OGH 2Ob67/93

OGH2Ob67/9311.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Daniela H*****, vertreten durch Dr.Leonhard Lindner, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagten Parteien 1. ***** R***** GesmbH & Co KG, 2. ***** R***** GesmbH, beide ***** und 3. ***** Versicherungs-AG, ***** sämtliche vertreten durch Dr.Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Zahlung von S 174.488,-- s.A. und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 3.Mai 1993, GZ 1 R 287/92-26, womit infolge Berufung sämtlicher Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 10.August 1992, GZ 8 Cg 394/91-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß den Berufungen aller Parteien keine Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird, wobei jedoch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens die Haftung auf die Haftungshöchstbeträge des EKHG beschränkt wird.

Die Klägerin ist schuldig, den Beklagten die mit S 11.516,87 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 18.11.1988 ereignete sich um ca. 18 Uhr im Gemeindegebiet von D***** auf der L***** Straße auf der Höhe der Esso-Tankstelle ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Radfahrerin und der von der erstbeklagten Partei gehaltene und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherte LKW mit dem Kennzeichen V ***** beteiligt waren. Die damalige Halterin des LKWs wurde 1990 in eine GmbH & Co KG umgewandelt, deren Komplementärin die Zweitbeklagte ist. Die damals 15 1/2jährige Klägerin wurde bei dem Verkehrsunfall schwer verletzt.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von S 174.488,-- (umfassend S 150.000,-- Schmerzengeld, S 30.000,-- Verunstaltungsentschädigung, S 1.800,-- Sachschäden und S 2.688,-- Fahrtkosten) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden künftigen Schaden. Sie brachte dazu vor, Elmar M***** habe als Lenker des LKWs bei der Ausfahrt aus der Esso-Tankstelle und der Einfahrt in die L***** Straße die auf dem Radfahrstreifen links herannahende Klägerin übersehen und sei mit dieser zusammengestoßen.

Die Beklagten wendeten ein, Elmar M***** habe beim Einfahren in die L***** Straße derart anhalten müssen, daß die rechte vordere Ecke seines LKWs ca. 10 cm über den Gehsteig hinaus in den dortigen Radfahrstreifen hineingeragt habe. In dieser Position habe er ca. 2 bis 3 Minuten angehalten, als die Klägerin mit ihrem Fahrrad kommend gegen das stehende Fahrzeug gefahren sei. Da die Klägerin gegen das bereits länger stehende Fahrzeug gestoßen sei, habe sie das Alleinverschulden zu vertreten.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren hinsichtlich eines Betrages von S 16.090,-- statt und stellte fest, daß die Beklagten im Ausmaß von 25 %, die drittbeklagte Partei jedoch nur im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages mit der Erstbeklagten, für jeden künftigen Schaden aus diesem Verkehrsunfall haften. Das Zahlungs- und Feststellungsmehrbegehren wurde abgewiesen.

Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehend traf das Erstgericht folgende Feststellungen:

Elmar M***** hatte am 18.11.1988 den von ihm gefahrenen LKW auf dem an der L***** Straße gelegenen Gelände der dortigen Esso-Tankstelle gereinigt. Er beabsichtigte, anschließend von diesem Betriebsgelände nach links in die L***** Straße einzubiegen, um in Richtung D*****-Stadtzentrum weiterzufahren.

Die L***** Straße weist eine Breite von 9 m auf. An die Fahrbahn schließen sich ein jeweils 1,4 m breiter Radfahrstreifen sowie ein 2 m breiter Gehsteig an. Die Tankstellenausfahrt ist 12 m breit und verläuft in einem Winkel von 25 Grad zur Fahrbahnlängsachse der L***** Straße.

Zum Zeitpunkt des Ausfahrens des LKWs aus dem Tankstellenareal um ca. 18 Uhr bestand kein Sichthindernis auf die L***** Straße, sodaß aus der Position eines nach links in die L***** Straße einfahrenden LKW-Lenkers, dessen Fahrzeug auch mit seiner vordersten rechten Ecke noch nicht auf dem Radfahrstreifen steht, ungehinderte Sicht in beide Fahrtrichtungen der L***** Straße bestand. Diese verläuft im Unfallsbereich im wesentlichen geradeaus. Die Sichtstrecke in Richtung D*****-Stadtzentrum, aus welcher sich die Klägerin in der Folge mit ihrem Fahrrad näherte, beträgt 100 m.

