OGH 9ObA365/93

OGH9ObA365/9326.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Zörner und Hofrat Robert List als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johanna St*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Markus Orgler und Dr.Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Dr.Bernhard Waldhof und Dr.Thomas Praxmarer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 41.649,55 brutto sA (Revisionsstreitwert: S 32.825,50 brutto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Oktober 1993, GZ 5 Ra 170/93-19, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 13.Mai 1993, GZ 46 Cga 1147/92p-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 3.623,04 an Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 603,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war in dem von der beklagten Ordensgemeinschaft in I***** betriebenen Sanatorium vom 15.1.1974 bis 30.9.1992 als diplomierte Krankenschwester beschäftigt. Sie schied wegen ihrer anschließenden Pensionierung aus dem Dienstverhältnis aus. Die beklagte Partei ist nicht Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft. Bereits beim Einstellungsgespräch wurde die Klägerin darauf hingewiesen, daß wegen erheblichem Mangel an diplomierten Krankenpflegepersonal die Verrichtung von Nachtdiensten durch die Klägerin für die Beklagte von Interesse wäre. Die Klägerin erklärte sich auch bereit, nach einer Einarbeitungsphase Nachtdienste zu leisten. Zur Höhe ihres Verdienstes wurde der Klägerin mitgeteilt, daß sie als diplomierte Krankenschwester etwa gleich viel verdienen würde, wie Diplomkrankenschwestern an der Innsbrucker Klinik. Darüber hinausgehende arbeitsvertragliche Abmachungen sind nicht feststellbar. Der Klägerin wurde bei der Einstellung die konkrete Bezugshöhe und die Aufgliederung in Grundgehalt und diverse Zulagen nicht mitgeteilt. Höhe und Anfall von Nachtdienstzulagen wurde nicht erörtert. Ab Oktober 1974 war die Klägerin bis zum Ende des Dienstverhältnisses ausnahmslos zu Nachtdiensten eingeteilt. Sie hatte abgesehen von Urlaub- Krankenstands- und Zeitausgleichszeiten bis 1980 wechselweise 14 Tage Nachtdienst und 14 Tage frei, ab 1980 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses wechselweise 7 Tage Nachtdienst und 7 Tage frei. Ein Nachtdienst umfaßte 12 Arbeitsstunden. Die Klägerin, die überwiegend in den alljährlich für einige Wochen gesperrten Stationen im 5. und 6. Stock des Sanatoriums eingesetzt war, wurde auch während dieser Zeiten in anderen Abteilungen des Hauses wieder ausschließlich im Nachtdienst verwendet. Fallweise fielen Urlaube, Zeitausgleiche und Krankenstände der Klägerin in solche Zeiten; sonst wäre sie ebenfalls zum Nachtdienst in andere Stationen eingeteilt worden. 1990 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses bestanden nachstehende Urlaube, Zeitausgleiche und Krankenstände:

Urlaub:

26.09.1990 bis 31.10.1990

03.12.1991 bis 31.12.1991

02.01.1992 bis 05.01.1992

Krankenstände:

01.01.1990 bis 11.01.1990

26.08.1991 bis 17.11.1991

10.07.1992 bis 30.09.1992

Zeitausgleich:

17.08.1990 bis 25.09.1990

15.08.1991 bis 25.08.1991

18.11.1991 bis 02.12.1991

Die Klägerin hat in den Arbeitsjahren 1990 bis 1992 in Monaten, in denen sie voll gearbeitet hat, durchschnittlich 15 Nachtdienste pro Monat geleistet. Die Nachtdienstzulage betrug 1990 brutto S 203,-- 1991 S 327,-- und 1992 S 341,--. In den Monaten, in die Urlaub, Krankenstände und Zeitausgleich fielen hatte die Klägerin folgende Nachtdienste geleistet:

