OGH 6Ob559/93

OGH6Ob559/931.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Anneliese G*****, Gastwirtin, und 2. Karl G*****, Angestellter, beide *****, beide vertreten durch Dr.Barbara-Cecil Prasthofer, Rechtsanwältin in Graz, wider die beklagte Partei Irma T*****, und die auf Seiten der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenientin Manuela D*****, beide vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 10.Februar 1993, GZ 3 R 292/92-23, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 15.Juni 1992, GZ 8 C 639/91-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 2.392,89 (darin S 398,81 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagenden Parteien als Eigentümer des Hauses ***** kündigten der Verlassenschaft nach Irma Sch***** das Mietverhältnis an der im ersten Stock des Wohnhauses gelegenen Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern und einer Küche, WC-Mitbenützung am Gang und Kellerabteil unter Heranziehung des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 5 MRG zum 30. November 1991 auf. Die Wohnungsmieterin Irma Sch***** sei am 12. August 1991 ohne Hinterlassung eintrittsberechtigter Personen verstorben. Die Enkelin der Verstorbenen, Manuela D*****, habe mit der Mieterin nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt und habe zum Zeitpunkt des Todes der Mieterin überdies eine andere Wohnung in Graz gemietet gehabt; es fehle ihr auch am dringenden Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung.

Die beklagte Partei wandte ein, Manuela D***** habe mit der Verstorbenen zu deren Todeszeitpunkt im gemeinsamen Haushalt gelebt und auch ein dringendes Wohnbedürfnis; sie sei daher eintrittsberechtigt.

Während des Verfahrens erfolgte die Einantwortung des Nachlasses an die nunmehr beklagte Partei. Manuela D***** ist auf deren Seite als Nebenintervenientin beigetreten.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es traf folgende maßgebliche Feststellungen:

Irma Sch***** bewohnte bis zu ihrem Tod am 12.August 1991 die aus zwei Zimmern, Küche und Gang-WC bestehende Wohnung. Die Nebenintervenientin wuchs in dieser Wohnung auf. Im Jahre 1986 verließ sie erstmals die Wohnung und zog zu einem Freund. Sie hatte bis 1989 ihren Lebensschwerpunkt in einer von ihr gemieteten Untermietwohnung in G*****, M*****. 1989 erlitt die Mieterin einen Herzinfarkt. Um sich besser um ihre Großmutter kümmern zu können, zog die Nebenintervenientin wieder überwiegend in die streitgegenständliche Wohnung ein und löste im August 1990 den noch bestehenden Untermietvertrag für die Wohnung in der M***** auf. Kurze Zeit später lernte die Nebenintervenientin einen neuen Freund kennen und entschloß sich, mit ihm zusammenzuziehen. Sie schloß daher im Oktober 1990 einen vom 1.November 1990 bis 31.Oktober 1995 befristeten Hauptmietvertrag über eine 33 m2 große Wohnung in G*****, A*****gasse 32 ab und verzog dorthin. Bereits im Dezember 1990 trennte sich die Nebenintervenientin von ihrem Freund, zog aus der Mietwohnung aus und lebte ab Jänner 1991 wieder mit ihrer Großmutter in der streitgegenständlichen Wohnung im gemeinsamen Haushalt. Der Freund der Nebenintervenientin verblieb in deren gemieteter Wohnung in der A*****gasse und zahlte fortan den Mietzins allein weiter. Vierzehn Tage nach dem Tod der Großmutter richtete die Nebenintervenientin nach Erkundigungen bei der Mietervereinigung am 26. August 1991 ein Schreiben an die Hausverwaltung der Kläger, in welchem sie ihren Eintritt in die Hauptmietrechte nach der verstorbenen Mieterin bekanntgab. Dieser Eintritt wurde von den Klägern nicht akzeptiert. Im September 1991 übergab der Freund der Nebenintervenientin dieser die Schlüssel zu der Mietwohnung in der A*****gasse. Sie löste das Mietverhältnis im Einvernehmen mit dem Vermieter zum 31.September 1991 auf.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, zwischen der Nebenintervenientin und der verstorbenen Wohnungsmieterin habe zu deren Todeszeitpunkt ein gemeinsamer Haushalt bestanden. Wenngleich die Nebenintervenientin Mieterin einer anderen Wohnung gewesen sei, müsse mangels rechtlicher Gleichwertigkeit dieser Wohnung wegen eines nur befristeten Mietvertrages auch die Dringlichkeit des Wohnbedürfnisses bejaht werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Parteien Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klagestattgebung ab. Die Nebenintervenientin sei im Zeitpunkt des Todes ihrer Großmutter Mieterin einer Wohnung von 33 m2 Nutzfläche in G*****, A*****gasse gewesen. Auch wenn zum Zeitpunkt des Todes der Großmutter der Nebenintervenientin deren Freund in der Wohnung A*****gasse gewohnt habe, bestehe kein Anhaltspunkt dafür, daß diese Wohnung der Nebenintervenientin nicht zur Verfügung gestanden wäre. Es sei daher davon auszugehen, daß diese zum Todeszeitpunkt ihrer Großmutter, auf welchen bei der Beurteilung abzustellen sei, eine Wohnmöglichkeit gehabt habe. Auf nachträgliche Änderungen - die einvernehmliche Auflösung des Mietvertrages - sei kein Bedacht zu nehmen. Es sei nur noch zu prüfen, ob durch ein auf fünf Jahre befristetes Mietverhältnis der Wohnbedarf eines nach dem Gesetz Eintrittsberechtigten in rechtlich gleichwertiger Weise abgedeckt sei. Dies müsse bejaht werden, weil im vorliegenden Fall das Mietverhältnis jedenfalls noch mehr als vier Jahre angedauert hätte, ein Zeitraum, bei dem es sich nicht mehr um eine in naher Zukunft nach dem Tode des Mieters zu erwartende Änderung der Situation handle. Das dringende Wohnbedürfnis im Sinne des § 30 Abs 2 Z 5 MRG sei daher zu verneinen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage, ob eine Wohnung mit befristetem Mietvertrag einer Wohnung mit Mietvertrag ohne solche Einschränkungen rechtlich gleichwertig sei, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt keine Berechtigung zu.

