OGH 4Ob131/93

OGH4Ob131/9328.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 1041 Wien, Prinz Eugen Straße 20-22, vertreten durch Dr.Heinrich Keller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Freiheitliche Partei Österreichs, 2. Dr.Jörg Haider, Klubobmann der FPÖ, 3. Dr.Susanne R*****, alle vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer und Dr.Wolfram Themmer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 500.000) infolge Revision der Klägerin sowie der Erstbeklagten und der Drittbeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23.März 1993, GZ 13 R 183/92-34, womit infolge Berufung der Erstbeklagten und der Drittbeklagten das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 13. Mai 1992, GZ 20 Cg 96/91-28, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

Beschluß

gefaßt:

Die außerordentliche Revision der Erstbeklagten und der Drittbeklagten wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Revisionsgegners auf Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens wird abgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision des Klägers wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird abgeändert; die Entscheidung des Erstgerichtes wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, daß die Verurteilung zur ungeteilten Hand zu entfallen hat.

Die Erstbeklagte und die Drittbeklagte sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 42.251,28 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 5.041,89 Umsatzsteuer und S 12.000 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6.3.1991 wurde eine Belangsendung der Erstbeklagten im Fernsehen ausgestrahlt. Dabei war zunächst eine Geld (Fünfhundertschillingnoten) zählende Hand zu sehen; danach wurden Autos der Marke "Rolls-Royce" eingeblendet, denen wieder eine Geld (Fünftausendschillingnoten) zählende Hand folgte, worauf abermals Autos der Marken "Mercedes" und "Rolls-Royce" gezeigt wurden. Dazu wurde (ua) folgender Begleittext gesprochen:

"Aus einem sozialen Gedanken entstanden, entwickelte sich die Organisation: die Mafia. In ihren Hochburgen regiert ein System des Zwanges und der Korruption. Gewerkschaften und Funktionäre sind untrennbar an die Spielregeln der Macht gebunden ..."

Für den angeblichen Schutz durch die Kammern zahlen die unfreiwilligen Mitglieder zwischen S 700 und S 17.000 im Jahr, doch nur wenige profitieren davon."

Danach wurden zunächst ein Gebäude mit der Aufschrift "Kammer für Arbeit" - wobei es sich um den Sitz der Klägerin und der Arbeiterkammer für Wien handelte - und sodann das Gebäude der Bundeswirtschaftskammer eingeblendet. Dem folgte nachstehender Text:

"Mit dem Geld der Mitglieder hat die Arbeiterkammer für 700 Millionen S ein Palais gebaut"; gleichzeitig wurde das Gebäude der Arbeiterkammer Wien gezeigt. .... Kammerlos sind nur wenige:

Arbeitslose, freie Journalisten und Prostituierte. ...

Auch in den Landwirtschaftskammern wird nur ein Bruchteil der eingezahlten Beiträge im Interesse der Mitglieder verwendet. Und die Ärztekammer schlittert in das größte Finanzdebakel seit ihrer Gründung. Trotz massiver Kritik der Öffentlichkeit geschieht nichts, denn rund 18 Abgeordnete sind dem ÖGB und einer Kammer verpflichtet. Rechberger symbolisiert den Millionenbetrug an den Arbeitnehmern und Josef Hesoun wurde mit dem Posten des Sozialministers belohnt."

Dem folgte eine Stellungnahme des Zweitbeklagten:

"Österreich ist ein Kammerstaat der Sozialpartner. Die Sozialpartner teilen sich die Macht in Österreich auf und haben die Kammern unter Kontrolle. Diese Kammern verpflichten alle Bürger zwangsweise, Mitglied zu sein, und daher können sie sich auch alles leisten: Die Privilegien, die Verfilzung der Funktionärsmacht, wie sie uns von Rechberger bis zu den Mißständen in der Sozialversicherungsbürokratie sehr gut in Erinnerung sind. Deshalb wollen wir Freiheitlichen auch dieses Zwangskammernsystem in Österreich beseitigen: Wir sind für freie Kammern und freie Bürger ohne jeden Zwang."

Der Zweitbeklagte war an der Produktion, am Vertrieb und an der Verbreitung des Films nicht beteiligt. Die Drittbeklagte ist für Belangsendungen der Erstbeklagten zuständig; sie wurde dem ORF als Bevollmächtigte genannt. Die Drittbeklagte war in der Gestaltung der Belangsendung völlig frei.

