OGH 7Ob32/93

OGH7Ob32/9310.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Gerd K*****, vertreten durch Dr.Dietrich Clementschitsch und andere, Rechtsanwälte in Villach, wider die beklagte Partei F*****verband *****, vertreten durch Dr.Hans Kreinhöfner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 120.000 sA (Revisionsinteresse S 30.000 sA), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 12.Mai 1993, GZ 2 R 44/93-23, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 7.Dezember 1992, GZ 22 Cg 145/92-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 8.9.1991 ereignete sich auf der Seepromenade am Silbersee in St.Ulrich bei Villach ein Verkehrsunfall, bei welchem der Kläger als Fußgänger vom Bootsanhänger eines ihn überholenden PKW gestreift und schwer verletzt wurde. Die im Freilandgebiet außerhalb des Ortsgebietes von St.Ulrich verlaufende Seepromenade weist im Bereich der Unfallstelle eine 4 m breite asphaltierte Fahrbahn auf. Nördlich davon - in Gehrichtung des Klägers gesehen: rechts - schließt eine Wiesenfläche an. Ca. 20 bis 30 cm rechts neben dem nördlichen Fahrbahnrand steht ein ca. 60 cm hoher Holzzaun. Zum Unfallszeitpunkt war das gesamte Gelände um den Silbersee einschließlich der Seepromenade wegen der Durchführung der Wasserski-Weltmeisterschaft für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Nur der Veranstalter der Weltmeisterschaft und Aussteller einer gleichzeitig stattfindenden Bootsausstellung hatten Fahrgenehmigungen.

Zum Unfallszeitpunkt herrschte auf der Seepromenade nur mehr Abstromverkehr von Fahrzeugen in Richtung Westen; Zustromverkehr war keiner mehr gegeben. Der Kläger ging zu Fuß neben seiner Ehefrau am rechten Rand der Seepromenade Richtung Westen; dabei benützte seine Frau den zwischen Fahrbahn und Holzzaun liegenden Wiesenstreifen, der Kläger den rechten Fahrbahnrand, wobei seine linke Schulter ca. 0,8 bis 0,9 m in die Fahrbahn hineinragte. Während dieser Gehbewegung wurde der Kläger von einem Richtung Westen fahrenden Fahrzeug mit Bootsanhänger überholt; im Zuge dises Überholmanövers wurde der Kläger, welcher seine Gehrichtung nicht verändert hatte, von dem auf dem Bootsanhänger mitgeführten Boot zunächst im Bereich des Oberarmes und in der weiteren Folge am linken Oberschenkel angestoßen, wodurch er zu Sturz kam. Da das Motorboot breiter war als das Zugfahrzeug, hatte dieses ungehindert am Kläger vorbeifahren können. Der Lenker des Zugfahrzeuges, welcher von dem Unfall nichts bemerkt haben mußte, fuhr weiter und konnte nicht ausgeforscht werden.

