OGH 10ObS210/93

OGH10ObS210/937.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Theodor Zeh (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dipl.Ing. Raimund Tschulik (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helga A*****, Hausfrau*****, vertreten durch Dr. Walter und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 1993, GZ 32 Rs 56/93-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2. Dezember 1992, GZ 1 Cgs 37/92-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 1.811,52 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 301,92 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 8.11.1990 wurde die zwischen der Klägerin und dem Versicherten Richard A***** am 8.5.1957 geschlossene Ehe gemäß § 55 Abs 3 EheG wegen Zerrüttung der Ehe und Auflösung der häuslichen Gemeinschaft seit sechs Jahren geschieden. Im Sinne des § 61 Abs 3 EheG wurde ausgesprochen, daß das Alleinverschulden an der Zerrüttung der Ehe den Ehemann trifft. Anläßlich des Scheidungsverfahrens wurde kein Unterhaltsvergleich abgeschlossen. Dieses Urteil erwuchs am 24.1.1991 in Rechtskraft.

Bereits am 22.11.1990 brachte die Klägerin beim Bezirksgericht Hernals eine Unterhaltsklage gegen ihren Mann ein. Diese Klage wurde mit Versäumungsurteil vom 20.12.1990 mit der Begründung abgewiesen, daß die Klage unschlüssig sei, weil Angaben über die Höhe des Einkommens des Ehemannes fehlten. Einer gegen dieses Urteil von der Klägerin erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 23.4.1991 nicht Folge gegeben. Die Klägerin brachte daraufhin am 24.4.1991 beim Bezirksgericht Hernals eine weitere Unterhaltsklage ein, die zunächst wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Das Rekursgericht gab mit Beschluß vom 30.10.1991 dem dagegen von der Klägerin erhobenen Rekurs Folge, hob den Zurückweisungsbeschluß auf und trug dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Noch bevor es zur Durchführung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung in diesem Unterhaltsverfahren kam, starb der geschiedene Ehegatte der Klägerin am 9.12.1991. Am 16.6.1992 wurde vom Verlassenschaftsgericht ein Verlassenschaftskurator gemäß § 811 ABGB bestellt, der die Verlassenschaft im Unterhaltsverfahren zu vertreten hatte. Ein in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 31.8.1992 zwischen der Klägerin und der Verlassenschaft bedingt geschlossener Vergleich wurde von der Verlassenschaft am 10.9.1992 widerrufen. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 11.11.1992 wurde die beklagte Verlassenschaft schuldig erkannt, der Klägerin für die Zeit vom 1.5.1991 bis zum 9.12.1991 (Todestag des geschiedenen Mannes) einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 1.500,-- binnen 14 Tagen zu zahlen; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Dieses Urteil ist inzwischen in Rechtskraft erwachsen. Der Versicherte hatte der Klägerin Unterhaltszahlungen geleistet, und zwar monatlich S 4.000,-- bis Mai 1990 und dann monatlich S 2.000,-- bis zu seinem Tod.

