Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß die gerichtliche Aufkündigung 2 C 581/92h vom 15.10.1992 als rechtsunwirksam aufgehoben und das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei das Haus *****, E***** 6 und 7 zu übergeben, abgewiesen wird.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 5.986,20 (darin enthalten S 997,70 an Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist weiters schuldig, den beklagten Parteien die mit S 10.167,36 (darin enthalten S 1.594,16 an Umsatzsteuer und S 600,-- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagten haben vom Kläger seit etwa 15 Jahren das Wohn- und Wirtschaftsgebäude samt Garten in T***** E***** 6 und 7 für Wohnzwecke gemietet.
Mit der am 15.10.1992 beim Erstgericht eingebrachten Aufkündigung kündigte der Kläger das Bestandverhältnis zum 30.11.1992 auf. Als Kündigungsgründe machte er strafbare Handlungen des Erstbeklagten gegen Mitbewohner (§ 30 Abs.2 Z 3 MRG) und Eigenbedarf für seinen Sohn (§ 30 Abs.2 Z 8 MRG) geltend.
Die Beklagten wendeten ein, das Strafverfahren gegen den Erstbeklagten sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, überdies betreffe es strafbare Handlungen gegen einen im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen, was nicht unter den Tatbestand des § 30 Abs.2 Z 3 MRG falle. Unrichtig sei der vom Kläger geltend gemachte Eigenbedarf.
Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und trug den Beklagten auf, das Bestandobjekt binnen 14 Tagen zu räumen und geräumt zu übergeben.
Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehend wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Sohn des Klägers kann in dessen Haus ein Schlafzimmer und ein kleines Arbeitszimmer benutzen. Er möchte zwar in das von den Beklagten gemietete Haus einziehen und allenfalls eine Familie gründen, doch ist es nicht so, daß er vom Kläger hinausgeworfen worden wäre oder daß er binnen kurzer Zeit ausziehen müßte.
Der Erstbeklagte hat durch mehrere Jahre hindurch mit seiner zunächst unmündigen, sodann nur noch minderjährigen Tochter, die im gleichen Haushalt wohnte, den Beischlaf unternommen und sie auch auf andere Weise zur Unzucht mißbraucht. Er hat sie im November 1991 auch mit dem Tode bedroht, falls sie jemandem über die genannten Taten Mitteilung machen sollte. Deswegen wurde der Erstbeklagte vom Landesgericht Innsbruck am 6.10.1992 verurteilt, seiner Berufung wurde vom Oberlandesgericht Innsbruck keine Folge gegeben.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, ein Eigenbedarf des Sohnes des Klägers und damit der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 8 MRG seien nicht gegeben. Wohl aber liege der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 3 3.Fall MRG vor. Bei den Sittlichkeitsverbrechen des Erstbeklagten könne von einer Geringfügigkeit keine Rede sein. Der Zweck der Regelung des 2. und 3. Falles des § 30 Abs.2 Z 3 MRG sei einerseits das Interesse anderer ruhiger und ordentlicher Mieter im Hause, anderseits aber auch das grundsätzlich vorhandene und eben durch diese Kündigungsgründe geschützte Interesse des Vermieters an Ruhe und Ordnung in seinem Haus. Demnach sei auch das Interesse des Vermieters daran zu schützen, daß im Hause keine gerichtlichen Straftaten heftigen Ausmaßes begangen werden, sei es gegen andere Mieter, den Vermieter oder gegen andere Bewohner des Hauses. Auch durch Straftaten gegen Hausgenossen des Mieters werde das Zusammenleben im Hause gestört. Der Kündigungsgrund sei auch nicht verfristet, weil mit der Kündigung bis zum Ende des Strafverfahrens zugewartet werden könne. Bei den Beklagten handle es sich um Mitmieter und damit um eine einheitliche Streitpartei, die nur gemeinschaftlich gekündigt werden könne. Den unschuldigen Mitmieter treffe daher die Verwirklichung eines Kündigungsgrundes durch den anderen Mitmieter gleichsam schicksalshaft.
