OGH 8Ob514/93

OGH8Ob514/933.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing.R***** B*****, und 2. G*****B*****, beide vertreten durch Dr.Karin Schlapfer, Rechtsanwalt in Wien, sowie 3. Mag.E***** P*****, vertreten durch Dr.Helfried Rustler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte E***** D*****, vertreten durch Dr.Johannes Patzak ua Rechtsanwälte in Wien, wegen 1. S 128.788,88 sA, 2. S 128.089,94 sA und zu 1. und 2. auch wegen Zwischenantrages auf Feststellung (S 50.000) und 3. S 398.205,50 sA (Rekursinteresse: Zwischenantrag auf Feststellung) infolge Rekurses der erst- und zweitklagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16.Dezember 1992, GZ 17 R 238/92-43, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien über den Zwischenantrag auf Feststellung der erst- und zweitklagenden Partei vom 31.Juli 1992, GZ 30 Cg 79/88-37, aufgehoben und der Zwischenantrag zurückgewiesen wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte ist Mehrheitseigentümerin einer Liegenschaft, die Kläger und andere nicht am Verfahren beteiligte Personen sind die übrigen Eigentümer dieser Liegenschaft.

Der Erstkläger begehrt mit seiner mehrfach ausgedehnten Klage zuletzt S 128.788,88, die Zweitklägerin S 128.089,94 und die Drittklägerin S 398.205,50 sA als Ersatz für den Schaden, den sie in der Zeit vom 29.2.1984 bis einschließlich Juli 1991 dadurch erlitten haben sollen, daß ihnen die beklagte Mehrheitseigentümerin den "Untergang" einer OHG - deren alleinvertretungsbefugte Gesellschafterin sie gewesen sei - als Hauptmieterin des Bestandobjektes top.Nr. 2 - eines Geschäftslokals - verschwiegen habe, sodaß es ihnen nicht möglich gewesen sei, durch Neuvermietung einen höheren Hauptmietzins zu erzielen und sie dadurch einen Vermögensentgang in der geltend gemachten Höhe erlitten hätten; das Vermögen der OHG sei nämlich nach dem StruktVG in eine GmbH eingebracht und die OHG in der Folge gelöscht worden.

Der Erstkläger und die Zweitklägerin brachten überdies vorerst (ON 33) vor, daß der monatliche Zinsentgang für sie S 2.018,86 bzw S 2.011,89 betrage, und begehrten auch eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung dieser Beträge für die Zukunft, änderten dieses Klagebegehren aber vor Schluß der Verhandlung am 10.7.1991 wieder (ON 36) und stellten neben einem modifizierten Zahlungsbegehren (ON 36) einen Zwischenantrag auf Feststellung mit folgendem Wortlaut:

"Es werde festgestellt, daß die Beklagte dem Erst- und der Zweitklägerin für den entstandenen Schaden aus der Nichtbekanntgabe des Unterganges des Hauptmieters von top 2 im Haus Novaragasse Nr. 55 haftet."

Sie brachten weiterhin vor, daß "ein Schadenersatzbegehren vorliegt und zwar nicht nur für die Vergangenheit sondern auch für die Zukunft" und daß "ein Leistungsbegehren hinsichtlich der Zukunft nicht spezifisch vorgebracht werden kann, da die Entwicklung verschiedenartig sein könne" (ON 36).

Die Beklagte begehrte die Abweisung der Klagebegehren und bestritt auch die Berechtigung des Zwischenantrages auf Feststellung; es hätte ein Leistungsbegehren angebracht werden können und es gebe keinen über das gegenständliche Urteil hinauswirkenden rechtserheblichen Sachverhalt.

Das Erstgericht traf umfangreiche Feststellungen (ON 37 S 11 bis 22) und fällte über den Zwischenantrag auf Feststellung ein diesem Begehren stattgebendes Zwischenurteil. Es bejahte das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Zwischenurteil über den Zwischenantrag auf Feststellung, insbesondere weil das Feststellungsbegehren Wirkung für die Zukunft habe, über das gegenständliche Leistungsbegehren hinausgehende Ansprüche davon abhingen und das Feststellungsbegehren auf eine grundsätzliche Klärung der Rechte an top.Nr. 2 im Verhältnis zwischen den Miteigentümern abziele.

Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der Beklagten das erstgerichtliche Urteil auf, wies den Zwischenantrag auf Feststellung zurück, trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Klage auf und sprach aus, daß der Rekurs gemäß § 519 Abs 2 Z 1 ZPO zulässig sei.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus:

Die Kläger begehrten Schadenersatz wegen einer Verminderung ihres Vermögens, die aus einem durch ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten verursachten Entgang von höheren Einnahmen aus der Verwertung des Geschäftslokales resultiere. Dieser Vermögensschaden sei im Zeitraum vom 29.2.1984 bis einschließlich Juli 1991 in der eingangs erwähnten Höhe entstanden. Es könne ein Rechtsverhältnis auch im Bestehen einer Schadenersatzpflicht liegen. Ein solches Rechtsverhältnis könne Gegenstand einer Feststellungsklage gemäß § 228 ZPO sein. Eine Schadenersatzpflicht sei auch notwendige Grundlage eines Schadenersatz zubilligenden Leistungsurteiles und schließlich könne die Schadenersatzpflicht auch Gegenstand eines (eigentlichen) Zwischenurteiles gemäß § 393 Abs 1 ZPO sein. Nicht aber könne in einem Verfahren, in dem Schadenersatz begehrt werde, über die Schadenersatzverpflichtung aufgrund eines Zwischenantrages auf Feststellung gemäß § 236 ZPO entschieden werden, weil dessen wesentliche Voraussetzung eine Erweiterung des Streitgegenstandes über eine Vorfrage sei, wobei die Bedeutung des Präjudizialrechtes über den konkreten Rechtsstreit hinausreichen müsse. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Der Antrag und die Entscheidung bezögen sich auf die Feststellung der Schadenersatzpflicht der Beklagten gegenüber dem Erstkläger und der Zweitklägerin. Er sei seinem Wortlaut nach nur eine Begründung der Schadenersatzpflicht, nicht aber die Feststellung eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses. Von einer Erweiterung des Streitgegenstandes könne daher keine Rede sein. Der Feststellungsinhalt habe keine materielle Rechtskraftwirkung über den konkreten Rechtsstreit hinaus, auch nicht in bezug auf das Teilungsverfahren. Selbst wenn der Antrag so gemeint gewesen wäre, schlicht festzustellen, daß die GmbH aus Anlaß des Notariatsaktes nicht Hauptmieter geworden sei, wirke die Rechtskraft des Zwischenurteiles nicht gegen die am Verfahren nicht beteiligten Partner des Rechtes oder Rechtsverhältnisses, also insbesondere nicht gegen die GesmbH oder deren Untermieter. Dies müßte im konkreten Fall, selbst wenn der Antrag der Kläger in eine andere Richtung "gemeint" gewesen wäre, zur Zurückweisung führen, weil eine über den Rechtsstreit hinausreichende Wirkung zu verneinen und deshalb die Präjudizialität abzulehnen wäre.

Gegen diesen Beschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs des Erstklägers und der Zweitklägerin mit dem Antrag, den Beschluß des Berufungsgerichtes zu beheben, in der Sache selbst zu entscheiden und das erstgerichtliche Urteil zu bestätigen oder die Sache an das Berufungsgericht oder Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist zulässig und im Sinn seiner ersatzlosen Behebung berechtigt.