Der Kläger begehrt gemäß § 2 VerkehrsopferG vom beklagten Fachverband die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 120.000 sA. Der Unfall sei zwar vom Unfallkommando der Bundespolizeidirektion Villach aufgenommen worden, die Ausforschung des Unfallfahrzeuges und des schuldtragenden Lenkers sei jedoch nicht möglich gewesen. Wegen der Dauer und Intensität der mit den Unfallsfolgen verbundenen Schmerzen sei der geforderte Schmerzengeldbetrag angemessen. Da der Kläger habe annehmen können, daß der Unfall entweder von den Organisatoren der Weltmeisterschaft oder vom Krankenhaus der Sicherheitsbehörde angezeigt werde, habe er auch keine Verletzung der unverzüglichen Meldepflicht zu verantworten.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Unfall habe im Freilandgebiet stattgefunden. Der Kläger habe durch die Wahl des rechten Fahrbahnrandes zum Gehen den nachkommenden Verkehr nicht beachten können. Zum Anstoß sei es auch nur gekommen, weil der Kläger im Überholzeitpunkt eine Bewegung nach links zur Straßenmitte hin gemacht habe. Es treffe ihn daher ein Mitverschulden von drei Viertel. Der Kläger habe den Schadenersatzanspruch aufgrund des VerkehrsopferG aber verwirkt, weil die Unfallmeldung nicht unverzüglich, sondern erst 24 Stunden nach dem Unfall erstattet worden sei.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, dem Kläger S 90.000 sA zu zahlen; das weitere Begehren auf Zahlung von weiteren S 30.000 sA wies es ab. Der Beklagte sei zu Leistungen an den Kläger aufgrund des VerkehrsopferG verpflichtet, weil der Lenker des Unfallfahrzeuges habe nicht ausgeforscht werden können. Eine vorsätzliche, den Entschädigungsanspruch ausschließende Verletzung der Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung des Unfalls sei dem Kläger nicht anzulasten, weil er schon wegen der Schwere der erlittenen Verletzungen nicht in der Lage gewesen sei, sofort für eine Meldung an eine Polizeidienststelle zu sorgen. Aber auch eine grob fahrlässige Verletzung dieser Meldepflicht, welche den Entschädigungsanspruch dann nicht berühre, wenn der Umfang des Schadens auch bei gehöriger Erfüllung nicht geringer gewesen wäre, sei nicht anzunehmen. Zumindest aber hätte sie keinen Einfluß auf den Schadensumfang gehabt. Den Kläger treffe allerdings an dem Unfall ein Mitverschulden im Ausmaß von einem Viertel. Die Straßenverkehrsordnung habe unabhängig von der Sperre der Straße für den öffentlichen Verkehr gegolten. Besondere Verkehrsvorschriften im Sinne des § 1 Abs 2 StVO seien nicht erlassen worden. Die Unfallstelle sei außerhalb des Ortsgebietes von St.Ulrich, somit auf einer Freilandstraße im Sinne des § 2 Abs 1 Z 16 StVO gelegen. Auf solchen Straßen hätten Fußgänger gemäß § 76 Abs 1 StVO - außer im Falle der Unzumutbarkeit - auf dem linken Fahrbahnrand zu gehen. Diese Norm bezwecke gerade, Unfälle zu verhindern, bei denen Fußgänger von hinten angefahren werden. Der Kläger habe dessen ungeachtet den rechten Fahrbahnrand benützt. Wegen des Verstoßes gegen eine Schutznorm wäre ihm der Beweis oblegen, daß der Unfall auch bei normgerechtem Verhalten im gleichen Umfang und in gleicher Schwere passiert wäre. Diesen Beweis habe er gar nicht angetreten. Da der Kläger jedoch auf dem gesperrten Gelände keinen dichten Fahrzeugverkehr habe erwarten müssen, wiege sein Verschulden weitaus geringer als ein Gehen auf dem rechten Fahrbahnrand einer stark frequentierten Freilandstraße. Den Hauptanteil des Veschuldens treffe daher den Lenker des Unfallfahrzeuges. Wegen der Schwere der erlittenen Verletzungen, insbesondere der Art, der Intensität und Dauer der Schmerzen sowie der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes durch Dauerfolgen, sei - unter Berücksichtigung der dadurch auch verursachten psychischen Schmerzen - ein Schmerzengeld im Gesamtausmaß von S 120.000 angemessen, von dem dem Kläger ein Betrag von S 90.000 zuzusprechen gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab keiner der Berufungen der Parteien Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es verneinte gleich dem Erstgericht den Ausschluß des Anspruches nach dem VerkehrsopferG wegen Verstoßes gegen die unverzügliche Meldepflicht und trat auch der erstgerichtlichen Verschuldensaufteilung bei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers gegen die Bestätigung des klagsabweisenden Teiles des Urteiles des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einer Verletzung des § 76 Abs 1 StVO im Falle der Benützung des rechten Fahrbahnrandes einer zum Unfallszeitpunkt für Zwecke einer Veranstaltung für den öffentlichen Verkehr gesperrten Freilandstraße nicht besteht; sie ist auch berechtigt.

