OGH 6Nd505/93

OGH6Nd505/9319.8.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Benjamin S*****, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 2 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache betreffend den mj. Benjamin S*****, durch das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wird nicht genehmigt.

Text

Begründung

Das jetzt vierjährige Kind ist der außereheliche Sohn der obsorgeberechtigten Sabine S***** und des Bernhard H.J. L*****, der sich nach dem Aktenstand seit 25. Oktober 1991 wegen des Verdachtes des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB in Untersuchungshaft befindet. Das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz als Pflegschaftsgericht genehmigte a) letztlich den Ankauf einer Liegenschaft in St. Leonhard samt Haus durch das - von seinem Vater vertretenen - Kind von einem (zwischenzeitig dem Konkurs verfallenden) Rechtsanwalt als Masseverwalter, die Aufnahme eines Darlehens zur Bezahlung des Kaufpreises und die Einräumung eines Belastungs- und Veräußerungsverbotes zu Gunsten der väterlichen Großeltern und eines Onkels als Bürgen und Zahler (ON 24 und 27), die Vermietung von Werbeflächen an der Außenseite des Hauses und die Bewilligung der Verfahrenshilfe (zur Einbringung einer Klage gegen die Darlehensgeberin wegen Einwilligung in die Löschung von Pfandrechten u. a., nachdem der Masseverwalter den Kaufpreis nicht an die Darlehensgeberin weitergeleitet hatte; ON 38), die Aufkündigung eines Mieters und die Einbringung einer Mietzins- und Räumungsklage gegen eine Mieterin (ON 42) sowie b) den Eintritt des Kindes als Gesellschafter mit einer Stammeinlage von 50.000 S in eine Betriebsberatungs GmbH, die faktisch vom Vater des Kindes bis zu seiner Verhaftung geführt wurde. Ab März 1992 war Gegenstand des Pflegschaftsverfahrens nur mehr die Enthebung des mit Beschluß vom 5. Oktober 1990 ON 33 zum Widerstreitsachwalter in sämtlichen Prozeßangelegenheiten, welche sich aus dem Ankauf der genannten Liegenschaft ergeben, bestellten Vaters und die Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Widerstreitsachwalter für das Kind in Ansehung von dessen Gesellschafterstellung und des Ankaufes der Liegenschaft (ON 58, 60, 72).

Das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz übertrug mit rechtskräftigem Beschluß vom 11.Jänner 1993 ON 83 seine Zuständigkeit (zur Besorgung dieser Pflegschaftssache) an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, weil das Kind seit mehr als sechs Monaten bei seiner Mutter in Wien wohne. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien lehnte die Zuständigkeit zur Weiterführung dieser Pflegschaft ab, weil in Graz noch derart umfangreiche Verfahren anhängig seien, in die das Kind verwickelt sei, daß die Abtretung an ein Wiener Gericht keineswegs die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten vormundschaftsbehördlichen Schutzes fördere.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung ist nicht zu genehmigen.

Die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 1 JN kann - ganz oder teilweise - verfügt werden, wenn damit die wirksame Handhabung des dem Kind zugedachten pflegschaftsbehördlichen Schutzes voraussichtlich "befördert wird", das heißt dazu erforderlich erscheint. Ausschlaggebendes Kriterium solcher Vorkehrungen ist demnach bei Kindern immer das Kindeswohl; eine solche Verfügung ist daher im allgemeinen dann zu treffen, wenn sich der Lebensmittelpunkt des Kindes im Sprengel jenes Gerichtes befindet, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll (1 Ob 588/91 ua). Denn es wird typischerweise angenommen, daß durch die Übertragung die wirksame Handhabung des dem Kind zugedachten behördlichen Schutzes voraussichtlich befördert wird. § 111 JN sieht aber die Anpassung an die besondere Fallgestaltung vor (7 Nd 506/88).

Sind aller Voraussicht nach behördliche Maßnahmen, die einen speziellen Bezug zum Aufenthaltsort des Kindes haben, nicht erforderlich, so besteht dann, wenn noch eine Entscheidung über einen Antrag aussteht, der stärkere Beziehungen zum bisher mit der Sache befaßten Antrag aufweist, kein Anlaß zur Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (EFSlg 60.741). Hier lebt zwar das Kind mit seiner Mutter nun in Wien, allein Gegenstand aller bisher im Interesse des Kindeswohls vorgenommenen pflegschaftsbehördlichen Maßnahmen waren, wie sich aus dem Akt ergibt, ausschließlich solche, die im Zusammenhang mit der Tatsache stehen, daß das Kind - über Veranlassung seines Vaters - Käufer einer Liegenschaft in St. Leonhard (Graz) und Gesellschafter einer in Graz domizilierten Gesellschaft mbH ist. In Ansehung der Liegenschaft werden in Graz Rechtsstreitigkeiten abgeführt. Offene Anträge sprechen zwar nach ständiger Rechtsprechung im allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung (EFSlg 66.885 ua), es sei denn, wenn das Wohl des Kindes aus besonderen Umständen von dem bisher befaßten Gericht wirksamer beachtet werden kann (4 Ob 509/92). Im bisherigen Verfahren ging es ausschließlich um die Liegenschaft und die Gesellschafterrechte des Kindes. Durch die Übertragung der Zuständigkeit werden die hier allein maßgeblichen wirtschaftlichen Interessen des Kindes und die wirksame Handhabung des ihm zugedachten Schutzes voraussichtlich nicht gefördert. Ein spezieller Bezug bei diesen Maßnahmen zum Aufenthaltsort des Kindes besteht nicht. Andere Maßnahmen zum Kindeswohl (Obsorgezuteilung, Unterhalt, Besuchsrecht etc) sind nach der Aktenlage derzeit nicht erforderlich.

Die Voraussetzungen zur Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 2 JN liegen demnach zumindest derzeit nicht vor.

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