OGH 7Ob25/93

OGH7Ob25/9313.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Floßmann und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf B*****, vertreten durch Dr.Norbert Gugerbauer ua, Rechtanwälte in Schwanenstadt, wider die beklagte Partei W*****-AG, ***** vertreten durch Dr.Heinz Oppitz und Dr.Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung (Streitwert S 100.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13.Mai 1993, GZ 6 R 275/92-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18. September 1992, GZ 8 Cg 51/91-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.094,-- (darin enthalten S 849,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrensbinnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 19.2.1990 gegen 19,25 Uhr war der Kläger als Lenker eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges an einem Verkehrsunfall in Linz beteiligt, bei dem der Lenker des gegenbeteiligten Motorrades und dessen Beifahrerin nicht unerheblich verletzt wurden. Ein Mitverschulden des Klägers an dem Verkehrsunfall durch Einhalten einer überhöhten Geschwindigkeit ist nicht strittig. Der beim Unfall erhebende Polizeibeamte stellte beim Kläger starken Alkoholgeruch aus dem Mund fest. Der Kläger gab hierüber befragt an, daß er zu Hause in der Zeit von 16,50 Uhr bis 17,30 Uhr einen halben Liter Bier konsumiert habe und sich fahrtüchtig fühle. Da der Polizeibeamte beim Kläger auch andere Symptome einer Alkoholisierung, nämlich leicht schwankenden Gang, undeutliche Sprache und gerötete Bindehäute, feststellte, forderte er den Kläger auf, sich einer Blutabnahme zu unterziehen. Der Kläger erklärte darauf, daß er sich kein Blut abnehmen lasse, weil er Angst vor Spritzen und ohnehin nur einen halben Liter Bier getrunken habe. Mit der Vorführung zum Polizeiarzt erklärte er sich jedoch einverstanden. Der Polizeiarzt belehrte den Kläger dahin, daß eine Blutabnahme im Hinblick auf den gegenständlichen Unfall gesetzlich erforderlich sei. Trotz dieser Belehrung verweigerte der Kläger die Blutabnahme. Die um 21,40 Uhr durchgeführte klinische Untersuchung durch den Polizeiarzt ergab folgenden Befund: Verletzungen: nein; Schock: nein; Sprache:

deutlich; Gang: sicher; Alkoholgeruch: ja, leicht (Biergeruch);

Rötung der Augenbindehäute: nein; Benehmen: normal; Rombergprobe:

sicher; Pupillenreaktion: prompt; Finger-Finger: sicher; Nystagmus: 7 Sekunden (mittelschlägig); Reaktionsfähigkeit: normal. Der Amtsarzt beurteilte die Alkoholbeeinträchtigung aufgrund dieses Befundes als unerheblich und kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß der Kläger zur Tatzeit nicht alkoholbeeinträchtigt und nicht fahrunfähig gewesen sei.