August 1990 - 9 Nachtdienste

September 1990 - 0 Nachtdienste

Oktober 1990 - 0 Nachtdienste

August 1991 - 7 Nachtdienste

September 1991 - 0 Nachtdienste

Oktober 1991 - 0 Nachtdienste

November 1991 - 0 Nachtdienste

Dezember 1991 - 0 Nachtdienste

Jänner 1992 - 11 Nachtdienste

Juli 1992 - 7 Nachtdienste

August 1992 - 0 Nachtdienste

September 1992 - 0 Nachtdienste

Während des gesamten Dienstverhältnisses sind der Klägerin Nachtdienstzuschläge nur für tatsächlich geleistete Nachtdienste ausbezahlt worden. Eine Fortzahlung dieser Zulagen fand im Urlaub-, Krankenstand- und Zeitausgleichsfall nicht statt.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten S 41.649,55 brutto sA. Für jene Zeiten, für die ihr Entgeltfortzahlung, Urlaubsentgelt oder sonstige Entgelte nach dem Verdienstausfallprinzip bzw dem Entgeltfortzahlungsprinzip gebühren, stünde ihr auch die Nachtdienstzulage zu.

Das Erstgericht erkannte der Klägerin S 32.825,50 sA brutto zu und wies - unangefochten - das Mehrbegehren von S 8.824,05 sA brutto ab.

Die von der Klägerin ins Verdienen gebrachten Nachtdienstzulagen seien Entgelt im Sinne des § 8 AngG, so daß der Anspruch hinsichtlich der krankheitsbedingten und urlaubsbedingten Entgeltfortzahlungszeiträume zu Recht bestehe. Dagegen bestehe ein Anspruch auf Berücksichtigung der Nachtdienstzulagen während der Zeitausgleichszeiten nicht. Als Beobachtungszeitraum für die Berechnung des Durchschnittsanspruchs seien die Jahre 1990, 1991 und 1992 heranzuziehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die (ordentliche) Revision zulässig sei. Der als zulässige Neuerung eingewendete Verzicht auf die geltend gemachten Ansprüche liege nicht vor. Der Anspruch auf Fortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 8 Abs 1 AngG wie auch auf Urlaubsentgelt seien unverzichtbare Ansprüche. Das Unterlassen der Geltendmachung durch einen längeren Zeitraum reiche für die Annahme eines Verzichtes nicht aus. Es müßten noch besondere Umstände hinzutreten, die eine verspätete Geltendmachung als Verstoß wider Treu und Glauben erscheinen ließen. Bloßes Stillschweigen rechtfertige nicht die Annahme des Verzichtes. Das Berufungsgericht teilte die Auffassung des Erstgerichtes, daß die Nachtdienstzulage dem Entgeltbegriff zu unterstellen sei. Für die Fälle der Fortzahlung des Entgeltes gemäß § 8 Abs 1 AngG bzw § 6 Abs 1 UrlG käme das Lohnausfallsprinzip zum Tragen. Zur Ermittlung des regelmäßigen Entgelts, das der Klägerin gebührt hätte, wenn sie den Urlaub nicht angetreten hätte bzw nicht krank geworden wäre, sei ein Beobachtungszeitraum von einem Jahr grundsätzlich besser geeignet, ein entsprechendes Bild über die regelmäßigen Nachtdienstleistungen zu bieten als ein kürzerer Zeitraum, weil es dem Gedanken der Kontinuität besser entspreche, einen längeren Zeitraum heranzuziehen. Innerhalb dieses Zeitraumes seien die Dienstleistungen in einer Form verteilt, daß sich ihr regelmäßiger Charakter erkennen ließe.

Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Entgegen der Meinung der Revisionsbeantwortung ist die Revision zulässig, weil zur Frage, welcher Beobachtungszeitraum für die Ermittlung des Durchschnittsentgelts für die Einbeziehung von Nachtdienstzulagen heranzuziehen sei, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Im Arbeitsrecht gilt ein die verschiedensten Entgeltarten umfassender Entgeltbegriff. Dabei kommt es nicht auf die Bezeichnung, sondern auf die tatsächliche Funktion der dem Entgeltbegriff zu unterstellenden Leistungen an (Martinek-M. und W.Schwarz AngG7 177 f, 221; ZAS 1993/7 [Adamovic]). Der Begriff Entgelt ist weit auszulegen und umfaßt alles, was dem Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis für die zur Verfügungstellung seiner Arbeitskraft zukommt, also nicht nur das Gehalt, sondern auch die übrigen regelmäßigen oder sonstigen ordentlichen oder außerordentlichen Leistungen zusätzlicher Art (Martinek M. und W. Schwarz aaO 177, 221, 452; ind 1988 H 4, 6).

