OGH 15Os150/93

OGH15Os150/9323.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Dezember 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Straßegger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Walter Sch***** und andere wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Angelika K***** gegen das Urteil des Kreis-(nunmehr Landes-)Gerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 2.Feber 1993, GZ 11 a Vr 995/85-85, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im übrigen in Ansehung der Angeklagten Angelika K***** sowie gemäß § 290 Abs 1 StPO auch in Ansehung des Angeklagten Walter Sch***** aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Angeklagte K***** wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem bekämpften Urteil, das auch unangefochten gebliebene Freisprüche der Angeklagten Sch***** und K***** sowie einer weiteren Angeklagten enthält, wurden Walter Sch***** (A) des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und Angelika K***** (B) des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt als Beteiligte nach §§ 12 dritter Fall, 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach haben in St***** in wiederholten Angriffen

(zu A) Walter Sch***** in der Zeit von 1975 bis Juli 1985 als Gemeindesekretär, sohin als Beamter, "mit dem Vorsatz, den Prüfungsorganen der Gemeinde, in der weiteren Folge aber auch der überörtlichen Prüfung eine ordnungsgemäße Kassengebarung vorzutäuschen, seine Befugnis, im Namen der Marktgemeinde St***** in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, nämlich die Geldgebarung der genannten Gemeinde ordnungsgemäß zu führen, dadurch wissentlich mißbraucht, daß er Barabhebungen mittels Scheck tätigte, welche nicht verbucht wurden, Überweisungen vortäuschte, jedoch nicht durchführte, diverse Abgaben nicht verbuchte, unrichtige Seitenüberträge im Journal vornahm, sowie zahlreiche Kontoauszüge dahingehend manipulierte, daß die auf den Auszügen enthaltenen Angaben unleserlich gemacht, durchgestrichen bzw falsche Textierungen angebracht wurden, wodurch der Marktgemeinde St***** ein Fehlbetrag in der Höhe von 13,160.214,45 S entstanden ist und die Gemeinde und das Land in ihren Kontrollrechten beeinträchtigt wurden",

(zu B) Angelika K***** in der Zeit von Mai 1976 bis Juni 1985 als Vertragsbedienstete der Marktgemeinde St*****, sohin als Beamtin, "im einverständlichen Zusammenwirken zu den unter A angeführten Taten dadurch beigetragen, daß sie Walter Sch***** bei den zu A geschildeten Manipulationen der Gemeindebuchhaltung unterstützte".

Der von der Angeklagten K***** gegen den Schuldspruch erhobenen, auf § 281 Abs 1 Z 5, 8 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Das Schöffengericht konstatierte zwar das Entstehen von "Fehlbeträgen" - worunter es ersichtlich tatsächliche Abgänge versteht - in der Höhe von 13,160.214,45 S (US 2 und 11), vermochte aber nicht festzustellen wem die "aushaftenden" Beträge zugeflossen waren (US 14), weshalb es auch die Angeklagten Sch***** und K***** (sowie eine weitere Angeklagte) vom Anklagevorwurf der Veruntreuung dieser Beträge freisprach. Andererseits begnügte es sich aber damit, bloß die Verantwortung der Angeklagte Sch***** und K***** wiederzugeben, die - inhaltlich durchaus ähnlich (daß die Verantwortung des Angeklagten Sch***** als "geständig" bezeichnet wird, ist ersichtlich auf ein bloßes "Formalgeständnis" - S 281, 311/II - zurückzuführen) - dahin gingen, daß faktisch keine "Fehlbeträge" gegeben gewesen seien, sondern lediglich aus Unvermögenheit zur Führung einer "Soll-Buchhaltung" die dabei aufgetretenen rein rechnerischen Differenzen durch entsprechende Manipulationen verschleiert werden sollten.

Dem Erstgericht ist zwar dahin beizupflichten, daß ein Beamter in der Buchhaltung oder im Rechnungswesen einer Gebietskörperschaft grundsätzlich in Vollziehung der Gesetze und nicht in der Privatwirtschaftsverwaltung tätig ist und daß durch eine Schädigung des Rechtes der zuständigen Organe der Gebietskörperschaft auf

Gebarungsprüfung ein konkretes Recht beeinträchtigt wird (SSt 56/64 =

EvBl 1986/64 = ÖJZ-LSK 1985/100, 101 = RZ 1986/42). Im vorliegenden

Fall ergibt sich dies insb aus den Bestimmungen der §§ 82 (iVm § 30 Abs 1), 83 und 85 der nö Gemeindeordnung, wonach der - zwingend zu errichtende - Prüfungsausschuß des Gemeinderates die gesamte Gebarung der Gemeinde einschließlich der öffentlichen Einrichtungen und wirtschaftlichen Unternehmungen zu überwachen und festzustellen hat, ob die Gebarung wirtschaftlich, zweckmäßig und sparsam geführt wird, ob sie den Gesetzen und sonstigen Vorschriften entspricht und richtig geführt wird (§ 82 leg cit), ein Rechnungsabschluß - auch für die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinde - zu erstellen ist (§ 83 leg cit) und das (Bundes-)Land (Niederösterreich) das Aufsichtsrecht über die Gemeinde (und damit auch deren Gebarung) ausübt (§ 85 leg cit).

