OGH 6Ob639/93(6Ob640/93)

OGH6Ob639/93(6Ob640/93)22.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Marktgemeinde St.W*****, vertreten durch DDr.Rolf R.Schlegl, Rechtsanwalt in Ebensee, wider die beklagte Partei "W*****" *****gesellschaft mbH,***** vertreten durch Dr.Hartmut Ramsauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 1.September 1993, GZ R 790/93-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 23.Juni 1993, GZ 3 C 264/92-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie - unter Einschluß des bestätigten Teiles - insgesamt wie folgt zu lauten haben:

"Die gerichtliche Aufkündigung vom 28.9.1992 wird als wirksam erkannt; hingegen wird die gerichtliche Aufkündigung vom 11.12.1992 aufgehoben.

Die beklagte Partei ist schuldig, die Land-/Seeparzelle 514/36 KG St.W***** der klagenden Partei binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution geräumt von ihren eigenen Fahrnissen zu übergeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.972,40 S bestimmten Prozeßkosten (darin enthalten 540 S Barauslagen und 1.450 S Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen."

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die anteiligen Pauschalgebühren von 1.450 S binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat im Jahre 1955 die Land/Seeparzelle 514/36 KG St.W***** an Johann R***** zur Errichtung eines Boots(anlege)steges gegen jährliche Zinszahlung vermietet. Der Bootssteg ist 14 m lang und ragt an der Ostseite 0,5 m, an der Westseite 1,9 m in den W*****see. Er grenzt an der Ostseite unmittelbar an die im Eigentum des Dr.Peter H***** stehende Nachbar-Seeparzelle 514/22 an. Auf dem Steg selbst befinden sich keinerlei Aufbauten, insbesondere keine Gebäude.

Es ist zwischen den Parteien nicht strittig, daß nunmehr die Beklagte Mieterin der Land/Seeparzelle 514/36 KG St.W***** ist.

Mit gerichtlicher Aufkündigung vom 28.9.1992 kündigte die Klägerin der Beklagten die Land/Seeparzelle 514/36 für den 31.12.1992 wegen "Nichtzahlung des Mietzinses, grob unsachgemäßen Gebrauches des Mietobjektes, durch die gekündigte verschuldete Beeinträchtigung von Nachbarinteressen und Eigentum" auf. Da die Aufkündigung der Beklagten beim ersten Zustellversuch am 29.9.1992 an ihrem Sitz (ihrem Geschäftsraum) nicht zugestellt werden konnte, wurde dort ein Ersuchen gemäß § 21 Abs. 2 ZustG für den 30.9.1992 zurückgelassen. Da auch der zweite Zustellversuch erfolglos war, wurde die Aufkündigung am 30.9.1992 beim Postamt ***** St.G***** mit Beginn der Abholungsfrist "30.9.1992, 14 Uhr" hinterlegt und die schriftliche Hinterlegungsanzeige an der Abgabestelle zurückgelassen.

In ihren Einwendungen gegen diese Aufkündigung machte die Beklagte deren Verspätung geltend, weil sie ihr erst am 2.10.1992 "zugestellt" worden sei. Sie berief sich in diesem Zusammenhang aber nicht einmal darauf, daß ihr Geschäftsführer etwa am 30.9.1992 von St.G***** ortsabwesend gewesen wäre. Im übrigen bestritt sie das Vorliegen der geltend gemachten Kündigungsgründe.

Die Klägerin brachte daraufhin am 10.12.1992 gegen die Beklagte eine zweite gerichtliche Aufkündigung vom 11.12.1992 für den 31.3.1993 ein, deren Kündigungsgründe mit jenen der ersten Aufkündigung wortwörtlich übereinstimmten.

In ihren auch dagegen erhobenen Einwendungen bestritt die Beklagte das Vorliegen der geltend gemachten Kündigungsgründe.

