OGH 6Ob620/93

OGH6Ob620/9320.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lieselotte N*****, vertreten durch Dr.Elisabeth Schaller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Paul N*****, vertreten durch Dr.Christian Burghardt, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhaltes, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 21.Juli 1993, GZ 47 R 2089/92-20, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 1.Juni 1992, GZ 2 C 4/92h-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.623,04 (darin S 603,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile waren von 1971 bis 1986 verheiratet. Die Ehe wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 3.12.1986 aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden.

Ein 1982 eingeleitetes Unterhaltsverfahren - während des Verfahrens wurde der Klägerin durch einstweilige Verfügung ein einstweiliger Unterhalt zuerkannt - wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 29.1.1991, 8 Ob 601/89, rechtskräftig abgeschlossen. Der Beklagte wurde verpflichtet, der Klägerin 10 % seines monatlichen Nettopensionseinkommens an Unterhalt zu zahlen. Dieser Entscheidung wurde ein durchschnittliches monatliches Pensionseinkommen des Beklagten von S 15.450 sowie ein fiktives Arbeitseinkommen der Klägerin von S 7.800 als jener Betrag zugrundegelegt, den die Klägerin, die trotz festgestellter Arbeitsfähigkeit keiner Beschäftigung nachging und mehrere vergebliche Anträge auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension gestellt hatte, ins Verdienen hätte bringen können.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin, den Beklagten für die Zeit vom 1.4.1991 bis 30.6.1992 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.788 abzüglich der von ihm erbrachten Zahlungen zu verpflichten. Sie brachte dazu vor, seit der letzten Unterhaltsentscheidung sei eine Änderung der Verhältnisse eingetreten. Es sei ihr nunmehr für den angeführten Zeitraum eine Berufsunfähigkeitspension von monatlich netto S 4.690,60 zuerkannt worden. Sie sei daher nicht mehr in der Lage, ein Nettoeinkommen von S 7.800, auf welches sie angespannt worden sei, zu erzielen. Überdies habe sich das Pensionseinkommen des Beklagten in der Zwischenzeit erhöht. Ausgehend von dessen Einkünften und ihrer eigenen Pension sei die begehrte Unterhaltserhöhung berechtigt. Allenfalls in der Vergangenheit zuviel in Exekution gezogene Unterhaltsbeträge habe sie gutgläubig verbraucht.

Der Beklagte wandte ein, die Klägerin habe jahrelang nicht gearbeitet, obwohl ihr dies zumutbar gewesen sei. Deshalb beziehe sie nunmehr eine wesentlich geringere Pension als ihr zustünde, wäre sie einer zumutbaren Beschäftigung nachgegangen. Darüber hinaus machte der Beklagte als Gegenforderung eine noch unbeglichene Prozeßkostenforderung aus dem früheren Unterhaltsverfahren von S 26.224,09 und Mehrleistungen an von der Klägerin exekutiv zu Unrecht hereingebrachten Unterhaltsforderungen aufgrund der einstweiligen Verfügung von S 36.398, zumindest aber von S 22.298 geltend.

Das Erstgericht stellte fest, daß die Pensionsbezüge des Beklagten im Beurteilungszeitraum durchschnittlich S 17.846 monatlich, die der Klägerin vom 1.1.1992 bis 30.6.1992 zuerkannte Berufsunfähigkeitspension durchschnittlich S 5.559 (jeweils einschließlich der Sonderzahlungen) ausmachten. Hätte die Klägerin, die im Jahr 1977 monatlich S 7.321,20 verdient hatte, kontinuierlich in einem versicherungspflichtigen Dienstverhältnis weitergearbeitet, wäre ihr ab 1.4.1991 eine fiktive Berufsunfähigkeitspension von netto S 7.047 und ab 1.1.1992 eine solche von S 7.404,60 (ohne Sonderzahlungen) zugestanden. Die Klägerin hat die dem Beklagten im Unterhaltsverfahren 2 C 1/82 des Bezirksgerichtes Döbling zuerkannten Prozeßkosten von S 26.224,09 bisher nicht bezahlt. Zu Unrecht noch in Exekution gezogene Unterhaltsbeträge aufgrund der einstweiligen Verfügung des Bezirksgerichtes Döbling 2 C 3/86 wurden von der Klägerin nicht zurückgezahlt.