Das von den Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte in rechtlicher Hinsicht aus, Kündigungsgründe seien ohne unnötigen Aufschub geltend zu machen, da sie sonst nicht mehr als "wichtig" im Sinne des § 30 Abs.1 und 2 MRG angesehen werden könnten. Unbeschadet der Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof sei aber im Falle der Kündigung nach § 30 Abs.2 Z 3 3.Fall MRG der Vermieter zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Prozeßrisikos berechtigt, jedenfalls den Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten, ohne sich der Gefahr der Annahme eines konkludenten Verzichts auf den Kündigungsgrund auszusetzen.
Das Berufungsgericht teilte die Ansicht des Erstgerichtes, daß der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 3 MRG gegeben sei, weil diese Bestimmung auch dem Interesse des Vermieters, in seinem Hause Ruhe und Ordnung zu halten, diene. Der Kreis der Personen, gegen welche sich die strafbare Handlung richte, sei im § 30 Abs.2 Z 3 MRG nicht auf den Vermieter oder andere im Haus wohnende Mieter beschränkt, sondern umfasse jede andere, im Haus wohnende Person ohne Einschränkung darauf, ob sie im gemeinsamen Haushalt mit dem gekündigten Mieter wohne oder nicht. Dem Erstgericht sei daher darin zu folgen, daß schwerwiegende Sittlichkeitsdelikte des Mieters gegen einen Familienangehörigen das Interesse des Vermieters auf Ruhe und Ordnung in seinem Haus empfindlich stören und daher den Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 3 3.Fall MRG verwirklichen.
Zutreffend sei auch die Ansicht des Erstgerichtes, daß es sich bei den Beklagten als Mitmieter um eine einheitliche Streitpartei handle, sodaß die Aufkündigung auch gegen die Zweitbeklagte zu richten sei, die den Kündigungsgrund nicht verwirklicht habe.
Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 50.000,-- S und erklärte die Revision für zulässig, weil zur Frage der Verwirklichung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs.2 Z 3 3.Fall MRG im Falle einer schwerwiegenden strafbaren Handlung des Mieters gegen die Sittlichkeit im Familienverband bei Fehlen weiterer Mitbewohner im Hause eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß die Kündigung aufgehoben und das Räumungsbegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
Die Beklagten machen in ihrem Rechtsmittel geltend, daß auch der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 3 MRG unverzüglich geltend gemacht werden müsse, und der Ausgang eines Strafverfahrens nicht abgewartet werden dürfe. Aufgrund der Aufhebung der Bindungswirkung des § 268 ZPO habe der Zivilrichter darüber zu entscheiden, ob ein strafrechtlicher Tatbestand gesetzt wurde oder nicht, die Gefahr des Prozeßrisikos treffe - so wie auch in allen anderen Verfahren - den Kläger. Die früher ergangenen gegenteiligen Entscheidungen könnten nicht mehr herangezogen werden, weil sie sich auf die aufgehobene Bestimmung des § 268 ZPO stützten.
Unrichtig sei aber auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, der geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 3 MRG diene dem Interesse des Vermieters, in seinem Hause Ruhe und Ordnung zu halten. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen sei danach zu differenzieren, ob es sich um eine strafbare Handlung gegen einen im gemeinsamen Haushalt mit dem gekündigten Mieter wohnenden Familienangehörigen oder einen anderen Mitbewohner des Hauses handle. Hätte der Gesetzgeber die Absicht gehabt, das Interesse des Vermieters, Ruhe und Ordnung in seinem Haus zu halten, zu schützen, so hätte er auch eine strafbare Handlung gegen Besucher des Hauses zum Kündigungsgrund erklären müssen. Dies sei aber nicht der Fall, sodaß der Mieter "seelenruhig" schwerwiegende Sittlichkeitsdelikte gegen hausfremde Personen im Hause begehen könne, ohne sich der Gefahr einer möglichen Kündigung auszusetzen. Es könne nicht Schutzzweck der Kündigungsnorm sein, das friedliche Zusammenleben zwischen einem Mieter und seinen Familienangehörigen zu regeln. Es könne wohl auch nicht im Sinne einer Mietenrechtsgesetzgebung sein, daß bei Familienstreitigkeiten, wie diese ja öfters vorkommen, der Mieter sofort Gefahr laufe, vom Vermieter gekündigt zu werden.
