OGH 3Ob541/93

OGH3Ob541/9320.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Eleonore W*****, und 2. Peter W*****, vertreten durch Dr.Gerald Kleinschuster, Dr.Hans Günther Medwed und Dr.Gert Kleinschuster, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Johanna G*****, vertreten durch Dr.Andreas Konrad, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 14.April 1993, GZ 3 R 345/92-20, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 21.September 1992, GZ 8 C 564/91s-15, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung

Die Beklagte ist Mieterin der im Hause S*****, im Erdgeschoß vom hofseitigen Eingang links gelegenen Wohnung top.Nr.7, bestehend aus Vorraum, Küche, drei Zimmern, einem Badezimmer mit WC und einem Raum im ersten Stock sowie zwei PKW-Abstellplätzen und einem Abstellplatz im Hof. Sie hat seit 1.7.1991 ein monatliches Entgelt (incl. Umsatzsteuer) von S 3.500,-- (reine Miete: S 1.000,--; Betriebskostenakonto: S 2.200,--; Stromakonto: S 300,--) zu bezahlen.

Die Kläger sind je zur Hälfte Miteigentümer des Hauses S*****.

Sie stützten ihr Kündigungsbegehren auf § 30 Abs.1 und Abs.2 Z 1 und 3 MRG. Die Beklagte sei mit einem Mietzinsrest im Betrage von S 3.801,82 und mit einem Betrag von S 300,-- aus der Stromabrechnung in Zahlungsverzug. Sie sei verpflichtet, den Mietzins jeweils am Monatsersten im vorhinein zu bezahlen, tatsächlich erfolge die Zahlung regelmäßig erst gegen Monatsende. Darin liege ein grob unleidliches und schikanöses Verhalten, zumal die Beklagte über ausreichende Geldmittel verfüge und wisse, daß die Kläger aufgrund deren Zahlungsverpflichtungen auf den pünktlichen Eingang der Mietentgelte angewiesen seien. Da die Nichtzahlung eines Teils des Mietzinses schikanös erfolge, treffe die Beklagte am Auflaufen des Zahlungsrückstandes ein grobes Verschulden. Die Kläger begehrten daher, der Beklagten aufzutragen, den Bestandgegenstand von den nicht in Bestand gegebenen Gegenständen längstens binnen 14 Tagen nach Ablauf der Bestandzeit, d.i. bis zum 14.11.1991, zu räumen und den Klägern geräumt zu übergeben, oder gegen die Aufkündigung binnen 14 Tagen Einwendungen einzubringen.

Gegen den diesen Antrag bewilligenden Beschluß erhob die Beklagte Einwendungen und begehrte die Aufhebung der Aufkündigung sowie die Abweisung des Klagebegehrens. Sie bestritt die Richtigkeit der Mietzinsvorschreibung und auch die der Betriebskostenabrechnung. Im Wege der Mietervereinigung seien die Kläger aufgefordert worden, der Beklagten Einsicht in die Belege zu gewähren, was aber verweigert worden sei. Die Beklagte habe mit der ursprünglichen Vermieterin des Bestandobjektes - ihrer Mutter - vereinbart, daß der Bestandzins am Monatsletzten im nachhinein jeweils fällig sei. An diese Vereinbarung seien die Kläger als Rechtsnachfolger der ursprünglichen Vermieterin gebunden.

Diesen Einwendungen hielten die Kläger entgegen, daß die Betriebskostenabrechnung ordnungsgemäß erfolgt und der Beklagten auch Einsicht in die Belege gewährt worden sei. Von der Vertreterin der Beklagten sei vom aushaftenden Mietzins ein Betrag von S 3.745,15 anerkannt worden. Eine Vereinbarung bezüglich eines Mietzinszahlungstermins zum Monatsletzten sei nie getroffen worden.

