OGH 15Os145/93

OGH15Os145/9328.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Oktober 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner und Dr.Kuch als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Freyer als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Wels zum AZ 18 Vr 809/93 anhängigen Strafsache gegen Maria B*****-J***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3, 148 zweiter Fall StGB sowie § 15 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, über die Grundrechtsbeschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 12.August 1993, AZ 7 Bs 240,247/93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Maria B*****-J***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Die in den an den Obersten Gerichtshof gerichteten Schriftsätzen der Genannten vom 9.September, 6.Oktober und 11.Oktober 1993 der Sache nach enthaltenen (neuerlichen) Grundrechtsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Über Maria (auch Maria Rosemarie; s.jedoch S 63/III) B*****-J***** wurde auf Grund eines Beschlusses der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Wels vom 18.Juni 1993 (S 97/II) gemäß § 180 Abs. 1, Abs. 2 Z 1 StPO am 20.Juni 1993 die Untersuchungshaft verhängt (S 373 b/I). Mit Beschluß der Untersuchungsrichterin vom 22.Juli 1993 (S 451/II) wurde die Untersuchungshaft sodann auch aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs. 2 Z 3 lit b StPO verhängt, was der Beschuldigten am 22.Juli 1993 kundgemacht wurde (S 373 f/I).

Bereits am 15.Juli 1993 hatte die Ratskammer des Landesgerichtes Wels einem Antrag der Beschuldigten auf Enthaftung nicht Folge gegeben und ausgesprochen, daß die über sie verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 180 Abs. 1, Abs. 2 Z 1 StPO fortzusetzen sei (S 401 ff/II).

Gegen den Beschluß der Untersuchungsrichterin vom 22.Juli 1993 erhob die Beschuldigte Beschwerde. Die Ratskammer des Landesgerichtes Wels gab dieser Beschwerde mit dem Beschluß vom 30.Juli 1993 (S 11 f/IV) nicht Folge und sprach aus, daß die über die Beschuldigte verhängte Untersuchungshaft auch aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs. 1, Abs. 2 Z 3 lit b StPO fortzudauern habe.

Rechtliche Beurteilung

Den gegen die beiden bezeichneten Beschlüsse der Ratskammer erhobenen Beschwerden der Beschuldigten wurde vom Oberlandesgericht Linz mit dem Beschluß vom 12.August 1993 (S 267 ff/VI) nicht Folge gegeben.

Dieser Beschluß wird von der Beschuldigten mit Grundrechtsbeschwerde angefochten.

Da dem Vorlagebericht der Untersuchungsrichterin vom 16.September 1993 der Zeitpunkt der Zustellung des bekämpften Beschlusses nicht eindeutig zu entnehmen und eine Klärung an Hand der dem Obersten Gerichtshof vorgelegten Aktenablichtungen nicht möglich war, wurden zunächst entsprechende ergänzende Erhebungen veranlaßt. Die Untersuchungsrichterin berichtete hierauf, daß der Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz einem Angestellten der Kanzlei des Verteidigers entweder am Montag, dem 16.August 1993, oder am Dienstag, dem 17.August 1993, ohne Zustellnachweis ausgehändigt wurde. In der Grundrechtsbeschwerde wird behauptet, die Zustellung sei am 17.August 1993 erfolgt. Davon ist mangels einer gegenteiligen Beurkundung auszugehen. Nach dem dem Obersten Gerichtshof nunmehr (am 12. Oktober 1993) vorgelegten Kuvert wurde die Grundrechtsbeschwerde am 31.August 1993 zur Post gegeben. Sie ist somit als rechtzeitig eingebracht anzusehen.

