OGH 1Ob512/94

OGH1Ob512/9425.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Peter, geboren am 18.7.1978, und Julia W*****, geboren am 19.3.1981, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beiden Kinder, vertreten durch ihre Mutter Monika W*****, diese vertreten durch DDr. Manfred Nordmeyer, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom 29. September 1993, GZ R 835/93-31, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 4. August 1993, GZ 2 P 78/91-26, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluß bestätigt hat, dahin abgeändert, daß der Vater schuldig ist, für die beiden Kinder ab 1.Juni 1992 monatliche Unterhaltsbeträge von je S 6.500 zu Handen deren Mutter zu bezahlen.

Im (nicht weiter anfechtbaren) aufhebenden Teil bleibt der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz unberührt.

Text

Begründung

Die beiden Kinder entstammen der seit 8.5.1992 geschiedenen Ehe ihrer Eltern und stehen in der Obsorge ihrer Mutter, die sie in ihrem Haushalt in einer 94 m2 großen Eigentumswohnung betreut. Die Mutter ist teilzeitbeschäftigt, verdient monatlich netto rund S 6.900 und bezieht S 600 an Wohnbeihilfe sowie die Familienbeihilfe für beide Kinder. Sie ist mit Ausnahme ihres Ehegattenanteils an der Eigentumswohnung vermögenslos.

Der Vater hat sich der Mutter gegenüber zur Leistung eines monatlichen Unterhalts von S 5.900 verpflichtet; seine Unterhaltsverpflichtung seinen Kindern gegenüber betrug zuletzt ab 1.6.1991 monatlich S 4.000 (für den Sohn) bzw S 3.500 (für die Tochter). Er bewohnt mit seiner Lebensgefährtin ein mit dieser gemeinsam angeschafftes Einfamilienhaus und verdiente im Zeitraum vom 1.5.1992 bis 30.4.1993 als Verlagsprokurist durchschnittlich netto etwa S 52.500.

Die beiden Kinder beantragten am 19.4.1993, den Vater vom 1.1.1992 an zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeträge von je S 6.500 zu verhalten; der Vater erklärte sich lediglich mit Unterhaltsbeträgen von S 5.000 (für den Sohn) bzw S 4.300 (für die Tochter) vom 1.5.1993 an einverstanden.

Das Erstgericht erhöhte die monatliche Unterhaltsverpflichtung ab 1.6.1992 auf S 6.000 (für den Sohn) und S 5.500 (für die Tochter) und wies das Mehrbegehren ab. Der monatliche Regelbedarf des Sohns betrage S 3.850, jener der Tochter S 3.250. Besondere Bedürfnisse seien nicht behauptet worden. Da der Vater ein überdurchschnittliches Einkommen beziehe, könnten die Kinder daran mit höheren Bedürfnissen angemessen teilhaben. Angesichts der Sorgepflicht für die Mutter verbliebe ihm noch ein Betrag von monatlich S 35.000, mit dem er das Auslangen finden könne. Von der früheren Unterhaltsbemessung könne nicht vor Ablauf eines Jahres abgegangen werden, so daß das Erhöhungsbegehren erst ab 1.6.1992 gerechtfertigt sei.

Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluß im stattgebenden Teil sowie in dem das Mehrbegehren von monatlich S 500 bzw S 1.000 ab 1.6.1992 abweisenden Teil, hob es insoweit auf, als das Erstgericht das Begehren für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.5.1992 überhaupt abgewiesen hatte, und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Teil nicht zulässig sei. In Erledigung des Rekurses der Kinder führte es aus, obwohl ein „Unterhaltsstop“ mit dem Gesetz nicht in Einklang stehe, hätte die Zuerkennung höherer Beträge, bei welchen sich der Unterhaltsbedarf von den statistisch ermittelten Werten noch weiter entfernt hätte, noch näherer Behauptung weiterer Bedürfnisse der Kinder bedurft, so daß mit den festgesetzten Beträgen nicht das Auslangen gefunden werden könne. Solche Behauptungen hätten die Kinder indes selbst noch in ihrem Rechtsmittel nicht nachgetragen. Der Hinweis, in anderen Fällen seien noch höhere Beträge zuerkannt worden, gehe daher ins Leere. Dagegen hätte das Erstgericht die Unterhaltserhöhungsanträge auch für den Zeitraum bis 31.5.1992 sachlich prüfen müssen, was im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein werde. Dabei werde auch die Behauptung des Vaters überprüft werden müssen, er habe für die Kinder bisher freiwillige Zusatzleistungen erbracht, denen Unterhaltscharakter zukomme. Sollte das zutreffen, wären auch die neben dem Geldunterhalt in der Vergangenheit freiwillig erbrachten Sachleistungen bei der Ausmessung des für diesen Zeitraum gebührenden Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen, weil im Zweifel nicht vermutet werden dürfte, der Vater hätte solche Leistungen auch erbracht, hätte er schon bei ihrer Erbringung von der ihn rückwirkend treffenden höheren Unterhaltsverpflichtung Kenntnis gehabt.