Zum Unfallszeitpunkt war es dunkel und regnete stark, sodaß sich die Sichtstrecke auf 50 m verkürzte. Elmar M***** brachte den LKW im schrägen Winkel zur Fahrbahnlängsachse der L***** Straße derart zum Stillstand, daß dessen rechte vordere Begrenzung zumindest 0,5 m in den Radfahrstreifen hineinragte, höchstens aber auf Höhe der Begrenzungslinie zwischen Radfahrstreifen und Hauptfahrbahn sich befand. In dieser Position wartete er nunmehr zumindest eine halbe bis maximal zwei Minuten. Während dieses Zeitraumes näherte sich von links auf dem Radfahrstreifen die Klägerin mit einer Geschwindigkeit von ca. 18 km/h. Ohne den stehenden LKW als Gefahr zu erkennen, stieß sie gegen dessen Stoßstange, wodurch sie zum Sturz kam und sich schwer verletzte. Die Klägerin hätte bei den durch Regen und Dunkelheit beeinträchtigten Sichtverhältnissen von Elmar M***** aus seiner Warteposition auf eine Distanz von ca. 50 m, sohin während eines Zeitraumes von ca. 10 Sekunden bis zur Kollision wahrgenommen werden können. M***** hat jedoch das Herannahen der Radfahrerin nicht bemerkt. In welchem Bereich die Klägerin sich auf dem Radfahrstreifen dem LKW genähert hat, konnte nicht festgestellt werden. Auf alle Fälle hätte die Klägerin zumindest 30 Sekunden lang den LKW als Gefahr erkennen und sohin entweder stehenbleiben oder ausweichen können. Durch die Kollision erlitt die Klägerin eine Schädelfraktur rechts mit akuten epiduralen Hämatomen. Die operative Behandlung erfolgte zunächst im Krankenhaus D*****, anschließend wurde die Klägerin einige Tage in der Intensivstation des Landeskrankenhauses F***** behandelt, schließlich blieb sie bis 2.12.1988 stationär im Krankenhaus D*****.

Als Dauerfolge besteht bei der Klägerin ein leichtgradiger und selten auftretender Narbenschmerz rechts. Dieser Schmerz bzw. ein minimales diffuses Kopfschmerzsyndrom sind auch als medizinisch diskrete Dauerfolge in Richtung einer Wetterfühligkeit sowie dezenten Streßintoleranz aufzufassen. Als mögliche Spätfolge ist bei der Klägerin die Entwicklung von posttraumatischen epileptogenen Ausfällen aufgrund des Unfalles nicht auszuschließen.

Nach wie vor ist bei der Klägerin eine Narbe im behaarten Bereich rechtsseitig ca. 3 cm über dem Ohr verlaufend 12 cm lang und zart ausgebildet festzustellen. Ein knöcherner Defekt ist noch tastbar.

Aufgrund der Verletzungen hatte die Klägerin 4 Tage starke, 10 Tage mittelschwere sowie komprimiert 6 Wochen leichte Schmerzen zu erdulden und wird - vom 10.6.1991 an berechnet - etwa 7 Tage pro Jahr - begrenzt auf 10 Jahre - leichte Schmerzen zu ertragen haben.

Bis 2.1.1989 war die Klägerin arbeitsunfähig. Während der nächsten zwei Monate muße sie von ihrer Mutter mit deren PKW von und zur Arbeitsstätte gebracht werden, wobei 640 km zurückgelegt wurden.

Das zur Gänze beschädigte Fahrrad der Klägerin war zum Unfallszeitpunkt 4 Monate alt und kostete neuwertig S 2.000,--.

Ein Schmerzengeldteilbetrag von S 10.000,-- wurde an die Klägerin bezahlt.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Klägerin sei der ihr obliegende Beweis eines Verschuldens des Lenkers des LKWs der Beklagten nicht gelungen. Anderseits aber hätten auch die Beklagten den ihnen obliegenden Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs.2 EKHG nicht erbracht. Da der Klägerin eine krasse Sorgfaltsvernachlässigung anzulasten sei - sie habe zumindest durch 30 Sekunden den stehenden LKW sehen können - sei eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 3 zu ihren Lasten gerechtfertigt. Hinsichtlich des Schmerzengeldes sei ein Betrag von 100.000,-- S angemessen; die begehrte Verunstaltungsentschädigung sei nicht gerechtfertigt, weil eine wesentliche nachteilige Veränderung in der äußeren Erscheinung der Klägerin zufolge der im Haarbereich gelegenen Narben nicht vorliege. Der Zeitwert des Fahrrades habe 1.800,-- S betragen, der Anspruch an Fahrtkosten sei mit S 2.560,-- berechtigt. Der insgesamt berechtigte Gesamtschaden betrage S 104.360,--, unter Berücksichtigung der Teilzahlung und der Schadensteilung stehe der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung von S 16.090,-- zu.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin nicht Folge, wohl aber jenem der Beklagten; es änderte die angefochtene Entscheidung dahingehend ab, daß das Klagebegehren abgewiesen wurde.