Der Beklagten wurden bisher Heilungskosten für die verletzte Beifahrerin des Motorradfahrers in der Höhe von S 112.823,35 in Rechnung gestellt. Sie hat den Kläger aufgefordert, ein Drittel dieses Betrages an sie zu zahlen.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage gegenüber der Beklagten die Feststellung, daß diese ihm gegenüber aufgrund des Verkehrsunfalls vom 19.2.1990 nicht bis zu einem Betrag von S 100.000,-- leistungsfrei sei. Er habe die Blutabnahme nur deshalb verweigert, weil er "seit jeher panische Angst vor jeder Spritze" habe. Da er sich wegen seines geringfügigen Alkoholkonsums für absolut fahrtauglich gehalten habe, habe er die Vorführung zum Amtsarzt begehrt. Mit dem von diesem erstellten Gutachten habe er seine Fahrtauglichkeit mit Sicherheit bewiesen. Eine Verpflichtung zur Blutabnahme habe bei diesem Sachverhalt nicht bestanden. Die Beklagte nehme daher zu Unrecht den Standpunkt ein, wegen der Verletzung der Aufklärungspflicht dem Kläger gegenüber bis zu einem Betrag von S 100.000,-- leistungsfrei zu sein. Selbst wenn aber eine vorsätzliche oder grob fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzung anzunehmen wäre, hätte der Kläger durch das Ergebnis der klinischen Untersuchung den ihm obliegenden Kausalitätsgegenbeweis erbracht.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Beklagte wäre schon nach den Bestimmungen der StVO verpflichtet gewesen, sich Blut abnehmen zu lassen. Aufgrund der Aufklärungspflicht gemäß § 8 Abs.2 Z 2 AKHB 1988 hätte die Verpflichtung zur Blutabnahme aber auch ungeachtet der Grenzen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung dazu bestanden. Der Kläger habe die Blutabnahme abgelehnt und damit vorsätzlich gegen diese Aufklärungsobliegenheit verstoßen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Wegen der Verweigerung der Blutabnahme habe der Kläger eine vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflicht zu verantworten, weshalb die Beklagte bis zu einem Betrag von S 100.000,-- dem Kläger gegenüber leistungsfrei sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Ein Versicherungsnehmer (Mitversicherter) in der Kfz-Haftpflichtversicherung, der wegen Verdachtes der Alkoholisierung von Organen der Straßenaufsicht in Untersuchung gezogen wurde und bei dem die Alkotestprobe positiv verlaufen sei, habe einer Blutabnahme auch dann zuzustimmen, wenn keine Pflicht nach § 5 Abs.6 StVO bestanden habe. Die Verweigerung der Blutabnahme stelle, selbst wenn er nicht zur Blutabnahme aufgefordert, aber auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde, einen Verstoß gegen die Aufklärungsobliegenheit des § 8 Abs.2 Z 2 AKHB 1988 dar. Auf die weiteren Voraussetzungen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Blutabnahme komme es daher nicht an. Die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis des Verdachtes einer Alkoholisierung beim Kläger erbracht. Die Leistungsfreiheit trete dann nicht ein, wenn der Versicherungsnehmer (Mitversicherte) beweisen könne, daß er die Aufklärungspflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat oder mit Sicherheit nicht infolge Alkoholeinwirkung fahruntüchtig oder aus besonderen Gründen nicht in der Lage gewesen ist, die Untersuchung vornehmen zu lassen. Mit der Behauptung, er habe panische Angst vor Spritzen, habe der Kläger jedenfalls nicht den Beweis antreten können, die Aufklärungspflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt zu haben. Mit dem Ergebnis der erst zwei Stunden nach dem Unfall vorgenommenen klinischen Untersuchung sei dem Kläger auch nicht der ihn treffende Kausalitätsgegenbeweis gelungen. Eine solche Untersuchung sei dem unterdrückten Beweismittel, nämlich einer chemischen Blutuntersuchung, nicht gleichwertig gewesen. Fest stehe hier nur, daß der erhebende Polizeibeamte deutliche Anzeichen einer Alkoholisierung wahrgenommen, der Polizeiarzt hingegen zwei Stunden später keine Anzeichen einer erheblichen Alkoholisierung wahrgenommen habe. Derart einander widersprechende Beweisergebnisse seien für den Kausalitätsgegenbeweis nicht geeignet.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Gemäß § 8 Abs.2 Z 2 AKHB 1988 hat der Versicherungsnehmer (Mitversicherte) in der Kfz-Haftpflichtversicherung - als Obliegenheit mit beschränkter Leistungspflicht - nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen. Zweck dieser Aufklärungsobliegenheit ist es, den Versicherer in die Lage zu versetzen, eine sachgemäße Entscheidung über die Behandlung des Versicherungsfalles zu treffen. Die Aufklärungsobliegenheit umfaßt daher auch die Klarstellung aller Umstände, die für eine allfällige Ablehnung der Deckung oder für künftige Regreßansprüche durch den Versicherer von Bedeutung sein können. Insbesondere fällt darunter die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des am Unfall beteiligten Versicherungsnehmers (Mitversicherten) und seiner allfälligen Alkoholisierung oder Übermüdung. Der Versicherungsnehmer (Mitversicherte) ist daher gehalten, allenfalls auch gegen das eigene Interesse zu handeln (SZ 59/59 mwN). Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits klargestellt, daß die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen, im Fall fraglicher Alkoholisierung nicht wie die öffentlich-rechtliche Verpflichtung des § 5 Abs.6 StVO auf die Fälle erheblicher Verletzung eines Dritten beschränkt ist (ZVR 1978/327; SZ 59/59 uva). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich der Grundsatz, daß bei begründetem Verdacht auf eine Alkoholisierung im Rahmen dieser Obliegenheit die Verpflichtung zur Blutabnahme besteht. Ob der Verdacht durch einen Alkotest, eine klinische Untersuchung oder - wie hier - durch die Wahrnehmung auffälliger Alkoholisierungssymptome durch den einschreitenden Beamten der Straßenaufsicht begründet wurde, macht keinen Unterschied.

