OGH 10ObS130/93

OGH10ObS130/937.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Hannig (aus dem Kreis Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann H*****, Pensionist, ***** Norwegen, vertreten durch DDr.Manfred König, Rechtsanwalt in Saalfelden, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Dezember 1992, GZ 32 Rs 172/92-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. April 1992, GZ 20 Cgs 187/91-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

Beschluß

gefaßt:

Der Antrag des Klägers, gemäß § 140 Abs 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung der §§ 86 Abs 3 Z 2 und 223 Abs 2 ASVG zu stellen, wird zurückgewiesen,

2. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie einschließlich des bestätigten Teiles zu lauten haben:

"Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger ab 1.April 1990 die Alterspension in einer monatlichen Höhe von S 5.718,20, ab 1. Jänner 1991 in einer monatlichen Höhe von S 6.004,10 und ab 1.Jänner 1992 in einer monatlichen Höhe von S 6.244,20 zu zahlen.

Das Mehrbegehren des Inhalts, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die Altersrente im gesetzlichen Ausmaß für die Zeit vom 1.März 1988 bis 31.März 1990 zu gewähren, wird abgewiesen."

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 6.641,28 bestimmten Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.106,88 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 22. Februar 1923 geborene Kläger stellte am 27. (29.) März 1990 einen Antrag auf Zuerkennung einer Alterspension in Norwegen. Dieser Antrag wurde vom norwegischen Sozialversicherungsträger der Beklagten mitgeteilt und langte bei ihr am 3.Mai 1990 ein. Mit Bescheid vom 7.Juli 1991 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Alterspension ab 1.April 1990; sie sprach aus, daß die Pension ab 1.April 1990 monatlich S 5.718,20 und ab 1.Jänner 1991 S 6.004,10 beträgt. Die gebührende Nachzahlung für die Zeit vom 1.April 1990 bis 31.Juli 1991 von (netto) S 110.603,80 wurde dem Kläger angewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Klage mit dem Begehren, ihm die Alterspension mit Rücksicht auf die die Vollendung seines 65. Lebensjahres am 22. Februar 1988 bereits ab 1.März 1988 zu gewähren. Er sehe nicht ein, daß er die österreichische Alterspension erst mit 67 Jahren zugesprochen erhalte. Er habe auch nicht gewußt, daß er in Österreich früher als in Norwegen eine Alterspension erhalten hätte.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der norwegische Pensionsversicherungsträger habe den Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung auf Zuerkennung einer Alterspension mit 29. März 1990 bekannt gegeben, so daß richtigerweise Stichtag und Anfallstag mit 1.April 1990 festgesetzt worden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger, der zwar schon im Feber 1988 die Anspruchsvoraussetzungen einer Alterspension erfüllt hätte, habe erst am 29.März 1990 einen Leistungsantrag gestellt. Gemäß § 86 Abs 3 Z 2 ASVG falle die Pension bei einer Antragstellung später als einen Monat nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen erst mit dem durch diesen Antrag ausgelösten Stichtag an. Nach § 223 Abs 2 ASVG sei Stichtag der 1.April 1990.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Zumindest für den österreichischen Rechtsbereich sei in der Pensionsversicherung die Geltung des Antragsprinzips unbestritten. Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Königreich Norwegen über soziale Sicherheit vom 27. Mai 1985, BGBl. 1986/218, schränke diesen Grundsatz für den österreichischen Rechtsbereich nicht ein, vielmehr setze Art. 34 des Abkommens dieses Antragsprinzip voraus. Wenn für den Anfall der norwegischen Teilpension ein Antrag entbehrlich sein sollte, so führe dies nicht zu einer Rückdatierung des letztlich vom Kläger am 23. März 1990 gestellten Antrages, zumal die norwegische Alterspension erst später, nämlich mit Vollendung des 67. Lebensjahres, anfalle. Nach dem Territorialitätsprinzip wirke die Einschränkung des Antragsprinzips nur für den norwegischen Rechtsbereich, schränke aber die Regel des § 86 Abs 3 Z 2 ASVG nicht ein. Wenn nach dem norwegischen Sozialversicherungsrecht ein Antrag entbehrlich sei, so gehöre zu den nach österreichischen Vorschriften zu beurteilenden Leistungsvoraussetzungen auch der für den österreichischen Rechtsbereich wirksam gestellte Antrag. Die Bestimmung des Art 34 des Abkommens bedeute lediglich, daß ein in Norwegen gestellter Antrag als auch für den österreichischen Rechtsbereich gestellt anzusehen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem ausdrücklich gestellten Antrag, gemäß § 140 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, die Verfassungsmäßigkeit der §§ 86 Abs 3 Z 2 und 223 Abs 2 ASVG zu prüfen, gemeint, diese Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben, und dem weiteren Antrag, nach Aufhebung dieser Bestimmung die angefochtene Entscheidung im Sinne einer vollen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Beklagte beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nur teilweise berechtigt.