Im bekämpften Beschluß des Oberlandesgerichtes wurde das Bestehen eines dringenden Tatverdachtes (§ 180 Abs. 1 StPO) in Ansehung eines von Maria B*****-J***** verübten Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3, 148 zweiter Fall StGB sowie § 15 StGB angenommen, und zwar hinsichtlich einer Reihe im Zeitraum zwischen 1988 und 1993 begangener betrügerischer Handlungen, nämlich getätigter Warenbestellungen, wodurch sie Warenlieferungen im Gesamtwert von zumindest 300.000 S erlangte, weiters des unter einem Falschnamen getätigten Anbotes des Ankaufes einer Liegenschaft und der wiederholten Vorspiegelungen, Kredite vermitteln zu können, womit sie Anzahlungen und Bearbeitungsgebühren herauslockte und dadurch eine Reihe von Personen um mehrere Millionen Schilling schädigte; überdies hielt das Oberlandesgericht einen dringenden Tatverdacht auch in der Richtung des Vergehens der Vollstreckungsvereitelung nach § 162 Abs. 1 StGB gegeben, weil die Beschuldigte im Verfahren AZ E 198/89 des Bezirksgerichtes Mondsee Sachen in einem Schätzwert von insgesamt 7.000 S beiseite geschafft habe.

Die Annahme eines dringenden Tatverdachtes wird in der Grundrechtsbeschwerde der Beschuldigten nicht mehr bekämpft. Es genügt demnach insoweit der Hinweis auf die durchaus zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichtes Linz, dem nur noch - hauptsächlich auf Grund der zeitlich nach dem angefochtenen Beschluß eingelangten Erhebungsergebnisse - beigefügt sei, daß die Beschuldigte auch im dringenden Verdacht steht, eine von ihr zedierte Forderung von 53.911,20 S dennoch selbst kassiert zu haben (ON 14/I), den Preis von erstandenen Geschäftsanteilen in der Höhe von 130.000 S nicht bezahlt zu haben (S 381 ff/I), bei einer Sparkasse Darlehensschulden von ca 750.000 S eingegangen zu sein (S 17/II) und aus den - vom Oberlandesgericht Linz pauschal bezeichneten - Kreditvermittlungsgeschäften in 34 Fakten einen Schaden von über 30 Millionen Schilling tatsächlich herbeigeführt und einen solchen von weiteren rund 63 Millionen Schilling herbeizuführen versucht zu haben, wobei nach den bisherigen Erhebungsergebnissen indiziert ist, daß sie bei diesen Tathandlungen mit ausländischen Komplizen nach Art grenzüberschreitender organisierter Kriminalität zusammenarbeitete (Erhebungsberichte Bände III, V, VII, VIII und IX); hiezu stehen Erhebungsberichte zu weiteren 20 Fakten noch aus (S 67 f/IX).

Das Oberlandesgericht begründete die Annahme der Fluchtgefahr damit, daß die Beschuldigte nach Einbringung eines Strafantrages vom 22.Juni 1989 (S 133/I) unsteten Aufenthaltes war und sich Jahre hindurch nicht angemeldet an verschiedenen Adressen in Graz aufhielt, über internationale Beziehungen verfügt und die Absicht angekündigt hatte, nach Neuseeland auszureisen, wozu die Strafdrohung des § 148 zweiter Strafsatz StGB in Relation zu setzen sei.

Die dagegen ins Treffen geführten Beschwerdeargumente versagen.

Ihre Erklärungen gegenüber dem Quartiergeber C*****, nach Neuseeland auswandern zu wollen, bezeichnet die Beschuldigte einerseits als "nur aus Spaß abgegeben" (S 398/II), andererseits - vor allem nunmehr in der Grundrechtsbeschwerde - als Vorwand zur Erreichung einer vorzeitigen Auflösung des Mietverhältnisses.

Diesem Vorbringen steht jedoch entgegen, daß - wie bereits das Oberlandesgericht Linz ausführte - konkrete Umstände die Ernsthaftigkeit des Fluchtvorhabens indizieren, nämlich die Angaben der Christine B*****-R*****, wonach der Flug nach Neuseeland mit der Beschuldigten bereits vereinbart war (S 133/II), sowie die Tatsache, daß die Beschuldigte ihre Absicht auszuwandern in einem Schreiben vom 3. Mai 1993 zum Ausdruck gebracht (S 305/II) und in einer Vernehmung vom 17.Juni 1993 eingestanden hat, "am kommenden Montag" (21.Juni 1991) zusammen mit Christine B*****-R***** nach Neuseeland verreisen gewollt zu haben (S 155/II). Dem ist nur noch hinzuzufügen, daß sie auch einem Rechtsanwalt gegenüber ihre Absicht, nach Neuseeland ausreisen zu wollen, erklärte (S 89/II).

