OGH 7Ob13/93

OGH7Ob13/9313.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Floßmann und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj.Daliborka J*****, vertreten durch Dr.Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Erhan Ö*****, 2. Petra F*****, diese vertreten durch Dr.Helmut Denk, Rechtsanwalt in Wien und 3. V***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** diese vertreten durch Dr.Marion Kral, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung, infolge Revision der drittbeklagten Partei V***** Versicherungs-AG gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29. Jänner 1993, GZ 16 R 148/92-23, womit infolge Berufung der drittbeklagten Partei das Endurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 2.April 1992, GZ 26 Cg 751/90-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die drittbeklagte Partei V***** Versicherungs-AG ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.789,60 (darin enthalten S 1.131,60 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Petra F***** kaufte am 9.11.1987 einen PKW. Am selben Tag stellte sie bei der V***** Versicherungs Aktiengesellschaft den Antrag auf Abschluß eines Haftpflichtversicherungsvertrages mit einer Deckungssumme von S 20,000.000. Der Antrag wurde angenommen. Am 19.12.1987 verkaufte sie den PKW an Erhan Ö*****, der ab diesem Zeitpunkt allein über den PKW verfügte und - mit Ausnahme der Prämienzahlung - sämtliche Kosten trug. Am 23.2.1988 verursachte Erhan Ö***** als Lenker dieses PKWs einen Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin schwer verletzt wurde. Zum Unfallszeitpunkt war weder die Erstprämie noch eine sonstige Versicherungsprämie bezahlt. Es kann nicht festgestellt werden, daß Petra F***** die Versicherungspolizze samt Zahlschein für die Prämie zugekommen ist.

Die Klägerin begehrte die Feststellung der Haftung der drei beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für künftige Schäden aus dem Verkehrsunfall, wobei sie ihr Begehren hinsichtlich der Versicherungsanstalt mit der Höhe der für den PKW vertraglich vereinbarten Deckungssumme beschränkte.

Gegen Erhan Ö***** erging ein Versäumungsurteil.

Die Versicherungsanstalt anerkannte ihre Haftung bis zur Höhe der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme von S 10,000.000. Insoweit erging ab 18.4.1991 auf Antrag der Klägerin ein rechtskräftiges Teilanerkenntnisurteil, wonach die Versicherungsanstalt der Klägerin zur ungeteilten Hand mit Erhan Ö***** "für jeden zukünftigen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 23.2.1988, jedoch nur bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme von S 10,000.000 abzüglich der bis zum heutigen Tag tatsächlich erbrachten Leistungen" haftet.

Eine weitergehende Haftung bestritt die Versicherungsanstalt mit dem Einwand, daß sie nur bis zur gesetzlichen Mindestversicherungssumme und nicht auch für die darüber hinausgehende vertraglich vereinbarte Summe hafte, weil die Versicherungsnehmerin zum Unfallszeitpunkt keine Prämie bezahlt habe.

Petra F***** beantragte die gänzliche Klagsabweisung, weil sie den PKW am 19.12.1987 an Erhan Ö***** verkauft habe und im Zeitpunkt des Unfalles nicht mehr Halterin des PKWs gewesen sei. Entgegen der getroffenen Vereinbarung habe Erhan Ö***** den Eigentumsübergang nicht gemeldet.

Die Klägerin replizierte, daß es Petra F***** verabsäumt habe, einerseits der Zulassungsbehörde und andererseits der Versicherungsanstalt den angeblichen Eigentumsübergang anzuzeigen. Sie haftet daher für die eingetretenen Folgen. Erhan Ö***** sei bloß Mitversicherter im Sinn des § 1 Abs 2 AKHB. Die seitens der Vesicherungsanstalt eingewendete Haftungsbeschränkung treffe nicht zu, weil der Petra F***** die Versicherungspolizze samt Prämienvorschreibung nicht zugekommen sei. Petra F***** sei daher nicht in qualifiziertem Zahlungsverzug gewesen.

Mit seinem Endurteil wies das Erstgericht das Klagebegehren gegen Petra F***** ab. Hinsichtlich der Versicherungsanstalt stellte es im Spruch dieses Urteiles fest, daß die Versicherungsanstalt der klagenden Partei zur ungeteilten Hand mit der vormals weiteren beklagten Partei Erhan Ö***** für jeden weiteren zukünftigen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 23.2.1988 haftet, "wobei ihre Haftung mit der Höhe der Differenz zwischen der gesetzlichen Mindestversicherungssumme und der zwischen ihr und ihrer Versicherungsnehmerin für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen W ***** vertraglich vereinbarten Deckungssumme begrenzt ist".

Das Erstgericht führte aus, daß Petra F***** zum Unfallszeitpunkt nicht mehr Halterin des PKWs gewesen sei und daher in dieser Eigenschaft nicht in Anspruch genommen werden könne. Der Versicherungsanstalt sei der Nachweis nicht gelungen, daß die erste Prämie zum Unfallszeitpunkt trotz Zuganges der Versicherungspolizze noch nicht bezahlt gewesen sei, sodaß sie nicht bloß bis zur gesetzlichen Mindestversicherungssumme, worüber bereits mit Teilanerkenntnisurteil entschieden worden sei, sondern darüber hinaus bis zur vertraglich vereinbarten höheren Deckungssumme hafte.

