OGH 6Ob637/93

OGH6Ob637/9322.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Günther H*****, ***** ***** vertreten durch Dr. Hartmut Ramsauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1. Franz B*****, ***** 2. Roswitha B*****, ***** ***** beide vertreten durch Dr. Rudolf Bruckenberger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 12. Juli 1993, GZ 21 R 226/93-12, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 4. Februar 1993, GZ 22 C 563/92-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.189,12 (darin S 531,52 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer der 35 m**2 großen, aus einem Zimmer, Kochnische, Bad und WC bestehenden Wohnung Nr 153 in S*****. Er hat mit den Beklagten ab 1. Dezember 1988 einen Mietvertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, nach welchem die Beklagten berechtigt waren, die Mietsache einem Dritten zum Gebrauch zu überlassen. Die Wohnung wird derzeit von der Tochter der Beklagten, welche im Nachbarhaus wohnen, bewohnt.

Die Tochter des Klägers hat den Beruf einer Hotelkauffrau erlernt und war in einem Hotel in M***** beschäftigt. Nachdem sie ihre Wohnung in M***** auf Grund einer Eigenbedarfskündigung ihres dortigen Vermieters verloren hatte, nahm sie im März 1992 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis im Hotel S***** in S***** auf. Dieses Hotel hat keine Wohnmöglichkeiten für Dienstnehmer. Die Tochter des Klägers versuchte vergeblich, in S***** eine Wohnung zu einem für sie erschwinglichen Preis zu bekommen. Sie verdient weniger als 9.000 S netto monatlich, so daß die ihr angebotenen Mietwohnungen (zu ca. S 7.000 monatlich inklusive Betriebskosten) zu teuer waren. Sie mußte sich deshalb in einem Gasthof in K***** bei S***** einquartieren, dieses Quartier jedoch bis 11. November 1992 wegen geplanter Umbauarbeiten in dem Gasthof räumen. Um ihre Arbeitsstelle zu erreichen, fährt sie mit dem Auto bis S***** und nimmt ab dort den Autobus. Da sie im Hotel Schichtdienst verrichten muß, kann sie nach Spätdiensten den Autobus nicht erreichen.

Der Kläger kündigte den Beklagten die Eigentumswohnung zum letzten Tag des Monates April 1992 unter Berufung auf § 30 Abs 2 Z 6 und Z 8 MRG auf, weil die Beklagten das Bestandobjekt nicht zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses verwendeten und dringender Eigenbedarf bestehe.

Die Beklagten wandten ein, eine Weitergabemöglichkeit sei nach dem Mietvertrag gestattet. Dringender Eigenbedarf sei nicht gegeben, überdies aber selbst verschuldet, weil die Tochter des Klägers vor Antritt einer Beschäftigung in S***** die Möglichkeiten der Unterbringung hätte abklären müssen.

Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagten zur Räumung.

Rechtlich habe, da die Aufkündigung einer Eigentumswohnung zu beurteilen sei, eine Interessenabwägung zu entfallen. Dringender Eigenbedarf setze die unabweisliche Notwendigkeit voraus, den vorhandenen Zustand so bald wie möglich zu beseitigen. Die Tochter des Klägers habe ihren Arbeitsplatz in S*****, finde auf Grund des angespannten Wohnungsmarktes und ihres geringen Einkommens keine geeignete Wohnung, sei wegen ihres Schichtbetriebes geradezu darauf angewiesen, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu wohnen und müsse aus der Unterkunft in einem Gasthaus zudem ausziehen. Der dringende Eigenbedarf im Sinne des § 30 Abs 2 Z 8 MRG liege daher vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Der Vermieter könne gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG wegen Eigenbedarfes einer Eigentumswohnung kündigen, wenn er sie für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötige. Das "dringend benötigen" werde von der Rechtsprechung dahin ausgelegt, daß ein Notstand vorliegen müsse, nämlich die unabweisliche Notwendigkeit, den vorhandenen Zustand so bald wie möglich zu beseitigen. Es müsse daher ein persönliches oder wirtschaftliches Bedürfnis des Vermieters vorliegen, das nur durch Benützung der gekündigten Wohnung befriedigt werden könne. In Übereinstimmung mit den Ausführungen von Wilhelm in ecolex 1993, 293 sei das Berufungsgericht allerdings der Auffassung, daß sich eine derartige "unabweisliche Notwendigkeit" dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen lasse und die hier getroffenen Feststellungen den Tatbestand des dringenden Eigenbedarfes nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG erfüllten.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision im Hinblick auf das Abgehen von der zitierten Rechtsprechung zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt keine Berechtigung zu.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist es im vorliegenden Fall nicht erforderlich, auf die von Teilen der Lehre vertretene Frage einer Lockerung der Voraussetzungen für die Annahme eines Eigenbedarfes einzugehen (Wilhelm aaO mwN), weil die rechtliche Lösung des hier zu beurteilenden Falles durch die Vorinstanzen ohnedies der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entspricht.