Die bedungene Leistungsfreiheit tritt dann nicht ein, wenn die Aufklärungspflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt wurde. Für eine vorsätzliche Begehung der Obliegenheitsverletzung nach § 8 Abs.2 Z 2 AKHB 1988 genügt schon das allgemeine Bewußtsein des Versicherungsnehmers (Mitversicherten), daß er nach einem von ihm (mit-)verschuldeten Unfall an der Aufklärung des Sachverhaltes nach Kräften mitzuwirken hat; dieses Bewußtsein ist heute bei einem haftpflichtversicherten Kraftfahrer in der Regel vorauszusetzen. Mit der Behauptung, panische Angst vor Spritzen zu haben, kann der Beweis, die Obliegenheitsverletzung bloß leicht fahrlässig begangen zu haben, nicht geführt werden. Wurde ein Kraftfahrer - wie der Kläger im vorliegenden Fall - auf die Verpflichtung zur Blutabnahme hingewiesen und weigert er sich ausdrücklich, sich Blut abnehmen zu lassen, dann wurde die Aufklärungsobliegenheit mangels Vorliegens von weiteren Gründen, die seine Zurechnungsfähigkeit ausschließen könnten, vorsätzlich verletzt. Eine Belehrung über die versicherungsrechtlichen Folgen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ist nicht erforderlich (VersR 1979, 560). Daß der Kläger weder vom Sicherheitswacheorgan noch vom Polizeiarzt, von welchem er zur Blutabnahme aufgefordert worden war, über versicherungsrechtliche Konsequenzen seiner Weigerung belehrt wurde, hat auf die Schuldform keinen Einfluß.

In den Fällen der Verletzung einer Obliegenheit gemäß § 8 Abs.2 AKHB 1988 ist der Kausalitätsgegenbeweis - abweichend von § 6 Abs.3 VersVG - auch bei Vorsatz zulässig. Diese Beweislast trifft nach ständiger Rechtsprechung (ZVR 1984/247; VersR 1985, 579; VersR 1989, 829; ZVR 1989/97; VersR 1989, 978) den Versicherungsnehmer. Der Oberste Gerichtshof hat auch schon zum Ausdruck gebracht, daß dieser Kausalitätsgegenbeweis strikt zu führen ist und daß nur solche Beweismittel dafür geeignet sind, die dem unterdrückten Beweismittel gleichwertig sind (VersR 1986, 51; VersR 1989, 829; SZ 64/141; VR 1993, 197). Zutreffend haben die Vorinstanzen im vorliegenden Fall auf der Basis des festgestellten objektiven Sachverhalts, wonach der intervenierende Polizeibeamte beim Kläger starke Anzeichen einer Alkoholisierung wahrnahm, die zwei Stunden später durchgeführte klinische Untersuchung jedoch keine erhebliche Alkholisierung ergab, den Kausalitätsgegenbeweis nicht als erbracht angesehen, weil damit nicht sicher erwiesen wurde, daß der Kläger im Unfallszeitpunkt nicht in einem durch Alkohol beeinträchtigten, die Fahrtüchtigkeit ausschließenden Zustand war. Auf die Kritik an der Rechtsprechung (Lorenz, Verletzung vertraglicher Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall: Beweismittelbeschränkungen für den Kausalitätsgegenbeweis?, VR 1993, 81 ff) muß bei Vorliegen solcher Feststellungen jedenfalls nicht eingegangen werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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