Die ordentliche Revision wurde nicht für zulässig erklärt.

Zur Rechtsfrage führte das Berufungsgericht aus, dem Lenker des LKW sei eine Vorrangverletzung nicht anzulasten. Gemäß § 8 Abs.4 2.Satz StVO sei er berechtigt gewesen, unter Wahrung des Vorranges des Fließverkehrs auf der L***** Straße den Gehsteig und den Radfahrstreifen zu überqueren und in die L***** Straße einzubiegen. Das Anhalten auf dem Gehsteig und teilweise auf dem Radfahrstreifen sei verkehrsbedingt erfolgt und daher nicht rechtswidrig. Das Einfahren sei zu einem Zeitpunkt geschehen, als die Klägerin für M***** noch nicht wahrnehmbar war. Auch eine Verletzung der allgemeinen Verpflichtung zur Unterlassung der Gefährdung der körperlichen Sicherheit anderer Personen in fahrlässiger Weise sei dem Lenker des LKW nicht vorzuwerfen, weil er nicht damit rechnen mußte, daß die Klägerin sein Fahrzeug streifen und zu Sturz kommen werde.

Überdies sei auf den vorliegenden Fall die StVO in der Fassung vor der 15.Novelle anzuwenden. Erst durch diese Novelle seien die von Radfahrstreifen, von Radwegen sowie von Rad- und Gehwegen kommenden Radfahrer aus der demonstrativen Aufzählung des § 19 Abs.6 StVO gestrichen worden. Zwischen Fahrzeugen, die sich alle auf Verkehrsflächen im Sinne des § 19 Abs.6 StVO befinden, richte sich der Vorrang nach der im § 19 Abs.1 StVO normierten Rechtsregel und stehe der Vorrang im Sinne des § 19 Abs.6 StVO dem Vorrangberechtigten bis zum vollständigen Verlassen der bevorrangten Verkehrsfläche zu. Nach der zum Unfallszeitpunkt gültigen Fassung des § 19 Abs.6 StVO handle es sich bei Radfahrstreifen auch an solchen Stellen, an denen sie im Sinne des § 8 Abs.4 StVO von Kfz überquert werden dürfen, um einen Teil der Fahrbahn, allein im fließenden Verkehr im Sinne des § 19 Abs.6 StVO befinde sich ein Fahrzeug, das den Radfahrstreifen an der hiefür vorgesehenen Stelle überquere, nicht. Anderseits habe sich aber auch die Klägerin als berechtigte Benützerin des Radfahrstreifens nicht im Vorrang gegenüber dem aus einer Tankstellenausfahrt kommenden LKW befunden, weil der Radfahrstreifen als benachrangte Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs.6 StVO zu qualifizieren war. Daraus folge, daß dem Lenker des LKW gegenüber der Klägerin als von rechts Kommenden der Vorrang nach § 19 Abs.1 StVO zugestanden sei.

Hinsichtlich der Verunstaltungsentschädigung führte das Berufungsgericht aus, daß die Narben der Klägerin nicht sichtbar seien, sodaß von einer wesentlich nachteiligen Veränderung der äußeren Erscheinung nicht gesprochen werden könne.

Anders als das Erstgericht vertrat das Rechtsmittelgericht aber die Ansicht, daß den Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs.2 EKHG gelungen sei. Der Lenker des LKW habe auf dem Radfahrstreifen verkehrsbedingt angehalten, als die Klägerin noch nicht im Sichtbereich war. Sein Fahrzeug sei beleuchtet gewesen. Unter diesen Umständen hätte er nicht damit rechnen müssen, daß die Klägerin gegen das stehende Fahrzeug stoßen werde. Auf alle nur erdenklichen Unfallsmöglichkeiten brauche sich der Lenker eines Kraftfahrzeuges nicht einzustellen. Den Beklagten sei daher der ihnen obliegende Beweis, daß der Unfall auf ein unabwendbares Ereignis zurückzuführen sei, gelungen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Klägerin ein Betrag von S 174.488,-- samt 4 % Zinsen seit 1.8.1991 zugesprochen und dem Feststellungsbegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten haben in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, dem Rechtsmittel der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - nicht gesagt werden kann, der Lenker des LKW habe jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs.2 EKHG beachtet; sie ist zum Teil auch berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit - auch insoweit er als unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wird - wurde geprüft, er ist nicht gegeben (§ 510 Abs.3 ZPO).