Ihrer Behauptung, ihre Erklärung gegenüber C***** hätte nur zur Erwirkung einer vorzeitigen Auflösung des Mietverhältnisses gedient, steht entgegen, daß sie im Schreiben vom 3.Mai 1993 (S 305/II) in erster Linie die Verrechnung der Miete aus einer erlegten Kaution begehrte und nur hilfsweise die Auflösung des Mietvertrages.

Der Umstand, daß bei der Beschuldigten kein Flugticket vorgefunden wurde, steht der Annahme des Fluchtvorhabens ebensowenig entgegen, wie die behauptete Mittellosigkeit zum Zeitpunkt der Festnahme. Verfügt doch die Beschuldigte nach den bisherigen Erhebungsergebnissen über Beziehungen ins Ausland, namentlich nach Deutschland, von wo aus mit von dort zur Verfügung stehenden Mitteln ein Flug ins entfernt gelegene Ausland angetreten werden könnte. Soweit die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf einen Bescheid der Post- und Telegraphendirektion für Oberösterreich und Salzburg vom 6. November 1992 (S 9 b/IV), mit dem ihr nach ihrem verstorbenen Ehemann ein Witwenversorgungsgenuß von 18.206,90 S und eine Nebengebührenzulage von 2.095,10 S gewährt wurde, und unter Hinweis auf § 35 Abs. 1 PensionsG 1965 vermeint, daß dadurch ein Fluchtanreiz ausgeschlossen sei, ist zwar einzuräumen, daß die Bezüge im Inland - in der Regel auf ein Scheckkonto bei der Österreichischen Postsparkasse oder auf ein Girokonto bei einer anderen inländischen Kreditunternehmung - zu überweisen sind, die Beschwerdeführerin übergeht indessen, daß kein Hindernis besteht, das inländische Geldinstitut anzuweisen, die dort eingegangenen Beträge ins Ausland weiter zu überweisen (vgl § 35 Abs. 5 PensionsG 1965), in welchem Zusammenhang anzumerken ist, daß sich die Beschuldigte selbst noch aus der Untersuchungshaft einer Rechtsanwältin gegenüber berühmte, mit einer Kapitalbank in Bahrein in geschäftlicher Beziehung zu stehen (S 189/VI).

Entgegen den Beschwerdeausführungen konnte das Oberlandesgericht Linz zutreffend auch auf die Strafdrohung Bezug nehmen. Denn angesichts des dringenden Verdachtes gewerbsmäßig verübter Betrügereien mit einem Gesamtschaden von vielen Millionen Schilling ist für den Fall des Schuldspruches mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe in einer solchen Dimension zu rechnen, daß auch dadurch ein Fluchtanreiz gegeben ist.

Soweit die Beschwerdeführerin vermeint, durch Abnahme der "Reisepapiere" (gemeint offenbar: des Reisepasses) könne eine Ausreise nach Neuseeland verhindert werden, übersieht sie, daß damit eine Ausreise etwa nach Deutschland, wo sich nach den bisherigen Erhebungsergebnissen ersichtlich Komplizen aufhalten, nicht unmöglich gemacht wird, und daß - vor allem - dadurch die konkrete Befürchtung, sie werde - wie ihr dies schon einmal gelungen ist - abermals sich in Österreich verbergen und hier im Untergrund leben, keinesfalls ausgeräumt werden kann. Gerade das letztbezeichnete Verhalten während einer Strafverfolgung von bloß bescheidenem Umfang (vgl erneut S 133/I) läßt den Schluß zu, daß die Beschuldigte beim Umfang der nunmehrigen Strafverfolgung umso eher einem Fluchtimpuls erliegen wird.

