OGH 15Os100/93

OGH15Os100/9326.8.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.August 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Weigl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Aloisia G***** wegen des Verbrechens des versuchten schweren Betruges nach §§ 15, 146, 147 Abs. 1 Z 1, Abs. 3 und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4.März 1993, GZ 6 Vr 1148/92-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im übrigen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurde Aloisia G***** (zu I) des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB sowie (zu II) des Verbrechens des versuchten schweren Betruges nach §§ 15, 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat sie in S*****

(zu I) am 27.März 1992 oder zu einem späteren Zeitpunkt einen mit 7. Mai 1990 datierten, mit Schreibmaschine verfaßten und mit der (nachgemachten) Unterschrift ihrer am 25.Juli 1991 verstorbenen Mutter versehenen, von dieser an sie gerichteten Brief zum Beweis ihres Anspruches auf Leistungen aus dem Nachlaßvermögen, somit eine falsche Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweise der sich daraus ergebenden Rechte und Tatsachen gebraucht, indem sie sie dem Gerichtskommissär, Notar Dr.Wilhelm H*****, vorlegte.

(zu II) am 27.März 1992 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, das Bezirksgericht Stainz als Verlassenschaftsgericht durch Übergabe eines mit 15.Oktober 1989 datierten Testamentes mit dem Wortlaut: "Letzter Wille, Luisi kriegt mein Haus und Grund, R***** Johanna, 15.Oktober 1989" an den Gerichtsabgeordneten Dr.Wilhelm H*****, mithin durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung einer falschen Urkunde, von der sie wußte, daß diese nicht von der Hand ihrer Mutter stammt, zu einer Handlung, nämlich ihr den ruhenden Nachlaß betreffend die Liegenschaft EZ*****, einzuantworten, zu verleiten versucht, die den ruhenden Nachlaß nach der am 25.Juli 1991 verstorbenen Johanna R***** an seinem Vermögen im Werte von 820.000 S geschädigt hätte.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft die Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf die Gründe der Z 4, 5, 5 a und 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO gestützt wird.

In der Hauptverhandlung am 4.März 1993 beantragte die Angeklagte die Vernehmung der Zeugen Josef R***** und Johanna K***** zum Beweise dafür, daß Johanna R***** erklärt hatte, die Angeklagte würde alles erben (S 95), sowie die Vernehmung des Arztes Dr.Johann D***** als Zeugen zum Beweis dafür, daß Johanna R***** im Oktober 1989 und Mai 1990 trotz Krankheit in der Lage war, wesentliche Sachverhalte zu begreifen und Unterschriften zu leisten, weil ihre Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten war, daß sie dieses nicht mehr hätte tun können (S 96).

Diese Anträge wies das Schöffengericht durch Zwischenerkenntnis gemäß § 238 Abs. 2 StPO mit der Begründung ab, daß das Gericht ohnedies davon ausgehe, daß Johanna R***** erklärt habe, sie würde der Angeklagten alles vererben, daß sie sich aber damals bereits in einem Zustand geistigen Verfalls befunden habe; weiters daß sich der mehrere Jahre zurückliegende Zustand der Genannten nicht mehr feststellen lasse und daß weder der zu I angeführte Brief noch das zu II genannte Testament nach dem Schriftsachverständigengutachten von der Hand der Erblasserin stammen (S 97).

Durch die Nichtdurchführung dieser Beweise erachtet sich die Angeklagte nach dem Inhalt ihrer Verfahrensrüge (Z 4) in ihren Verteidigungsrechten verkürzt; dies indes zu Unrecht.

Nach den in der Hauptverhandlung verlesenen Angaben der Zeugin Gertrude R***** vor dem Untersuchungsrichter (vgl S 96 iVm ON 10) war Johanna R***** im Oktober 1989 geistig instabil. Sie war manchmal verwirrt, wollte zu Fuß nach Hause gehen und mußte angezogen werden. Sie erlitt dann mehrere kleine Schlaganfälle und ca sechs Monate später wurde sie inkontinent, zerriß die Windeln, schmierte mit ihrem Kot und versteckte ihre Sachen. Ab glaublich Anfang 1990 war der geistige Zustand der Genannten so schlecht, daß man ihr nicht begreiflich machen konnte, auf die Leibschüssel zu gehen. Aus diesem Beweisergebnis durfte das Erstgericht, ohne daß es der begehrten weiteren Beweisaufnahme bedurfte, ableiten, daß sich die Verstorbene zur Zeit ihre Erklärung, die Angeklagte würde alles erben, jedenfalls in einem geistig nicht unbedenklichen Zustand befand.