Zulagen sind unabhängig davon, ob sie im Entgeltbegriff des § 2 des Generalkollektivvertrages über den Begriff des Entgelts gemäß § 6 Urlaubsgesetz enthalten sind und unabhängig von der Anwendbarkeit dieses Generalkollektivvertrages grundsätzlich Entgelt, soferne sie nicht die Funktion einer Aufwandsentschädigung haben (Martinek M. und W. Schwarz aao 221). Auslagen und Aufwendungen des Arbeitnehmers im Interesse des Arbeitgebers, deren Ersatz er vom Arbeitgeber erhält, wie beispielsweise Fahrtvergütungen, Tag- und Übernachtungsgelder, Vergütungen für Arbeitskleidung oder Werkzeuge, erhöhte Aufwendungen für Seife, Wäsche oder Kleidung etc sind daher kein Entgelt (ind 1988 H 4, 6). Daß der Nachtdienstzulage die Bedeutung einer Aufwandsentschädigung zukäme, ist weder offenkundig noch hat die Beklagte dies behauptet.

Die Bestimmungen über Entgeltfortzahlung nach § 8 AngG im Krankheitsfall und die Zahlung des regelmäßigen Entgelts während des Urlaubes nach § 6 UrlG sind nach § 12 UrlG, § 40 AngG zwingendes Recht (ZAS 1989/22 [Andexlinger]). Es enstpricht ständiger Rechtsprechung, daß ein Verzicht auf unabdingbare Ansprüche während des aufrechten Arbeitsverhältnisses unwirksam ist (Floretta-Spielbüchler-Strasser Arb R3 I 84 f mwN; Schwarz-Löschnigg Arb R4 277 f mwN; Arb 7588, 9 Ob A 95/93 mwN). Das Zuwarten mit der Geltendmachung bis etwas mehr als ein Monat nach Beendigung des Dienstverhältnisses vermag daher auch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben zu begründen (DRdA 1988/8 [Kerschner]).

Für die hier zu beurteilenden Fälle der Fortzahlung des Entgeltes

nach § 8 Abs 1 AngG und § 6 Abs 1 UrlG kommt nach den zutreffenden

Ausführungen des Berufungsgerichtes das Entgeltausfallsprinzip zum

Tragen. Der Arbeitnehmer soll durch die Erkrankung und den Urlaub

keine wirtschaftlichen Nachteile erleiden. Es ist daher der

Fortzahlung das regelmäßige Entgelt zugrundezulegen, das dem

Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn keine Arbeitsverhinderung

(Krankheit, Urlaub) eingetreten wäre (Floretta-Spielbüchler-Strasser

ArbR3 I 213; ZAS 1989/22 [Andexlinger], ZASB 1990 H 5 = 9 Ob A

513/89; ZAS 1993/15 = ecolex 1993, 186 = DRdA 1993, 248 = infas 1993

A 61). Wenn auch § 8 Abs 1 AngG für den Verhinderungsfall nur

Anspruch auf das Entgelt vorsieht und nicht ausdrücklich auf das

regelmäßige Entgelt Bezug nimmt, das gebührt hätte, wenn keine

Arbeitsverhinderung eingetreten wäre, wie dies § 3 Abs 3 EFZG oder §

6 Abs 3 UrlG vorsehen, so erklärt sich diese unterschiedliche

Formulierung bloß daraus, daß bei Arbeitern das Entgelt in der Regel

größeren Schwankungen (auch hinsichtlich über übrigen ordentlichen

und außerordentlichen Leistungen zusätzlicher Art) unterworfen ist

als bei Angestellten und daß das Urlaubsgesetz eine einheitliche

Regelung für Arbeitnehmer aller Art (§ 1 Abs 1 UrlG) treffen wollte.

