OGH 9ObA239/93

OGH9ObA239/9324.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Eva-Maria Sand und Anton Hartmann als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L*****gmbH, ***** vertreten durch Dr.Ulrich Brandstetter und Dr.Ernst Politzer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Franz G*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Krammer, Rechtsanwalt in Horn, wegen 580.600 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14.Mai 1993, GZ 34 Ra 24/93-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 9.Dezember 1992, GZ 7 Cga 3/92-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Beklagten die mit 19.312,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 3.318,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 24.5.1945 geborene Beklagte war seit 1.10.1965 bei der Klägerin, einer Wirtschaftstreuhandgesellschaft, in deren Zweigstelle H***** als Sachbearbeiter angestellt. Nach der für dieses Angestelltenverhältnis geltenden Dienstordnung der Klägerin dürfen die Angestellten im Geschäftszweig der Klägerin innerhalb eines Jahres nach Ausscheiden keine Erwerbstätigkeit ausüben, wenn sie durch schuldbares Verhalten begründeten Anlaß zur Lösung des Dienstverhältnisses durch die Klägerin gegeben haben oder wenn sie selbst das Dienstverhältnis lösen. Am 30.3.1989 wurde der Beklagte entlassen.

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil vom 23.5.1990 wies das Erstgericht die auf die entlassungsabhängigen Ansprüche gerichtete Klage des nunmehrigen Beklagten ab, weil er entgegen einem ausdrücklichen Verbot der nunmehrigen Klägerin Privatarbeiten (Grundaufzeichnungen) für zwei Klienten der Klägerin (Rudolf G***** und eine weitere namentlich nicht bekannte Person) durchführte oder durch seine Ehefrau durchführen ließ; dies sei als Untreue und Vertrauensunwürdigkeit zu qualifizieren.

Der als Berufsanwärter beschäftigte Beklagte betreute bei der Klägerin rund 70 Klienten fast ausschließlich.

Nach der Entlassung war der Kläger sechs Wochen arbeitslos. Dann trat er mit 15.5.1989 ein Dienstverhältnis zur H***** Wirtschaftstreuhand GesmbH an. Dienstort des Beklagten ist M*****.

Die Klägerin informierte die bisher vom Beklagten betreuten Kunden, daß nunmehr ein anderer Mitarbeiter ihre Betreuung übernehmen werde. Einige dieser Kunden fragten daraufhin den Beklagten, ob er sich nun selbständig mache oder woanders arbeite; sie würden dort hingehen, wo der Beklagte hingehe. Der Beklagte erklärte, daß er sich mangels entsprechender Prüfungen nicht selbständig machen könne und daß er noch keine andere Tätigkeit habe. Als er nach Aufnahme seiner Tätigkeit bei der H***** Wirtschaftstreuhand GesmbH von ehemaligen Kunden über seine weitere Tätigkeit gefragt wurde, teilte er ihnen mit, daß er bei dieser Kanzlei in M***** beschäftigt sei. Die Kunden, die von ihm weiter betreut werden wollten, verwies der Beklagte an diese Kanzlei. Ein Teil dieser Kunden gab dem Beklagten den Auftrag, die Beendigung ihres Vollmachtsverhältnisses zur Klägerin zu veranlassen. Daraufhin bereitete der Beklagte die schriftliche Kündigung vor. Die Klienten unterfertigten diese Schreiben, übermittelten sie an die Klägerin und holten sich ihre Akten selbst ab. Im Mai 1989 schieden 33 Klienten der Klägerin auf diese Weise aus. Im Juni und September 1989 beendeten zwei weitere Klienten das Vollmachtsverhältnis zur Klägerin. Ein Großteil dieser Klienten erteilte der H***** Wirtschaftstreuhand GmbH Vollmacht; sie werden dort vom Beklagten betreut.