Der Revisionsrekurs der Kinder ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das im Vordergrund stehende Kriterium der Unterhaltsbemessung sind die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, der Unterhaltsschuldner darf allerdings nicht über seine Leistungsfähigkeit hinaus in Anspruch genommen werden. Für die Lösung der Frage, nach welchen Kriterien der Unterhaltsbeitrag der Eltern zu ermitteln ist, bietet das Gesetz einen Anhaltspunkt durch die Verknüpfung der Bedürfnisse der Kinder mit den Lebensverhältnissen deren Eltern; die Bemessung des Unterhalts bloß in Höhe des Regelbedarfs ohne Bedachtnahme auf die konkreten Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners steht deshalb mit dem Gesetz nicht in Einklang (RZ 1991/26 und 50 uva; Pichler in Rummel, ABGB2 § 140 Rz 5a). Die Bemessung des Unterhalts nach bestimmten nach Altersgrenzen abgestuften Hundertsätzen des Einkommens des Unterhaltsschuldners, durch die die Gleichbehandlung gleichartiger Fälle gewährleistet werden soll (RZ 1991/50 ua), stellt jedenfalls für durchschnittliche Fälle eine brauchbare Handhabe dar, um den Unterhaltsberechtigten an den Lebensverhältnissen des Unterhaltsschuldners angemessen teilhaben zu lassen (RZ 1991/26 ua; Schwimann-Schlemmer, ABGB § 140 Rz 8); bei überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltsschuldners - wie im vorliegenden Fall - birgt jedoch die undifferenzierte Handhabung der Prozentkomponente die Gefahr einer Überalimentierung in sich: Ein solches Einkommen darf nicht etwa dazu führen, daß der Unterhaltsberechtigte über die im § 140 ABGB verankerte Angemessenheitsgrenze hinaus alimentiert wird (ÖA 1992, 88; RZ 1991/26 ua), die allerdings nicht ganz allgemein mit einem bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs - etwa dem in der Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz vielfach angenommenen allgemeinen „Unterhaltsstop“ in Höhe des Zweieinhalbfachen des in Betracht kommenden Regelbedarfssatzes - gleichgesetzt werden (RZ 1991/86 ua). Bei überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltsschuldners ist deshalb die Prozentkomponente nicht voll auszuschöpfen, sondern ist die Unterhaltsverpflichtung derart auszumessen, daß die an den Lebensverhältnissen des Unterhaltsschuldners zu messenden Bedürfnisse der Kinder gedeckt erscheinen (ÖA 1990, 109 ua).

Zu Recht werfen die Kinder dem Rekursgericht vor, es lasse in Wahrheit eine Begründung dafür vermissen, weshalb es gerade die vom Erstgericht festgesetzten Erhöhungsbeträge, die deutlich hinter dem Antrag der Kinder zurückbleiben, als angemessen erachtet. Wird berücksichtigt, daß das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters (S 52.500) selbst bei voller Stattgebung des Erhöhungsantrags (monatlich je S 6.500) und bei Bedachtnahme auf die weitere Sorgepflicht für die Mutter der Kinder (monatlich S 5.900) bloß mit 36 % belastet erschiene, verblieben dem Vater demgemäß nahezu zwei Drittel seines Einkommens zur Bestreitung seiner eigenen Bedürfnisse. Von einer übermäßigen Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Vaters könnte daher bei antragsgemäßer Erhöhung dessen Unterhaltsverpflichtung keine Rede sein. Auch wird die in § 140 ABGB vorgesehene Angemessenheitsgrenze bei Unterhaltsbeträgen von je S 6.500 für Kinder im Alter von rund 15 1/2 und nahezu 13 Jahren keineswegs überschritten: Die begehrten Unterhaltsbeträge erreichen nur das 1,8 - bzw das Zweifache der nach dem Alter der beiden Kinder in Betracht kommenden Regelbedarfssätze.

Es kann daher davon ausgegangen werden, daß die Kinder bei antragsgemäßer Erhöhung der Unterhaltsbeträge durchaus angemessen an den Lebensverhältnissen des Vaters teilhaben, ohne daß dieser bei seinem weit überdurchschnittlichen Einkommen über Gebühr in Anspruch genommen werden würde und die Gefahr einer Überalimentierung der Kinder zu befürchten wäre.

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