OGH 8ObS8/94

OGH8ObS8/9426.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Zörner und Hofrat Robert List als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Armin Sch*****Provisionsvertreter, *****, vertreten durch Mag.Herbert Schnetzinger, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Volksgartenstraße 40, 4020 Linz, dieser vertreten durch Zamponi-Weixelbaum & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Ried, Peter Rosegger Straße 27, 4910 Ried im Innkreis, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen S 28.659,-- netto Insolvenz-Ausfallgeld (Streitwert im Revisionsverfahren S 10.151,50 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. September 1993, GZ 12 Rs 55/93-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.März 1993, GZ 4 Cgs 132/92-5, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.019,20 (hievon S 483,20 Umsatzsteuer und S 120,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 2.11.1970 bei der K***** AG als Provisionsvertreter im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Über das Vermögen der Dienstgeberin wurde am 9.12.1991 der Konkurs eröffnet. Das Dienstverhältnis endete am 20.12.1991 durch vorzeitigen Austritt des Klägers wegen Vorenthaltens des Entgelts.

Bezüglich der Provisionsabrechnung hatten die Arbeitsvertragsparteien folgende Vereinbarung getroffen:

".... Beginnend mit 1.1.1989 wird dem Kläger die geltende

Akontoprovision sowie das derzeit gültige Fixum von ... überwiesen.

Jeweils am Ende des Kalenderjahres (einschließlich Provision Dezember) erfolgt die Abrechnung zwischen Akontoprovision und tatsächlich erreichter, wobei jeweils nur ein sich ergebender Überschuß ausbezahlt wird, jedoch keine aus dem Titel des Nichterreichens entstehenden Abzüge unter dem Wert der Akontoprovision vorgenommen werden ..."

Aufgrund dieser Vereinbarung erhielt der Kläger 1991 ein monatliches Fixum von S 16.810 brutto sowie monatlich eine Akontoprovision von S 25.000 brutto. In der Dezember-Abrechnung 1991 wurde dem Kläger eine Akontoprovision von S 45.000 brutto verrechnet. Bei Gegenüberstellung der vom Kläger bezogenen Akontoprovisionen mit den ihm tatsächlich zustehenden Provisionen ergab sich für das Jahr 1991 ein Saldo von S 43.760,39 netto zugunsten des Klägers.

Im Konkurs meldete der Kläger unter anderem einen restlichen Provisionsanspruch von S 43.760 für das Jahr 1991 sowie unter Hinweis auf § 11 Abs 3 AngG eine weitere Provisionsforderung von S 54.858, die nicht mehr zur Ausführung gelangte Aufträge betraf, an. Die Beklagte erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 10.8.1992 aus dem Titel Provisionsforderungen insgesamt S 70.302 zu und lehnte das Mehrbegehren von S 28.316 wegen Überschreitung des Grenzbetrages nach § 1 Abs 4 IESG ab.

Mit der gegen diesen ablehnenden Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger S 28.316 zuzüglich S 343 an Zinsen. Der restliche Provisionsanspruch für das Jahr 1991 sei nicht auf die Höchstgrenze für das letzte Quartal allein, sondern auf jene des gesamten Kalenderjahres anzurechnen, weil der Provisionsverdienst das gesamte Kalenderjahr 1991 betreffe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Fälligkeit der Differenzprovision für 1991 sei ausdrücklich mit Jahresende vereinbart worden, sodaß dieser Provisionsanspruch dem aliquotierten Limit für das letzte Quartal 1991 zu unterstellen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Im Hinblick darauf, daß die dem vierten Quartal 1991 zuzurechnenden Ansprüche des Klägers von insgesamt S 151.744 (Gehaltsansprüche inklusive Provisionsrest 1991 von S 43.760 sowie die anteiligen Provisionen gemäß § 11 Abs 3 AngG) den Grenzbetrag des § 1 Abs 4 IESG nicht überschritten, seien keine Abstriche zu machen. Auf die Frage, ob der Provisionsrest 1991 auf die vier Quartale des Jahres 1991 aufzuteilen gewesen wäre, sei daher nicht einzugehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es dem Kläger nur S 18.507,50 zusprach und das Mehrbegehren von S 10.151,50 abwies. Es sprach aus, daß die Revision gemäß § 46 Abs.1 Z 1 ASGG nicht zulässig sei.

Zum Zeitpunkt der bedungenen Provisionsabrechnung zum Jahresende 1991 übersteige der als Insolvenz-Ausfallgeld begehrte Nettobetrag den Grenzbetrag gemäß § 1 Abs.4 IESG. Der restliche Provisionsanspruch von S 43.760 für die im Jahr 1991 zur Ausführung gelangten Geschäfte sei auf das aliquote Limit für das letzte Quartal 1991 anzurechnen. Der Kläger habe für dieses Quartal insgesamt einen Entgeltanspruch von S 170.030 (S 27.824 Gehalt für Oktober 1991, S 24.988 Gehalt für November 1991, S 36.886 Gehalt für 1. bis 20.Dezember 1991, S 43.760 restliche Provision für 1991 und S 36.572 anteilige, auf das letzte Quartal 1991 entfallende (§ 273 ZPO) Provision gemäß § 11 Abs.3 AngG). Der Grenzbetrag von S 160.000 gemäß § 1 Abs.4 IESG werde sohin um S 10.030 überschritten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne gänzlichen Stattgebung der Klage abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob der Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 Z 2 IESG bei vereinbarungsgemäß am Jahresende abzurechnenden Provisionansprüchen unter Berücksichtigung eines längeren Zeitraumes als des im § 1 Abs.4 Z 2 IESG genannten Kalendervierteljahres zu ermitteln ist, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt.