Die Klägerin begehrt, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, gegenüber der Klägerin die Behauptung in Wort und Bild zu unterlassen, die Klägerin bzw die Kammern für Arbeiter und Angestellte seien eine verbrecherische Organisation, nämlich die "Mafia", und in ihren Hochburgen regiere ein System des Zwanges und der Korruption, wobei Gewerkschaften und Funktionäre untrennbar an die Spielregeln der Macht gebunden seien.

Mit der beanstandeten Belangsendung bezichtige die Erstbeklagte die Klägerin eines unehrenhaften verbrecherischen Verhaltens. Die Drittbeklagte sei für die Sendung verantwortlich; der Zweitbeklagte identifiziere sich damit. Damit hätten die Beklagten gegen § 1330 ABGB verstoßen.

Die Beklagten beantragen, das Klagebegehren abzuweisen. Die in Rede stehende Belangsendung richte sich nicht gegen die Klägerin. Der beanstandete Text sei nicht ehrenrührig; es handle sich dabei um ein politisches Werturteil und um zulässige politische Kritik einer politischen Minderheit. Als juristische Person könne sich die Klägerin nicht auf § 1330 ABGB berufen, weil sie keinen "wirtschaftlichen Ruf" habe.

Die österreichischen Arbeiterkammern seien in den letzten Jahren heftig kritisiert worden, weil sich Funktionäre bereichert hätten und Vermögen bestimmungswidrig angehäuft worden sei. Die Arbeitkammern hätten ein System der organisierten Kriminalität zum Zweck der Parteien- und Funktionärsfinanzierung geschaffen und aufrechterhalten. Die Erstbeklagte habe keine andere Möglichkeit, als in einer Belangsendung die gesamte Dimension des Skandals schlagwortartig aufzuzeigen. Mittlerweile sei das Wort "Mafia" gestrichen worden; damit sie die Wiederholungsgefahr weggefallen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegen die Erst- und die Drittbeklagte statt und wies das Klagebegehren gegen den Zweitbeklagten ab; die Klageabweisung ist rechtskräftig.

Die Belangsendung erwecke durch Wort und Bild den Eindruck, daß die Klägerin bzw die Kammer für Arbeiter und Angestellte eine verbrecherische Organisation seien, die mit Zwang und Korruption regiere, wobei die einzelnen Gewerkschaften und Funktionäre in dieses System von Zwang und Macht eingebunden seien. Das dazu gezeigte Gebäude der Arbeiterkammer Wien stelle einen besonderen Bezug zu den Arbeiterkammern her. Zum Zeitpunkt der Belangsendung habe sich die Klägerin (damals noch Österreichischer Arbeiterkammertag) gemäß § 22 Abs 1 ArbeiterkammerG BGBl 1954/105 aus allen österreichischen Arbeiterkammern zusammengesetzt; ihr sei die Besorgung aller in den Aufgabenbereich der Arbeiterkammern fallenden Angelegenheiten oblegen, soweit sie das gesamte Bundesgebiet betrafen. Arbeiterkammertag und Arbeiterkammern seien Körperschaften öffentlichen Rechts.

Die Klägerin sei aktiv legitimiert, weil die Belangsendung den Ruf der Arbeiterkammern schädige und auch die Klägerin davon betroffen sei. Auch juristischen Personen komme das Recht auf Ehre zu. Die beanstandeten Äußerungen seien Ehrenbeleidigung und Rufschädigung zugleich. Der Wahrheitsbeweis obliege daher den Beklagten; er könne nicht durch den Nachweis einzelner Unregelmäßigkeiten erbracht werden. Die pauschalen Vorwürfe gegen alle Arbeiterkammern Österreichs seien durch das Recht der freien Meinungsäußerung nicht gedeckt.

Die Drittbeklagte sei als dem ORF genannte Bevollmächtigte der Erstbeklagten passiv legitimiert; der Zweitbeklagte sei hingegen für die Sendung nicht verantwortlich und daher auch nicht passiv legitimiert.