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 26.3.1992 wurde der Antrag der Klägerin auf Witwenpension nach dem verstorbenen Versicherten abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 258 Abs 4 ASVG nicht vorlägen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin eine Witwenpension nach ihrem versicherten Ehegatten, beginnend mit 16.1.1992 zu gewähren, ab. Die Klägerin habe während aufrechter Ehe keinen Unterhaltsanspruch durch ein gerichtliches Urteil, einen gerichtlichen Vergleich oder eine vertragliche Verpflichtung geschaffen. Das letztlich klagestattgebende Urteil im Unterhaltsverfahren richte sich nicht gegen den Versicherten, sondern gegen die Verlassenschaft. Dieser Unterhaltstitel könne daher iS des § 258 Abs 4 ASVG keinen Anspruch auf Witwenpension begründen. Der Umstand, daß der Verstorbene bis zu seinem Tode tatsächlich Unterhalt geleistet habe, sei ohne Bedeutung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Da sie ohnehin bis Mai 1990 S 4.000,-- und sodann S 2.000,-- an Unterhaltszahlungen von ihrem Gatten erhalten habe, wäre es ihr ein leichtes gewesen, diesbezüglich eine vertragliche Verpflichtung ihres Mannes herbeizuführen. Zum allein wesentlichen Zeitpunkt des Todes des Versicherten am 9.12.1991 habe für die Klägerin kein Unterhaltstitel bestanden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin steht auf dem Standpunkt, es sei keinesfalls ihr anzulasten, daß ihr geschiedener Gatte während des Unterhaltsverfahrens verstorben sei und daher im Todeszeitpunkt noch keine rechtskräftige Entscheidung vorgelegen sei. Die Klägerin hätte keine andere Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Rechte gehabt, als auf die rechtskräftige Scheidung zu warten, um ihre Unterhaltsansprüche in einem nachfolgenden Unterhaltsverfahren geltend zu machen. Sie habe also ihre Rechte ordnungsgemäß und rechtzeitig durchzusetzen versucht. Der Anspruch auf Zuerkennung der Witwenpension sei iS des § 258 Abs 4 ASVG auch dann gewahrt, wenn ein gerichtliches Verfahren anhängig sei, um zu verhindern, daß der Anspruch auf Witwenpension vom Zufall abhänge, wie lang das Unterhaltsverfahren dauere und ob im Laufe dieses Verfahrens der geschiedene Gatte versterben werde. Das gegen die Verlassenschaft gerichtete Urteil sei daher als ein solches iS des § 258 Abs 4 ASVG anzusehen.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Nach § 258 Abs 4 ASVG in der hier anzuwendenden, seit 1.1.1988 geltenden Fassung der 44. ASVG-Novelle, BGBl 1987/609 gebührt die Witwenpension unter anderem der Frau, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) auf Grund eines gerichtlichen Urteils, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte, und zwar sofern und solange die Frau nicht eine neue Ehe geschlossen hat. Die Revisionswerberin meint, das gegen die Verlassenschaft nach ihrem verstorbenen Mann ergangene Urteil vom 11.11.1992 wäre ein gerichtliches Urteil, auf Grund dessen ihr der geschiedene Ehegatte zur Zeit seines Todes, also am 9.12.1991 einen Unterhaltsbeitrag zu leisten hatte. Ein gerichtlicher Vergleich liegt offensichtlich ebensowenig vor wie eine vor Auflösung der Ehe eingegangene vertragliche Verpflichtung zur Unterhaltsleistung.

Die Frage des Vorliegens eines maßgeblichen Unterhaltstitels im Zeitpunkt des Todes wurde von den Vorinstanzen zutreffend verneint. Zur Zeit seines Todes hatte der Versicherte weder auf Grund eines Urteiles, noch eines Vergleiches oder einer vertraglichen Verpflichtung Unterhaltsleistungen zu erbringen (Eine solche vertragliche Verpflichtung wurde weder behauptet noch festgestellt). Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, daß sie die Unterhaltsklage noch zu Lebzeiten des Versicherten eingebracht habe. Wie sich aus dem Akt eindeutig ergibt, wurde diese Klage a limine wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückgewiesen und das Verfahren erst durchgeführt, nachdem das Rekursgericht den Zurückweisungsbeschluß aufgehoben hatte. Eine Klagezustellung an den Versicherten konnte daher nicht mehr erfolgen, die Klage wurde vielmehr bereits an den Verlassenschaftskurator zugestellt. Dieser Fall ist daher durchaus jenen zu vergleichen, die den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes SSV-NF 5/98 und 6/99 zugrundelagen. In diesen beiden Fällen mußte zwar zur Frage, ob im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bereits ein Urteil, allenfalls sogar ein rechtskräftiges Urteil vorliegen müsse, oder ob für den Fall der späteren Stattgebung des Klagebegehrens bereits die Einbringung der Klage bei Lebzeiten des Versicherten genüge, nicht Stellung genommen werden. Der vorliegende Fall ist jedoch deshalb ähnlich, weil auch hier auf Grund des erst nach dem Tod des Versicherten streitanhängig gewordenen Verfahrens nicht etwa der verstorbene Versicherte, sondern die Verlassenschaft zur Zahlung eines Unterhaltsrückstandes verurteilt wurde, wogegen der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes nicht verpflichtet war, der Klägerin einen laufenden Unterhaltsbeitrag zu leisten. Damit wird auch dem Gesetzeszweck des formalen Erfordernisses iS des § 258 Abs 4 ASVG, nämlich daß den Sozialversicherungsanstalten die materielle Prüfung des Grundes erspart bleiben und überdies auch Manipulationsmöglichkeiten zu Lasten der Sozialversicherungsträger verhindert werden sollen, nicht entsprochen. Daß beide Ziele in Wahrheit nicht erreichbar sind, wurde bereits aufgezeigt (SSV-NF 5/127 unter Hinweis auf Kerschner in ZAS 1982, 111 mwN), ist aber für die hier zu beantwortende Rechtsfrage nicht weiter von Bedeutung. Der Gesetzeswortlaut verbietet jedenfalls die Berücksichtigung eines Unterhaltstitels, der in einem ausschließlich gegen die Verlassenschaft nach dem Versicherten durchgeführten Verfahren erging und in dem die Verlassenschaft zur Zahlung von Unterhaltsrückständen verurteilt wurde. Ob die Klägerin am nicht rechtzeitigen Zustandekommen eines Unterhaltstitels ein Verschulden traf, ist nicht zu untersuchen. Von Bedeutung ist nur, ob der Witwe auf Grund der im Gesetz angeführten rechtsbegründenden Tatbestände im Zeitpunkt des Todes ein Anspruch auf Unterhalt zustand; nicht von Bedeutung ist es hingegen, ob der Unterhalt im Zeitpunkt des Todes auch tatsächlich gewährt wurde (Teschner ASVG 49. ErgLfg 1334/1 FN 10 zu § 258).