Der Beklagte hat für seine einkommenslose Ehegattin und zwei Söhne zu sorgen.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von 580.600 S sA. Der Beklagte oder eine von ihm beauftragte Person habe die Klienten zur Kündigung des Vollmachtsverhältnisses mit der Klägerin veranlaßt. Durch diese Vorgangsweise habe der Beklagte gegen § 35 Abs 3 WTBO verstoßen; darüber hinaus habe er die mit ihm vereinbarte Konkurrenzklausel gröblich verletzt. Der Kläger habe seine Entlassung durch Verstoß gegen die Schutznorm des § 56 WTBO verschuldet und hafte auch aus diesem Grund für den der Klägerin durch den Verlust des von ihm betreuten Klientenstockes verursachten Schaden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er habe keine Aktivitäten gesetzt, die als "Zuführen" von Klienten gewertet werden könnten. Die Konkurrenzklausel sei unwirksam.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klienten hätten von sich aus die Vollmachtsverhältnisse zur Klägerin gelöst, ohne daß es einer Mitwirkung oder Veranlassung durch den Beklagten bedurft hätte. Die Konkurrenzklausel sei unwirksam; sie sei auf den Einzugsbereich der Zweigstelle der Klägerin (den politischen Bezirk H*****) zu reduzieren; der Beklagte habe seinen neuen Dienstort außerhalb dieses Bereiches und habe die Kunden der Klägerin nicht zum Wechsel zu seinem neuen Dienstgeber veranlaßt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Das im § 35 Abs 3 WTBO genannte "Zuführen" von Klienten an eine andere Kanzlei erfordere ein Aktivwerden des ausscheidenden Dienstnehmers. Die bloße Mitwirkung des Beklagten an der Verfassung von Kündigungsschreiben für ohnehin zum Wechsel ihres Steuerberaters entschlossene Klienten reiche nicht aus, weil nicht erwiesen sei, daß der Beklagte für das Unternehmen seines neuen Dienstgebers geworben oder auf andere Weise den Willensentschluß der Klienten zur Erteilung der Vollmacht an seinen neuen Dienstgeber gefördert habe; der Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, anfragenden ehemaligen Klienten die Aufnahme seiner Tätigkeit bei seinem neuen Dienstgeber zu verschweigen.

Die vereinbarte Konkurrenzklausel sei nicht wirksam, weil sie das Fortkommen des Beklagten unbillig erschwere. Dem Beklagten, der mehr als 23 Jahre in einer Wirtschaftstreuhandkanzlei gearbeitet und sich dort Fachkenntnisse angeeignet habe, sei die Einhaltung der Konkurrenzklausel auch im Hinblick auf die Sorgepflichten für seine Ehefrau und zwei Söhne nicht zumutbar gewesen. Der bei Beendigung des Dienstverhältnisses 44 Jahre alte Beklagte sei zur Sicherung der Existenz seiner Familie auf den neuen Arbeitsplatz bei seinem nunmehrigen Dienstgeber angewiesen gewesen. Der Beklagte hafte der Klägerin auch nicht aufgrund der berechtigten Entlassung für den Verlust des von ihm betreuten Klientenstockes. Dieser Verlust sei nicht auf pflichtwidrige schlechte Betreuung, sondern darauf zurückzuführen, daß es dem Beklagten in jahrelanger Tätigkeit gelungen sei, ein enges Vertrauensverhältnis zu den Klienten aufzubauen. Auch der Beweis eines kausalen Zusammenhanges zwischen den Pfuschertätigkeiten des Beklagten und dem Verlust von 35 Klienten sei der Klägerin nicht gelungen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Mit den Ausführungen zu diesem Revisionsgrund bekämpft die Revisionswerberin in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die feststellten, daß die Initiative zum Wechsel des Steuerberaters ausschließlich von den Klienten ausgegangen sei.

Zu Unrecht wendet sich die Revisionswerberin auch gegen die zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes.

Die gesetzliche Regelung des § 35 Abs 3 WTBO schränkt die Erwerbsfreiheit der in einer Wirtschaftstreuhandkanzlei tätigen Angestellten erheblich ein. Der in Artikel 6 StGG enthaltene Gesetzesvorbehalt gestattet dem Gesetzgeber Eingriffe in dieses Grundrecht nur, soweit dies durch das öffentliche Interesse geboten ist (s Walter-Mayer Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 Rz 1386 f; Korinek, Das Grundrecht der Freiheit der Erwerbsbetätigung als Schranke für die Wirtschaftslenkung, in Wenger FS [1983], 243 ff [253]), etwa zum Schutz von Kunden vor Belästigung und Bedrängung (vgl VfSlg 11.503). Bei verfassungskonformer Interpretation (siehe Bydlinski in Rummel, ABGB2 § 6 Rz 21) ist daher unter "Zuführen" von Klienten - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nur die Herbeiführung oder Förderung des Willensentschlusses des Klienten zum Wechsel der Kanzlei, nicht aber die Unterstützung des zum Kanzleiwechsel bereits entschlossenen Klienten bei der technischen Abwicklung dieses Wechsels zu verstehen (vgl W.Doralt, Auftragsschutz für Wirtschaftstreuhänder verfassungswidrig? RdW 1985, 357). Der Auffassung der Revisionswerberin, der Beklagte hätte den diesbezüglich nachfragenden ehemaligen Klienten seinen neuen Dienstgeber nicht bekanntgeben dürfen, ist zu erwidern, daß damit ohne ausreichende sachliche Rechtfertigung durch ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des bisherigen Dienstgebers in das durch Art 10 MRK gewährleistete, auch die Verbreitung von Informationen umfassende (s Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich Rz 667) Grundrecht der Meinungsfreiheit eingegriffen würde.

