OGH 15Os65/93

OGH15Os65/9319.8.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.August 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Weigl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr.Ingeborg F***** wegen des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 20.Juli 1992, AZ 21 Bs 214/92 (GZ 6a E Vr 6147/91-31 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Hauptmann, und des Verteidigers Dr.Riedl jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 20.Juli 1992, AZ 21 Bs 214/92 (= 6a E Vr 6147/91-31), verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 393 Abs. 3 StPO iVm § 1 Abs. 1 RATG.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien aufgetragen, neuerlich über die Beschwerde des Subsidiaranklägers zu entscheiden.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.März 1992, GZ 6 a E Vr 6147/91-20, wurde Dr.Ingborg F***** von der gegen sie vom Subsidiarankläger Stefan Z***** wegen des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs. 1 StGB erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen. Dem gemäß § 366 Abs. 1 StPO mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesenen Privatbeteiligten Stefan Z***** wurde gemäß § 390 (zu ergänzen: Abs. 1) StPO der Ersatz der Kosten des Verfahrens auferlegt.

Die vom Subsidiarankläger zu ersetzenden Kosten der Verteidigung der Dr.Ingeborg F***** wurden vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluß vom 12.Mai 1992, GZ 6 a E Vr 6147/91-27, antragsgemäß (vgl ON 23) mit S 41.625,90 bestimmt. Dabei stützte sich das Gericht (ersichtlich) auf die Ansätze der autonomen Honorarrichtlinien (AHR), insbesondere jene der §§ 9 Abs. 1 Z 2 lit a, 10 Abs. 1 und 2, 11 und

12.

Der dagegen vom Subsidiarankläger erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 20.Juli 1992 zu AZ 21 Bs 214/92 (ON 31 des Vr-Aktes) Folge; es hob den angefochtenen Beschluß auf und bestimmte die vom Subsidiarankläger der Angeklagten zu ersetzenden Verfahrenskosten mit S 12.243,52. Das Beschwerdegericht vertrat hiebei die Ansicht, daß der Kostenersatzanspruch der freigesprochenen Angeklagten sich nach den Bestimmungen der Tarifpost 4 (I) des Bundesgesetzes über den Rechtsanwaltstarif (RATG) richtet.

Rechtliche Beurteilung

Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien steht, wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 393 Abs. 3 StPO haben jene Personen, denen der Ersatz der Prozeßkosten überhaupt zur Last fällt - mithin gemäß § 390 Abs. 1 StPO also auch Privatbeteiligte im Falle der Beendigung von Strafverfahren, welche gemäß § 48 StPO lediglich auf ihren Antrag stattgefunden haben, auf andere Weise als durch ein verurteilendes Erkenntnis - auch alle Kosten der Verteidigung und der Vertretung zu ersetzen. Ob die Vertretungshandlungen notwendig waren oder sonst nach Beschaffenheit des Falles gerechtfertigt sind (§ 395 Abs. 2 StPO), ist durch das Gericht zu prüfen, das mangels eines Übereinkommens die Kostenbestimmung vorzunehmen hat (§ 395 Abs. 1 StPO).

Gemäß § 1 RATG besteht der Anspruch der Rechtsanwälte auf Entlohnung nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes (einschließlich des ihm angeschlossenen Tarifs) außer im zivilgerichtlichen und schiedsrichterlichen Verfahren auch im Strafverfahren über eine Privatanklage sowie für die Vertretung von Privatbeteiligten (siehe auch Tarifpost 4 RATG). Die Kosten der Verteidigung im gerichtlichen Strafverfahren sind daher nur im Privatanklageverfahren nach dem Rechtsanwaltstarif zu bestimmen (EvBl 1983/46; AnwBl 1990, 398 [= 14 Os 100/89]). Hingegen ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, daß durch den Rechtsanwaltstarif auch die Entlohnung des Verteidigers in solchen offiziosen Strafsachen geregelt wäre, in welchen der Privatbeteiligte statt des Staatsanwaltes die öffentliche Anklage erhebt und/oder durchführt (§ 48 StPO); denn weder wird dadurch eine öffentliche Anklage zur Privatanklage (§ 2 Abs. 3 StPO) noch ist die Tätigkeit des Verteidigers qualitativ eine andere, wenn die öffentliche Anklage durch den Privatbeteiligten anstelle des Staatsanwaltes (dem gemäß § 49 Abs. 1 StPO jederzeit die neuerliche Übernahme der gerichtlichen Verfolgung freisteht) vertreten wird. Ist aber der Rechtsanwaltstarif nur für die Bestimmung der Verteidigungskosten im Privatanklageverfahren heranzuziehen (vgl die oben angeführte Judikatur; im gleichen Sinne die oberlandesgerichtlichen Entscheidungen EvBl 1973/194 und JBl 1954, 571; gegenteilig - allerdings ohne stichhaltige Begründung - RZ 1954/11), dann ist die Bedachtnahme auf die autonomen Honorarrichtlinien (die gemäß § 1 lit a AHR Anwendung auf Leistungen eines Rechtsanwaltes finden sollen, soweit seine Entlohnung nicht durch Gesetz oder Verordnung geregelt ist) auch dann nicht ausgeschlossen, wenn deren Ansätze über jene der Tarifpost 4 RAT hinausgehen. Eine Bindung der Gerichte an diese Richtlinien besteht allerdings nicht; sie haben vielmehr die Bedeutung einer gutächtlichen Äußerung über die Bewertung rechtsanwaltlicher Leistungen im Durchschnittsfall (§ 4 AHR; vgl AnwBl 1990, 398; RZ 1978/86; JBl 1954, 571). Es steht sohin im Ermessen des Gerichtes, der Kostenbestimmung nach § 395 StPO die Ansätze dieser Richtlinien zugrunde zu legen oder sie als auf den Einzelfall nicht anwendbar zu erachten.

Der Überprüfung des vom Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien geübten Ermessens durch das Beschwerdegericht lag demnach die unzutreffende Rechtsansicht zugrunde, daß sich die Bestimmung der zuzusprechenden Verteidigungskosten nach Tarifpost 4 I RAT zu richten habe.

Eine auf unrichtiger Rechtsauffassung beruhende Ermessensentscheidung kann nach herrschender Auffassung (AnwBl 1990, 398; Mayerhofer-Rieder StPO3 § 292 Nr 7, 12 a und 13; vgl auch den JAB zum GRBG 852 BlgNR

18. GP zu § 2) Gegenstand der Feststellung einer Gesetzesverletzung nach §§ 33, 292 StPO sein. Da im vorliegenden Fall eine Benachteiligung der (wenngleich freigesprochenen) Angeklagten auf Grund des Rechtsirrtums des Beschwerdegerichtes (in Anbetracht der Höhe der in erster Instanz zugesprochenen Verteidigungskosten) zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, ist ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes nach § 292 letzter Satz StPO geboten (vgl erneut AnwBl 1990, 398 und die dort in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen).

Mit der Feststellung des gegenständlichen Verstoßes war daher die Aufhebung der auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhenden Beschwerdeentscheidung zu verbinden. Eine Entscheidung in der Sache selbst kann jedoch nicht erfolgen, weil im Verfahren gemäß §§ 33, 292 StPO das vom Erstgericht geübte Ermessen selbst nicht überprüft werden kann (vgl EvBl 1976/210). Dies wird (erneut) durch das (nunmehr) gemäß § 293 Abs. 2 StPO an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes gebundene Beschwerdegericht vorzunehmen sein.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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