Die Revision ist auch im Ergebnis berechtigt.

Periodisch abzurechnende Provisionsansprüche sind ein nicht nach Zeiträumen bemessenes und daher der Anspruchsbegrenzung nach § 1 Abs 4 Z 2 IESG unterliegendes Entgelt (993 BlgNR 16.GP 7; vgl. Schwarz-Holler-Holzer, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz2, 106 f; 9 Ob S 22/93 mwN).

Zielsetzung der Insolvenzentgeltsicherung ist, Arbeitsentgelt, das zur Bestreitung des Lebensunterhaltes der Familie des Arbeitnehmers dringend benötigt wird, im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers gesetzlich zu sichern. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von den Arbeitnehmern selbst typischerweise nicht abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die sie in aller Regel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angewiesen sind (RV 464 BlgNR 14.GP; AB 354 BlgNR

14. GP; SZ 61/254; SZ 64/54; vgl. auch VfSlg 10.623).

Andererseits entsprach es der Absicht des Gesetzgebers, alle Einzelvereinbarungen, die eine unkontrollierte Belastung und übermäßige Inanspruchnahme des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewirken könnten, der Höhe nach zwar nicht durch Höchstbetrage für die Summe der gesicherten Ansprüche oder für jeden einzelnen gesicherten Anspruch, aber durch Limitierung der jeweiligen Basisgröße zu begrenzen (VfSlg 10.623; SZ 61/254; 9 Ob S 11/92; 9 Ob S 22/93).

Alle am Ende des dritten Monates nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offenen durchschnittlichen Entgeltansprüche (§ 3 Abs.1 IESG), damit auch solche, die schon längere Zeit vor dem Insolvenzfall fällig waren, sollen gesichert sein. Auf die Höhe des Rückstandes kommt es nicht an (VfSlg. 10.623; SZ 61/254). Die Vereinbarung eines übermäßigen Entgelts soll aber selbst dann nicht zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gehen, wenn der Arbeitgeber mit den Zahlungen nur für eine kurze Zeit säumig ist (VfSlg. 10.623; SZ 61/254).

Während die vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15.10.1985 (VfSlg. 10.623) aufgehobenen Bestimmungen des § 1 Abs.3 Z 4 IESG aF nur nach Zeiträumen bemessenes Entgelt, nicht jedoch die ausschließlich an der Leistung, dem Umsatz oder am Gewinn orientierten periodisch abgerechneten Entgelte berücksichtigte ( - was auch zur Aufhebung führte - ), begrenzt nun § 1 Abs.4 Z 2 IESG idF BGBl. 1986/395 Entgeltansprüche, die nicht nach Zeiträumen bemessen und periodisch abgerechnet werden. Der Grenzbetrag ist dabei mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Kalendervierteljahres zu vervielfachen, in welchem der Anspruch abzurechnen gewesen wäre.

Dieser Bestimmung ist nicht ausdrücklich zu entnehmen, ob der gesetzliche (§ 10 Abs.4 AngG) oder der einzelvertragliche Fälligkeitstermin der Provisionsabrechnung gemeint ist. Nach § 10 Abs.4 AngG findet die Abrechnung über die zu zahlenden Provisionen mangels Vereinbarung mit Ende des Kalendervierteljahres statt. Es handelt sich also um ein dispositives Gesetz (Martinek-M. und W.Schwarz, AngG7, 267; Arb. 10.816), dem die jeweilige Fälligkeitsvereinbarung vorgeht.

Infolge Fehlens eines zwingenden gesetzlichen Abrechnungszeitpunktes ist daher primär der Inhalt der jeweiligen Vereinbarung für die Beurteilung des Zeitpunktes entscheidend, "in welchem" (im Sinne des § 1 Abs.4 Z 2 IESG) "der Anspruch abzurechnen gewesen wäre".

Die Vereinbarung einer jährlichen Provisionsabrechnung zum Ende des Kalenderjahres bewirkt bei wörtlicher Auslegung dieser Gesetzesbestimmung, daß der Grenzbetrag durch Vervielfachung des Provisionsüberhanges mit der Anzahl der Tage des letzten Kalendervierteljahres zu bilden wäre. Dies führt aber entgegen der Zielsetzung des IESG, alle zur Zeit der Konkurseröffnung noch offenen durchschnittlichen Entgeltsansprüche, wozu auch Provisionsverdienste zählen, mögen sie auch noch so hoch sein, zu sichern, zu einer unsachlichen, von der zufälligen Wahl einer bestimmten Abrechnungsperiode abhängenden Ungleichbehandlung dieser Arbeitnehmer gegenüber denjenigen, die die dispositive Abrechnungsperiode des § 10 Abs.4 AngG oder keine Abrechnungsperiode vereinbart haben.

