OGH 7Ob579/93

OGH7Ob579/931.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Graf, Dr.Schalich und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Kinder Andreas Sch*****, geboren am 21.Oktober 1980, Thomas Sch*****, geboren am 22.Oktober 1982 und Michaela Sch*****, geboren am 23. August 1986, vertreten durch deren Mutter Mag.Inge Sch*****, diese vertreten durch Dr.Nikolaus Lehner, Rechtsanwalt in Wien, infolge Revisionsrekurses der Kinder gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 21.April 1993, GZ 47 R 172/93-32, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom 9.Februar 1993, GZ 3 P 101/92-29, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Pflegschaftssache wurde am 28.Oktober 1992 beim Bezirksgericht Hernals durch Anträge sowohl des ehelichen Vaters als auch der Mutter auf Übertragung der alleinigen Obsorge anhängig gemacht. Ein Antrag des Vaters auf Einräumung eines Besuchsrechtes folgte wenige Tage später. Bereits damals wohnten die Minderjährigen nicht mehr in der im Sprengel des Bezirksgerichtes Hernals gelegenen früheren ehelichen Wohnung, weil sie mit der Mutter am 21.10.1992 von dort nach Wien 14 verzogen waren, wobei die Mutter gleichzeitig bei all ihren Kindern einen Schulwechsel veranlaßte. Das Scheidungsverfahren zwischen den Eltern der Kinder ist nach wie vor beim Bezirksgericht Hernals anhängig. Nunmehr wohnt die Mutter mit den Kindern nach einem weiteren Wohnungswechsel in Wien 4, *****. Über die Anträge des Vaters und der Mutter, ihnen jeweils allein die Obsorge der Kinder zu übertragen, und über den Besuchsrechtsantrag des Vaters wurde bislang noch nicht entschieden.

Da die Kinder nun nicht mehr im Sprengel des angerufenen Gerichtes wohnen, stellte die Mutter am 27.11.1992 den Antrag, die Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 1 JN dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu übertragen (ON 9).

Das Erstgericht gab dem Antrag statt.

Das Rekursgericht änderte mit der angefochtenen Entscheidung diesen Beschluß dahin ab, daß es den Antrag abwies. Bei dem bestehenden öffentlichen Verkehrsnetz innerhalb Wiens könnten unterschiedliche örtliche Entfernungen zu dem einen oder anderen Wiener Gericht keine Auswirkung auf die Effizienz der in Frage kommenden Pflegschaftstätigkeit haben. Mögliche geringfügige Unterschiede in den Anfahrtszeiten seien daher zu vernachlässigen. Eine Kenntnis der - in der Regel kaum ins Gewicht fallenden - "sozialen" Unterschiede der Bevölkerungsstruktur in dem einen oder anderen Gerichtssprengel dürfte bei allen Gerichten innerhalb des Wiener Raums in ausreichendem Maß vorausgesetzt werden. Das Erstgericht sei nicht nur mit dem Pflegschaftsverfahren vertraut, sondern könne auch durch die gleichzeitige Führung des Scheidungsverfahrens einen besonders guten Einblick in die persönlichen Verhältnisse der Eltern und damit wichtige Beweisergebnisse gewinnen.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Kindern gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Die Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 1 JN kann dann verfügt werden, wenn damit die wirksame Handhabung des den Minderjährigen zugedachten pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Ausschlaggebendes Kriterium solcher Vorkehrungen ist daher immer das Kindeswohl (1 Ob 588/91 = EFSlg 66.882, 66.898). Der Aufenthalt des Pflegebefohlenen mit der erziehungsberechtigten Mutter in einem anderen Gerichtssprengel muß daher nicht in allen Fällen die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 1 JN zur Folge haben (vgl 7 Ob 582/87 = EFSlg 54.945, 54.953 und 54.959 mwN). Zwar wurde in der Entscheidung 1 Ob 588/91 unter nicht zutreffender Berufung auf 7 Ob 582/87 im Gegensatz zu dieser Entscheidung und zur Entscheidung 5 Ob 549/77 (EFSlg 29.937) ausgesprochen, daß eine solche Verfügung auch bei einem Wohnsitzwechsel innerhalb Wiens stets dann zu treffen sei, wenn sich der Lebensmittelpunkt der Minderjährigen im Sprengel jenes Gerichtes befindet, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll; doch lag dieser Entscheidung ein völlig anders gelagerter Sachverhalt zugrunde.

Der erkennende Senat folgt deshalb den zitierten Entscheidungen des

5. und 7.Senates, aus denen sich ergibt, daß bei einem Wohnungswechsel innerhalb Wiens Zuständigkeitsübertragungen nach § 111 Abs 1 JN auf ein anderes Wiener Bezirksgericht zumindest dann, wenn über gestellte Anträge schon Beweisaufnahmen durchgeführt worden sind, grundsätzlich untunlich sind, es sei denn, daß besondere, für das Wohl des Kindes sprechende Gründe hiefür vorliegen.

Ob der nunmehrige Wohnsitz der Kinder und ihrer Mutter ein endgültiger ist (vgl AS 35 in ON 12), läßt sich zwar derzeit nicht beurteilen; doch kommt diesem Umstand keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Die Kinder besuchen Schulen im 15.Gemeindebezirk (vgl AS 35 in ON 12), die Mutter übt ihren Beruf an einer Schule in Wien 21, aus (vgl AS 48 in ON 18). Wenn auch die geographische Entfernung von der nunmehr von den Kindern und ihrer Mutter bewohnten Wohnung zum Bezirksgericht Innere Stadt Wien geringer ist als jene zum Bezirksgericht Hernals, vermag dies im Hinblick auf die guten Verbindungen im öffentlichen Verkehrsnetz Wien keine nennenswerte Rolle zu spielen, zumal davon auszugehen ist, daß die Wege zum Gericht entweder vom Arbeitsplatz bzw von der Schule aus erfolgen oder im Anschluß für die gerichtliche Einvernahme wieder dorthin zurückzukehren ist. Dem möglicherweise durch die Anfahrt zum Bezirksgericht Hernals entstehenden geringfügigen Zeitverlust steht entgegen, daß sich dieses Gericht bereits weitgehend in den Sachverhalt eingearbeitet hat und der unmittelbare Eindruck, den es von den bisher aufgenommenen Beweismitteln gewinnen konnte, bei einer Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien verlorenginge (vgl EFSlg 63.954).

Dem Revisionsrekurs war daher keine Folge zu geben.

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