Das Berufungsgericht erkannte die Erstbeklagte und die Drittbeklagte schuldig, gegenüber der Klägerin die Behauptung in Wort und Bild, daß Kammern für Arbeiter und Angestellte eine verbrecherische Organisation, nämlich die "Mafia" seien und in ihren Hochburgen ein System der Korruption regiere, zu unterlassen; das Mehrbegehren, auch die Behauptung zu unterlassen, die Klägerin sei eine verbrecherische Organisation, nämlich die "Mafia", in ihren Hochburgen regiere ein System des Zwanges, wobei Gewerkschaften und Funktionäre untrennbar an die Spielregeln der Macht gebunden seien, wies es ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die Revision nicht zulässig sei.

§ 1330 Abs 2 ABGB erfasse jede Gefährdung wirtschaftlich bedeutsamer Beziehungen und Verhältnisse. Wirtschaftlicher Ruf sei der Rang, den die Gesellschaft einer (natürlichen oder juristischen) Person einräume. Die Aufgaben juristischer Personen des öffentlichen Rechtes seien zwar gesetzlich vorgesehen; ihre Bedeutung und damit auch der ihnen künftig zukommende Aufgabenbereich seien aber dem beruflichen Fortkommen einer natürlichen Person gleichzuhalten. Eine Gleichstellung der Kammern mit einer Erscheinungsform der Bandenkriminalität sei geeignet, den wirtschaftlichen Ruf der Kammern zu gefährden. Auch juristische Personen hätten ein Recht auf Ehre; die Klägerin sei daher aktiv legitimiert.

Die beanstandeten Behauptungen seien (zum Teil) Tatsachenbehauptungen. Unter "Mafia" verstehe der durchschnittliche Medienkonsument organisiertes Verbrechen, unter "Korruption" Bestechlichkeit, Beziehungsunwesen und geringe moralische Hemmungen. Durch Wort und Bild werde ein Zusammenhang (insbesondere) der Arbeiterkammern mit organisiertem Verbrechen hergestellt, welcher durch die Äußerung, es handle sich um ein System des Zwanges und der Korruption, noch verstärkt werde.

Die Äußerungen gingen über zulässige politische Kritik weit hinaus. Selbst die Vorgänge bei der Arbeiterkammer Steiermark und das berechtigte Interesse der Opposition, Mißstände aufzuzeigen, könnten einen Vergleich der Arbeiterkammern mit der Mafia schlechthin nicht rechtfertigen.

Die Äußerung über ein System des Zwanges sei hingegen nicht rufgefährdend oder ehrenrührig; sie werde wegen der Zwangsmitgliedschaft nicht als unrichtig aufgefaßt. Auch die weitere Äußerung, Funktionäre und Gewerkschaften seien an die Spielregeln der Macht gebunden, sei weder eine Tatsachenbehauptung noch eine Ehrenbeleidigung.

Das in der Belangsendung gezeigte Gebäude der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien sei nicht als Sitz der Klägerin bekannt; große Teile der Bevölkerung wüßten gar nichts von der Existenz der Klägerin. Die "Feststellung" des Erstgerichtes, wonach das Gebäude der Arbeiterkammer Wien allgemein als Sitz der Klägerin bekannt sei, werde vom Berufungsgericht nicht übernommen.

Die Klägerin sei zwar aktiv legitimiert, weil ihr die Besorgung aller in den Aufgabenbereich der Arbeiterkammern fallenden Angelegenheiten gemäß § 22 ArbeiterkammerG BGBl 1954/105 zustehe; sie sei aber durch die beanstandeten Äußerungen nicht auch in ihrer Ehre beeinträchtigt worden. Angriffsziel seien in erster Linie die Arbeiterkammern (neben anderen Kammern und Gewerkschaften) gewesen.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen der Klägerin sowie der Erst- und der Drittbeklagten (in der Folge: Beklagte). Die Klägerin beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde. Die Beklagten stellen den Antrag, das Klagebegehren abzuweisen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben; die Beklagten haben keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt, jene der Beklagten ist unzulässig. Die ohne Aufforderung eingebrachte Revisionsbeantwortung der Klägerin war zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Revision der Beklagten:

Als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nennen die Beklagten die Frage, ob die Klägerin Ansprüche nach § 1330 ABGB geltend machen kann, obwohl sie von den beanstandeten Äußerungen nicht betroffen sei. Dazu - und zwar zur maßgeblichen Bestimmung des § 22 ArbeiterkammerG BGBl 1954/105 - gebe es noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung.