Das Beweisthema aber, daß die Verstorbene im Oktober 1989 und Mai 1990 trotz ihrer Krankheit noch in der Lage war, wesentliche Sachverhalte zu begreifen und Unterschriften zu leisten, steht mit der eben wiedergegebenen Aussage der Zeugin R***** nicht in Einklang. Insofern hätte es schon im Antrag auf Vernehmung des Zeugen Dr.D***** eines zusätzlichen Vorbringens bedurft, aus welchen Gründen dieser Zeuge trotz des Inhalts der Aussage der Zeugin R***** zur Ansicht gelangt sein könnte, Johanna R***** sei im Oktober 1989 und Mai 1990 im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen.

Daß sich aber - wie in der Beschwerde behauptet wird - durch die Aufnahme der begehrten Beweise ergeben hätte, daß die Angeklagte nicht wissen und erkennen konnte, daß es sich bei den Urkunden vom 15. Oktober 1989 und 7.Mai 1990 um Fälschungen handle, war nicht Gegenstand des Beweisantrages, sodaß die Angeklagte zur Relevierung dieses Umstandes in der Verfahrensrüge nicht legitimiert ist.

In der Mängelrüge (Z 5) werden Begründungsmängel dahin behauptet, daß

1. dem Urteil nicht zu entnehmen sei, aus welchem Grund das Gericht zur Ansicht gelangte, die Angeklagte habe wissen müssen (richtig: gewußt - vgl S 106), daß die zu I und II angeführten Urkunden nicht von der Hand der Verstorbenen stammten,

2. der Annahme des Erstgerichtes, es sei jeder Lebenserfahrung fremd, daß die Angeklagte sich nicht vergewissert habe, was im Testament (das sich in einem offenen Briefumschlag befunden hat) stehe, entgegenstehe, daß es Auftrag der Verstorbenen gewesen sei, erst nach ihrem Ableben hineinzuschauen,

3. das Gericht einerseits eingestehe, es sei nicht sicher, daß das mit 15.Oktober 1989 datierte Testament tatsächlich auch an diesem Tag gefälscht worden sei, zum anderen aber davon ausgehe, daß Johanna R***** an jenem Tag und auch am 7.9. (richtig: 5.)1990 nicht mehr Herr ihres Willens gewesen sei,

4. die Urteilsfeststellung, der Angeklagte sei es nicht gelungen, ihre Mutter dahin zu bringen, anstatt ihres Bruders sie als Alleinerbin einzusetzen - wofür es keine Beweisergebnisse gebe -, übergehe, daß die Angeklagte von der Existenz des Testaments vom 4. März 1980 (in dem ihr Bruder Karl R***** zum Alleinerben eingesetzt war) überhaupt nichts wußte und daß die Zeugin R***** bekundet habe, die Verstorbene hätte geäußert, die Angeklagte werde alles bekommen sowie daß die Erben sich noch einmal schön streiten würden und

5. das Erstgericht unklar gebliebene Umstände zum Nachteil für die Angeklagte unzulässig ergänze, indem es ausführe, daß die Angeklagte das Schreiben vom 7.Mai 1990 deshalb verfaßt und ihrer Mutter zur Unterschrift vorgelegt hätte, weil diese die Errichtung eines Testaments zugunsten der Angeklagten verweigert hätte, dies bereits in der Absicht, nach dem Tod ihrer Mutter das "falsche Testament" vorzulegen und - falls dieses nicht akzeptiert werden sollte - zumindest für ihre Ausgaben ein Dokument parat zu haben, laut welchem ihre seinerzeitigen Ausgaben für die Mutter im Verlassenschaftsverfahren geltend gemacht werden konnten.

