OGH 13Os146/93

OGH13Os146/9310.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.November 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Markel, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Mazzolini als Schriftführerin in der Strafsache gegen Enver M* wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 15.April 1993, GZ 20 k Vr 3469/92‑82, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Raunig, und des Verteidigers Dr.Rifaat, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0130OS00146.9300000.1110.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Enver M* des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB (I./A./ des Schuldspruchs) und des Vergehens nach dem § 36 Abs. 1 Z 1 WaffG (I./B./) schuldig erkannt, weil er am 14.August 1992 in Wien Agron M* durch einen Kopfschuß vorsätzlich getötet (I./A./) und zumindest an diesem Tag eine Pistole unbefugt besessen hat (I./B./).

Die Geschworenen bejahten die anklagekonform gestellte Hauptfrage A./ (fortlaufende Zahl 1 des Fragenschemas) nach dem Verbrechen des Mordes nach dem § 75 StGB (im Stimmenverhältnis 6 : 2) und ließen demgemäß folgerichtig die Eventualfragen I./ bis III./ (fortlaufende Zahl 2 bis 4) in Richtung des Verbrechens des Totschlages nach dem § 76 StGB, der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 und 2, zweiter Fall, StGB und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83 Abs. 2 und 86 StGB unbeantwortet.

Die Zusatzfragen a (fortlaufende Zahl 5) nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 Abs. 1, erster Satz, StGB) und b (fortlaufende Zahl 6) nach Notwehrüberschreitung (lediglich) aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs. 2 StGB) verneinten die Geschworenen (Stimmenverhältnis 7 : 1), sodaß die Beantwortung der Eventualfrage IV./ (fortlaufende Zahl 7) nach fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Z 1 StGB) in Überschreitung der Grenzen notwendiger oder angemessener Verteidigung entfiel. Auch die Zusatzfrage d (fortlaufende Zahl 10) nach irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation (Putativnotwehr, § 8 StGB) sowie f (fortlaufende Zahl 14) nach Überschreitung der Grenzen notwendiger und angemessener Verteidigung auf Grund einer irrtümlich angenommenen Notwehrsituation (Putativnotwehrexzeß) verneinten die Geschworenen im selben Stimmenverhältnis.

Somit entfiel auch die Beantwortung der Eventualfragen VI./ (fortlaufende Zahl 11) und VIII./ (fortlaufende Zahl 15) nach fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Z 1 StGB) in Putativnotwehr bzw in einem Putativnotwehrexzeß.

 

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch wegen Mordes (I./A./) mit auf den § 345 Abs. 1 Z 6, 8 und 10 a StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde; sie ist jedoch unbegründet.

Die Verfahrensrüge (Z 6) behauptet einen Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 313 und 314 StPO über die Fragestellung. Die Fragen nach Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (fortlaufende Zahl 6) und nach Putativnotwehrexzeß (fortlaufende Zahl 14) seien zu Unrecht als Zusatzfragen (§ 313 StPO) bezeichnet worden, weil eine Bejahung dieser Fragen keineswegs zur Straflosigkeit und demnach auch nicht zu einem Freispruch geführt hätte, weswegen sie in Form von Eventualfragen (§ 314 StPO) zu stellen gewesen wären.

Sowohl Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs. 2 StGB) als auch Putativnotwehr (§ 8 StGB) und demzufolge auch Putativnotwehrexzeß schließen jedenfalls die Strafbarkeit für vorsätzliche Tatbegehung aus und bewirken Straflosigkeit des Täters, soweit nicht dessen strafrechtliche Haftung für ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt in Betracht kommt (Leukauf‑Steininger, Komm3, §§ 3 RN 93; 8 RN 5 und 6; Mayerhofer‑Rieder, StGB3, § 3 ENr 39).

Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, Putativnotwehr und Putativnotwehrexzeß fallen demnach unter die im § 313 StPO genannten Strafausschließungsgründe, worunter Rechtfertigungs‑, Schuldausschließungs‑, Strafaufhebungs‑ und sonstige Strafausschließungsgründe zu verstehen sind (Foregger‑Kodek, StPO5 Erl II zu § 313). Sind nach dem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung solche Strafbefreiungsgründe indiziert, die im § 313 StPO (zusammengefaßt) als Strafausschließungs‑ oder Strafaufhebungsgründe bezeichnet werden, ist das Gericht kraft der imperativen Vorschrift des § 313 StPO verpflichtet, eine entsprechende Zusatzfrage zu stellen; denn nur dadurch wird Gewähr geboten, daß die Aufmerksamkeit der Geschworenen auf die die Strafbarkeit trotz Verübung der Tat ausschließenden oder aufhebenden Tatsachen gelenkt wird (Lohsing‑Serini4 S 430 ff; Platzgummer, Grundzüge5, S 156 f; Bertel, Grundriß3, Rz 574).

