OGH 9ObA202/93

OGH9ObA202/9313.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr.Walter Zeiler und Mag.Kurt Retzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ulrike U*****, Kindergärtnerin, ***** vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Stadt *****, ***** vertreten durch Dr.Johannes Ehrenhöfer und Dr.Wilhelm Häusler, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wegen 99.334,50 S brutto sA (Revisionsstreitwert 92.883 S brutto), infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.März 1993, GZ 33 Ra 140/92-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 4.September 1992, GZ 4 Cga 586/92-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 4.244,40 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 707,40 S Umsatzsteuer) sowie die mit 11.094 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 849 S Umsatzsteuer und 6.000 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten seit 6.9.1976 als Vertragsbedienstete beschäftigt. Ab 1.9.1982 wurde die Klägerin dem Allgemeinen öffentlichen Krankenhaus, Kinderhort, zur weiteren Dienstleistung zugeteilt und dort als Kindergärtnerin eingesetzt. Neben der Klägerin betreuten noch vier weitere Beschäftigte als Kindergärtnerinnen die Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren. Die Klägerin war in die Entlohnungsgruppe c eingereiht. Anfang Mai 1991 erfuhr die Klägerin von zwei Arbeitskolleginnen, daß diese für ihre völlig gleichartige Tätigkeit in die Entlohnungsgruppe KL 3 eingestuft worden seien und eine Nachzahlung erhalten hätten. Daraufhin setzte sich die Klägerin telefonisch mit dem bei der Beklagten für das Verrechnungswesen zuständigen Beamten ins Einvernehmen und führte sodann ein Gespräch mit der Leiterin der Personalabteilung der Beklagten. Der Klägerin gelang es aber bei diesem Gespräch nicht, ihren Standpunkt, daß ihr die höhere Entlohnung nach dem Schema KL 3 gebühre, durchzusetzen.

Sie richtete daher am 9.7.1991 an die Beklagte folgendes Schreiben:

"Wie bereits länger bekannt, wurde ich bei meiner Einstellung falsch eingestuft. Kindergärtnerinnen und Horterzieherinnen sind laut GVBG 1976 in L 3 einzustufen. .... Für mich wurde eine eigene Einstufung 1 c 1 vorgenommen. Kolleginnen, die vor bzw nach mir eingestellt wurden, sind alle in KL 3 bzw ab 1.Jänner 1991 in KLK eingestuft. Durch diese Fehleinstufung entstand mir ein großer finanzieller Verlust, allein seit 1.1.1991 monatlich 3.254 S brutto. Ich ersuche, die richtige Einstufung rückwirkend vorzunehmen und den entstandenen Differenzbetrag innerhalb acht Tagen auf mein PSK-Gehaltskonto mit der Nr..... zu überweisen. Sollte dies nicht erfolgen, sehe ich mich gezwungen, von meinem Recht Gebrauch zu machen, mein Dienstverhältnis wegen ungebührlicher Schmälerung des Entgeltes nach § 39 (5) FN 5 b GVBG vorzeitig aufzulösen."

Dieses Schreiben langte bei der Beklagten am 10.7.1991 ein und wurde der Leiterin der Personalabteilung noch am selben Tag zur Bearbeitung übergeben. Am 22.7.1991 erklärte die Klägerin die vorzeitige Lösung ihres Dienstverhältnisses.

Mit Beschluß des Stadtsenates der Beklagten vom 10.9.1991 wurde er Klägerin für den Zeitraum vom 18.7.1988 bis 17.7.1991 eine Nachzahlung in der Höhe des Differenzbetrages zwischen der Entlohnung nach der Entlohnungsgruppe c und der Entlohnungsgruppe KL 3 im Betrag von 72.784,50 S brutto (51.120,12 S netto) bewilligt.