Wird aufgrund eines Zwischenfeststellungsantrages sachlich über das Bestehen des Rechtes oder Rechtsverhältnisses erkannt, dann hat dies gemäß § 236 Abs 1 ZPO durch Urteil zu geschehen, gegen das nur das Rechtsmittel der Berufung zusteht (JBl 1967, 483; SZ 46/103 uva). Das Berufungsgericht hat demnach bei seinem Ausspruch über das Rechtsmittel als Berufungsgericht gehandelt; sein dazu ergangener Beschluß ist nach stRsp (SZ 29/2; EvBl 1969/144 ua) aufgrund der sinngemäß anzuwendenden Bestimmung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO mit Rekurs anfechtbar. Solche Rekurse sind nach der WGN 1989 unabhängig vom Entscheidungsgegenstand in zweiter Instanz und dem Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1, § 528 Abs 1 ZPO - als "Vollrekurse" alter Prägung - zulässig (Petrasch, ÖJZ 1989, 743 ff, 750; NRsp 1991/63 uva). Diese Abweichung von den sonst für Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof geltenden Beschränkungen hielt der Gesetzgeber deshalb für gerechtfertigt, weil im Fall des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO das Berufungsgericht erstmal die Unzulässigkeit der Klage (oder der Berufung) aufgreife und daher funktionell gleichsam als erste Instanz abschließend über die Zurückweisung der Klage (oder der Berufung) entscheide (991 BlgNR 17. GP zu Z 13.5). Die sinngemäße Anwendung der Bestimmung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO auf die Zurückweisung eines Zwischenantrages auf Feststellung erfordert auch die analoge Anwendung des § 521 a Abs 1 Z 3 ZPO auf das Rekursverfahren (5 Ob 45/89; 4 Ob 529 jeweils mwN).

Zur Berechtigung ihres aus diesen Gründen zulässigen Rekurses gegen den berufungsgerichtlichen Beschluß bringen die Kläger - offenbar durch die Ausführungen des Berufungsgerichtes fehlgeleitet - zwar nur vor, daß ihr Begehren auch das Recht/Rechtsverhältnis betreffend das Mietrecht top.Nr. 2 umfasse; hieraus ergebe sich offenkundig, daß die Bedeutung der Nichtbekanntgabe des "Unterganges" des Hauptmieters top.Nr. 2 durch die Beklagte sehr wohl über diesen Prozeß hinausgehende Wirkung entfalte. Außerdem habe die Frage der Mietrechte Auswirkungen auf sämtliche Miteigentümer in steuerrechtlicher Hinsicht und sei für das Teilungsverfahren von Bedeutung, weil sie in diesem Unzeit wegen unklarer Mietverhältnisse eingewendet hätten. Der Wert des Hauses variiere gewaltig, je nachdem, ob ein frei vermietbares Geschäftslokal zur Verfügung stehe oder nicht. Eine ziffernmäßige Feststellung des Schadens sei noch nicht möglich.

Diesen Ausführungen kommt zwar aus den vom Berufungsgericht ausgeführten Gründen keine Berechtigung zu; aus den dargestellten Argumenten ergibt sich keine über den Rechtsstreit hinausreichende Wirkung. Da die Rechtsmittelwerber aber die Rechtsrüge ordnungsgemäß ausgeführt haben, ist der Oberste Gerichtshof zu einer allseitigen rechtlichen Beurteilung verpflichtet.

Aus dem gesamten bisherigen Vorbringen der Kläger und dem Prozeßverlauf ergibt sich eindeutig, was die Kläger festgestellt wissen wollen, daß diese Feststellung über den Rechtsstreit auf Schadenersatzzahlung hinausreichende Wirkung haben soll und daß noch nicht mit einem Leistungsbegehren vorgegangen werden könne.

Die Kläger wollen in Wahrheit festgestellt wissen, daß ihnen die Beklagte wegen der Nichtbekanntgabe des Untergangs des Hauptmieters des Geschäftslokals top.Nr. 2 auch in Zukunft, solange das Geschäftslokal nicht an einen neuen Mieter frei vermietbar ist, für den ziffernmäßig nicht genau festlegbaren - weil von der jeweiligen Lage am Wohnungsmarkt abhängigen - Schaden haftet, der in der Differenz zwischen dem derzeit bezahlten niedrigen Altmietzins und dem bei Neuvermietung erzielbaren Mietzins besteht. Die Kläger begehren also inhaltlich - entgegen ihrer Formulierung "...entandenen Schaden..." - die Feststellung der Haftung für künftige, noch nicht bezifferbare Schäden, die ihnen aus dem behaupteten rechtswidrigen Verhalten der Beklagten entstanden sein sollen.

Diese Haftung für künftige Schäden wollte das Erstgericht mit seinem Urteil auch aussprechen (S 23 des Urteiles), doch hat es eine entsprechende spruchmäßige - nach Anleitung oder von amtswegen vorzunehmende - Umformulierung unterlassen.