Nach dem Regelungszweck der IESG-Novelle BGBl. 1986/395 soll in den Fällen des § 1 Abs.4 Z 1 und 2 IESG der Entgeltanspruch, ob er nun nach Zeiträumen oder nicht nach Zeiträumen bemessen ist, für bestimmte in dieser Gesetzesstelle angeführte Zeiteinheiten begrenzt werden.

Zeiteinheit ist der jeweilige Entlohnungszeitraum (Z 1 leg. cit.) bzw. das Kalendervierteljahr, in dem der Anspruch abzurechnen gewesen wäre (Z 2 leg. cit.).

Schon vor Novellierung dieser Gesetzesbestimmung hat die Bundesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren sich dahin geäußert, daß ihrer Ansicht nach § 1 Abs.3 Z 4 (nunmehr Abs.4) IESG keinen Unterschied in der Behandlung von Zeit- und Leistungslöhnen mache (VfSlg. 10.623). Es lag demnach nie die Absicht vor, diese Entgeltarten unterschiedlich zu kürzen.

Nach Aufhebung des § 1 Abs 3 Z 4 IESG durch den Verfassungsgerichtshof kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er mit der novellierten Fassung - entgegen der in VfSlg 10.623 dargelegten Zielsetzung des IESG, alle durchschnittlichen Engeltansprüche auch bei Ansammlung eines Rückstandes zu sichern - Provisionen über die höhenmäßige, alle Entgeltansprüche betreffende Anspruchsbegrenzung hinaus auch noch einer weiteren, sachlich nicht gerechtfertigten, von der zufälligen Wahl des Abrechnungszeitraumes abhängigen Kürzung unterziehen wollte. Vielmehr erforderte nur der unterschiedliche Charakter der Ansprüche die in der novellierten Fassung des § 1 Abs 4 Z 1 und 2 IESG aufscheinende unterschiedliche Formulierung (993 BlgNR 16.GP 7).

Der Systematik des IESG ist deutlich zu entnehmen, daß es primär an das Gesetz (Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung) anknüpft (etwa § 1 Abs 3 Z 4 IESG) und gegenüber nur vertraglichen Regelungen mißbrauchsvermindernde Vorbehalte setzt (§ 1 Abs 3 Z 1 und 2 IESG). Ein solcher Mißbrauch ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Soweit nach Ansicht des VfGH alle offenen "durchschnittlichen" Entgeltansprüche, auch solche, die schon längere Zeit fällig waren, gesichert sein sollen, ist es eher verfassungskonform (Gleichheitsgrundsatz), § 1 Abs 4 Z 2 IESG im Sinne des § 10 Abs 4 AngG auszulegen als die vereinbarte Jahresabrechnung allein auf das letzte Kalendervierteljahr zu beziehen, in dem die Provisionsansprüche gar nicht oder nur zum Teil angefallen sind (etwa § 10 Abs 3 AngG). Dadurch würde schon verdientes Entgelt nur bei Provisionen mit jährlicher Abrechnung in unsachlicher Weise gekürzt. Dafür, daß der Gesetzgeber nur auf Grund einer Durchschnittsbetrachtung von der im Arbeitsleben üblichen Abrechnungsfälligkeit von Provisionen, wie sie im § 10 Abs 4 AngG geregelt ist, ausging, spricht seine Formulierung "...Kalendervierteljahr, in dem der Anspruch abzurechnen gewesen wäre". Daher sind andere Abrechnungsfälligkeiten nicht ausgeschlossen.

Der Grenzbetrag der auf das Kalenderjahr entfallenden, nach der Vereinbarung am Ende desselben abzurechnenden Provisionsansprüche, sohin auch der Provisionsübergang 1991 ist daher so zu bilden, daß der zweifache Betrag der Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 Abs 1 ASVG gemäß § 1 Abs 4 IESG mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Kalenderjahres zu vervielfachen ist, in dem der Anspruch abzurechnen gewesen wäre. Den Ansprüchen des Klägers aus dem letzten Kalendervierteljahr von S 170.030,-- stehen die auf Grund der vorliegenden Feststellungen ermittelbaren restlichen Entgeltsleistungen des Dienstgebers für 1991 gegenüber, mögen auch nur Bruttobeträge festgestellt sein. Bei Berücksichtigung von 10 Gehältern (inklusive 13.Gehalt) und 9 Akontoprovisionen hat der Dienstgeber S 393.100,-- brutto bezahlt. Setzt man den Gesamtanspruch 1991 mit dem Jahresgrenzbetrag von S 700.000,-- in Beziehung, dann wird dieser nicht überschritten.

In Stattgebung der Revision war das Ersturteil im Ergebnis wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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