Der Vermieter könne nur ein Interesse am Frieden innerhalb der Hausgemeinschaft haben, nicht aber innerhalb der Familie. Die Richtigkeit dieser Ansicht ergebe sich auch aus der Entscheidung ZBl. 1927/323.
Hiezu wurde erwogen:
Gemäß § 30 Abs.2 Z 3 3.Fall MRG ist als wichtiger Grund, den Mietvertrag zu kündigen, insbesondere anzusehen, wenn der Mieter sich gegenüber dem Vermieter oder einer im Haus wohnenden Person einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen das Eigentum, die Sittlichkeit oder die körperliche Sicherheit schuldig macht, sofern es sich nicht um Fälle handelt, die nach den Umständen als geringfügig anzusehen sind. Diese Bestimmung entspricht wörtlich § 19 Abs.2 Z 3 3.Fall MG. Sie dient, wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, auch dem Schutz des wichtigen Interesses des Vermieters, in seinem Haus Ruhe und Ordnung zu halten (vgl. Würth in Rummel2, Rz 18 zu § 30 MRG). Ruhe und Ordnung in einem Haus werden aber nicht in jedem Fall einer strafbaren Handlung gegen das Eigentum, die Sittlichkeit oder die körperliche Sicherheit gegenüber dem Vermieter oder eine im Hause wohnende Person gestört, sondern nur dann, wenn sich diese strafbare Handlung in irgendeiner Weise auf die Sphäre außerhalb des Bestandobjektes wohnender Personen auswirkt, sei es auch nur, wenn sie deren berechtigten Unmut oder ihre Abscheu erregt (vgl. ZBl. 1927/323). Richtet sich die strafbare Handlung aber - so wie im vorliegenden Fall - ausschließlich gegen eine im gekündigten Bestandobjekt wohnende Person und sind andere Mieter nicht vorhanden, dann wird durch die strafbare Handlung das wichtige Interesse des Vermieters, in seinem Haus Ruhe und Ordnung zu halten, nicht gefährdet. Zwar wurde in der Entscheidung SZ 18/107 ausgesprochen, der Kündigungsgrund des § 19 Abs.2 Z 3 MRG liege auch dann vor, wenn eine strafbare Handlung der dort genannten Art vom Mieter gegenüber einer in seiner Wohnung wohnenden Partei gesetzt wurde. Es wurde aber auch in dieser Entscheidung betont, daß ein Mieter, der eine derartige strafbare Handlung begeht, den übrigen Hausbewohnern, die einen ordentlichen Lebenswandel führen, als Hausgenosse nicht zugemutet werden kann und daß der genannte Kündigungsgrund eine die Ruhe und Ordnung im Haus betreffende Vorschrift darstellt. Wenn aber außer dem Mieter und seinen Angehörigen selbst niemand in dem Haus, in dem sich das Bestandobjekt befindet, wohnt, dann werden durch die strafbare Handlung Ruhe und Ordnung im Haus nicht gefährdet. Daß nach den Wertungen des Gesetzes nicht jede erhebliche strafbare Handlung einen Kündigungsgrund darstellen soll, ergibt sich auch daraus, daß nur solche Straftaten einen Kündigungsgrund darstellen, wie wider den Vermieter oder gegen die im Hause wohnenden Personen gerichtet sind, sodaß auswärts oder wider andere Personen vollführte strafbare Handlungen diesen Kündigungsgrund nicht ergeben.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist daher im vorliegenden Fall der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 3 3.Fall MRG nicht gegeben, weil sich die strafbare Handlung des Erstbeklagten gegen eine im gekündigten Bestandobjekt wohnende Person richtete und andere Mieter nicht vorhanden sind.
Da mangels eines Eigenbedarfes auch der Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z 8 MRG nicht gegeben ist, war in Stattgebung der Revision die Kündigung aufzuheben und das Räumungsbegehren abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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