erstgerichtlichen Zuspruch liege.

Der Beklagte bekämpft das Berufungsurteil nur insoweit mit Revision, als es einen 80.364,72 S samt 4 % Zinsen seit 1.5.1992 übersteigenden Zuspruch bestätigt. Er macht unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend und beantragt, das Urteil des Berufungsgerichtes durch Abweisung des den in Rechtskraft erwachsenen Zuspruch übersteigenden Mehrbegehrens abzuändern oder es allenfalls (im Umfang der Anfechtung) aufzuheben.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig. Die Entscheidung hängt nämlich von der Lösung der iS des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts ab, ob die erst im Jahr 1992 bezogenen Einkünfte bei Bedachtnahme auf § 72 EheG in der Bemessungsgrundlage des für das Jahr 1991 zu leistenden Unterhaltes zu berücksichtigen sind.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt, weil diese erhebliche Rechtsfrage vom Berufungsgericht nicht richtig gelöst wurde.

Die Klägerin fordert mit der im März 1992 gerichtshängig gewordenen Klage von ihrem geschiedenen Ehemann für das vorangegangene Jahr 1991 einen den im Scheidungsvergleich vom 17.11.1988 vereinbarten monatlichen Unterhaltsbetrag von 1.500 S übersteigenden Unterhalt. Sie stützte ihr Begehren darauf, daß sich die Vergleichsgrundlagen insofern wesentlich geändert hätten, als vor allem der Unterhaltspflichtige im Jahr 1991 ein wesentlich höheres Durchschnittsnettoeinkommen bezogen habe und in den Ruhestand getreten sei, so daß sich der nur bis zur Pensionierung geltende Prozentsatz von 36 auf 40 erhöht habe.

Nach § 72 EheG kann der Berechtigte Erfüllung oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist, für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigheit liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat.

Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt ausgespochen, daß die grundlegende Änderung seiner Judikatur durch die Entscheidung des verstärkten Senates SZ 61/143, wonach Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden können, nicht für den Anwendungsbereich des § 72 EheG, also nicht für gesetzliche Unterhaltsansprüche geschiedener Ehegatten, gilt (zB EFSlg 57.280; 10.12.1992, 7 Ob 614, 615/92; Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 190).

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes unterliegt auch ein (für die Vergangenheit geforderter) Unterhaltsanspruch gemäß § 69 Abs 2 EheG - um einen solchen handelt es sich auch in diesem Rechtsstreit - der Regelung des § 77 leg cit. Obwohl für einen solchen Unterhaltsanspruch des im Scheidungsverfahren beklagten Ehegatten hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfanges des Anspruches (in erster Linie) auch nach der Scheidung der § 94 ABGB gilt, handelt es sich doch um einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten. Ein solcher Anspruch ist nach der systematischen Stellung im EheG von der für sämtliche Unterhaltsansprüche unter der Zwischenüberschrift "Art der Unterhaltsgewährung" für geschiedene Ehegatten aufgestellten Regelung des § 72 leg cit nicht auszunehmen. Diese stellt für ein Begehren auf Zahlung von Unterhalt für vergangene Zeiträume besondere Voraussetzungen auf, die auch für einen Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 2 EheG sachlich damit zu rechtfertigen sind, daß im unmittelbaren Anwendungsfall des § 94 ABGB bei aufrechtem Eheband zwischen dem unterhaltsberechtigten und dem unterhaltspflichtigen Ehegatten über den Unterhaltsanspruch hinaus umfassende familienrechtliche Bindungen bestehen, die dem unterhaltspflichtigen Teil selbst bei aufgehobener Lebensgemeinschaft auch die Pflicht auferlegen, sich selbst darum zu kümmern, ob der andere Ehepartner mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln seine angemessenen Unterhaltsbedürfnisse befriedigen kann; diese Pflicht besteht jedoch nach der Ehescheidung nicht mehr, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um eine Scheidung nach § 55 EheG mit dem Ausspruch nach § 61 Abs 3 leg cit handelt (16.5.1991, 6 Ob 545/91 EFSlg 66.490; 20.2.1992, 8 Ob 532/92 JBl 1992, 705; Pichler in Rummel, ABGB2 II § 72 EheG Rz 2; Purtscheller-Salzmann aaO Rz 192).