Strittig ist im vorliegenden Fall nur mehr, ob ein dringendes Wohnbedürfnis der Nebenintervenientin im Hinblick auf eine ihr zum Zeitpunkt des Todes der Mieterin aufgrund eines befristeten Mietvertrages mit einer Laufzeit von noch mehr als vier Jahren zur Verfügung stehenden andere Mietwohnung im Sinne des § 30 Abs 2 Z 5 (§ 14 Abs 3) MRG anzunehmen ist. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend verneint.

Das im Mietrechtsgesetz normierte Eintrittsrecht naher Angehöriger nach dem Tode des Mieters soll deren unbedingt notwendige Wohnversorgung sichern. Hat ein naher Angehöriger eine andere Wohnmöglichkeit, so ist bei der Beurteilung dieses schutzwürdigen Interesses, das den Eigentümer belastet und in seiner Verfügungsfähigkeit ohne vertragliche Grundlage einschränkt, ein strenger Maßstab anzulegen. Der Oberste Gerichtshof hat in ständiger Judikatur ausgesprochen, daß ein dringendes Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen nur dann zu bejahen ist, wenn die unabweisliche Notwendigkeit besteht, den anderwärts nicht in rechtlich gleichwertiger Weise gedeckten Wohnbedarf des Eintrittsberechtigten zu befriedigen (MietSlg 42.329 uva), wobei die "rechtliche Gleichwertigkeit" bei nur auf familienrechtlichen Grundlagen basierenden Wohnverhältnissen, insbesondere selbsterhaltungsfähiger und großjähriger eintrittsberechtigter Personen, mangels eines bestehenden Rechtsanspruches auf Beibehaltung eines solchen Wohnzustandes verneint wurde. Es ist auch ständige Rechtsprechung, daß bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses des Eintrittsberechtigten auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Todes des Mieters abzustellen ist und nachträgliche Änderungen nur insoweit berücksichtigt werden können, als sie zum Zeitpunkt des Todes des Mieters für die nächste Zeit offenbar zu erwarten sind (vgl "In naher Zeit dringend benötigt werden" in § 30 Abs 2 Z 4 MRG); auf ungewisse in der Zukunft liegende Verhältnisse ist kein Bedacht zu nehmen (MietSlg 38.317 mwN).

Es trifft zu, daß ein befristetes Mietverhältnis, das zu einem bestimmten Endzeitpunkt ohne Aufkündigung erlöschen soll, gegenüber einem unbefristeten Mietverhältnis, das den Kündigungsbeschränkungen des MRG unterliegt, dem Mieter geringere rechtliche Absicherungen bietet, insoweit also nicht "rechtlich gleichwertig" ist. Wenn daher ein Eintrittsberechtigter zum Zeitpunkt des Todes des Mieters der aufgekündigten Wohnung damit zu rechnen hätte, daß ein befristet abgeschlossenes anderes Mietverhältnis, dessen Endtermin in nächster Zukunft bevorsteht, nicht verlängert werde, müßte ein dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung bejaht werden, weil dann von einer rechtlich gleichwertigen Wohnmöglichkeit nicht gesprochen werden kann. Der Eintrittsberechtigte wäre mangels rechtlicher Möglichkeit, eine Verlängerung, zu erreichen in naher Zukunft voraussehbar ohne Wohnmöglichkeit. Steht jedoch wie im vorliegenden Fall, dem Eintrittsberechtigten eine andere Mietwohnung aufgrund eines auf fünf Jahre befristet abgeschlossenen Mietvertrages jedenfalls noch mehr als vier Jahre zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses zur Verfügung, - ein Zeitraum, in welchem künftige Änderungen der Verhältnisse und der Entwicklungen sowohl in rechtlicher als in tatsächlicher Hinsicht keineswegs vorherzusehen sind - muß ein dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung jedenfalls verneint werden. Der Zweck des gesetzlich normierten Eintrittsrechtes ist es nur, nahen Angehörigen, die im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter gelebt haben, die unbedingt notwendige Wohnversorgung zu sichern, nicht aber diesen für die fernere Zukunft zusätzliche Vorteile zu einer für längere Zeit ohnedies gesicherten Wohnmöglichkeit zu verschaffen.

Zu den Ausführungen in der Revision, die von der Nebenintervenientin gemietete Wohnung - diese Tatsache wurde erst im Zuge des Verfahren von den klagenden Parteien eruiert - sei dieser nicht zur Verfügung gestanden, fehlt es an jeglichem Vorbringen in erster Instanz.

Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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