OGH 10ObS243/93

OGH10ObS243/9323.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Steinbauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Manfred Lang und Dr.Heinrich Matzke beide aus dem Kreis der Arbeitgeber, in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Otto K*****, vertreten durch Dr.Joachim Tschütscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1031 Wien, wegen Rückersatz der Ausgleichszulage (Streitwert S 28.021,40), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.November 1992, GZ 5 Rs 108/92-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 25.Juni 1992, GZ 47 Cgs 1008/92z-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26.September 1935 geborene Kläger bezieht ab 1.1.1986 eine Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 123 BSVG samt Ausgleichszulage. Eine wesentliche Verminderung der Sehkraft beider Augen des Klägers, führte in der Folge zu einer Erblindung beider Augen. Nach dem Tod seiner Ehegattin am 7.August 1984 verehelichte sich der Kläger neuerlich am 24.Mai 1991. Seine zweite Ehefrau arbeitete in den Monaten Juni und Juli 1991 als Krankenschwester und bezog anschließend bis April 1992 Arbeitslosengeld. Erst am 8.Jänner 1992 teilte der Kläger die Eheschließung der Beklagten fernmündlich mit.

Mit Bescheid vom 27.März 1992 forderte die Beklagte die vom 1.Juni 1991 bis 31.Jänner 1992 zu Unrecht ausbezahlte Ausgleichszulage im Ausmaß eines Überbezuges von S 28.021,40 zurück. Die Rückforderung wurde mit der Verletzung der Meldepflicht begründet.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, von der Rückforderung des Überbezuges Abstand zu nehmen. Von einer ausdrücklichen Belehrung des Klägers über seine Meldepflichten könne nicht gesprochen werden. Es sei unwiderlegt, daß er bis Jänner 1992 nicht gewußt habe, daß er die Wiederverehelichung und das Einkommen der Gattin melden müsse.

Das Gericht zweiter Instanz änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren, von der Rückforderung des Überbezuges Abstand zu nehmen, abwies. Es sprach bei dem S 50.000,- nicht übersteigenden Entscheidungsgegenstand gemäß § 46 Abs 1 Z 1 ASGG aus, daß die Revision nicht zulässig sei.

Schon leichte Fahrlässigkeit bei Verletzung der Meldevorschriften könne die Rückforderung begründen. Der von der Beklagten dem Kläger übermittelte Fragebogen über die persönlichen Verhältnisse enthalte auch Fragen nach dem Ehepartner, die der Kläger ausfüllen ließ. Selbst wenn der Kläger sich diesen Fragebogen auch nur "im Groben" vorlesen ließ, und er den Hinweis auf die Meldevorschriften darin gar nicht beachtet habe, sei es leicht erkennbar gewesen, daß Angaben über den Ehepartner und dessen Einkünfte für die Beklagte von Bedeutung waren. In Verbindung mit den bisherigen Belehrungen über die Meldevorschriften mußte dem Kläger daher bewußt sein, diese Umstände melden zu müssen. Die Verletzung der Meldevorschriften sei dem Kläger daher vorwerfbar, sodaß die Rückforderungsberechtigung gegeben sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, die gemäß § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig ist, weil die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SSV-NF 3/96 von einem anderen Sachverhalt ausgeht und über die Sorgfaltspflicht eines Blinden bei Erfüllung der Meldevorschriften noch keine Rechtsprechung des erkennenden Senates vorliegt.

Die Beklagte nahm von einer Revisionsbeantwortung Abstand.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Zur Verletzung von Meldevorschriften der in §§ 18, 146 BSVG normierten Art genügt leichte Fahrlässigkeit (SSV-NF 1/69, SSV-NF 3/96, SSV-NF 4/91). Es ist Sache des Sozialversicherungsträgers, die objektive Verletzung einer Meldevorschrift zu beweisen. Der Versicherte hat dann nachzuweisen, daß ihn kein Verschulden an der Verletzung der Meldepflicht trifft. Die Unkenntnis der gesetzlichen Bestimmung über die Meldepflicht vermag den Leistungsempfänger gemäß § 2 ABGB regelmäßig nicht zu entschuldigen (SSV-NF 1/69). Der Feststellung des Fehlens einer ausdrücklichen Belehrung über die Meldepflicht bedurfte es daher nicht. Es ist auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen der Meldepflicht abzustellen (Krejci-Marhold in Tomandl 5.ErgLfg System, 66).