Die Bezeichnung der fortlaufenden Fragen 6, 10 und 14 des Fragenschemas als Eventualfragen ist schon begrifflich ausgeschlossen, weil Eventualfragen der Sache nach Schuldfragen sind, die eine von der Anklage abweichende Tatbeurteilung ermöglichen sollen. Demzufolge hat das Erstgericht die aktuellen Strafausschließungsgründe zu Recht zum Gegenstand von eigentlichen Zusatzfragen nach dem § 313 StPO gemacht und daran anknüpfend den Geschworenen gleichfalls zutreffend Eventualfragen gemäß dem § 314 StPO nach einer in Betracht kommenden strafrechtlichen Haftung des Angeklagten für fahrlässiges Handeln unterbreitet (Mayerhofer‑Rieder, StPO3, § 314 ENr 1 bis 3). Der behauptete Verstoß gegen die Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) ist demnach nicht gegeben.

Auch die Instruktionsrüge (Z 8) geht fehl. Der Einwand, den Geschworenen wäre eine aus der Mangelhaftigkeit der Fragestellung (siehe oben) resultierende unrichtige Belehrung über das Verhältnis der Zusatzfrage d (fortlaufende Zahl 6) nach Putativnotwehr zur Hauptfrage A./ nach Mord erteilt worden, ist verfehlt. Die einen Fall des Irrtumstatbestandes nach dem § 8 StGB bildende Putativnotwehr ist keineswegs, wie die Beschwerde darstellt, eine Alternative zum Tatbestand des § 75 StGB. Putativnotwehr setzt schon begrifflich eine (Vorsatz‑)Tat voraus, wobei diese nur deshalb nicht vorwerfbar ist, weil der Täter irrtümlich das Vorliegen einer sein Verhalten rechtfertigenden Notwehrsituation angenommen hat (Leukauf‑Steininger, aaO). Die Geschworenen hatten daher vor der Befassung mit allenfalls vorliegender Putativnotwehr zwingend die Feststellung, ob der Angeklagte den Tod des Tatopfers vorsätzlich (oder zumindest als fahrlässig bewirkte Folge einer vorsätzlichen Aggressionstat, § 7 Abs. 2 StGB) herbeigeführt hat, zu treffen. Sie wurden somit schon durch einen Hinweis im Fragenschema, aber auch in der schriftlichen Rechtsbelehrung (S 22) zutreffend darüber belehrt, daß die Zusatzfrage nach Putativnotwehr nur im Falle der Bejahung der Hauptfrage A./ nach Mord oder der Bejahung einer der Eventualfragen I./ bis III./ nach Totschlag, absichtlicher schwerer Körperverletzung oder Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu beantworten ist. Dem Vorsitzenden des Geschworenengerichtes (§ 312 Abs. 1 StPO) ist daher der behauptete Instruktionsfehler nicht unterlaufen.

Aus der den Geschworenen zutreffend erteilten Belehrung über die Rechtsfolgen bei Annahme einer Putativnotwehr (vgl abermals S 22 der Rechtsbelehrung) war für sie ohne Schwierigkeit erkennbar, daß die Bejahung der Zusatzfrage d (fortlaufende Zahl 10) für sich allein zu einem Freispruch und erst die Bejahung einer Schuld‑(Eventual‑)Frage nach fahrlässiger Tatbegehung zu einem Schuldspruch führen würde. Die vom Angeklagten reklamierte Belehrung, schon die Bejahung der Zusatzfrage d nach Putativnotwehr für sich allein werde zu einer Verurteilung führen, wäre unrichtig gewesen und wurde den Geschworenen daher zu Recht nicht erteilt.

Ebenso verfehlt ist der Beschwerdeeinwand, die Geschworenen seien rechtsirrig davon ausgegangen, daß die auf Putativnotwehr gerichtete Zusatzfrage d das Vorliegen einer (auch tatsächlichen) Notwehrsituation vorausgesetzt habe. Er geht an der schriftlichen Rechtsbelehrung zu dieser Zusatzfrage vorbei (S 22), die unmißverständlich darlegt, daß das Wesen einer Putativnotwehr in der irrtümlichen Annahme einer in Wahrheit nicht gegebenen Notwehrsituation liegt. Die Rechtsbelehrung bietet somit für die vom Beschwerdeführer behauptete irrige Annahme der Geschworenen nicht die geringsten Anhaltspunkte, sodaß schon deshalb der Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z 8 StPO nicht vorliegen kann.

