OGH 12Os86/93(12Os87/93)

OGH12Os86/93(12Os87/93)2.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.September 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Kuch, Dr.Mayrhofer und Dr.Rouschal als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärerin Mag.Weigl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kurt R***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Frohnleiten vom 14. Mai 1992, GZ U 26/91-22, und des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Berufungsgericht vom 23.Dezember 1992, AZ 1 c Bl 130/92, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, der Generalanwältin Dr.Bierlein, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Kurt R***** wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB, AZ U 26/91 des Bezirksgerichtes Frohnleiten bzw. AZ 1 c Bl 130/92 des Landesgerichtes Graz, verletzen das Gesetz:

1) das Urteil des Bezirksgerichtes Frohnleiten vom 14.Mai 1992, GZ U 26/91-22, soweit der Beschuldigte damit zur Zahlung eines Schmerzengeldteilbetrages von 1.000 S an den Privatbeteiligten Erich H***** verurteilt wurde, sowie das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 23.Dezember 1992, AZ 1 c Bl 130/92, mit dem die Berufung des Angeklagten gegen diesen Privatbeteiligtenzuspruch zurückgewiesen wurde, in den Bestimmungen der §§ 366 Abs. 2, 369 Abs. 1, 447 Abs. 1 StPO iVm § 333 Abs. 1 und 4 ASVG und

2) die Unterlassung in beiden Instanzen, den Beschuldigten (Angeklagten) bzw. seinen Verteidiger zu den vom Privatbeteiligten Ernst H***** geltend gemachten Ersatzansprüchen zu vernehmen, in der Bestimmung der §§ 365 Abs. 2, 447 Abs. 1 StPO.

Die bezeichneten Urteile, und zwar die Berufungsentscheidung zur Gänze und das Erkenntnis des Bezirksgerichtes Frohnleiten, das im übrigen unberührt bleibt, im erwähnten Ausspruch, werden aufgehoben und es wird gemäß § 292 StPO in der Sache selbst erkannt:

Der Privatbeteiligte Erich H***** wird mit seinen Ersatzansprüchen nach § 366 Abs. 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 3.November 1958 geborene Baupolier Kurt R***** wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Frohnleiten vom 14.Mai 1992, GZ U 26/91-22, des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe sowie gemäß § 369 StPO zur Zahlung eines Schmerzengeldteilbetrages von 1.000 S an den Privatbeteiligten Erich H***** verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, daß er am 21.März 1991 in Frohnleiten Erich H***** fahrlässig am Körper verletzte, indem er ihn als verantwortlicher Baupolier bei Abbruchsarbeiten mit der Abtragung eines Holzdaches ohne jegliche Absicherung beauftragte, wodurch der Genannte abstürzte und eine schwere Verletzung, nämlich einen Bruch des ersten Lendenwirbels sowie Hautabschürfungen, erlitt.

Die Berufung des Angeklagten gegen den Privatbeteiligtenzuspruch wies das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Entscheidung vom 23. Dezember 1992, AZ 1 c Bl 130/92 (GZ U 26/91-30 des Bezirksgerichtes Frohnleiten), mit der Begründung zurück, daß zwar ein Arbeitsunfall anzunehmen, die Haftung des Täters für die auf einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt zurückgehenden Schmerzengeldansprüche jedoch nach § 333 Abs. 1 ASVG nicht ausgeschlossen sei.

Rechtliche Beurteilung

Mit Recht weist die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde darauf hin, daß der Schmerzengeldzuspruch an den Privatbeteiligten im Urteil des Bezirksgerichtes Frohnleiten vom 14.Mai 1992 und das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 23.Dezember 1992 mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen:

§ 333 Abs. 1 und 4 ASVG schränkt die Haftung (ua) des Aufsehers im Betrieb für den Ersatz des aus einer Körperverletzung des Versicherten bei einem Arbeitsunfall resultierenden Schadens auf den Fall ein, daß er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat. Diese Einschränkung erstreckt sich - mit der hier nicht zutreffenden Ausnahme des § 333 Abs. 3 ASVG - auf sämtliche zivilrechtliche Schadenersatzansprüche - einschließlich jener auf Schmerzengeld -, die aus einem nach §§ 4 ff ASVG der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegenden Arbeitsunfall resultieren, soweit sie Personenschäden betreffen, weil § 333 ASVG diese Ansprüche abschließend regelt und damit alle anderen Haftungsgründe - insbesondere auch solche nach § 1325 ABGB - ausschließt (vgl. 12 Os 46,47/83; 12 Os 94,95/85; 12 Os 43,44/90; Gehrmann-Rudolph-Teschner-Fürböck, ASVG, Anm. 1 und 5 zu § 333; SV-Slg XIII/Nr 22 235; SV-Slg VI/Nr 9 587).

Als Verantwortlicher für die gegenständliche Baustelle war Kurt R***** - im Sinne der insoweit zutreffenden Erwägungen des Rechtsmittelgerichtes - Betriebsaufseher nach § 333 Abs. 4 ASVG (siehe dazu auch Gehrmann-Rudolph-Teschner-Fürböck, aaO, Anm. 11 zu § 333). Da die Verletzungen und die daraus resultierenden Schmerzen Erich H*****s auf einen durch den Verurteilten fahrlässig verursachten Arbeitsunfall zurückgehen, war der Privatbeteiligtenzuspruch im Hinblick auf die Haftungsbefreiung nach § 333 Abs. 1 ASVG rechtlich verfehlt. Vielmehr wäre der Privatbeteiligte, dessen Anschluß an das Strafverfahren (S 93) gemäß § 47 Abs. 1 StPO an sich zulässig war (ähnlich ÖJZ-LSK 1982/133), mit seinem Schmerzengeldanspruch auf den Zivilrechtsweg zu verweisen gewesen (ÖJZ-LSK 1982/197; abermals 12 Os 43,44/90; 12 Os 94,95/85 uva).

Während das Bezirksgericht Frohnleiten vor Fällung des Adhäsionserkenntnisses eine Prüfung, ob die rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Ersatzanspruchs gemäß §§ 366 Abs. 2 und 369 Abs. 1 StPO (iVm § 447 Abs. 1 StPO) im Zusammenhalt mit § 333 Abs. 1 und 4 ASVG vorliegen, überhaupt unterlassen hat, hat der Berufungssenat der aufgezeigten Rechtslage zuwider das Bestehen eines Ersatzanspruches angenommen.

Der Zuspruch an den Adhärenten war aber auch deshalb unzulässig, weil nach der Aktenlage weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Berufungsverhandlung die in § 365 Abs. 2 StPO (iVm § 447 Abs. 1 StPO) zwingend vorgeschriebene Vernehmung des Beschuldigten (Angeklagten) bzw. seines Verteidigers (SSt 40/62, 43/24, 53/19 (= EvBl 1982/186); RZ 1983/9, 1985/29 ua) zum geltend gemachten Anspruch stattgefunden hat (S 93 f, 119 f).

Der Feststellung der Gesetzesverletzungen war gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zuzuerkennen und die gesetzwidrige Benachteiligung des Angeklagten aus Anlaß der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Beschwerde spruchgemäß zu beseitigen (ua SSt 53/19; JBl 1981, 605; erneut 12 Os 43,44/90), wodurch auch alle davon betroffenen Anordnungen, insbesondere die Endverfügung ON 31, soweit sie mit dem Privatbeteiligtenzuspruch im Zusammenhang steht, wegfallen.

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