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung vertritt die Klägerin die Ansicht, der Lenker des LKW habe rechtswidrig gehandelt, weil er den LKW ohne Not so anhielt, daß er damit den Radfahrstreifen zum Teil blockierte. Als "verkehrsbedingt" sei dieses Anhalten deshalb nicht zu werten, weil er ohne weiteres auch vor dem Radfahrstreifen stehenbleiben hätte können. Durch die gänzliche oder teilweise Blockierung des Radfahrstreifens habe er eine Gefahrenlage geschaffen, die ihn verpflichtet hätte, dafür zu sorgen, daß daraus kein Nachteil für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer entstehe. Dieser Verpflichtung habe er nicht entsprochen, weil er den Querverkehr auf dem Radfahrstreifen nicht beobachtete und damit rechnen hätte müssen, daß herankommende Radfahrer durch den starken Regen in ihrer Aufmerksamkeit beeinträchtigt sein könnten. Das Verschulden des Lenkers wiege etwa doppelt so schwer wie jenes der zum Unfallszeitpunkt 15 1/2jährigen Klägerin.

Jedenfalls aber könne keine Rede davon sein, daß der Lenker des LKW die äußerste Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs.2 EKHG eingehalten habe. Entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes habe die Klägerin zum "fließenden Verkehr" im Sinne des § 19 Abs.6 StVO gezählt, da sie nicht "von" einem Radfahrstreifen kam, sondern sich auf diesem befand. Die Betriebsgefahr des den Fließverkehr auf dem Radfahrstreifen hindernden LKWs und der von den Vorinstanzen als erwiesen angesehene Aufmerksamkeitsfehler der Klägerin rechtfertigten eine Schadensteilung vom 2 : 1 zu Lasten der Beklagten.

Zur Frage der Verunstaltungsentschädigung machte die Klägerin geltend, daß eine solche auch dann zustehe, wenn die Verunstaltung nicht sichtbar sei. Die Klägerin sei durch die 12 cm lange, über dem Ohr verlaufende Narbe verunstaltet, sodaß ihr aus diesem Titel eine Forderung von 30.000,-- S zustehe.

Hinsichtlich des Schmerzengeldes wird ausgeführt, daß zu bedenken sei, daß die Klägerin auch einen knöchernen Defekt in der Schädeldecke im Ausmaß von 2 cm zu 5 cm habe. Die Einsetzung einer Schädeldachplastik könne auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Unter diesen Umständen sei das geforderte Schmerzengeld von 150.000,-- S keineswegs überhöht.

Diese Ausführungen sind zum Teil zutreffend.

Gemäß § 8 Abs.4 StVO war Elmar M***** grundsätzlich dazu berechtigt, den Radfahrstreifen zu überqueren. Da die Klägerin zu dem Zeitpunkt, da M***** auf den Radfahrstreifen fuhr, nicht erkennbar war, kam ihr auch der Vorrang des Fließverkehrs (§ 19 Abs.6 StVO) nicht zu (ZVR 1992/60). An sich wäre ihr dieser Vorrang - entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht - auch nach der Rechtslage vor der 15.StVO-Novelle zugekommen, weil sie nicht "vom" Radfahrstreifen kam, sondern sich auf diesem befand. Wie schon oben ausgeführt, besteht aber der Vorrang des Fließverkehrs nur gegenüber wahrnehmbaren Verkehrsteilnehmern und kam nicht schon gegenüber der Klägerin zum Tragen. Da Elmar M***** sein Fahrzeug auf dem Radfahrstreifen zum Stillstand brachte, um den weiteren bevorrangten Fließverkehr (§ 19 Abs.6 StVO) abzuwarten, war auch dieses Verhalten nicht rechtswidrig (ZVR 1992/60). Es hätte daher ihrerseits die Klägerin ihr Fahrzeug zum Stillstand bringen müssen, um den Zusammenstoß mit dem LKW der erstbeklagten Partei zu vermeiden. Dazu hätte sie auch ohneweiteres die Möglichkeit gehabt, hätte sie doch zumindest 30 Sekunden lang den LKW als Gefahr erkennen und sohin entweder stehenbleiben oder ausweichen können.