Schon dem ersten Einwand der Mängelrüge kommt Berechtigung zu:

Das Wissen der Angeklagten dahin, daß das Testament vom 15.Oktober 1989 und der Brief vom 7.Mai 1990 nicht von Johanna R***** ge- bzw unterschrieben wurde, wurde damit begründet, daß die Angeklagte Gewinntragende des Testamentes und Nutznießerin des Briefinhaltes sei (S 108), auf Grund des Sachverständigengutachtens die Verstorbene weder das Testament ge- noch den erwähnten Brief unterschrieben habe (S 106) und Johanna R***** sich der Angeklagten gegenüber geweigert habe, ihr Testament vom 4.März 1980 zu ändern und den mit 7.Mai 1990 datierten Brief zu unterschreiben (S 107 f).

Diese Begründung ist nicht geeignet, die Feststellung, die Angeklagte habe gewußt, daß das Testament vom 15.Oktober 1989 nicht von Johanna R***** geschrieben und der Brief vom 7.Mai 1990 nicht von ihr unterschrieben worden sei, zu tragen. Denn weder die Tatsache, daß die Angeklagte Gewinntragende der letztwilligen Anordnung ist, noch die auf Grund des graphologischen Sachverständigengutachtens gestützte Annahme, daß die Verstorbene weder das Testament ge- noch den erwähnten Brief unterschrieben hat, lassen den Schluß zu, daß deshalb die Angeklagte gewußt hat, diese Schriftstücke stammten nicht von Johanna R*****, zumal die Angeklagte vom Vorwurf, sie selbst sei die Herstellerin des verfahrensgegenständlichen Testamentes gewesen, freigesprochen worden ist.

Die weiteren, zur Stützung dieser Annahme im Ersturteil angeführten Argumente, daß die Angeklagte "möglicherweise" erfahren habe, daß ihr Bruder Karl R***** von ihrer Mutter zum Alleinerben eingesetzt worden sei (S 106) sowie daß es ihr "offenbar" nicht gelungen sei, ihre Mutter dazu zu bringen, anstatt ihres Bruders sie als Alleinerbin einzusetzen (S 107), erweisen sich mangels der in § 270 Abs. 2 Z 5 StPO geforderten vollen Bestimmtheit der Entscheidungsgründe als bloße Scheingründe, die auf eine rein willkürliche Annahme des Gerichtes hinweisen, die auch im Lichte der freien richterlichen Beweiswürdigung nicht zulässig ist (vgl Mayerhofer-Rieder, StPO3, E 116 zu § 281 Z 5 und E 88a zu § 270).

Die aufgezeigten Begründungsmängel lassen eine Entscheidung in der Sache selbst durch den Obersten Gerichtshof nicht zu, vielmehr ist eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich.

Der zum Vorteil der Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde war daher - ohne daß es eines Eingehens auf die weiteren Beschwerdepunkte bedurfte - gemäß § 285 e StPO schon in nichtöffentlicher Sitzung Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Im neu durchzuführenden Verfahren wird für den Fall eines erneuten Schuldspruchs wegen Betruges zu beachten sein: Ob der in der Anklageschrift angeführte Betrag von 820.000 S auch dem Betrugsschaden entspricht, auf den sich der Vorsatz der Angeklagten erstreckt hat, und der bei planmäßigem Gelingen der Tat eingetreten wäre, läßt sich ohne zusätzliche Aufklärung weiterer subjektiver und objektiver Gegebenheiten rechtlich nicht verläßlich beurteilen, weil hiezu Feststellungen zu den (nach herrschender Ansicht mit dem Tod der Erblasserin entstehenden) Pflichtteilsansprüchen erforderlich sind. Diesbezüglich deutet nach der Aktenlage die Existenz von insgesamt sechs pflichtteilsberechtigten Kindern darauf hin, daß bei allfälliger Geltendmachung die Berücksichtigung derartiger gegen den Nachlaß entstehender Ansprüche der durch die Betrugstat bewirkte Schaden den Betrag von 500.000 S nicht überstiegen haben muß.

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