Zur Beurteilung des regelmäßigen Entgelts ist in der Regel eine

Durchschnittsbetrachtung der vor dem Krankenstand oder Urlaub

bezogenen Entgelte in einem Beobachtungszeitraum notwendig. Über die

Dauer des Beobachtungszeitraumes gibt das Gesetz keine Auskunft.

Lediglich § 6 Abs 1 UrlG und § 3 Abs 4 EFZG führen für die in § 96

Abs 1 Z 4 Arb VG hervorgehobenen leistungsbezogenen Entgelte (Cerny,

Urlaubsrecht6 144). Wie Akkord-Stück- oder Gedinglöhne,

akkordähnliche oder sonstige leistungsbezogene Prämien oder Entgelte,

worunter die Nachtdienstzulage nicht zu subsumieren ist, als

Beobachtungszeitraum die letzten 13 voll gearbeiteten Wochen unter

Ausscheidung ausnahmsweise geleisteter Arbeiten an. § 2 des hier

nicht in Betracht kommenden Generalkollektivvertrages über den

Begriff des Entgelts gemäß § 6 UrlG nennt für die Ermittlung der

Durchschnittsprovisionen die letzten 12 Kalendermonate vor

Urlaubsantritt als Beobachtungszeitraum, während er für die

Berechnung der in das Urlaubsentgelt einzubeziehenden Überstunden auf

die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Kollektivvertrages dafür

geltenden kollektivvertraglichen Durchschnittszeiträume verweist. Die

Rechtsprechung hat für die Beurteilung der Regelmäßigkeit der

Überstundenleistung ausgesprochen, daß - wenn nicht besondere Gründe

vorliegen, die einen längeren (einjährigen) Beobachtungszeitraum

erfordern - ein solcher von 13 Wochen (SZ 53/88, SZ 60/261; ZAS 1993/15) bzw bei der Berechnung des Entgelts nach § 8 AngG und bei Bemessung der Abfertigung der Monatsdurchschnitt des letzten Jahres bei Schwankungen des Monatsentgelts heranzuziehen ist (Arb 7.170, 8.391 = ZAS 1967/27 [Tades]; Arb 9.321).

Es läßt sich jedenfalls eine allgemein gültige Antwort auf die Frage, welcher Zeitraum für die Berechung des Entgeltanspruches nach § 8 AngG bei wechselnder Höhe des Entgelts oder Änderung des Arbeitsausmaßes maßgebend ist, nicht geben. Es ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalles auszugehen, wobei in der Regel die Berechnung nach dem Jahresdurchschnitt zu einem einigermaßen befriedigenden Ergebnis führt (ZAS 1967/27 [Tades]), weil es sich dabei um einen dem Gedanken der Kontinuität des Entgelts besser entsprechenden Zeitraum handelt (Cerny, Url R4 139).

Im Hinblick auf die von der Klägerin in Anspruch genommenen Zeitausgleiche, Urlaube und Krankenstände ist eine schwankende Verteilung der Nachtdienstleistungen gegeben, was einem Schwanken im Entgeltbereich gleichzusetzen ist (DRdA 1976/254 [Klein]). Dies läßt es aber gerechtfertigt erscheinen, einen Beobachtungszeitraum heranzuziehen, der 13 Wochen übersteigt. Daß die Vorinstanzen den Beobachtungszeitraum eines Kalenderjahres ihrer Entscheidung zugrundelegen, ist schon deshalb nicht rechtsirrig, weil weder Gesetz noch ein im vorliegenden Fall anzuwendender Generalkollektivvertrag oder Kollektivvertrag einen bestimmten anderen Beobachtungszeitraum vorsehen. Die Kontinuität und die durchschnittliche Nachtdienstleistung in dem herangezogenen Beobachtungszeitraum bildet eine verläßlichere Grundlage für die Durchschnittsberechnung als die Berücksichtigung eines kürzeren Zeitraums. Da die Durchschnittsleistung der Klägerin für deren Entgeltanspruch maßgebend ist, ist auf die Arbeitsleistung einer Ersatzkraft nicht abzustellen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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