Zu GZ 8 Msch 21/91 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz war von der Beklagten ein Verfahren gemäß § 37 Abs.1 Z 9 und 12 MRG eingeleitet worden. Die Kläger hatten zu GZ 8 C 527/91z des Bezirksgerichtes für ZRS Graz wider die Beklagte eine Klage auf Bezahlung des aushaftenden Mietzinses im Betrage von S 4.101,82 eingebracht. Infolge des zu GZ 8 Msch 21/91 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz anhängigen Verfahrens wurde das vorliegende Verfahren mit Beschluß vom 21.11.1991 gemäß § 41 MRG unterbrochen. Das Verfahren wurde über Antrag der Kläger fortgesetzt, nachdem im Verfahren zu 8 Msch 21/91 des Bezirksgerichtes für ZRS Graz zwischen den Streitteilen am 8.1.1992 ein Vergleich geschlossen worden war, in welchem sich die Beklagte verpflichtete, hinsichtlich des streitgegenständlichen Betriebskostenzeitraums 1.8.1990 bis 31.12.1990 S 3.801,82 an die Kläger zu bezahlen. Tatsächlich erfolgte die Bezahlung dieses Betrags am 9.1.1992. Die von den Klägern begehrten Stromkosten im Betrage von S 300,-- wurden seitens der Beklagten nicht anerkannt, aber im April 1992 bezahlt. Daraufhin trat im Verfahren GZ 8 C 527/91z des Bezirksgerichtes für ZRS Graz Ruhen des Verfahrens ein. Die Kläger vertreten allerdings die Ansicht, ihr Kündigungsbegehren sei weiterhin berechtigt, zumal sich die Beklagte grob schuldhaft in Zahlungsverzug befunden habe.

Nach dem Akteninhalt ist "weiteres umfangreiches Vorbringen der Kläger bzw. Einwendungen der Beklagten" aufgrund eines Tonbanddefektes nicht protokollarisch festgehalten worden (S.2 des Protokolls vom 19.5.1992 = AS 50). Zum Vorwurf des grob schuldhaften Zahlungsverzugs verwies die Beklagte auf ihr "bisheriges Prozeßvorbringen" (S.3 des Protokolls vom 11.3.1992 = AS 41).

Zu den aushaftenden Stromkosten brachten die Kläger detailliert vor, die Stromabrechnung beziehe sich auf den Zeitraum August 1990 bis einschließlich März 1991. Dem hielt die Beklagte entgegen, daß bei der Stromabrechnung der Zählerstand vom 30.4.1991 berücksichtigt worden sei, weshalb sie zu Recht einen Abzug von S 300,-- für die Stromakontierung bezüglich April 1991 vorgenommen habe (S.12 f des Protokolls vom 19.5.1992 = AS 60 f).

Letztlich wurde in der Tagsatzung vom 17.8.1992 seitens der Kläger ergänzend vorgebracht, die Beklagte bezahle nach wie vor den Mietzins nicht fristgerecht, sondern verspätet. Daraufhin gab die Beklagte unter Aufrechterhaltung ihres Prozeßstandpunktes die Erklärung ab, sie werde in Hinkunft die monatliche Miete jeweils am Monatsersten zur Überweisung bringen (S.1 f des genannten Protokolls = AS 101 f).

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Die geltend gemachten Kündigungsgründe seien nicht gegeben. Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs.1 MRG sei nicht ausreichend konkretisiert. In der verspäteten Mietzinszahlung läge kein unleidliches Verhalten im Sinne des § 30 Abs.2 Z 3 1.Fall MRG. Die Beklagte habe nur eine unrichtige Rechtsansicht vertreten. Was den Kündigungsgrund nach § 30 Abs.2 Z 1 MRG betreffe, habe sich die Beklagte tatsächlich bis zur Bezahlung der berechtigten Betriebskostennachforderung aus der Zeit 1.8. bis 31.12.1990 und der restlichen Stromkosten in qualifiziertem Mietzinsrückstand befunden; die Aufkündigung sei bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls berechtigt gewesen. Die Beklagte habe aber im Sinne des § 33 Abs.2 MRG im Laufe des vorliegenden Verfahrens den Mietzinsrückstand beglichen, sie treffe kein grobes Verschulden am Auflaufen dieses Rückstandes, da sie lediglich die unrichtige Auffassung vertreten habe, die Vorschreibungen seien nicht ordnungsgemäß gewesen.

