OGH 10ObS217/93

OGH10ObS217/9328.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Friederike Grasmuk (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann S*****, ohne Beschäftigung, *****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 1993, GZ 13 Rs 30/93-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. November 1992, GZ 15 Cgs 228/91-12, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der am 9.12.1945 geborene Kläger erlernte keinen Beruf und brach eine Installateurlehre vorzeitig ab. Von 1961 bis 1971 war er mit einer Unterbrechung durch den Präsenzdienst als angelernter Schlosser und Schweißer bei einem Unternehmen in F***** und seit 1.10.1973 bis zu seinem Krankenstand (August 1991) bei einem Unternehmen in L***** als Stahlbauschweißer beschäftigt. Die Schweißarbeiten waren zu 90 % in Zwangslagen (kniend, über Kopf oder von einer Leiter aus) durchzuführen. Es handelte sich vorwiegend um Schutzgas-, MIG- und fallweise Elektrodenschweißung. Der Kläger nahm auch an großen Maschinenteilen, Rahmen, Industrieöfen usw. Schweißungen vor. Dabei mußte er fallweise bis zu maximal 80 bis 100 kg schwer heben. Im Jahr 1966 legte er nach einem 120 Stunden dauernden Kurs eine Prüfung für Elektroschweißen ab. Darüber hinaus unterzog er sich ungefähr alle zwei bis zweieinhalb Jahre einer Prüfung beim TÜV im Lichtbogen- oder Schutzgasschweißen, was für seine Tätigkeit vorgeschrieben war. Er hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend Arbeiten in den wichtigsten Schweißverfahren durchgeführt. In einem Kurs lernte er auch das verdeckte Lichtbogenschweißen, übte dieses aber nie aus, weil im Betrieb ein entsprechendes Gerät nicht vorhanden war. So verhielt es sich auch mit dem Unterpulverschweißen. Vor 20 Jahren nahm er auch Preßschweißen vor. Kaltpreßschweißen ist ihm unbekannt. Metallklebearbeiten, Berechnungen oder Zeichnungen und Skizzen hat der Kläger nie gemacht. Fachrechnen und Fachzeichnen sind ihm fremd. Schweißschablonen und Schweißlehren machte er nicht selbst, erteilte aber den Schlossern Anweisungen. Andere Tätigkeiten wie Messen, Anreißen, Feilen, Sägen, Bohren, Senken, Gewindeschneiden, Nieten, einfaches Schmieden, Fugenhobeln, Brennschneiden mit Maschinen, Kleben, Skizzieren und Kuststoffschweißen übte er zeitweise im Betrieb aus. Die Kenntnisse dazu erwarb er sich vor allem in Kursen. Autogenschweißen, MAG- und CO2-Schweißen sind Hauptverfahren, die ein Universalschweißer jedenfalls beherrschen muß und die der Kläger auch tatsächlich beherrscht. Weiters führte er auch noch das WIG-Verfahren und das MIG-Verfahren sowie Auftragsschweißarbeiten und selten auch Grauguß- und Aluminiumschweißarbeiten durch. Das von ihm nicht beherrschte Fachrechnen und Fachzeichnen wird bei der Lehrabschlußprüfung für Universalschweißer geprüft. Auch gelernte Schweißer werden aber in der Praxis nur punktuell eingesetzt und haben sich größtenteils spezialisiert. In der Praxis ist es teilweise nicht notwendig, Berechnungen und Zeichnungen selbst auszuführen, man muß sie jedoch lesen können. Dennoch ist Fachrechnen und Fachzeichnen in den Metallfacharbeiterberufen ein wesentlicher Punkt des Berufsbildes und Hauptgegenstand in den Berufsschulen.

Aufgrund verschiedener krankhafter Veränderungen ist der Kläger nur mehr imstande, leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten durchzuführen. Auszuschließen sind Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, in schwindelexponierten Lagen, Arbeiten, die mit Rauch, Staub, Kälte, Nässe und Zugluft verbunden sind oder die das Heben und Tragen von mehr als 15 kg erforderlich machen. Nicht zumutbar sind Arbeiten unter besonderer psychischer Belastung wie Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit. Auszuschließen sind ferner Arbeiten in kniender Körperhaltung oder mit den Armen über Schulterhöhe und solche, bei denen eine Kraftentfaltung beider Hände notwendig ist.