Das Erstgericht stellte mit Urteil fest, daß die Klagsforderung für den Zeitraum vom 1.4.1991 bis 30.6.1992 mit S 32.338,95 abzüglich der vom Beklagten geleisteten Zahlungen von S 23.650 und für den Zeitraum vom 1.4.1991 bis 13.5.1992, somit mit S 8.688,95 zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen mit S 26.224,09 zu Recht bestehe und wies das Klagebegehren ebenso ab wie ein gestelltes Eventualbegehren auf Feststellung, daß der Klägerin 40 % des gemeinsamen Nettoeinkommens abzüglich ihres tatsächlichen Einkommens und nicht eines fiktiv errechneten Einkommens zustehe.

Rechtlich sei der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 66 EheG zu ermitteln. Wie der vorangegangene Unterhaltsprozeß ergeben habe, sei die Klägerin trotz bestehender Arbeitsfähigkeit ihrer Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit nicht nachgekommen. Dadurch sowie durch etwaiges "Schwarzarbeiten" habe sie es verabsäumt, Versicherungszeiten zu erwerben, so daß sie nunmehr eine geringere Berufsunfähigkeitspension bekomme als dies rechnerisch möglich wäre. Die Klägerin könne zwar nicht mehr verhalten werden, ein höheres Einkommen zu erzielen; der Beklagte habe aber ihre Versäumnisse in der Vergangenheit nicht auszugleichen. Bei der Bemessung des Unterhaltes sei daher auf die fiktiv errechnete Berufsunfähigkeitspension Rücksicht zu nehmen. Der Beklagte könne seine Prozeßkostenforderung aus dem vorangegangenen Unterhaltsprozeß trotz des grundsätzlich bestehenden Aufrechnungsverbotes aufrechnen, weil wegen des rechtlichen Zusammenhanges mit der laufenden Unterhaltsforderung, anders als bei der begehrten Aufrechnung laufender Zahlungen mit in der Vergangenheit zuviel geleisteten Beträgen, der Ausnahmetatbestand des § 293 Abs 3 zweiter Fall EO gegeben sei. Damit seien sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil ab. Es stellte fest, daß die eingeklagte Forderung für den Zeitraum vom 1.4.1991 bis 30.6.1992 mit monatlich S 3.788 (insgesamt daher mit S 56.820) zu Recht bestehe, wies den Antrag des Beklagten, die Klagsforderung mit einer Gegenforderung von S 26.224,09 an Prozeßkosten sowie S 36.398 oder S 22.298 an exekutiv zuviel hereingebrachtem vorläufigem Unterhalt zu kompensieren, ab und erkannte den Beklagten schuldig, für den Zeitraum vom 1.4.1991 bis 13.5.1992 einen Unterhaltsbetrag von S 56.820 abzüglich geleisteter Zahlungen in Höhe von S 23.650 sowie die Prozeßkosten zu zahlen.

In der als vergleichbar heranzuziehenden Judikatur (der Landes- und Kreisgerichte) zur Verpflichtung des Unterhaltspflichtigen zum Erwerb eines ihm zumutbaren Einkommens im Sinne des Anspannungsgrundsatzes im Rahmen des § 140 ABGB sei wiederholt ausgeführt worden, die Tatsache, daß ein Unterhaltspflichtiger es in früheren Jahren verabsäumt habe, ausreichende Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes zu setzen, könne nicht dazu führen, wegen eines solchen Fehlverhaltens die Anspannungstheorie zeitlich unbegrenzt anzuwenden. Dies würde zu einer Überforderung bei der Auslotung des Kausalzusammenhanges führen und die zeitliche Beschränkung der Kausalkette könnte nur willkürlich sein und sei daher abzulehnen. Auch der Wortlaut des § 66 EheG, welcher neben Einkünften aus Vermögen, die im vorliegenden Fall nicht zur Diskussion stünden, von Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit, die vom Unterhaltsberechtigten den Umständen nach erwartet werden könne, spreche, lasse die Heranziehung der Rechtsprechung zum Anspannungsgrundsatz im Rahmen des Kindesunterhaltes vertretbar erscheinen. Auch wenn die Klägerin nach den Ergebnissen des vorangegangenen Unterhaltsverfahrens des Bezirksgerichtes Döbling ihrer damaligen Verpflichtung zur Aufnahme einer geregelten Erwerbstätigkeit nicht nachgekommen sei, könne dies nicht dazu führen, ihr nunmehr auf unbegrenzte Zeit jene denkbaren Pensionseinkünfte zuzurechnen, welche sie unter Zugrundelegung einer durchlaufenden Erwerbstätigkeit in der Vergangenheit nunmehr beziehen könnte. Es seien vielmehr die derzeit tatsächlich bezogenen Pensionseinkünfte bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen. Unter Zugrundelegung der tatsächlichen Einkünfte beider Parteien ergebe sich ein monatlicher Unterhaltsanspruch der Klägerin von S 3.800; das gestellte Begehren auf Zuerkennung von S 3.788 sei daher berechtigt.