Feststellungsbegehren hinsichtlich der Haftung für zukünftige, der Höhe nach noch nicht bezifferbare Schäden sind gemäß § 228 ZPO allgemein zulässig und nur ausgeschlossen, wenn bereits mit Sicherheit feststeht, daß ein weiterer Schaden ausgeschlossen ist (JBl 1976, 315 uva); das ist gerade hier nicht der Fall. Auch die übrigen Voraussetzungen für ein Feststellungsbegehren lägen vor (für alle Fasching LB2 Rz 1088 ff): es ist voraussehbar, daß sonst weitere Leistungsklagen notwendig werden, in denen die Verschuldensfrage jeweils neu aufgerollt werden könnte; ein Feststellungsbegehren ist daher geeignet, weitere Prozesse oder zumindest einen erheblichen Verfahrensaufwand zu vermeiden (Fasching aaO Rz 1101), sodaß das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung zu bejahen ist.

Ein solches Begehren betreffend die Haftung für künstige Schäden kann auch in Form eines Zwischenantrages auf Feststellung gemäß § 236 ZPO gestellt werden (1 Ob 98/71; Fasching III 62 ff, 133, Anm 7 zu § 228, Anm 4 zu § 236 ZPO); dieses stellt verfahrensrechtlich betrachtet eine nachträgliche Klageerweiterung durch ein zusätzliches Feststellungsbegehren dar (Fasching aaO Rz 1076). Ihm kommt einerseits über den konkreten Rechtsstreit (Leistungsbegehren auf einen bestimmten Schadenersatzbetrag für bereits in der Vergangenheit eingetretene und bezifferbare Schäden) hinausgehende Wirkung zu; andererseits handelt es sich bei der Feststellung der Haftung der Beklagten um eine für die künftigen, noch nicht bezifferbaren Schadenersatzansprüche präjudizielle Vorfrage, sodaß die Voraussetzungen für einen solchen Antrag gegeben sind (für alle Fasching aaO Rz 1077 ff). Im übrigen wäre dieses Begehren eben auch als Feststellungsklage iSd § 228 ZPO zulässig, sodaß es bei Verneinung der Voraussetzungen eines Zwischenantrages auf Feststellung gemäß § 236 ZPO in ein solches umzudeuten und auch noch vom Berufungsgericht umzuformulieren ist (5 Ob 196/75; 8 Ob 553/87 ua), weil es auf den Inhalt des Begehrens und nicht auf seine Benennung ankommt.

Der berufungsgerichtliche Zurückweisungsbeschluß ist somit ersatzlos zu beheben und dem Berufungsgericht die sachliche Erledigung der Berufung aufzutragen.

Eine sofortige sachliche Erledigung durch den Obersten Gerichtshof scheidet aus, weil es sich nicht um einen Fall des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO handelt, über den der Oberste Gerichtshof, wenn er die Sache für spruchreif hält, gemäß Abs 2 letzter Satz dieser Bestimmung selbst entscheiden könnte, sondern um einen § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zu unterstellenden Fall, denn das Berufungsgericht hat einen Teil des Klagebegehrens (Zwischenantrag auf Feststellung) aus formellen Gründen zurückgewiesen. Der an den Obersten Gerichtshof herangetragene Entscheidungsgegenstand betrifft daher nur die Frage, ob der Zwischenantrag auf Feststellung zulässig ist, nicht aber seine inhaltliche Berechtigung. Würde der Oberste Gerichtshof in der Sache selbst Überlegungen anstellen, würde er der anderen Partei unzulässigerweise eine Instanz nehmen. Der Fall ist mit jenem vergleichbar, in dem etwa die erste Instanz, nachdem es entsprechende Feststellungen getroffen hat, die inländische Gerichtsbarkeit bejaht und ein klagestattgebendes Urteil gefällt hat, die zweite Instanz aber die inländische Gerichtsbarkeit verneint und die Klage zurückgewiesen hat; in einem derartigen Fall dürfte der Oberste Gerichtshof auch keine Sachentscheidung fällen, sondern nur den Zurückweisungsbeschluß ersatzlos beheben und der zweiten Instanz die sachliche Erledigung der Berufung auftragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf dem § 52 Abs 1 ZPO.

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