OGH 9ObA297/93

OGH9ObA297/9326.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Zörner und Hofrat Robert List als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Bernd S*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Markus Orgler und Dr.Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei K*****gesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr. Gottfried Korn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung (Streitwert 2,300.000 S), infolge Revision des Klägers gegen das Urteil Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.Mai 1993, GZ 33 Ra 54/93-51, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.Juni 1992, GZ 17 Cga 1002/91-41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 23.929,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 3.988,20 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Da die Begründung des angefochtenen Urteils zutrifft, genügt es, auf ihre Richtigkeit hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers noch folgendes zu erwidern:

Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen war der am 3.Juni 1949 geborene Kläger ab 14.April 1986 bei der beklagten Partei für deren Tiroler Ausgabe als Redakteur für Hintergrundberichterstattung angestellt. Er verdiente jährlich 760.155 S brutto; ab dem Jahre 1991 hätte er Anspruch auf 805.764 S brutto jährlich gehabt. Den Kläger treffen keine Unterhaltspflichten; er hat keine Schulden. Die Gattin des Klägers verdient in kündigungsgeschützter Stellung 368.200 S brutto jährlich. Mit Schreiben vom 30.Juli 1990 kündigte die beklagte Partei das Dienstverhältnis mit dem Kläger zum 31.Dezember 1990 auf. Für eine Arbeitskraft mit der Ausbildung und Berufslaufbahn des Klägers gibt es in Österreich 800 bis 1000 potentielle Arbeitsstellen (davon 40 bis 50 in der Hintergrundberichterstattung); hievon entfallen auf Tirol 60 bis 70 Arbeitsplätze (hievon 4 bis 5 in der Hintergrundberichterstattung). Der Kläger könnte in Österreich, aber auch in Tirol innerhalb von 6 bis 12 Monaten eine neue Anstellung als Journalist finden. In diesen Stellungen würde der Kläger ein monatliches Einkommen von 40.000 bis 50.000 S brutto monatlich erzielen. Für einen Arbeitsplatz im Bereich des Aufdeckungsjournalismus bzw der Hintergrundberichterstattung wäre eine erheblich längere Wartezeit anzunehmen. Der Kläger ist seit Jänner 1991 bei der Kammer der gewerblichen Wirtschaft in Vorarlberg als Pressesprecher beschäftigt und verdient dort 630.000 S brutto jährlich. Er hat einen um 16 Werktage niedrigeren Urlaubsanspruch als bei der beklagten Partei. Die Kosten der für die Tätigkeit in Vorarlberg erforderlichen Zweitwohnung betragen monatlich 7.000 S. Der Kläger pendelt durchschnittlich viermal monatlich zwischen seinem Wohnsitz in Innsbruck und seinem Arbeitsort in Feldkirch, was weitere Kosten von 1.500 S monatlich verursachen.

Bei Beurteilung der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, ist vorerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen zu prüfen, ob durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Dienstnehmers beeinträchtigt werden. Hiebei ist auf den Zeitpunkt der durch die angefochtene Kündigung herbeigeführten Beendigung des Dienstverhältnisses abzustellen. Entscheidend ist eine vom Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses ausgehende Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung für die wesentlichen Interessen des Dienstnehmers.

Hiebei ist nicht nur auf die Möglichkeit der Erlangung eines neuen,

einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes und den Verlust

allfälliger mit dem Dienstverhältnis verbundener Vorteile

abzustellen; vielmehr sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse

des Dienstnehmers, wie Einkommen, Vermögen, Sorgepflichten, das

Einkommen des Ehegatten und das der anderen erwerbstätigen

Familienmitglieder einzubeziehen. Das Tatbestandsmerkmal der

Beeiträchtigung wesentlicher Interessen ist erfüllt, wenn die durch

die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung ein solches

Ausmaß erreicht, daß sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende

Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne daß

aber schon eine soziale Notlage oder Existenzgefährdung eintreten

müßte (siehe Kuderna, Die sozial ungerechtfertigte Kündigung nach §

105 Abs 3 Z 2 ArbVG, DRdA 1975, 9 ff [11]; Floretta, Die

Interessenabwägung beim allgemeinen Kündigungsschutz, in FS-Strasser

[1983] 335 ff [341]; SZ 61/213 = Arb 10.755 = RdW 1989, 200 = WBl

1989, 124 [zust Floretta, Zum Grundtatbestand der "Sozialwidrigkeit"

im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht, WBl 1991, 14 f] = DRdA

1991/3 [kritisch B.Schwarz]; DRdA 1989/24 [zust Floretta] = Arb

10.771 = RdW 1989, 199 = WBl 1989, 217 [zust Firlei,

Interessenabwägung beim allgemeinen Kündigungsschutz: Wende in der

Rechtsprechung WBl 1989, 197 f]; SZ 63/119 = Arb 10.874 = WBl 1991,

27 [zust Floretta WBl 1991, 14 f]; SZ 63/140 = ZAS 1992/9 [zust

Pircher]; SZ 63/198 = JBl 1991, 259 = RdW 1991, 252; JBl 1992, 129 =

RdW 1991, 299; ZAS 1993/13 [zust Pircher] = ecolex 1991, 636; DRdA

1992/41 [zust Runggaldier] = ZAS 1992/19; DRdA 1992/53 [zust Mosler]

= WBl 1992, 232 = ecolex 1992, 434; zuletzt 9 Ob A 146/93).

Das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung hat die Funktion, den Kündigungsschutz nur jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind; hiebei sind nur die wesentlichen Lebenshaltungskosten und nicht etwa Luxusausgaben berücksichtigungswürdig (siehe Kuderna aaO 12; Pircher ZAS 1992, 87; B.Schwarz DRdA 1991, 36). Ist zu erwarten, daß der Arbeitnehmer in angemessener Frist nach der Kündigung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses einen Arbeitsplatz mit einem weit über dem Durchschnitt liegenden Einkommen erlangen wird, ist eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen auch bei einem erheblichen Einkommensverlust nicht anzunehmen (vgl ZAS 1992/9 [zust Pircher] = SZ 63/140). Zieht man im Sinne der Entscheidung SZ 61/213 auch das Einkommen der Ehegattin heran, dann ergibt sich gegenüber dem bei Verbleiben des Klägers in der bisherigen Position zu erwartenden Familieneinkommen von rund 1,170.000 S brutto jährlich im Jahre 1991 ein Absinken auf rund 1,000.000 S brutto (dies sowohl nach der Prognose als auch nach der tatsächlichen Entwicklung). Auch bei Berücksichtigung der durch die Entfernung seines neuen Arbeitsplatzes vom Wohnort erforderlichen zusätzlichen Aufwendungen des Klägers von 8.500 S monatlich ist eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Klägers im Sinne einer Gefährdung der Befriedigung wesentlicher Lebensbedürfnisse durch diese Einkommensminderung nicht anzunehmen. Auch aus der Verringerung des Urlaubsanspruches auf das gesetzliche Ausmaß kann eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung nicht abgeleitet werden, weil Arbeitnehmer, die keiner besonderen Belastung ausgesetzt sind, typischerweise weder einen höheren Urlaubsanspruch haben noch auch zur Erholung benötigen. Daß der Kläger in seiner nunmehrigen Tätigkeit als Angestellter einer gesetzlichen Interessenvertretung Belastungen ausgesetzt wäre, die ein über das normale Ausmaß hinausgehendes Erholungsbedürfnis verursachen, wurde nicht behauptet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 58 Abs 1 Satz 1 ASGG iVm §§ 41, 50 ZPO.

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