Die grundsätzliche Leistungspflicht des Beklagten und die Höhe des Schmerzengeldanspruches sind im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Zu entscheiden ist nur noch die Frage, ob den Kläger an dem Unfall wegen des Benützens des rechten Fahrbahnrandes der Freilandstraße zum Gehen auch unter den vorliegenden Umständen ein Mitverschulden trifft. § 76 StVO regelt das Verhalten der Fußgänger im Straßenverkehr. Gemäß Abs 1 leg cit haben Fußgänger auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen. Sie dürfen nicht überraschend die Fahrbahn betreten. Sind Gehsteige oder Gehwege nicht vorhanden, so haben Fußgänger das Straßenbankett und, wenn auch dieses fehlt, den äußersten Fahrbahnrand zu benützen; hiebei haben sie auf Freilandstraßen, außer im Fall der Unzumutbarkeit, auf dem linken Straßenbankett (auf dem linken Fahrbahnrand) zu gehen. Die Fahrbahn ist nach dieser Gesetzeslage primär für den Fahrzeugverkehr bestimmt (SZ 45/37; ZVR 1981/37; ZVR 1988/28; ZVR 1989/121); Fußgänger haben bei Benützung der Fahrbahn in erster Linie selbst auf den Fahrverkehr zu achten und sich gegen dessen Gefahren zu schützen (ZVR 1979/155; ZVR 1981/37). Durch das Gebot, auf Freilandstraßen auf dem linken Straßenbankett (auf dem linken Fahrbahnrand) zu gehen, sollen gerade solche Unfälle verhindert werden, bei denen Fußgänger von hinten angefahren werden. § 76 Abs 1 StVO dient daher (auch) dem Schutz der Fußgänger (RZ 1965, 43; ZVR 1972/93; ZVR 1977/288; ZVR 1985/9 ua). Gemäß § 1 Abs 2 StVO gilt dieses Bundesgesetz für Straßen ohne öffentlichen Verkehr insoweit, als andere Rechtsvorschriften oder die Straßenerhalter nichts anderes bestimmen. Ist die Benützung einer Straße nur bestimmten Personen oder nur einem bestimmten Personenkreis gestattet, dann ist sie eine Straße ohne öffentlichen Verkehr (Benes-Messiner, StVO8 5 FN 7 zu § 1). Auch die Sperre einer öffentlichen Straße für Veranstaltungszwecke fällt daher unter den Begriff einer Straße ohne öffentlichen Verkehr im Sinne des § 1 Abs 2 StVO. Während jedoch die Vorschrift in § 76 Abs 1 StVO, daß Fußgänger auf Freilandstraßen auf dem linken Straßenbankett zu gehen haben, auf Straßen ohne öffentlichen Verkehr dem Zweck dient, die Straße für den Fahrzeugverkehr freizuhalten, kann mit der zeitlichen Sperre einer an sich dem öffentlichen Verkehr dienenden Strafe für eine Veranstaltung gerade auch der Zweck verfolgt werden, die Straße zum Gehen für den erwarteten Besucherstrom zu widmen und - wofür auch Ausnahmegenehmigungen zum Befahren mit Kraftfahrzeugen sprechen können - den Fußgängerverkehr gegenüber dem bloß geringfügigen Verkehr mit Kraftfahrzeugen zu bevorzugen. Der Schutzzweck der Norm, daß Fußgänger auf Freilandstraßen auf dem linken Straßenbankett (auf dem linken Fahrbahnrand) zu gehen haben, kommt dann aber nicht mehr zum Tragen. Benützen Fußgänger im Zuge einer solchen Veranstaltung nach der erkennbaren Widmung des Veranstalters eine für die Zwecke der Veranstaltung für den öffentlichen Verkehr gesperrte Freilandstraße, um zu Fuß zu den Orten des Veranstaltungsgeschehens zu gelangen oder das Veranstaltungsgelände wieder zu verlassen, dann kann die Benützung des rechten Fahrbahnrandes zum Gehen nicht zum Verschulden gerechnet werden.

Im vorliegenden Fall steht nur fest, daß im Unfallszeitpunkt auf der Seepromenade Abstromverkehr von Fahrzeugen in Richtung Westen geherrscht hat. Wie weit nach dem erkennbaren Willen des Veranstalters der Weltmeisterschaft die Seepromenade dem Fußgängerverkehr gewidmet war, welche Möglichkeiten also bestanden haben, innerhalb des Veranstaltungsgeländes zu Fuß zu den Orten des Veranstaltungsgeschehens zu gelangen, wurde nicht erhoben. Diente aber die Seepromenade erkennbar den Zwecken der Veranstaltungsbesucher, also insbesondere zum Gehen, dann darf dem Kläger die Benützung des rechten Fahrbahnrandes nicht als Mitverschulden angerechnet werden.

Mangels ausreichender Feststellungen über die Widmung der Seepromenade während ihrer Sperre für den öffentlichen Verkehr für die Dauer der Weltmeisterschaft liegt daher ein Feststellungsmangel vor, welcher zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht zu seiner Behebung führen mußte.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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