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 25.10.1991 wurde der Antrag des Klägers vom 30.8.1991 auf Gewährung einer Invaliditätspension abgewiesen.

Das Erstgericht erkannte das dagegen erhobene Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger ab 1.9.1991 die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, als dem Grunde nach zu Recht bestehend und trug der Beklagten auf, dem Kläger ab 1.9.1991 eine vorläufige Zahlung von S 5.000,-- monatlich zu erbringen. Es gelangte nach detaillierter Darstellung der Anforderungen und Tätigkeiten eines Universalschweißers zu dem Ergebnis, daß der Kläger einen Großteil der im Berufsbild des Universalschweißers enthaltenen Fertigkeiten beherrsche. Die von ihm nicht erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten seien nur Teilkenntnisse des gesamten Berufsbildes, die nicht ausschlaggebend seien. Zu berücksichtigen sei auch, daß beim Beruf des Schweißers in der Praxis eine sehr starke Spezialisierung eingetreten sei, so daß auch gelernte Schweißer jeweils nur Teiltätigkeiten ausübten. Kaltpreßschweißen, verdecktes Lichtbogenschweißen, Unterpulverschweißen, Termitschweißen und Preßschweißen seien verschwindend geringe Teiltätigkeiten, deren Nichtkenntnis keinen Einfluß auf die Qualifikation als Universalschweißer habe. Auch die Erstellung von Zeichnungen und Berechnungen sowie das Anfertigen von Skizzen seien untergeordnet; ausschlaggebend sei, daß der Kläger Zeichnungen lesen könne. Er genieße daher Berufsschutz als angelernter Universalschweißer. Diesen Beruf könne er nicht mehr ausüben, insbesondere auch nicht die innerhalb der Berufsgruppe liegende Tätigkeit eines Einstellers von mettallverarbeitenden Maschinen oder eine Zwischen- bzw. Endkontrollors.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes über den Berufsverlauf und die vom Kläger erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten und billigte auch die Rechtsansicht, daß der Kläger Berufsschutz als angelernter Universalschweißer genieße. Das Verfahren sei aber nicht spruchreif, weil ausreichende Feststellung zur Beurteilung seiner Verweisbarkeit innerhalb der Berufsgruppe fehlten.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist, weil es zweckmässig sei, vorerst endgültig zu klären, ob der Kläger überwiegend eine angelernte Tätigkeit ausgeübt habe, um bei Verneinung dieser Frage einen überflüssigen Verfahrensaufwand zur Klärung der Verweisungsmöglichkeiten zu vermeiden. daß es für den Kläger, wenn ihm kein Berufsschutz zukommen sollte, noch ausreichend Verweisungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gebe, sei nicht strittig.

Gegen diesen Beschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, den Beschluß aufzuheben und in der Sache selbst das Klagebegehren abzuweisen.

Der Kläger erstattete keine Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, daß nach den erstgerichtlichen und vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen nicht davon auszugehen sei, daß der Kläger angelernter Universalschweißer sei. Die vom Kläger nicht beherrschten Schweißtechniken und die mangelnden Kenntnisse im Fachzeichnen und Fachrechnen seien ein wesentlicher Punkt des Berufsbildes. Da der Kläger keine speziellen Kenntnisse besitze, die die Fehlkenntnisse im Lehrberuf aufwiegen könnten, sei die Annahme einer Qualifikation auszuschließen.

Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden. Ein angelernter Beruf iS des § 255 Abs 2 ASVG liegt vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten müssen nicht die eines bestimmten geregelten Lehrberufes sein, allerdings den in einem Lehrberuf erworbenen besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten an Umfang und Qualität entsprechen. Wie das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, ist nicht der Nachweis des Vorliegens aller Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich, die nach den Ausbildungsvorschriften zum Berufsbild eines Lehrberufes zählen und daher einem Lehrling während der Lehrzeit zu vermitteln sind. Es kommt vielmehr darauf an, daß ein angelernter Arbeiter über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die üblicherweise von ausgelernten Facharbeitern des jeweiligen Berufes in dessen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten (Berufsgruppen) unter Berücksichtigung einer betriebsüblichen Einschulungszeit verlangt werden. Hingegen reicht es nicht aus, wenn sich die Kenntnisse und Fähigkeiten auf ein oder mehrere Teilgebiete eines Berufes erstrecken, der von ausgelernten Facharbeitern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird (SSV-NF 3/70, 4/80, 6/69 jeweils mwN u.a.). Die Kenntnisse und Fähigkeiten für einen angelernten Beruf können im Fall des Klägers an den Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf Universalschweißer gemessen werden (siehe Anlage 13 zum BGBl. 1975/347 idF BGBl. 1980/277). Dabei gehört die Feststellung der Kenntnisse und Fähigkeiten, über die der Versicherte verfügt, zur Tatfrage, die Beurteilung, ob er in einem angelernten Beruf tätig war, zur rechtlichen Beurteilung (SSV-NF 6/69 u.a.; vgl. auch OLG Wien SSV 26/47 und 79).

Den Vorinstanzen ist beizupflichten, daß der Kläger bei Berücksichtigung des genannten Berufsbildes über jene Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die üblicherweise von gelernten Universalschweißern in den auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten dieses Berufes verlangt werden. Auch wenn er die eine oder andere in der Praxis eher untergeordnete Schweißtechnik wie etwa das Kaltpreßschweißen nicht beherrscht und auch keine Kenntnisse im Fachzeichnen und Fachrechnen hat, so kann doch keine Rede davon sein, daß sich seine Kenntnisse und Fähigkeiten nur auf ein oder mehrere Teilgebiete eines Tätigkeitsbereiches beschränken, der von ausgelernten Universalschweißern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird. Nach den Feststellungen ist es in der Praxis nämlich teilweise nicht notwendig, Berechnungen und Zeichnungen selbst anzufertigen, sondern der Schweißer muß sie nur lesen können. Nach den Bestimmungen über das Berufsbild (BGBl. 1980/277) ist das Lesen von Fertigungszeichnungen und Schweißplänen sowie das Skizzieren gefordert, nicht aber Fachzeichnen und Fachrechnen, wenngleich nicht übersehen werden soll, daß es sich bei Fachrechnen und Fachzeichnen um Prüfungsgegenstände im Sinne der Prüfungsordnung für die Lehrabschlußprüfung im Lehrberuf Universalschweißer handelt (vgl. bereits BGBl. 1975/328). Wird aber in der Praxis auch von gelernten Universalschweißern teilweise nicht verlangt, Berechnungen und Zeichnungen selbst anzufertigen, dann kann dem Fehlen solcher Kenntnisse keine entscheidende Bedeutung zukommen. Ähnliches gilt auch für verschiedene, eher seltene Schweißtechniken wie das Kaltpreßschweißen, das übrigens auch im beschriebenen Berufsbild nicht aufscheint.

Die Rekurswerberin vermißt schließlich Feststellungen darüber, ab welchem Zeitpunkt der Kläger als angelernt im Sinne des Gesetzes gelten könne. Die Zeit der Anlernung habe nämlich als Zeit der Ausübung einer unqualifizierten Tätigkeit zu gelten, so daß die exakte Feststellung des Zeitpunktes des Erlangens einer Qualifikation zur Beurteilung, ob diese Tätigkeit auch überwiegend qualifikationserhaltend ausgeübt wurde, unabdingbar sei. Auch insoweit ist dem Rekurs nicht zu folgen. Aus dem festgestellten Berufsverlauf des Klägers geht hervor, daß dieser bereits in den Jahren 1961 bis 1971 als angelernter Schlosser und Schweißer tätig war und insbesondere seit 1973 bei einem Stahlbauunternehmen als Stahlbauschweißer arbeitete. Angesichts des Stichtages 1.9.1961 kann daher kein Zweifel daran bestehen, daß der Kläger die angelernten Tätigkeiten überwiegend iS des § 255 Abs 2 ASVG, also in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag, ausübte. Weiterer Feststellungen bedurfte es in diesem Zusammenhang nicht.

Im übrigen erhebt die Rekurswerberin gegen die dem Erstgericht vom Berufungsgericht erteilten Aufträge zur Ergänzung des Verfahrens keinen Einwand.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

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