Die beanstandeten Äußerungen richten sich gegen die "Arbeiterkammern" und damit auch gegen die Klägerin als deren Institution auf Bundesebene. Es geht daher gar nicht um die Frage, ob die Klägerin die Unterlassung von Äußerungen begehren kann, die sich nur gegen die einzelnen Arbeiterkammern richten; daß sie als von den Äußerungen (Mit)Betroffene nach § 1330 ABGB aktiv legitimiert ist, ziehen die Beklagten nicht in Zweifel.

Erheblich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO soll auch die Frage sein, ob die Arbeiterkammern als Körperschaften des öffentlichen Rechtes Ansprüche nach § 1330 ABGB geltend machen können. Die Beklagten behaupten, daß es zu dieser Frage noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gebe. Der Oberste Gerichtshof hat aber in MR 1993, 14 ausdrücklich ausgesprochen, daß auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes (damals: die Stadt Wien) Anspruch auf Schutz ihres wirtschaftlichen Rufes nach § 1330 Abs 2 ABGB hat. Mit dieser Rechtsprechung steht die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Einklang.

Keine Rechtsprechung soll schließlich auch zu der Frage bestehen, ob mögliche Auslegungen einer Äußerung in das Unterlassungsbegehren aufgenommen werden dürfen. Die zu "konkludenten Tatsachenbehauptungen" entwickelten Kriterien seien nicht anwendbar, weil das Wort "Mafia" nicht auslegungsbedürftig sei. Diese Frage stellt sich aber hier gar nicht: Mit der Bezeichnung "verbrecherische Organisation" wird nicht etwa eine mögliche Auslegung des Begriffes "Mafia" in das Unterlassungsbegehren aufgenommen; damit wird vielmehr deutlich gemacht, welchen Eindruck die Belangsendung der Beklagten in Wort und Bild erweckt. Damit orientiert sich das Unterlassungsbegehren im Sinne der ständigen Rechtsprechung (ÖBl 1970, 148 uva) an der konkreten Äußerung.

2. Zur Revision der Klägerin:

Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, daß die Klägerin von den beanstandeten Äußerungen nicht betroffen sei, weil ihre Existenz und ihr Sitz weiten Teilen der Bevölkerung unbekannt seien und weil Angriffsziel in erster Linie die Arbeiterkammern (neben anderen Kammern und Gewerkschaften) gewesen seien. Dem hält die Klägerin entgegen, daß informierten Staatsbürgern die Existenz einer Bundesorganisation der jeweiligen Kammern bekannt sei und sich die beanstandeten Äußerungen ganz allgemein auf die Kammern bezögen.

Die Belangsendung der Erstbeklagten behauptet Mißstände im Bereich der Kammern. Die beanstandeten Äußerungen sind mit Bildern unterlegt, von denen eines das Gebäude der Arbeiterkammer Wien zeigt, in welchem auch die Klägerin ihren Sitz hat. Die Klägerin - damals noch "Österreichischer Arbeiterkammertag" - ist die Institution der Arbeiterkammern auf Bundesebene (§ 22 ArbeiterkammerG 1954; § 9 ArbeiterkammerG 1992). Sie ist von Äußerungen gegen die Arbeiterkammern (mit)betroffen: Ihr Aufgabenbereich unterscheidet sich von dem der Landes-Arbeiterkammern nur dadurch, daß er Angelegenheiten erfaßt, die mehrere Bundesländer oder das gesamte Bundesgebiet betreffen (§ 22 Abs 2 ArbeiterkammerG 1954; § 9 Abs 1 ArbeiterkammerG 1992). Auch die Klägerin ist daher eine "Arbeiterkammer", wie ihre nunmehrige Bezeichnung "Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte" deutlich macht; als solche ist sie Gesamtrechtnachfolgerin des Österreichischen Arbeiterkammertages (§ 101 Abs 1 ArbeiterkammerG 1992). Es kommt daher gar nicht darauf an, ob allgemein bekannt ist, daß die Klägerin ihren Sitz in dem in der Belangsendung gezeigten Gebäude der Arbeiterkammer Wien hat; auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, ist sie als Dachorganisation der Arbeiterkammern von den beanstandeten Äußerungen (mit)betroffen.