Das angefochtene Urteil enthält jedoch - wie die Nichtigkeitsbeschwerde der Sache nach zutreffend geltend macht - keine Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des § 302 Abs 1 StGB, und zwar weder in Ansehung der Wissentlichkeit des Befugnismißbrauchs noch (und insbesondere) in Ansehung des Schädigungsvorsatzes. Die bezüglichen Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (US 17) vermögen derartige Sachverhaltskonstatierungen nicht zu ersetzen (eine Deutung dieser Ausführungen als Feststellung hätte im übrigen das Vorliegen eines Begründungsmangels zur Folge). Gerade angesichts der Verantwortung des Angeklagten Sch***** und der Beschwerdeführerin K***** wären aber derartige Konstatierungen umso mehr geboten gewesen, zumal darnach vor allem ein Handeln mit Schädigungsvorsatz nicht auf der Hand liegt.

Aus den angeführten Erwägung, die nicht nur bei der Beschwerdeführerin K***** zutreffen, sondern auch beim Angeklagten Sch*****, der den Schuldspruch unangefochten ließ, waren die Schuldsprüche teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, teils von Amts wegen gemäß § 290 Abs 1 StPO zu kassieren und die Verfahrenserneuerung anzuordnen, ohne daß es - von den folgenden Bemerkungen abgesehen - erforderlich wäre, auf die weiteren Beschwerdeargumente einzugehen.

Klarzustellen ist allerdings, daß der Angeklagten K***** im erstgerichtlichen Urteil schon nach der sie allein betreffenden Tatzeit (US 3) nur Beitragstathandlungen, die während dieser Zeit verübt wurden, zur Last gelegt wurden. Der Beschwerdeauffassung zuwider war sie daher auch nicht von Tathandlungen im Zeitraum 1975 bis Mai 1976, der nach dem Inhalt der Anklageschrift (S 3/II) in bezug auf ihre Person gar nicht unter Anklage gestellt war, freizusprechen.

Unzutreffend ist auch die Rüge einer Überschreitung der Anklage, die die Beschwerdeführerin K***** darauf stützt, daß ihr in der Anklageschrift ein auf ein Entziehen öffentlicher Mittel zu einem gesetzwidrigen Verwendungszweck abgestellter Vorsatz angelastet wird, wogegen das Urteil von einem auf Beeinträchtigung von Kontrollrechten abzielenden Vorsatz ausgehe. Wird doch damit kein die Identität der Angeklagten mit der verurteilten Tat berührender Umstand aufgezeigt, zumal das Gericht an die Auffassung des Anklägers über die Einzelheiten des von ihm verfolgten Vorganges nicht gebunden ist, sondern den Ergebnissen der Hauptverhandlung - hier der Unmöglichkeit der Konstatierung, wohin die Gelder geflossen sind - Rechnung zu tragen hat (Mayerhofer-Rieder StPO3 § 281 Z 8 E 10, § 262 E 18 f, 25 ff).

Der Oberste Gerichtshof vermag letztlich auch der Anregung der Beschwerdeführerin, gemäß "Art 140 Abs 1" (richtig: Art 89 Abs 2) B-VG einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof mit dem Ziel der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 302 StGB zu stellen, nicht näherzutreten. Die von der Angeklagten K***** behauptete Unbestimmtheit der in § 302 StGB verwendeten Gesetzesbegriffe "Amtsgeschäfte", "in Vollziehung der Gesetze" und "Schädigung an Rechten", die einer Anwendung des in Rede stehenden Straftatbestands entgegenstehe, liegt nämlich nicht vor, sind doch diese Begriffe einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, womit sie nicht zum Gegenstand eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemacht werden können (Klecatsky-Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, Art 140 B-VG E 5), wie denn etwa auch der Inhalt des unbestimmten Rechtsbegriffes der Standespflichten im Disziplinarrecht verfassungsrechtlich unbedenklich ist (Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes ÖJZ 1990, 421; EuGRZ 1977, 54 uam).

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