Schon in den Entscheidungen 7 Ob 580/89 und 8 Ob 581/91, denen ebenso wie hier die Aufkündigung einer Eigentumswohnung wegen Eigenbedarfes zugrundelag, wurde ausgesprochen, daß nach wie vor im bürgerlichen Recht der im § 354 ABGB verankerte Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum gilt, der nur dort nicht zum Tragen kommt, wo entgegenstehende Bestimmungen, wie etwa die Kündigungsbeschränkungen des MRG, eine Ausnahme verfügen. Wenn nun diese Bestimmungen die Eigenbedarfskündigung auf den Fall der unbedingten Notwendigkeit einschränkten, könne daraus noch nicht abgeleitet werden, daß der Vermieter (oder dessen Nachkommen) zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses grundsätzlich auf eine nicht in seinem Eigentum stehende Wohnmöglichkeit verwiesen werden dürfe, sondern müsse vielmehr davon ausgegangen werden, daß jemand, der Eigentümer einer Wohnung oder eines Hauses mit Wohnung sei, in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen wolle und dürfe. Gerade die in das MRG aufgenommene Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 8 lit b lasse erkennen, daß auch der Gesetzgeber die Absicht einer Person, einen Wohnbedarf in einer Eigentumswohnung zu befriedigen, privilegiere. Sei aber der Wohnungsnotstand insoferne gegeben, als eine andere Möglichkeit nicht zur Verfügung stehe, müsse davon ausgegangen werden, daß in der Regel das Tatbestandsmerkmal des dringenden Eigenbedarfes erfüllt sei.

Auch der erkennende Senat schließt sich diesen Argumenten an: Daß die Tochter des Klägers mit einem festgestellten Monatseinkommen von weniger als 9.000 S monatlich in der Stadt S***** nur schwer eine Wohnung beschaffen kann, bedarf keiner näheren Begründung. Ihr derzeitiges Quartier in einem Gasthaus, das keinerlei Kündigungsschutz bietet, mußte sie im November 1992 räumen, sodaß ihr ab diesem Zeitpunkt keinerlei gesicherte und erschwingliche Unterkunft mehr zur Verfügung steht. Das Vorliegen eines dringenden Eigenbedarfes ist daher jedenfalls zu bejahen.

Auch der Einwand der Beklagten, der Eigenbedarf sei selbstverschuldet, trifft nicht zu. Selbstverschulden am Eigenbedarf ist dann anzunehmen, wenn der Vermieter schuldhaft eine Sachlage herbeiführt, die ihn zwingt, zur Deckung seines Eigenbedarfes zur Kündigung zu schreiten, sei es, daß er eine Gelegenheit, den eigenen Bedarf auf andere Weise als durch Kündigung zu befriedigen, versäumt hat (etwa durch Vergabe einer frei gewordenen Wohnung) oder daß er eine Wohnung aufgegeben oder einem Dritten überlassen hat, obwohl er wußte, daß ihm dann keine neue Unterkunft zur Verfügung stehe. Ein derartiges Verschulden ist aber zu verneinen, wenn der Bedarf erst nach der Vermietung einer Wohnung entstanden ist (Würth in Rummel, ABGB**2, Rz 37 zu § 30 MRG mwN; MietSlg. 38.476 u.a.).

Zum Zeitpunkt der Vermietung der hier in Frage stehenden Wohnung war aber - und dies wäre in die Beweislast der Beklagten gefallen - ein künftiger Eigenbedarf für die Tochter des Klägers durch diesen noch nicht absehbar. Der Wechsel des Arbeitsplatzes, der einem jungen Menschen zur Verbesserung seiner beruflichen Aufstiegschancen jedenfalls zuzubilligen ist, erfolgte auch nicht zu dem Zwecke, den Kündigungsgrund des Eigenbedarfes geltend machen zu können, sondern war die Folge des Verlustes der Wohnmöglichkeit in M*****, einer Stadt, in der nach der Erfahrung das Auffinden einer preisgünstigen Wohnung noch schwerer ist als in der Stadt S*****.

Wenn auch im vorliegenden Fall gemäß § 30 Abs 2 Z 8 lit b MRG keine Interessenabwägung vorzunehmen ist, soll doch nicht unerwähnt bleiben, daß die im Gastgewerbe tätigen Beklagten die Eigentumswohnung nicht selbst bewohnen, dies auch nie beabsichtigt hatten und sich offenbar auch finanziell in keinerlei Schwierigkeiten befinden, haben sie doch nach ihren eigenen Parteiaussagen im Jänner 1992 ein Haus um 2 Mio S gekauft und, nachdem der Kauf der hier in Frage stehenden Eigentumswohnung scheiterte, versucht, eine andere Eigentumswohnung zu erwerben, so daß auch von einer besonderen Schutzwürdigkeit der Beklagten keine Rede sein könnte.

Die Vorinstanzen haben daher zu Recht die Aufkündigung für wirksam erklärt und die Beklagten zur Räumung verpflichtet.

Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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