Das Berufungsgericht gab der von den Klägern erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß die Aufkündigung vom 13.9.1991 als wirksam und die Beklagte schuldig erkannt wurde, die Wohnung zu räumen. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt. Es verneinte das Vorliegen der Kündigungsgründe nach § 30 Abs.1 und Abs.2 Z 3 MRG, da die Generalklausel des § 30 Abs.1 MRG nicht die Aufgabe habe, fehlende Merkmale eines Kündigungsgrundes nach § 30 Abs.2 MRG zu ersetzen, und ein unleidliches Verhalten der Beklagten nicht vorliege. Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs.2 Z 1 MRG sei aber gegeben. Unzweifelhaft habe sich die Beklagte in qualifiziertem Mietzinsrückstand befunden. Eine Aufhebung der Kündigung gemäß § 33 Abs.2 MRG habe nur dann zu erfolgen, wenn den Mieter am Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden treffe und er - wie hier - vor Schluß der Verhandlung den geschuldeten Betrag entrichte. Die Behauptungs- und Beweislast für das Fehlen des groben Verschuldens treffe den Mieter, der den ihn entlastenden Sachverhalt in jeder Richtung zu konkretisieren habe. Dieser Behauptungs- und Beweispflicht sei die Beklagte nicht nachgekommen. Es sei daher von einem die Beklagte treffenden groben Verschulden am Auflaufen des Zahlungsrückstands auszugehen und demnach der Räumungsanspruch der Kläger zu bejahen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.

Das Nichtvorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs.2 Z 3 MRG wurde von den Vorinstanzen richtigerweise verneint. Auf Grundlage der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und auch auf Grundlage der von den Klägern in ihrer Berufung gewünschten Tatsachenfeststellungen läßt sich auf ein unleidliches Verhalten der Beklagten nicht schließen. Ein solches läge nur dann vor, wenn die Beklagte durch rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten den Mitbewohnern das Zusammenleben verleidet hätte (Würth in Rummel, ABGB2, Rz 17 zu § 30 MRG mwN).

Entscheidungswesentlich ist sohin das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs.2 Z 1 MRG. Unbestrittenermaßen hat sich die Beklagte in qualifiziertem Mietzinsrückstand befunden, was die Vermieter grundsätzlich zur Aufkündigung der Wohnung berechtigte. Nun räumt aber § 33 Abs.2 MRG dem nach § 30 Abs.2 Z 1 MRG gekündigten Mieter, den am Mietzinsrückstand kein grobes Verschulden trifft, die Möglichkeit ein, durch Nachzahlung des geschuldeten Betrages vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz die Aufhebung der an sich berechtigten Kündigung - wenn auch mit Kostenfolgen - zu erwirken. Grobes Verschulden setzt begrifflich ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodaß der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt. Die Behauptungs- und Beweislast für das Fehlen des groben Verschuldens (konkrete Begründung für die Unterlassung der Zahlung) trifft den Mieter, also hier die Beklagte (Würth in Rummel, ABGB2, Rz 6 zu § 33 MRG; MietSlg. 42.358; 42.364;

41.368; 38.504; WoBl 1992/29; JBl 1992, 42; WoBl 1993, 29;

Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht19, Rz 27 zu § 33 MRG uva). Der Mieter hat jene Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, welche rechtlich die Annahme eines groben Verschuldens auf seiner Seite ausschließen. Jeder in dieser Richtung bestehende Zweifel geht zu seinen Lasten.