Mit Beschluß vom 2.2.1993 verband das Erstgericht die beiden Rechtsstreite über die Aufkündigungen zur gemeinsamen Verhandlung (ON 3 S 21 des verbundenen Aktes).

Die Klägerin brachte vor, daß das aufgekündigte Bestandverhältnis nicht den Bestimmungen des MRG unterliege (ON 6 S 23 in Verbindung mit ON 8 S 37 des führenden Aktes).

Die Beklagte behauptete demgegenüber, daß das Bestandverhältnis doch den Kündigungsschutzbestimmungen des MRG unterliege, weil zufolge Errichtung eines Superädifikates eine Geschäftsraummiete vorliege. Andernfalls sei es der Vertragswille der Parteien des "Vertrages aus 1954" gewesen, daß die Steganlage für die Dauer des Bestandes des Schiffahrtsunternehmens errichtet werde, welches ursprünglich dem Johann R***** gehört habe und jetzt von der Beklagten betrieben werde (ON 7 S 26 a in Verbindung mit ON 8 S 37 des führenden Aktes).

Das Erstgericht erkannte beide Aufkündigungen als rechtswirksam und verurteilte die Beklagte zur Übergabe des Bestandgegenstandes an die Klägerin. Es traf über den eingangs geschilderten Sachverhalt hinaus noch Feststellungen zu den geltend gemachten Kündigungsgründen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß auch die erste Aufkündigung unter voller Wahrung der dreimonatigen Kündigungsfrist des § 560 Abs 1 Z 2 lit e ZPO zugestellt worden sei. Da nur eine Flächenmiete vorliege, fänden die Bestimmungen des MRG auf das aufgekündigte Bestandverhältnis keine Anwendung. Wenngleich die Benützung des Steges zur Führung eines Schiffahrtsbetriebes nur dann sinnvoll sei, wenn das Bestandverhältnis nicht jederzeit aufgekündigt werden könne, habe die Beklagte doch den Bestandgegenstand dadurch erheblich nachteilig gebraucht, daß sie jetzt mit einem 30 m langen Schiff am lediglich 14 m langen Steg anlege und so den Besitz der Nachbarliegenschaft störe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Da sich auf dem Bootsanlegesteg keinerlei Aufbauten befänden, unterliege das aufgekündigte Bestandverhältnis nicht den Bestimmungen des MRG, sodaß es ohne die Beschränkungen des § 30 MRG frei aufkündbar gewesen sei. Die ordentliche Kündigung unbefristeter, nicht in den Anwendungsbereich des MRG fallender Bestandverträge setze auch keine besonderen Kündigungsgründe voraus; sie sei nur an die Kündigungsfristen des § 560 ZPO gebunden. Daraus, daß die Klägerin in ihren Aufkündigungen dennoch Kündigungsgründe geltend gemacht habe, sei noch kein allgemeiner Kündigungsverzicht in dem Sinn ableitbar, daß das Bestandverhältnis nur dann auflösbar sei, wenn der Klägerin dessen Fortsetzung mit der Beklagten unzumutbar geworden wäre. Die Beklagte habe die von ihr behauptete Vereinbarung der Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit bei Abschluß des Mietvertrages im Jahre 1955 nicht erwiesen. Auch ein stillschweigender Kündigungsverzicht für die Dauer des Bestandes des Schiffahrtsunternehmens sei schon deshalb nicht anzunehmen, weil die Ausübung der Schiffahrt nicht zwingend gerade diesen Anlegeplatz erfordere. Schon die erste gerichtliche Aufkündigung sei daher rechtswirksam, weil im Hinblick auf die gemäß § 17 Abs 3 ZustG am 30.9.1992 erfolgte Zustellung an die Beklagte die dreimonatige Kündigungsfrist voll gewahrt gewesen sei. Dies habe aber entgegen der Meinung der Beklagten nicht die Aufhebung der zweiten Aufkündigung zur Folge, weil die Rechtswirksamkeit einer Aufkündigung der Aufrechterhaltung einer zweiten Aufkündigung zu einem anderen Kündigungstermin nicht entgegenstehe, soferne die spätere Aufkündigung - wie hier - noch vor Rechtswirksamerklärung der ersten Aufkündigung erhoben war. Dies müsse auch dann gelten, wenn über die Rechtswirksamkeit beider Aufkündigungen zugleich entschieden wird.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Aufhebung beider Aufkündigungen, hilfsweise im Sinne einer Aufhebung der zweiten Aufkündigung.