Von diesen Grundsätzen ging auch der Gesetzgeber der 51. ASVG-Novelle, BGBl 1993/335 aus. Die Gesetzesmaterialien halten daran fest, daß der Zweck der formalen Erfordernisse des § 258 Abs 4 einerseits darin liegt, daß den Sozialversicherungsträgern die materielle Prüfung des Grundes, insbesondere aber der Höhe des Unterhaltsanspruches, erspart bleiben soll, andererseits damit Manipulationsmöglichkeiten zu Lasten der Sozialversicherung verhindert werden sollen (932 BlgNr 18. GP, 49). Nach der nunmehr geltenden Fassung des § 258 Abs 4 ASVG gebührt die Witwenpension einer geschiedenen Frau auch dann, wenn ihr der Versicherte regelmäßig zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ab einem Zeitpunkt nach der Rechtskraft der Scheidung bis zu seinem Tod, mindestens während der Dauer des letzten Jahres vor seinem Tod, Unterhalt geleistet hat, wenn die Ehe mindestens 10 Jahre gedauert hat (lit d). Durch diese Novellierung sollte nunmehr - um Härtefälle zu vermeiden - ein Anspruch auf Hinterbliebenenpension auch dann entstehen, wenn für eine bestimmte Zeit nachweislich bis zum Tod des Ehepartners regelmäßig tatsächlich Unterhalt geleistet worden ist und die Ehe mindestens 10 Jahre gedauert hat (EB zur RV aaO). Ob die Klägerin nach dieser novellierten Bestimmung Anspruch auf Witwenpension hat, ist hier nicht zu untersuchen. Die novellierte Bestimmung trat gemäß § 551 Abs 1 Z 1 ASVG mit 1. Juli 1993 in Kraft. Personen, die erst auf Grund des § 258 Abs 4 lit d ASVG idF der 51. Novelle Anspruch auf eine Witwen(Witwer)Pension erhalten, gebührt diese Leistung ab 1. Juli 1993, wenn der Antrag bis zum 30. Juni 1994 gestellt wird, sonst ab dem auf die Antragstellung folgenden Monatsersten (§ 551 Abs 4 ASVG idF der 51. Novelle). Schon mit Rücksicht auf den Schluß der Verhandlung erster Instanz am 2.12.1991 sind die zitierten Bestimmungen im vorliegenden Fall noch nicht anzuwenden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage iS des § 46 Abs 1 Z 1 ASGG abhing, entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin die Hälfte ihrer Kosten (allerdings gemäß § 77 Abs 2 ASGG nur auf einer Bemessungsgrundlage von S 50.000,--) zuzusprechen (SSV-NF 6/61 ua).

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