Ein Recht, vom Obersten Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, steht einem Revisionswerber nicht zu, weshalb der primär darauf abzielende Antrag zurückzuweisen war (SSV-NF 4/153 mwN; zuletzt 10 ObS 107/93).

Der Oberste Gerichtshof kann jedoch einen solchen Antrag an den Verfassungsgerichtshof stellen, wenn er Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes hat. Die Ausführungen des Revisionswerber zur angeblichen Verfassungswidrigkeit der genannten Bestimmungen wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sind jedoch nicht geeignet, solche Bedenken zu erwecken.

Der Kläger führt aus, die genannten Bestimmungen regelten den Stichtag für den Anfall der Alterspension völlig ohne Differenzierung nach dem Antragsprinzip. Bis 1985 (richtig: seit der 29. ASVG-Novelle, BGBl 1973/31, bis zur 39. ASVG-Novelle, BGBl 1983/590) sei der Pensionsberechtigte, der den Pensionsantrag über das 65. Lebensjahr hinausschob, obwohl die Leistungsvoraussetzung erfüllt war, mit einem Zuschlag zur Pension im Ausmaß von 2 % bis 5 % pro Jahr des Aufschubes belohnt worden. Seit 1985 (gemeint seit der 39. ASVG-Novelle) bestehe diese Möglichkeit im Bereich des ASVG nicht mehr, sondern nur mehr im BSVG und im GSVG. Früher sei es daher durchaus vorteilhaft gewesen, wenn der Pensionsantrag später gestellt wurde, sodaß es sinnvoll gewesen sei, den Pensionsanfall von einem Antrag abhängig zu machen. Da seit 1985 (richtig: seit der 39. ASVG-Novelle) das Zuwarten mit der Stellung des Pensionsantrages keine Auswirkungen auf die Pensionshöhe mehr habe, liege eine unsachliche Differenzierung vor, wenn der Pensionsanfall von einem Antrag abhängig gemacht werde. Ab 1.April 1991 sei wieder eine Regelung (gemeint § 261 b ASVG idF SozRÄG 1991, BGBl 1991/157) eingeführt worden, wonach ein Pensionsaufschub über das Pensionsalter von 65 Jahren eine prozentmäßige Erhöhung der Alterspension bewirke. Im übrigen kenne die österreichische Rechtsordnung auch im Beamtenrecht den ex lege Pensionsanfall mit Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren. Diesen Erwägungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Nach § 361 Abs 1 Z 1 ASVG sind die Leistungsansprüche in der Pensionsversicherung von den Versicherungsträgern im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit nur auf Antrag des Anspruchswerbers oder seines gesetzlichen Vertreters festzustellen. Das bedeutet, daß die Leistungen der Pensisonsversicherung nur dann festzustellen und zu gewähren sind, wenn neben materiellen Leistungsvoraussetzungen auch die formelle Leistungsvoraussetzung des Leistungsantrages erfüllt ist. Mit dem auf eine bestimmte Leistung der Pensisonsversicherung zu richtenden Antrag meldet der Anspruchswerber seinen diesbezüglichen Anspruch, also den behaupteten Eintritt des Versicherungsfalles an, von dem der Träger der Pensionsversicherung vorher üblicherweise keine Kenntnis hat. Der Pensionsantrag bildet daher eine notwendige Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung des angemeldeten Leistungsanspruches durch den Pensionsversicherungsträger (SSV-NF 6/58 mwN). Ein Versicherter, der das Anfallsalter für eine Alterspension erreicht hat, kann daher durch den von ihm gewählten Antragstag zwar nicht den Eintritt des Versicherungsfalles, wohl aber den - in diesen Fällen - vom Zeitpunkt der Antragstellung abhängigen Stichtag bestimmen. Daß sich aus dem AbkSozSi Österreich-Norwegen, insbesondere aus dessen Art 34, keine andere Rechtslage ableiten läßt, wurde vom Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Die Revision bezieht sich auch gar nicht mehr auf die Bestimmungen des Abkommens. Der erkennende Senat hat bereits in der genannten Entscheidung SSV-NF 6/58 ausführlich dargelegt, daß er die allen Versicherten eingeräumte Möglichkeit der Stichtagswahl für verfassungsrechtlich unbedenklich hält. Sie ermöglicht es, einem Versicherten, der etwa beim Eintritt eines Versicherungsfalles des Alters die Wartezeit noch nicht erfüllt hat oder eine höhere Alterspension beziehen möchte, die erwähnte allgemeine Leistungsvoraussetzung oder die Voraussetzung für eine höhere Leistung bis zum hinausgeschobenen Stichtag zu erfüllen, etwa auch durch Erwerb weiterer Versicherungszeiten (SSV-NF 4/21 unter Hinweis auf EB zur RV des ASVG 599 BlgNR 7. GP und Teschner in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 379). Der erkennende Senat hatte daher weder Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Regelung über den Zeitpunkt des Anfalls der Leistungen im § 86 Abs 3 Z 1 und 2 ASVG (SSV-NF 4/21) noch dagegen, daß sich der Stichtag bei Anträgen auf eine Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters, die erst nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt werden, gemäß § 223 Abs 2 ASVG nach dem Zeitpunkt der späteren Antragstellung richtet (SSV-NF 6/58). Schon aus den bereits dargelegten Gründen ist die Antrags- und Stichtagsregelung nicht unsachlich. Die genannten Bestimmungen entsprechen übrigens denjenigen im BSVG (vgl. §§ 51 und 104) und im GSVG (vgl. §§ 55 und 113), sodaß auch insoweit eine ungleiche Behandlung nicht vorliegt. Im übrigen müßten unterschiedliche Regelungen bei den Angehörigen verschiedener Berufsstände nicht als gleichheitswidrig beurteilt werden (vgl. SSV-NF 6/107). Auch die durch die 29. ASVG-Novelle eingeführte, durch die 39. ASVG-Novelle beseitigte und durch das SozRÄG 1991, wiedereingeführte Bonifikation für den Aufschub der Geltendmachung des Pensionsanspruches spricht nicht gegen die Sachgemäßheit der Antrags- und Stichtagsregelung, weil Fragen ungleicher Behandlung gleicher Fälle nicht berührt werden.