Die Tatbegehungsgefahr wurde vom Oberlandesgericht Linz unter Hinweis auf die Vielzahl der Fakten, den langen Tatzeitraum, den Umstand, daß die Beschuldigte in Kenntnis eines gegen sie anhängigen Strafverfahrens neuerlich gewerbsmäßig Betrügereien beging, und ihre auch durch mehrmalige Ablegung des Offenbarungseides gekennzeichnete triste finanzielle Situation sowie im Hinblick darauf angenommen, daß sie auch nach ihrer Einvernahme wegen eines der ihr angelasteten Kreditvermittlungsfakten und sogar noch aus der Untersuchungshaft versucht hatte, die Tätigkeit in dieser Angelegenheit fortzusetzen.

Auch dem dagegen remonstrierenden Beschwerdevorbringen kommt keine Berechtigung zu.

Aus dem mit der Beschuldigten am 25.Juni 1992 (S 109 ff in ON 48/II iVm S 59/II) aufgenommenen Protokoll geht unzweifelhaft hervor, daß hinsichtlich des Kreditvermittlungsfaktums P***** SA der Verdacht betrügerischen Vorgehens auf ihr ruhte; wurde ihr doch die Unglaubwürdigkeit ihrer Verantwortung vorgehalten, wobei sie sich weigerte, Unterlagen über die von ihr behauptete Beschaffung einer Bankgarantie vorzuweisen. Da sie danach dennoch - im "Untergrund" lebend - erneut einen Betrag von 12.000 US-Dollar aus dieser Verbindung zu erlangen trachtete (S 59/II) und in einem anderen Fall (T*****) sogar aus der Untersuchungshaft heraus in gleicher Weise versuchte, die Verbindung fortzusetzen (S 435 ff/II), kann der Beschwerdebehauptung der Beschuldigten, sie sei von der Rechtmäßigkeit ihrer Handlungsweise überzeugt gewesen, ebensowenig Gewicht beigemessen werden wie ihrer nunmehrigen Beteuerung, jetzt keinerlei Vermittlungstätigkeit im Zusammenhang mit Bankgarantien mehr entfalten zu wollen. Die erfolgte Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen ist dabei gleichfalls nicht von Bedeutung, zumal solche im Zusammenwirken mit ausländischen Komplizen rekonstruiert werden könnten.

Angesichts des dringenden Verdachtes einer in vielfachen Angriffen fortlaufend verübten Vermögensdelinquenz, und zwar in gesteigertem Maße in der Art international organisierter Kriminalität nach Einleitung eines Strafverfahrens, dem sich die Beschuldigte vorerst mit Erfolg entzog, vermag auch die bisherige Unbescholtenheit nichts an der Annahme einer Tatbegehungsgefahr zu ändern. Die finanzielle Situation der Beschuldigten, gegen die eingestandenermaßen Forderungen in Millionenhöhe bestehen, ist so gestaltet, daß auch der Witwenversorgungsgenuß - von dem realistischerweise zu besorgen ist, daß er der Beschuldigten nur in der Höhe des Existenzminimums verbleibt - und das - nicht erzwingbare - Versprechen eines Freundes, für Wohnung und Verpflegung aufzukommen (S 9 a/IV), nichts an der Annahme einer bestehenden Tatbegehungsgefahr zu ändern vermögen.

Eine Unverhältnismäßigkeit der Haft wird von der Beschwerdeführerin nicht behauptet; nach den Umständen des Falles ist sie aber auch - jedenfalls derzeit - nicht gegeben.

Aus den angeführten Gründen war der Grundrechtsbeschwerde daher ein Erfolg zu versagen, womit auch ein Aussspruch über die begehrten Kosten entfällt.

Die in den unmittelbar an den Obersten Gerichtshof gerichteten Schriftsätzen der Beschuldigten vom 9.September, 6.Oktober und 11. Oktober 1993 der Sache nach enthaltenen (neuerlichen) Grundrechtsbeschwerden - die nicht von einem Verteidiger unterfertigt sind - waren schon deshalb a limine (und ohne Verbesserungsauftrag) zurückzuweisen, weil sie, bezogen auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 12.August 1993, verspätet sind. Sollten sie hingegen als Ergänzung der vom Verteidiger (fristgerecht) erhobenen Grundrechtsbeschwerde gedacht sein, so war darauf deshalb nicht Bedacht zu nehmen, weil grundsätzlich nur eine Ausführung der Grundrechtsbeschwerde zulässig ist (NRsp 1993/142 ua).

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