In den Fällen gesetzlicher Aufrechnungsverbote sei trotz Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen der §§ 1438 f eine Aufrechnung ausgeschlossen. Ein solches Verbot enthalte § 293 Abs 3 EO. Der Rückforderungsanspruch des Verpflichteten auf Ersatz angeblich bisher zuviel bezahlter Unterhaltsbeträge könne nach ständiger Rechtsprechung gegen den laufenden Unterhaltsanspruch nicht aufgerechnet werden. Es sei aber auch der Ausnahmetatbestand der Konnexität zwischen der Unterhaltsforderung und der Gegenforderung aus dem Titel Prozeßkostenersatz nicht gegeben. Der Begriff des rechtlichen Zusammenhanges sei eng auszulegen. Es bestehe nicht einmal Konnexität zwischen einem rechtskräftig zuerkannten Lohnanspruch und dem Prozeßkostenanspruch aus demselben Verfahren, so daß eine Aufrechnung ausgeschlossen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu der grundsätzlichen Frage, ob fiktiv errechnete Pensionseinkünfte der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegt werden können, wenn eine in der Vergangenheit bestandene Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit verletzt worden sei, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung hält auch in Unterhaltssachen die materielle Rechtskraft von gerichtlichen Entscheidungen nachträglichen Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhaltes nicht stand. Für jede Unterhaltsverpflichtung gilt - soweit nicht eine davon abweichende Vereinbarung vorliegt - die Umstandsklausel (Fasching ZPR2 Rz 1531; SZ 41/179 uva). Auch der Beklagte zieht nicht in Zweifel, daß eine wesentliche Einkommensminderung des Unterhaltsberechtigten zu einer Unterhaltsneufestsetzung führen kann und macht nur geltend, daß wegen Unterlassungen der Klägerin in der Vergangenheit der Anspannungsgrundsatz zur Anwendung komme.

Nach § 66 EheG hat der allein oder überwiegend schuldige Ehegatte dem anderen, soweit dessen Einkünfte aus Vermögen und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, die von ihm den Umständen nach erwartet werden kann, nicht ausreichen, den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren. Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung "nach den Umständen erwartet werden kann" und aus der Bezugnahme auf die (sich doch laufend verändernden) Lebensverhältnisse ergibt sich, daß immer auf den zum Zeitpunkt der Bemessung des Unterhaltes vorliegenden Sachverhalt abzustellen ist. Dies ist ja gerade das Wesen der Umstandsklausel. Daran ändert auch der ebenso wie in den §§ 94 und 140 ABGB in § 66 EheG zum Ausdruck kommende Anspannungsgrundsatz nichts. Von einem Unterhaltsberechtigten wird vom Gesetzgeber erwartet, daß er nach seinen Kräften selbst für seinen Unterhalt sorgt. Er hat sich also nach seiner gegenwärtigen Situation und Verfassung um seine Existenzsicherung selbst zu bemühen. Versäumt er dies, soll diese mangelnde Anstrengung nicht dem Unterhaltspflichtigen zur Last fallen. Diese Auswirkungen können sich aber nur auf den Beurteilungszeitraum beziehen, es sei denn, die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches stellte sich auf Grund des Verhaltens in der Vergangenheit als Rechtsmißbrauch dar. Fallen die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen weg (im vorliegenden Fall ist die Klägerin berufsunfähig geworden; es kann daher von ihr auch keine Erwerbstätigkeit mehr erwartet werden), haben sich die Verhältnisse geändert und die Neubemessung des Unterhaltes hat aufgrund der ab diesem Zeitpunkt tatsächlich gegebenen Umstände zu erfolgen. Eine rechtsmißbräuchliche Geltendmachung fällt der Klägerin im vorliegenden Fall nicht zur Last.

Zur Frage der Kompensation kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Besteht aber ein gesetzliches Aufrechnungsverbot, dann kann die Berufung hierauf nicht sittenwidrig sein.

Der Revision war somit keine Folge zu geben. Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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