Letztlich versagt auch der Hinweis des Revisionswerbers auf das Pensionsrecht der Beamten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 11.665 = ZAS 1988, 208/29 = JBl 1988, 442 mwN) sind das Pensionsrecht der Beamten als Teil des öffentlichen Dienstrechtes auf der einen und das Pensionsversicherungsrecht als Teil der gesetzlichen Sozialversicherung auf der anderen Seite tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete, sodaß sie unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes nicht verglichen werden können (SSV-NF 5/74).

Die Revisionsausführungen sind daher unberechtigt. Dennoch kommt der Revision im Ergebnis teilweise Berechtigung zu:

Der Kläger machte mit seiner Klage die Zahlung der bescheidmäßig gewährten Alterspension von einem früheren als dem im Bescheid genannten Zeitpunkt geltend. Durch die Klage trat jedoch der Bescheid zur Gänze außer Kraft (SSV-NF 1/1 uva). In dem Umfang, in dem der bekämpfte Bescheid außer Kraft getreten ist, hat das Gericht über den vom Kläger beim Versicherungsträger gestellten Antrag neu abzusprechen. Dies bedeutet, daß das Erstgericht bzw. das Berufungsgericht, da sie das Begehren des Klägers und damit den Anspruch auf die Leistung für die Zeit vor dem 1.April 1990 nicht für berechtigt erachteten, dem Kläger die Leistung in dem von der Beklagten gewährten Umfang hätten zuerkennen müssen, weil das Urteil an die Stelle des außer Kraft getretenen Bescheides zu treten hat (SSV-NF 6/137; zuletzt 10 ObS 87/93). Andernfalls bestünde für die Pensionsleistung ab 1.April 1990 keine Anspruchsgrundlage. Da der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht und in zulässiger Form ausgeführt wurde, hätte das Berufungsgericht diesen Verstoß im Rahmen der allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung wahrzunehmen gehabt. Da unstrittig ist, daß dem Kläger jedenfalls sein Anspruch auf Alterspension ab 1.April 1990 zusteht, konnte der Oberste Gerichtshof die von den Vorinstanzen unterlassene Entscheidung nachholen. Was die Höhe der Alterspension betrifft, so hat sich die gerichtliche Entscheidung auf den gesamten Zeitraum bis Schluß der Verhandlung erster Instanz zu erstrecken (23.April 1992) und Rechtsänderungen bis zu diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen (SSV-NF 2/131, 6/18). Da sich mit 1.Jänner 1992 und damit vor Schluß der Verhandlung erster Instanz die Pension infolge Pensionsanpassung erhöhte, hatte der Zuspruch der Leistung ab 1. Jänner 1992 unter Berücksichtigung der sich dadurch ergebenden Änderung zu erfolgen (ebenso SSV-NF 6/137).

Nur in diesem Umfang kommt der Revision im Ergebnis Berechtigung zu.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Wiewohl der Kläger mit der Klage nicht mehr erreichte, als die beklagte Partei in ihrem Bescheid zuerkannte, war die Einbringung der Berufung und der Revision im Ergebnis notwendig, da auf Grund der Rechtsmittel die Zuerkennung der im Bescheid gewährten Leistung erfolgte (SSV-NF 3/31 u.a.; zuletzt 10 ObS 87/93).

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