Die beklagten Parteien trifft aber grundsätzlich die Gefährdungshaftung und ist die Ersatzpflicht nach dem EKHG nur dann ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Unabwendbar ist ein Ereignis, das trotz aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht nicht abgewendet werden kann; es ist jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt zu beachten und muß der Unfall auch für einen besonders sorgfältigen Fahrer bei der gegebenen Sachlage unvermeidbar sein. Zur Haftungsbefreiung muß - über die gewöhnliche Verkehrssorgfalt hinaus - die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten worden sein (Apathy, KommzEKHG, Rz 15 f zu § 9). Ein besonders sorgfältiger Fahrzeuglenker wäre aber im vorliegenden Fall nicht bis zu 2 Minuten auf dem Radfahrstreifen stehen geblieben, wenn auch die Möglichkeit bestand, aus einer Position vor dem Radfahrstreifen den Fließverkehr auf der Straße zu beachten. Entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht stellt es keine Überspannung der Sorgfaltspflichten dar, wenn man vom Lenker des LKW als besonders sorgfältigen Kraftfahrer verlangt, er hätte sein Fahrzeug vor dem Radfahrstreifen zum Stillstand bringen sollen. Wenngleich der Lenker eines Fahrzeuges nicht auf alle erdenklichen Unfallsmöglichkeiten sich einzustellen hat, so war es doch nicht auszuschließen, daß - unter Berücksichtigung der schlechten Witterungs- und Sichtverhältnisse - das auf dem Radfahrstreifen stehende Fahrzeug von einem Radfahrer nicht oder zu spät erkannt wird. Trotz schwerwiegenden Fehlverhaltens der Klägerin selbst kann die Betriebsgefahr des Kfz nicht gänzlich außer acht gelassen werden und ist eine Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Lasten der Klägerin, wie sie schon das Erstgericht vorgenommen hat, angemessen (vgl. ZVR 1988/65 mwN).

Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klägerin aber keine Verunstaltungsentschädigung zugesprochen. Unter einer Verunstaltung ist nach Lehre und Rechtsprechung (siehe Apathy, aaO, Rz 46 zu § 13 mwN) eine wesentliche nachteilige Veränderung, die nach außen hin erkennbar ist, zu verstehen. Im vorliegenden Fall liegt eine derartige Veränderung, die auch nach außen hin erkennbar ist, nicht vor, weil die Narbe der Klägerin durch die Haare verdeckt ist. Hinsichtlich des in der Revision hervorgehobenen knöchernen Defektes wurde lediglich festgestellt, daß ein solcher tastbar ist; dies rechtfertigt aber nicht den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung.

Auch das von den Vorinstanzen zugesprochene Schmerzengeld ist nach Ansicht des erkennenden Senates angemessen. Die vom Erstgericht festgestellten Schmerzperioden rechtfertigen keinen höheren Zuspruch als einen Betrag von S 100.000,--. Die in der Revision geltend gemachte Schwierigkeit der Notoperation rechtfertigt nicht den Zuspruch eines höheren Schmerzengeldes; hinsichtlich des weiters hervorgehobenen knöchernen Defektes wurde lediglich festgestellt, dieser sei tastbar. Auch der Umstand, daß vom Unfall bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz fast 4 Jahre verstrichen sind, rechtfertigt es nicht, ein höheres Schmerzengeld zuzusprechen.

Der Revision der Klägerin war daher teilweise Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen, wobei jedoch die Begrenzung der Haftung nach den Bestimmungen des EKHG im Spruch der Entscheidung auszudrücken war (ZVR 1992/70).

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 43, 50 ZPO. Im Berufungsverfahren sind sowohl die Klägerin als auch die beklagten Parteien unterlegen. Die Klägerin hat sohin den Beklagten die Kosten deren Berufungsbeantwortung in der Höhe von S 9.122,50 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.520,04, keine Barauslagen) zu ersetzen, die Beklagten hingegen haben der Klägerin die Kosten ihrer Berufungsbeantwortung in der Höhe von S 3.470,98 (darin enthalten S 578,50 Umsatzsteuer, keine Barauslagen) zu ersetzen. Daraus resultiert eine Kostenersatzpflicht der Klägerin in der Höhe von S 5.651,52.

Im Revisionsverfahren ist die Klägerin zu einem Viertel obsiegt, sie hat daher den Beklagten die Hälfte der Kosten der Revisionsbeantwortung in der Höhe von S 11.730,70 (darin enthalten S 1.955,12 an Umsatzsteuer, keine Barauslagen) zu ersetzen. Insgesamt erfolgt daraus eine Kostenersatzpflicht der Klägerin für das Rechtsmittelverfahren in der Höhe von S 11.516,87.

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