Es versagt aber auch der zur Stützung dieses Beschwerdestandpunktes herangezogene Hinweis auf die Niederschrift der Geschworenen. Daraus ergibt sich wohl, daß die Geschworenen bei Verneinung der Zusatzfrage d (fortlaufende Zahl 10) auf Grund der Zeugenaussagen davon ausgegangen sind, daß ein Angriff des Opfers (gegen den Beschwerdeführer) tatsächlich gar nicht vorlag. Dies läßt aber noch nicht den Schluß zu, die Geschworenen hätten das tatsächliche Vorliegen einer Notwehrsituation für die Annahme einer Putativnotwehr für erforderlich gehalten.

Soweit die Rechtsbelehrung zu den Begriffen der Putativnotwehr und des Putativnotwehrexzesses als zu wenig ausführlich bemängelt wird, entbehrt die Beschwerde der erforderlichen Substantiierung, worin die Mangelhaftigkeit dieser Belehrung gelegen sein soll. Aus deren Inhalt (S 22 und 23) ist ein solcher Mangel nicht erkennbar.

Letztlich versagt auch die Tatsachenrüge (Z 10 a).

Das Erstgericht hat seine Pflicht zur amtswegigen Wahrheitserforschung (§§ 3232 Abs. 2, 254 und 302 StPO) keineswegs verletzt. Grundlage für die Beurteilung des Tatherganges, insbesondere für die Beantwortung der Frage, ob der Angeklagte vom späteren Tatopfer und von dessen Begleitern in eine bedrängte Lage gebracht worden ist, waren vor allem die Aussagen der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen im Zusammenhang mit der Verantwortung des Angeklagten. Den örtlichen Gegebenheiten, die ohnedies einer Tatortskizze sowie gleichfalls im Akt befindlichen Lichtbildern entnommen werden konnten (AS 213 ff/I), kam bei der Klärung des Sachverhaltes nur untergeordnete Bedeutung zu. Weder aus der Beschwerde noch aus der Aktenlage geht hervor, aus welchen Gründen ein (vom Beschwerdeführer gar nicht beantragter) Ortsaugenschein hätte geeignet sein können, den Mordvorwurf in Frage zu stellen. Für die amtswegige Vornahme eines solchen Ortsaugenscheins bestand demnach kein Anlaß.

Soweit der Angeklagte schließlich einwendet, zwar wegen des vorausgegangenen aggressiven Verhaltens der in den tatgegenständlichen Vorfall involvierten Personen mit deren weiteren Angriffen gerechnet, aber ungeachtet seiner (behaupteten) bedrängten Lage nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt zu haben, erschöpft sich sein Vorbringen in dem Versuch, nach Art einer Schuldberufung einer für ihn günstigeren, von den Geschworenen allerdings nicht festgestellten Tatversion zum Durchbruch zu verhelfen. Damit werden jedoch gleichfalls keine aus dem Akteninhalt abzuleitenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen geweckt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten (unter Anrechnung der Vorhaft) nach den §§ 28 Abs. 175 StGB zu lebenslanger Freiheitsstrafe und wertete dabei drei auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafen, den raschen Rückfall nach einer Verurteilung nach dem Waffengesetz sowie das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, als mildernd hingegen ein Teilgeständnis zu diesem Vergehen.

Die dagegen erhobene Berufung ist nicht in der Lage, Umstände aufzuzeigen, die die angestrebte Strafherabsetzung (Verhängung einer zeitlichen Freiheitsstrafe) zu begründen vermögen. Der objektiven Tatschilderung durch den Angeklagten kann der Wert eines Geständnisses zu einem vorsätzlichen Tötungsdelikt nicht beigemessen werden. Der Aktenlage sind Anhaltspunkte für eine berücksichtigungswürdige Provokation des Angeklagten durch sein Opfer nicht zu entnehmen. Daß der Mord von langer Hand vorbereitet war oder heimtückisch begangen worden wäre, hat das Geschworenengericht ohnehin seinen Strafzumessungserwägungen nicht zugrunde gelegt. Die besonderen Strafbemessungsgründe rechtfertigen im Zusammenhalt mit den allgemeinen Grundsätzen für die Strafbemessung (§ 32 StGB) im vorliegenden Fall nicht die Verhängung einer zeitlichen Freiheitsstrafe, sodaß auch die Berufung scheitern mußte.

Die Kostenentscheidung findet ihre Begründung in der angeführten Gesetzesstelle.

 

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