Die Klagsabweisung betreffend Petra F***** ist in Rechtskraft erwachsen.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Versicherungsanstalt gegen den sie betreffenden Teil des Endurteiles nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Es sei keine Leistungsfreiheit infolge Nichtzahlung der Erstprämie eingetreten, weil die Fälligkeit der Prämie nicht vor Behändigung der Polizze eintrete. Zweifel über den Zeitpunkt der Zustellung der Polizze samt Vorschreibung der Erstprämie gingen zu Lasten des Versicherers, der den Beweis für den Zugang der Polizze samt Zahlungsaufforderung zu erbringen habe. Dieser Beweis sei hier dem Versicherer nicht gelungen, sodaß kein Fall des § 158 c Abs 3 VersVG, der die Haftung des Versicherers beim "kranken" Versicherungsverhältnis mit der Höhe der gesetzlich festgelegten Mindestversicherungssumme beschränke, vorliege. Bei der gegebenen Sachlage erscheine es auch nicht gerechtfertigt, die Klägerin auf die Feststellung der Haftung des Versicherers im Sinne des Wortlautes des § 22 Abs 1 KHVG auf den Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrages zu beschränken und sie im übrigen auf eine künftige Leistungsklage zu verweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Versicherungsanstalt ist nicht berechtigt.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß eine vorläufige Deckungszusage im Sinne des Antrages der Petra F***** erteilt wurde, weil ihr Antrag nach den zugrundezulegenden Feststellungen von der Versicherungsanstalt ohne Einschränkungen angenommen wurde und der PKW ohne eine Deckungszusage nicht zum Verkehr zugelassen worden wäre. Diese erfolgt im Rahmen und auf Rechnung des im einheitlichen Antrag bezeichneten Versicherungsvertrages (VersR 1978, 931) bis zum endgültigen Abschluß des Versicherungsvertrages durch Übersendung der Polizze samt der Aufforderung zur Zahlung der Erstprämie (vgl SZ 50/69).

Bei einer vorläufigen Deckungszusage sind Versicherungsfälle, die bis zur Zustellung der Polizze eintreten, aufgrund dieser Deckungszusage gedeckt. Die einmal zugestandene Deckung tritt mangels einer gegenteiligen klaren Bestimmung der Versicherungsbedingungen erst dann außer Kraft, wenn die Verhandlungen über den Abschluß des Versicherungsvertrages endgültig gescheitert sind. Es ist Sache des Versicherers, den Umstand der vorläufigen Deckung auf eindeutige Art zu beenden, sodaß der Versicherungsnehmer weiß, daß er diesen Versicherungsschutz nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Im vorliegenden Fall wäre hiefür die Übersendung der Polizze samt Aufforderung zur Zahlung der Erstprämie in Betracht gekommen. Dafür, daß dies geschehen ist, wäre der Versicherer beweispflichtig gewesen. Er hat die Voraussetzungen des Erlöschens der vorläufigen Deckung als anspruchsvernichtenden Umstand zu beweisen, wozu als erstes die unveränderte Annahme des Versicherungsantrages, die in der Zusendung der Polizze zum Ausdruck kommt, gehört. Zweifel über den Zeitpunkt der Zustellung oder überhaupt der Zustellung der Versicherungspolizze und der Vorschreibung der ersten Prämie gehen zu seinen Lasten (SZ 50/69).

Daraus folgt, daß die Versicherungsanstalt in vollem Umfang der vereinbarten Deckungssumme, über die sich die vorläufige Deckungszusage erstreckt, leistungspflichtig ist. Vom Vorliegen eines wegen Nichtzahlung der Prämie "kranken" Versicherungsverhältnisses, das die Leistungspflicht gegenüber dem geschädigten Dritten aus diesem Grund auf die gesetzliche Mindesthaftpflichtsumme beschränken würde (vgl ZVR 1979/282), kann daher hier nicht die Rede sein.

Daß eine Leistungsfreiheit der Versicherungsanstalt und damit ihre Haftungsbeschränkung gegenüber der Klägerin als der geschädigten Dritten aus dem Grunde der §§ 69 ff VersVG eingetreten wäre, wurde nicht geltend gemacht.

Der Klägerin kann schon im Hinblick auf das Teilanerkenntnisurteil, das die Haftung der Versicherungsanstalt auf die Mindestversicherungssumme von S 10,000.000 beschränkt, ein rechtliches Interesse an der Feststellung der darüber hinausgehenden, bis zur vereinbarten Versicherungssumme von S 20,000.000 bestehenden Haftung der Versicherungsanstalt nicht abgesprochen werden. Aufgrund der hier vorliegenden Fallkonstellation kann die Klägerin daher nicht darauf verwiesen werden, daß die Schadenshöhe, für die der Versicherer einzustehen habe, Gegenstand einer allfälligen künftigen Leistungsklage und der dort zu erhebenden Einwendungen sei und daher die Feststellung der Haftung des Versicherers jedenfalls auf den Rahmen des betreffenden Haftpflichtversicherungsvertrages zu beschränken sei. Eine Klarstellung schon im Spruch der feststellenden Entscheidung, daß die Haftung über die gesetzliche Mindestversicherungssumme hinausreiche, ist hier erforderlich, um die Klägerin nicht dem Verjährungseinwand auszusetzen, wenn sie in Zukunft über diesen Betrag hinausgehende Leistungsansprüche geltend machen wird.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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