Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:
Das Klagebegehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 187.729,50 samt 4 % Zinsen seit 1. März 1990 zu zahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S
83.475 (darin enthalten S 9.162,50 Umsatzsteuer und S 28.500 Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Zwischen den Streitteilen besteht für einen PKW Mazda 626 ein Kaskoversicherungsvertrag. Am 3.Februar 1990 fuhr der Kläger mit diesem PKW mit drei Beifahrern in den frühen Morgenstunden auf der Südautobahn von Wien kommend Richtung Graz. Es herrschten sonnige Wetterverhältnisse, die Fahrbahn war durchgehend trocken. Kurz vor Hartberg, etwa beim Baukilometer 80, überholte der Kläger ein auf dem rechten Fahrstreifen fahrendes Fahrzeug; dabei hielt er eine Geschwindigkeit von ca. 160 km/h ein. Nach der Beendigung des Überholvorganges verblieb der Kläger im Zuge des Einfahrens in eine langgezogene Rechtskurve auf dem linken Fahrstreifen. Dabei verringerte er die Geschwindigkeit geringfügig, blieb jedoch über der zulässigen Autobahnhöchstgeschwindigkeit von 130 km/h. Als im Zuge des Durchfahrens der Kurve der Radioempfang schlechter wurde, wollte der Kläger den Sendersuchlauf betätigen und blickte deshalb kurz von der Fahrbahn weg zum Autoradio; dabei löste er auch kurz den Griff der rechten Hand vom Lenkrad und beugte sich etwas vor. Nachdem er die Sendersuchlauftaste angetippt hatte, geriet der Kläger infolge eines Lenkfehlers mit dem linken Vorderrad über die linke Fahrbahnbegrenzung in den zwischen der Leitschiene und der Fahrbahn befindlichen, tiefer gelegenen Wiesenstreifen. Die linken Räder seines Fahrzeuges hakten wegen des Niveauunterschiedes ein und erzeugten ein stark schepperndes Geräusch. Da der Kläger annahm, daß er gegen die Leitschiene gestoßen sei, verriß er sein Fahrzeug nach rechts, um wieder auf die Fahrbahn zu gelangen; dabei schlug er jedoch zu stark ein, sodaß sein Fahrzeug quer über die Fahrbahn über die rechte Fahrbahnbegrenzung hinaus auf eine Böschung hinauffuhr. Beim Zurückfahren von der Böschung auf die Fahrbahn stießen die Vorderräder gegen die zwischen rechter Fahrbahnbegrenzung und Böschung befindliche Betonrinne, wodurch sich das Fahrzeug überschlug und mit dem Dach auf der Fahrbahn dahinschlitterte. Bei diesem Unfall entstand an dem versicherten Fahrzeug Totalschaden. Der zu ersetzende Zeitwert beträgt abzüglich des vereinbarten Selbstbehaltes S 187.729,50. Die maximale Kurvengeschwindigkeit beträgt unter den gegebenen äußeren Verhältnissen für durchschnittliche Autofahrer 130 km/h.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Bezahlung des Betrages von S 187.729,50 sA. Die Beklagte sei auf Grund des bestehendes Kaskoversicherungsvertrages zur Leistung verpflichtet. Dem Kläger sei zwar ein Lenkfehler unterlaufen, grobe Fahrlässigkeit habe er aber nicht zu verantworten. Er habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur geringfügig überschritten und die rechte Hand nur kurz vom Lenkrad genommen, um den automatischen Sendersuchlauf zu bedienen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wendet Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles ein.
Das Erstgericht gab der Klage statt. In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, daß dem Kläger eine von der Beklagten geltend gemachte Obliegenheitsverletzung gemäß § 6 Abs 2 VersVG nicht vorzuwerfen sei.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die bereits wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichts und trat in rechtlicher Hinsicht dessen Ansicht entgegen, daß die Beklagte Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung geltend gemacht habe. Maßgebend sei vielmehr der gesetzliche Risikoausschluß des § 61 VersVG. Die von der Beklagten geltend gemachte grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles liege jedoch nicht vor: Die bloße Verletzung von Verkehrsvorschriften könne für sich allein nicht grobe Fahrlässigkeit begründen. Die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit sei übrigens nur geringfügig gewesen. Mit dem kurzen Antippen der Sendersuchlauftaste eines Autoradios sei auch keine besondere Gefahr verbunden gewesen, die sonst beim Suchen von Gegenständen im Wageninneren gegeben sei. Daher könne auch diese Manipulation den für die Leistungsfreiheit erforderlichen Schuldvorwurf nicht begründen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, weil das Berufungsgericht mit seiner Beurteilung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, wonach die Beurteilung des Verschuldensgrades beim Zusammentreffen mehrerer Fehlverhalten nicht zergliedernd, sondern auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu erfolgen hat; sie ist auch berechtigt.
Nach einheitlicher Rechtsprechung liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers aus der Menge der sich auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt (SZ 61/280 mwN). Im Bereich des Versicherungsvertragsrechtes wird grobe Fahrlässigkeit immer dann angenommen, wenn der Versicherungsnehmer schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht anstellt und Maßnahmen nicht ergreift, die jedermann einleuchten müßten (SZ 56/166; VR 1988, 329; zuletzt etwa 7 Ob 10/93). Auch einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Fehlhandlungen können in ihrer Gesamtheit den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen (VersR 1980, 884; VR 1988, 329; VR 1991, 325).
Eine Häufung in ihrer Gesamtheit als grob fahrlässig zu beurteilender Fehlverhalten unter Umständen, die besondere Aufmerksamkeit erfordert hätten, liegt aber auch hier vor: Der Kläger hielt eine höhere als die auf Autobahnen zulässige Höchstgeschwindigkeit auch beim Durchfahren einer langgezogenen Rechtskurve ein, welche auch fahrtechnisch gesehen für Durchschnittsfahrer wegen der dabei auftretenden Querbeschleunigung zu hoch war. Dabei blieb er auf dem linken Fahrstreifen, auf dem die Gefahr des Hinausgetragenwerdens über die linke Fahrbahnbegrenzung größer ist als auf dem rechten Fahrstreifen. Unter diesen, besondere Aufmerksamkeit des Fahrers fordernden Umständen entschloß sich der Kläger dennoch zu der mit dem Fahren nicht notwendig verbundenen Betätigung des Sendersuchlaufes seines Autoradios, wozu er kurzzeitig den Blick von der Fahrbahn abwenden und auch eine Veränderung seiner Sitzposition vornehmen mußte. Das vermeidbare Außerachtlassen einer ausreichenden Beobachtung des Kurvenverlaufes unter solchen Umständen muß dem Kläger aber als grober Verstoß gegen die bestehende Sorgfaltspflicht vorgeworfen werden. Der Entscheidung SZ 61/280, auf die sich die Revisionsbeantwortung beruft, lag ein anderer Sachverhalt zugrunde; das Bücken des Fahrzeuglenkers nach einem herabgefallenen Gegenstand wurde darin deshalb als nicht grob fahrlässig beurteilt, weil es nicht im Zusammenhang mit einer schon vorher erhöhten Gefahr gestanden war.
In Stattgebung der Revision waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher im Sinne der Abweisung der Klage abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die des Rechtsmittelverfahrens zusätzlich auf § 50 ZPO.
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