Die Klägerin stellt in ihrer Revisionsbeantwortung den Antrag, dem Rechtsmittel der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nur im Sinne ihres Eventualantrages berechtigt.

Die Beklagte wendet sich nicht mehr gegen die zutreffende Auffassung der Vorinstanzen, wonach das aufgekündigte Mietverhältnis nicht den Kündigungsschutzbestimmungen des MRG unterliegt, weil dieses Gesetz gemäß seinem § 1 Abs 1 auf Raummieten im Gegensatz zu Flächenmieten beschränkt ist (WoBl 1991/115 mwN), weshalb eine analoge Anwendung nur auf die Miete von Grundstücken mit darauf zu Geschäfts- oder Wohnzwecken errichteten oder vom Mieter zu errichtenden Superädifikaten in Betracht kommt (WoBl 1992/7 mwN), eine solche aber im vorliegenden Fall schon deshalb ausscheidet, weil nach der maßgeblichen Verkehrsauffassung (SZ 60/66 mwN) ein Anlegesteg ohne weitere Aufbauten kein Bauwerk (Gebäude) im Sinne des § 297 ABGB ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unterlag damit aber das aufgekündigte Mietverhältnis im maßgeblichen Zeitpunkt nicht den Kündigungsschutzbestimmungen des MRG, so konnte es von der Klägerin gemäß § 1116 ABGB aufgekündigt werden, ohne daß es dazu einer Begründung bedurft hätte, liegt doch darin die Ausübung des schon von Gesetzes wegen beiden Teilen eingeräumten Gestaltungsrechtes zur Beendigung von Bestandverhältnissen auf unbestimmte Zeit (Würth in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 1116; MietSlg 41.124). Das trifft auch hier zu, hat doch die Beklagte nicht einmal behauptet, daß etwa der Bestandvertrag nur auf bestimmte Zeit abgeschlossen worden wäre, weshalb im Zweifel ein Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit vorliegt (Würth aaO Rz 5 zu § 1090; MietSlg 8.571).

Wird in einer unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist erklärten Aufkündigung ein Kündigungsgrund angeführt, obwohl es eines solchen gar nicht bedurft hätte, so macht dies die ordentliche Kündigung weder zu einer außerordentlichen (MietSlg 41.124) noch kann darin entgegen der Meinung der Beklagten bereits ein - überdies bloß einseitiger - Verzicht der Klägerin auf ihr freies Kündigungsrecht gesehen werden, muß doch eine derartige Schlußfolgerung schon daran scheitern, daß hiefür auch noch andere Gründe, wie etwa ein Rechtsirrtum oder ein bloßer Akt der Vorsicht, in Betracht kommen. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - zwischen den Parteien strittig ist, ob das aufgekündigte Bestandverhältnis den Kündigungsschutzbestimmungen des MRG unterliegt.

Da der Beklagten schon die erste Aufkündigung so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß die gesetzliche Kündigungsfrist gewahrt war, und sie gemäß § 1116 ABGB auch keinerlei Begründung bedurfte, mußte diese Aufkündigung schon deshalb als wirksam erkannt werden. Mit Recht wendet sich die Beklagte aber dagegen, daß zugleich auch die zweite Aufkündigung für einen späteren Kündigungstermin als wirkam erkannt worden ist:

Von der in der Entscheidung SZ 8/70 = MietSlg 13397 vertretenen Ansicht, daß die Rechtswirksamkeit einer früheren Aufkündigung der Aufrechterhaltung einer weiteren, zu einem späteren Kündigungstermin ausgesprochenen Aufkündigung nicht entgegensteht, wenn nur die spätere Kündigung noch vor Rechtswirksamerklärung der ersten Kündigung erhoben war, ist der Oberste Gerichtshof bereits mit der Entscheidung MietSlg 13.396 = Gerichtshalle 1937, 37 abgerückt. Auch der letztgenannten Entscheidung lag - wie im vorliegenden Fall - der Sachverhalt zugrunde, daß über zwei, auf verschiedene Termine lautenden Kündigungen zugleich zu entscheiden war. Der Oberste Gerichtshof sprach aus, daß in einem solchen Fall eine gleichzeitige Wirksamerklärung der für verschiedene Termine lautenden Kündigungen nicht in Betracht komme, sondern nur die für den früheren Termin lautende Kündigung aufrecht zu erhalten sei, werde doch damit bereits ausgesprochen, daß das Mietverhältnis mit diesem - zeitlich früheren - Tage gelöst ist, weshalb daneben nicht mehr eine neuerliche Lösung des Mietverhältnisses zu einem späteren Termin ausgesprochen werden könne. Es sei daher auch unzweckmäßig, die Rechtsstreite über die beiden Aufkündigungen zu verbinden; vielmehr hätte das Verfahren bezüglich der zweiten Aufkündigung bis zur Entscheidung über die erste Aufkündigung gemäß § 190 ZPO unterbrochen werden sollen. Diese Auffassung wurde in der Entscheidung MietSlg 4.111 wiederholt, welcher gleichfalls zugrunde lag, daß über zwei auf verschiedene Termine lautende Aufkündigungen zugleich zu entscheiden war (insoweit von der Veröffentlichung nicht umfaßt; vgl die Wiedergabe dieser Entscheidung in MietSlg 5.270/24). Es ist daher seit der Entscheidung MietSlg 27.700 gefestigte Rechtsprechung, daß eine Aufkündigung dann für rechtsunwirksam zu erklären ist, wenn eine dasselbe Bestandverhältnis betreffende, zu einem früheren Kündigungstermin eingebrachte Aufkündigung bereits für rechtswirksam erklärt worden ist. Da nämlich das Bestandverhältnis durch diese ältere Aufkündigung bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgelöst wurde, fehlt es denknotwendigerweise an der Möglichkeit, das Bestandrecht zu einem späteren Termin noch einmal aufzulösen. Anders ist es nur im umgekehrten Fall: Die Rechtswirksamkeit einer späteren Aufkündigung ist ohne Einfluß auf die Entscheidung über die frühere Aufkündigung, weil erstere das Mietverhältnis eben zu einem späteren Termin aufgelöst hat, während letztere das Mietverhältnis bereits zu einem früheren Termin auflösen soll (MietSlg 5.270/24, 29.655 [hier jedoch von der Veröffentlichung nicht umfaßt]).

Da im vorliegenden Fall das Mietverhältnis durch die Rechtswirksamerklärung der Aufkündigung vom 28.9.1992 bereits mit dem 31.12.1992 aufgelöst ist, kann demnach die zweite Aufkündigung vom 11.12.1992 für den Termin 31.3.1993 denknotwendigerweise nicht mehr - auch nicht gleichzeitig - für rechtswirksam erklärt werden. Es war daher in teilweiser Stattgebung der Revision die spätere Aufkündigung aufzuheben.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten erster Instanz beruht bis zum Zeitpunkt der Verbindung der beiden Rechtsstreitigkeiten auf § 41 ZPO; ab diesem Zeitpunkt waren die Prozeßkosten gemäß § 43 Abs 1 ZPO gegeneinander aufzuheben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens waren gemäß § 43 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO gegeneinander aufzuheben; dabei war der Klägerin der Ersatz der Hälfte der der Beklagten erwachsenen Pauschalgebühren aufzuerlegen.

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