Dabei ist nicht davon auszugehen, daß jede Gesetzesunkenntnis schuldhaft sein muß. Bei Beurteilung der Frage, ob dem Normunterworfenen die Kenntnis einer bestimmten Vorschrift unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zumutbar war, ist ein strenger Maßstab anzulegen (Koziol-Welser9 Grundriß des bürgerlichen Rechts I, 35; Bydlinski in Rummel2 Rz 2 f zu § 2 ABGB; ZAS 1979/7 mit Kritik von Schuhmacher). Jedermann ist verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führt aber nur dann zu einem Verschuldensvorwurf, wenn mindestens leichte Fahrlässigkeit vorliegt, wenn bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen die Rechtskenntnis in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können (Kramer, Der Rechtsirrtum in ABGB, ÖJZ 1969/511; Bydlinski aaO, Rz 4 zu § 2 ABGB; Arb 7.834).

Nach den Feststellungen war dem Kläger bis 8.1.1992 nicht bekannt, daß er seine Wiederverehelichung und die Einkünfte seiner Gattin der Beklagten zu melden hatte. Der Kläger ist seit 1986 Leistungsempfänger, wobei es allgemein bekannt ist, daß Leistungen der Sozialversicherungsträger nur auf Grund bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen erbracht werden. Die Kenntnismöglichkeit der den Kläger betreffenden aus der Leistungsentgegennahme resultierenden Verpflichtungen bestand schon deshalb, weil der Sozialversicherungsträger entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung des § 146 Abs 2 BSVG dem Kläger periodische Überprüfungsbogen für die Ausgleichszulage übermittelte. Gerade aus der im Vordruck vorgesehenen Spalte für den Ehepartner ist, wie das Berufungsgericht zutreffend darlegt, für jedermann eindeutig erkennbar, daß auch die den Ehepartner betreffenden Auskünfte maßgeblich sind. Daran vermag nichts zu ändern, daß zur Zeit der Ausfüllung des Formulars noch keine Eheschließung vorlag.

Es ist davon auszugehen, daß durch den periodischen Überprüfungsbogen dem Kläger das Erfordernis, Angaben über den Ehepartner zu machen, bekannt sein mußte. Daß ihm allenfalls der weiters darin enthaltene Hinweis auf die Meldevorschriften nicht bekannt wurde, vermag ihn nicht zu entschuldigen, auch wenn er infolge seiner Erblindung darauf angewiesen ist, daß ihm Schriftstücke vorgelesen werden.

Da der Kläger nicht selbst lesen kann, hätte er infolge seiner Angewiesenheit auf die Unterstützung und Hilfe Dritter dafür Sorge tragen müssen, daß ihm der gesamte Inhalt der relevanten Schriftstücke vollständig zur Kenntnis gelangt. Er kann sich auf eine mangelhafte und unvollständige Information durch den Dritten, dessen er sich zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus dem zum Sozialversicherungsträger bestehenden Leistungsverhältnis bedient, nicht berufen, zumal er auch nicht behauptet, daß er sich um eine vollständige Information bemüht habe, aber diesem ein Bemühen nicht oder nicht vollständig entsprochen worden sei.

Bei der somit gegebenen Kenntnismöglichkeit der Meldevorschriften ist das Unterlassen der hier maßgeblichen Meldung der Wiederverheiratung und des Einkommens der Ehegattin auf einen vom Kläger zu vertretenden Mangel der Kenntnis der einschlägigen Meldepflichten zurückzuführen. Die Rückforderung war gemäß § 72 BSVG berechtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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