Seit 1.9.1991 ist die Klägerin beim Land Niederösterreich als Kindergärtnerin beschäftigt.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei 99.334,50 S brutto sA an Abfertigung, Entlohnungsdifferenz und Urlaubsentschädigung, weil sie berechtigt vorzeitig ausgetreten sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, der Austritt der Klägerin sei unberechtigt gewesen. Die umfangreiche Nachverrechnung und die Beschlußfassung durch den Stadtsenat, der in den Sommermonaten in 3-Wochen-Abständen zusammentrete, seien innerhalb der von der Klägerin gesetzten Frist nicht möglich gewesen; darüber hinaus habe das Begehren der Klägerin auf entsprechende Einstufung vorerst von dem für Personalangelegenheiten zuständigen Magistrat überprüft werden müssen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 92.883 S brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von 6.461,50 S brutto - insoweit unbekämpft - ab. Die Klägerin habe eine angemessene und ausreichende Nachfrist gesetzt. Die Beklagte habe auf das Schreiben der Klägerin überhaupt nicht reagiert, so daß die Klägerin mit Recht habe annehmen müssen, daß die Beklagte ihre Forderung ablehnen werde.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Die Beklagte habe sich rechtswidrig verhalten, da sie der Klägerin - anders als ihren Kolleginnen - die ihr nach dem Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz 1976 (nö GVBG) zustehende Entlohnung vorenthalten habe. Die Klägerin habe der Beklagten aber keine angemessene und ausreichende Nachfrist gesetzt, nachdem sie es bei ihrem Gespräch mit der Leiterin der Personalabteilung unterlassen hatte, für den Fall der Nichterfüllung ihrer Forderung den vorzeitigen Austritt anzudrohen. Die Fristsetzung von acht Tagen sei für eine Gebietskörperschaft zu kurz. Die Beklagte habe die entsprechenden Organe einberufen müssen, die sich mit der Forderung der Klägerin zu befassen, darüber zu beschließen und das Ergebnis der Beschlußfassung auszufertigen hatten. Erst danach habe sie die Bezugsdifferenz auf das von der Klägerin bekanntgegebene Konto überweisen können.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 39 Abs 1 nö GVBG kann das Dienstverhältnis von jedem Teil aus wichtigem Grund vorzeitig aufgelöst werden. Daß das Vorenthalten des geschuldeten Entgeltes ein wichtiger Grund im Sinne dieser Bestimmung ist, zieht die Beklagte nicht in Zweifel (siehe S 4 der Berufung).

Da die Klägerin bisher die Schmälerung ihrer Bezüge hingenommen hatte, durfte sie den Zahlungsrückstand nicht zum Anlaß eines plötzlichen Austritts nehmen, ohne dies dem Dienstgeber vorher anzukündigen und ihn unter Setzung einer Nachfrist zur Zahlung des Rückstandes aufzufordern (Arb 10.218 = JBl 1984, 213; Arb 10.471;

10.535 = DRdA 1989/7 [kritisch, die Notwendigkeit einer Nachfristsetzung bei unterkollektivvertraglicher Entlohnung überhaupt verneinend Dirschmied]; Arb 10.605 = DRdA 1990/12 [kritisch bezüglich der Notwendigkeit einer Nachfristsetzung unter Androhung des Austrittes nach vorangegangener Mahnung Eypeltauer]; Arb 10.805; ecolex 1991, 720; RdW 1992, 218). Die Nachfrist muß so lang sein, daß der Dienstgeber die erforderlichen Dispositionen treffen kann (Arb 10.605; 9 Ob A 86/93 ua).

Da nun eine Nachfrist von 8 Tagen (ab Erhalt des Schreibens) im allgemeinen für die zur Entgeltnachzahlung erforderlichen Dispositionen des Dienstgebers ausreicht, wäre es Sache der Beklagten gewesen, die Klägerin auf die in ihrer Sphäre gelegenen organisatorischen Schwierigkeiten hinzuweisen und sie unter gleichzeitigem Inaussichtstellen einer positiven Erledigung (9 Ob A 86/93) um eine entsprechende Erstreckung der Nachfrist zu ersuchen, zumal der Klägerin, deren Kolleginnen die dem Gesetz entsprechende Entlohnung von der Beklagten bereits gewährt worden war, die Kenntnis der für eine entsprechende Änderung auch ihrer Entlohnung im Rahmen der Organisation der Beklagten erforderlichen bürokratischen Vorgänge nicht unterstellt werden konnte. Die Klägerin, die bereits im Mai 1991 vergeblich die Gleichstellung mit ihren Kolleginnen gefordert hatte, durfte daher, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, das Unterbleiben jeder Reaktion der Beklagten auf das Schreiben vom 9.7.1991 dahin verstehen, daß die Beklagte der Klägerin ungeachtet ihrer Austrittsdrohung die dem Gesetz entsprechende Entlohnung weiterhin verweigerte (vgl 9 Ob A 86/93; JBl 1987, 63).

Der Revision war daher im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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