Das Berufungsgericht hat nun die Ansicht vertreten, die Beklagte sei der ihr obliegenden Behauptungs- und Beweispflicht, weshalb sie am festgestellten Mietzinsrückstand kein grobes Verschulden treffe, nicht nachgekommen. Dieser Ansicht wird nicht beigepflichtet. Die Beklagte hat zum Vorwurf des "grob schuldhaften Zahlungsverzugs" auf ihr Prozeßvorbringen verwiesen (AS 41). Im Rahmen dieses Vorbringens hatte die Beklagte insbesondere die Unrichtigkeit der Betriebskostenabrechnung eingewendet und behauptet, der Bestandzins sei vereinbarungsgemäß nicht am Monatsersten fällig gewesen (AS 6 f). Bereits aktenkundig war zu diesem Zeitpunkt, daß die Beklagte ein Verfahren nach § 37 Abs.1 Z 9 und 12 MRG angestrengt hatte und deshalb das vorliegende Verfahren unterbrochen worden war (AS 19, 29 f). Das Vorbringen der Beklagten im Zusammenhalt mit dieser aktenkundigen Feststellung des Erstgerichtes ist ausreichend, denn damit wurden die Gründe für die Unterlassung der Zinszahlung behauptet. Wenn aber Gründe für die Unterlassung der Zinszahlung behauptet werden, sind sie auch dahin zu prüfen, ob sie nicht das Vorliegen eines groben Verschuldens ausschließen (MietSlg. 42.358; 41.368; 37.476; 30.474; 7 Ob 670/89 uva). Eine derartige Prüfung hat das Berufungsgericht, ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht, unterlassen.

Darüber hinaus ist aktenkundig, daß Einwendungen der Beklagten - welchen Inhalts immer - nicht im Protokoll festgehalten wurden. Ob solche Einwendungen die Frage des "groben Verschuldens" betrafen, läßt sich nicht feststellen. Das Erstgericht wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, nicht nur auf den Defekt des Tonbandes zu verweisen, sondern die jeweiligen Vorbringen - nach allenfalls neuerlicher Erstattung, wozu anzuleiten gewesen wäre - protokollarisch festzuhalten.

Ginge man von den erstinstanzlichen Feststellungen aus, würde sich die Entscheidung des Erstgerichtes als frei von Rechtsirrtum erweisen. Zweifel über die wahre Rechtslage, die ja auch zur Einleitung eines Verfahrens nach § 37 MRG geführt haben, sowie ein Irrtum über das Vorliegen eines Zahlungsrückstandes begründen nämlich in der Regel nur leichte Fahrlässigkeit. Daß die Beklagte auf einem bei nüchterner Überlegung als unrichtig erkennbaren Standpunkt beharrt hätte und sohin aufgrund von Rechthaberei der qualifizierte Zahlungsrückstand herbeigeführt worden wäre (vgl. MietSlg. 38.504, 35.586 ua), läßt sich aufgrund der erstinstanzlichen Feststellungen nicht nachvollziehen. Auch der Umstand, daß die Beklagte die Rechtsansicht vertrat, sie müsse aufgrund einer Erlaubnis der Vorvermieterin (ihrer Mutter) den Mietzins nicht am Monatsersten leisten, läßt nicht auf ein grobes Verschulden der Beklagten schließen, zumal diese Rechtsansicht durchaus vertretbar war.

Das Berufungsgericht hat sich aber mit der Feststellungsrüge der Kläger in deren Berufung nicht befaßt. Dies wird es nachzuholen und aufgrund der von ihm zu treffenden bzw. zu übernehmenden Feststellungen eine rechtliche Beurteilung im oben aufgezeigten Sinn vorzunehmen haben.

Der Revision ist Folge zu geben; das Urteil des Berufungsgerichtes ist aufzuheben und diesem die neue Entscheidung unter Eingehen auf die Tatsachen- und Beweisrüge der Kläger aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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