Auch die Wirksamkeit der Konkurrenzklausel haben die Vorinstanzen zutreffend beurteilt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Wirksamkeit der mit einer Konkurrenzklausel verbundenen Erwerbsbeschränkung des Arbeitnehmers für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor allem unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu beurteilen; dabei ist dem Bestreben des Arbeitnehmers, seine Arbeitskraft bestmöglich zu verwerten, das Interesse des Arbeitgebers, in seinem Erwerb nicht geschädigt zu werden, gegenüberzustellen. Der Arbeitnehmer darf durch eine derartige Erwerbsbeschränkung nicht dazu gezwungen werden, seine Kenntnisse und Berufserfahrungen brach liegen zu lassen und in eine berufsfremde Sparte mit geringerem Einkommen zu wechseln (s Arb 9314; 9809; 10.190; ZAS 1983/5 [Kerschner]; Arb 10.670; WBl 1993, 122 = RdW 1993, 155). Bei der Interessenabwägung im Rahmen des gesetzlichen beweglichen Systems des § 36 Abs 2 Z 2 AngG (siehe Kerschner aaO 30) ist einerseits das Interesse der Klägerin an der Erhaltung ihres Klientenstockes, andererseits aber auch der Umstand zu berücksichtigen, daß die Klägerin, die einen weitgehend auf persönlicher Betreuung der Klienten beruhenden freien Beruf in der Rechtsform einer GmbH in einer Großkanzlei mit zahlreichen Zweigniederlassungen ausübt, auch ohne aktive Konkurrenzierung durch einen ehemaligen Mitarbeiter mit dem Verlust eines erheblichen Teiles des von ihm betreuten Kundenstockes insbesondere dann rechnen muß, wenn dieser Mitarbeiter jahrelang zur Zufriedenheit der Kunden gearbeitet hat; weiters ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin in ihrer Existenz keineswegs gefährdet ist, wenn anläßlich der Beendigung des Dienstverhältnisses eines Mitarbeiters ein Teil des ausschließlich von ihm betreuten Klientenstockes verloren geht.

Hingegen ist der Beklagte zur Bestreitung seines eigenen und des Lebensunterhaltes seiner Familie auf die von ihm nahezu 24 Jahre ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiter einer Wirtschaftstreuhandkanzlei angewiesen; er hat nicht unmittelbar nach der Beendigung des Dienstverhältnisses durch die Klägerin, sondern erst nach einer Arbeitslosigkeit von sechs Wochen die Tätigkeit für seinen neuen, in einem anderen politischen Bezirk ansässigen Dienstgeber aufgenommen. Daß der Beklagte die Möglichkeit gehabt hätte, mit seinem neuen Dienstgeber einen Klientenschutz zugunsten der Klägerin bezüglich der vom Beklagten bisher betreuten Klienten zu vereinbaren, hat die Klägerin nicht einmal behauptet; auch die Verheimlichung seines neuen Dienstgebers gegenüber nachfragenden ehemaligen Klienten war dem Beklagten, wie oben ausgeführt, nicht zumutbar. Auch das von der Revisionswerberin im Rahmen der Einschränkung der zu weit gefaßten Konkurrenzklausel angestrebte Verbot, im Rahmen seines neuen Dienstverhältnisses ehemalige Klienten der Klägerin zu betreuen, würde daher die Erlangung eines Arbeitsplatzes im erlernten Beruf und damit die Erwerbsfreiheit des Beklagten unzumutbar beschränken.

Soweit die Revisionswerberin dem Beklagten schließlich eine umfangreiche Pfuschertätigkeit unterstellt und den Verlust von 35 Klienten darauf zurückführt, geht sie nicht von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen aus, daß der Beklagte lediglich in zwei Fällen für Klienten der Klägerin im wesentlichen die von ihr abgelehnte Führung der Grundaufzeichnungen übernommen habe und der eine namentlich bekannte Klient Rudolf G***** ohnehin bei der Klägerin geblieben sei.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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