Bei Bedachtnahme auf den also auch im vorliegenden Fall anzuwendenden § 72 EheG kann die Klägerin ihre erst im März 1992 rechtshängig gewordene, im Oktober 1992 ausgedehnte Unterhaltsnachforderung für das Jahr 1991 nicht mit Erfolg auf erst im Jänner 1992 bezogene Einkünfte des Beklagten stützen. Der Beklagte konnte nämlich mit der Erfüllung einer durch die letztgenannten Einkünfte allenfalls bewirkten höheren Unterhaltsverpflichtung im Jahr 1991 noch gar nicht in Verzug gekommen sein, weil er diese Einkünfte erst im folgenden Jahr bezog und eine dadurch ausgelöste Erhöhung im Jahr 1991 auch nicht außergerichtlich eingemahnt wurde, ja gar nicht eingemahnt werden konnte.

Die dem Beklagten im Jänner 1992 von seinem früheren Dienstgeber gewährten Beträge (freiwillige Abfertigung, Überbrückungshilfe und Pensionsabfertigung) von zusammen 280.614 S netto sind daher - entgegen der Meinung der Vorinstanzen - bei der Bemessung der von der Klägerin für das Jahr 1991 geforderten Unterhaltsnachzahlung nicht zu berücksichtigen.

Demnach errechnet sich die der Klägerin gebührende Unterhaltsnachforderung für das Jahr 1991 wie folgt:

monatliches Durchschnittsnetto-

einkommen des Beklagten 45.652,56 S

+ monatliches Durchschnittsnetto-

einkommen der Klägerin 1991 + 12.871,66 S

"Familieneinkommen" 58.524,22 S

davon 36 % 21.068,72 S

- monatliches Durchschnittsnetto-

einkommen der Klägerin 1991 - 12.871,66 S

8.197,06 S

- geleisteter Unterhaltsbetrag - 1.500,00 S

monatliche Unterhaltsnachforderung 6.697,06 S

x 12

Unterhaltsnachforderung für 1991 80.364,72 S

Anstelle des vom Berufungsgericht berücksichtigten Prozentsatzes 40 ist von dem schon vom Erstgericht angewendeten Prozentsatz 36 auszugehen. Die diesbezügliche erstgerichtliche Begründung, daß der niedrigere Prozentsatz nach dem Unterhaltsvergleich bis zur Pensionierung des Beklagten aufrecht bleibe, ist richtig und blieb von der dadurch beschwerten Klägerin unbekämpft. Diese ging übrigens in der Klage nur deshalb vom höheren Prozentsatz aus, weil sie damals der unrichtigen Meinung war, daß der Beklagte schon in Pension sei.

Die Urteile der Vorinstanzen sind daher wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

Die Entscheidung über den Ersatz der Kosten des Verfahrens erster Instanz und des Berufungsverfahrens gründet sich auf § 43 Abs 1 und § 50 ZPO. Im von der Klage bis zum Beginn der Tagsatzung vom 6.10.1992 reichenden Verfahrensabschnitt erster Instanz hat die Klägerin hinsichtlich des ursprünglichen Klagebegehrens von 100.000 S mit rund 80 % ihres damaligen Begehrens obsiegt und ist mit rund 20 % unterlegen. Daher hat ihr der Beklagte 60 % ihrer diesbezüglichen Kosten und 80 % der von ihr getragenen Gerichtsgebühren zu ersetzen. Im anschließenden zweiten Verfahrensabschnitt erster Instanz ist die Klägerin mit dem ausgedehnten Klagebegehren von 145.000 S nur mehr zu rund 55 % durchgedrungen und zu rund 45 % unterlegen. Deshalb hat ihr der Kläger nur mehr 10 % ihrer Kosten zu ersetzen. Im Berufungsverfahren ist die Klägerin mit rund 2/3 des noch strittigen Begehrens durchgedrungen und mit rund 1/3 unterlegen, so daß ihr 1/3 ihrer Kosten, dem Beklagten hingegen 1/3 der von ihm getragenen Gerichtsgebühren zu ersetzen sind.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO, weil die Klägerin hinsichtlich des in diesem Verfahrensabschnitt noch strittigen Verfahrensgegenstandes vollständig unterlegen ist.

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