Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
In Abänderung der angefochtenen Entscheidung wird das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.116,48 (einschließlich S 886,08 Umsatzsteuer und S 1.800 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist Hauptmieterin einer Wohnung im Hause des Beklagten. Fallweise schlief dort auch ihr Enkel M***** S***** und kümmerte sich um sie; er kochte für sie und frühstückte mit ihr. Im März 1991 übersiedelte er zur Gänze in die aufgekündigte Wohnung.
Im April 1991 begab sich die Beklagte in eine Sehbehindertenpension, die kein Pflegeheim ist. Im Falle der Erkrankung müßte die Beklagte in ein Krankenhaus oder in häusliche Pflege überstellt werden. Für einen solchen Fall ist M***** S***** bereit, gemeinsam mit seinen Schwestern die Beklagte in ihrer Wohnung zu pflegen. Die Beklagte hat keinesfalls vor, ständig in dieser Sehbehindertenpension zu wohnen, sondern beabsichtigt, wieder in ihre Wohnung zurückzukehren. Auch während ihres Aufenthalts in der Sehbehindertenpension hält sie sich öfters für ein oder zwei Tage oder auch länger, je nach Lust, in der aufgekündigten Wohnung auf.
Am 17.6.1991 kündigte der Kläger, gestützt auf § 30 Abs 2 Z 4 und 6 MRG der Beklagten die Wohnung auf. Er brachte dazu vor: Die Beklagte sei in ein Altersheim übersiedelt und es sei nicht damit zu rechnen, daß sie wieder in ihre Wohnung zurückkehren könne. Der nunmehr dort wohnende Enkel sei nicht eintrittsberechtigt, denn er habe im Zeitpunkt der Übersiedlung der Beklagten nicht mit ihr im gemeinsamen Haushalt gewohnt.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß sie sich in der Wohnung fallweise aufhalte und dorthin wieder zur Gänze zurückkehren wolle.
Das Erstgericht hob die Aufkündigung als unwirksam auf und wies das Klagebegehren auf Übergabe der Wohnung ab. Es äußerte die Ansicht, § 30 Abs 2 Z 6 MRG werde durch die Spezialnorm des § 30 Abs 2 Z 4 MRG ausgeschlossen; eine gänzliche Weitergabe im Sinn dieser Gesetzesbestimmung liege nicht vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und ordnete die Übergabe der geräumten Wohnung an. Die Klägerin habe die Wohnung gänzlich weitergegeben und benötige sie in naher Zeit weder für sich noch für eintrittsberechtigte Personen; die Absicht, in die Wohnung zurückzukehren, stelle ebenso wenig wie der hypothetische Fall einer Überstellung in häusliche Pflege ein schutzwürdiges Interesse dar. Der Enkel habe auch zum Zeitpunkt des Auszuges der Beklagten nicht mit dieser im gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG sei somit verwirklicht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger begehrt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung erkennbar die Zurückweisung der außerordentlichen Revision und beantragt im übrigen, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls nicht im Rahmen der an sich zutreffend wiedergegebenen oberstgerichtlichen Rechtsprechung bewegt; sie ist im Sinn der Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung auch berechtigt.
Auch Verfahrensfehler der zweiten Instanz von erheblicher Bedeutung unterliegen der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof (ÖBl 1987, 102 ua; zuletzt 8 Ob 635/92). Ein solcher liegt hier vor, weil das Berufungsgericht aktenwidrig die Feststellungen des Erstgerichtes zusammenfaßt und seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat. Die übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen rechtfertigen nämlich nicht die zusammenfassende berufungsgerichtliche Feststellung und daraus dann gezogene rechtliche Schlußfolgerung, daß die Beklagte die Wohnung an ihren Enkel weitergegeben habe: Die Beklagte hält sich erst seit kurzer Zeit (April 1991 - Kündigung bereits im Juni 1991!) in der Sehbehindertenpension auf, hat die Absicht und die Möglichkeit, wieder zur Gänze in ihre Wohnung zurückzukehren, und hielt sich jedenfalls bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (Schluß der Verhandlung des erstinstanzlichen Verfahrens) immer wieder für einige Tage in ihrer Wohnung auf. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, daß sie ihre Wohnung gänzlich weitergegeben hat (vgl ImmZ 1991, 150; RZ 1992, 287 ua), sodaß es dahingestellt bleiben kann, ob ihr Enkel in der kurzen Zeit des gemeinsamen Wohnens auch gemeinsam mit ihr gewirtschaftet hat.
Die erstgerichtliche Entscheidung war daher wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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