Diese Äußerungen bringen die Arbeiterkammern mit der "Mafia" in Zusammenhang. Es wird behauptet, daß in ihren "Hochburgen" ein "System des Zwanges und der Korruption" regiere; Gewerkschaften und Funktionäre seien "untrennbar an die Spielregeln der Macht gebunden". Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes setzt sich diese Äußerung aus Tatsachenbehauptungen und Werturteilen zusammen; ein Teil der Tatsachenbehauptungen sei richtig, das Werturteil hingegen nicht ehrenrührig. Dabei hat jedoch das Berufungsgericht außer acht gelassen, daß Äußerungen immer nach ihrem Gesamtzusammenhang und dem dadurch ermittelten Gesamteindruck zu beurteilen sind; maßgebend ist das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder -hörers (MR 1993, 17 uva).

Für den unbefangenen Durchschnittshörer (und -seher) der Belangsendung werden aber die Arbeiterkammern - und damit auch die Klägerin - einer verbrecherischen Organisation gleichgestellt, welche, wie die "Mafia", ein "System des Zwanges und der Korruption" errichtet hat. Nach ihrem Gesamtzusammenhang beurteilt ist die beanstandete Äußerung somit eine Tatsachenbehauptung, betrifft sie doch Umstände, die ihrer allgemeinen Natur nach objektiv überprüfbar sind (stRsp: SZ 60/255 uva). Auch Urteile können Tatsachenbehauptungen sein, und zwar dann, wenn sie auf entsprechende Tatsachen schließen lassen ("konkludente Tatsachenbehauptung": SZ 60/255 ua). Das trifft für die mit Filmbildern einer Geld zählenden Hand unterlegte Äußerung zu, Gewerkschaften und Funktionäre seien "untrennbar an die Spielregeln der Macht gebunden"; sie läßt damit den unbefangenen Durchschnittshörer glauben, daß die in den Kammern tätigen Funktionäre und Gewerkschaften (vor allem) damit beschäftigt seien, mit unlauteren Mitteln ihre Macht aufrechtzuerhalten und auszubauen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ist die beanstandete Äußerung daher zur Gänze als Tatsachenbehauptung zu verstehen. Als solche ist sie nach § 1330 Abs 2 ABGB zu beurteilen, wenn sie rufschädigend ist; ist sie darüber hinaus auch ehrenrührig, kommt auch die Anwendung des § 1330 Abs 1 ABGB in Betracht. In einem solchen Fall hat der Betroffene nur die Verbreitung der Tatsachenbehauptung zu beweisen (stRsp: MR 1993, 101 uva); den Wahrheitsbeweis hat der Kläger zu erbringen.

Der Vorwurf, der "Mafia" und damit einer verbrecherischen Organisation zu gleichen, ein System des Zwanges und der Korruption aufrechtzuerhalten sowie Tätigkeitsfeld von Funktionären und Gewerkschaften zu sein, die (vor allem) mit der Erhaltung und dem Ausbau ihrer Macht beschäftigt sind, ist ehrenrührig. Auch die Klägerin ist als juristische Person passiv beleidigungsfähig (ÖBl 1992, 140 mwN); sie hat - auch als Körperschaft des öffentlichen Rechtes - Anspruch auf den Schutz ihres wirtschaftlichen Rufes (MR 1993, 14 mwN).

Die Wahrheit der beanstandeten Behauptungen wäre von den Beklagten zu beweisen gewesen; diesen Beweis haben sie aber nicht erbracht. Das gilt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes - auch insoweit, als sie behauptet haben, in den "Hochburgen" der Kammern regiere ein "System des Zwanges". Mit diesen Worten wird nicht bloß auf die Pflichtmitgliedschaft der Kammerangehörigen hingewiesen, wird doch der Vorwurf einer "Zwangs"-ausübung - jedenfalls in dem hier gegebenen Zusammenhang - als rechtswidrige Einwirkung auf andere verstanden; die Pflichtmitgliedschaft der Kammerangehörigen ist aber im Gesetz vorgesehen.

Der Revision der Klägerin war somit Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes mit der Maßgabe wiederherzustellen, daß - mangels einer Solidarverpflichtung - die Verurteilung zur ungeteilten Hand zu entfallen hat. Mit der Wiederherstellung des Ersturteils sind auch die - berechtigten - Einwendungen gegenstandslos, welche die Klägerin gegen die Fassung des Spruches durch das Berufungsgericht erhoben hat.

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf §§ 41, 50, 508 a Abs 2 Satz 3 ZPO.

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