European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:E34481
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben.
Der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende angefochtene Urteil werden aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Auf diese Entscheidung werden die Angeklagten Nelio S* und Kemal A* mit ihren Berufungen verwiesen;
2. infolge der vom Schwurgerichtshof am 1. Feber 1993, Seite 337, beschlossenen Aussetzung der Entscheidung hinsichtlich Mario T* den
Beschluß
gefaßt:
Die Strafsache wird gemäß § 334 Abs. 2 StPO vor ein anderes Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Gründe:
Auf Grund des (anklagekonformen) Wahrspruchs der Geschwornen wurden Nelio S* (richtig: S*) und Kemal A* des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Satz 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Darnach haben sie ‑ zusammengefaßt wiedergegeben ‑ am 28. Juni 1992 in Wien in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit weiteren, namentlich angeführten Mittätern (§ 12 StGB) Christoph H* und Ewald B* unter Verwendung einer Waffe beraubt, indem sie Christoph H* ein Springmesser vor die Brust und Ewald B* ein Springmesser vor den Hals hielten, ihnen Schläge und Tritte versetzten und ihnen im Urteilssatz detailliert angeführte Gebrauchsgegenstände und Bargeld wegnahmen.
Die Geschwornen haben die Hauptfragen 1. und 2. nach schwerem Raub im Falle des Angeklagten Nelio S* stimmeneinhellig, im Falle des Angeklagten Kemal A* stimmenmehrheitlich im Verhältnis 7 : 1 bejaht und die Eventualfrage nach Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung (§ 286 Abs. 1 StGB) demgemäß unbeantwortet gelassen.
Rechtliche Beurteilung
Die Angeklagten bekämpfen ihre Schuldsprüche mit getrennt ausgeführten, jeweils auf § 345 Abs. 1 Z 5 (die Anführung der Z 4 der zitierten Gesetzesstelle in der Beschwerde des Erstangeklagten beruht ersichtlich auf einem Versehen), 8 und 10 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden, überdies die Strafaussprüche mit Berufung.
Den Nichtigkeitsbeschwerden kommt schon Berechtigung zu, soweit sie aus der Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO die Unrichtigkeit der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung rügen.
Die vom Vorsitzenden nach § 321 Abs. 2 StPO niederschriftlich abzufassende Rechtsbelehrung, welche als Grundlage für die den Geschwornen im Beratungszimmer mündlich zu erteilende Belehrung dient (§ 323 Abs. 1 StPO), muß für jede Frage gesondert eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf welche die Haupt‑ oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthalten und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarlegen. Die Rechtsbelehrung hat eindeutig zu sein und den Geschwornen eine richtige Vorstellung von der für die Fragebeantwortung bedeutsamen Rechtslage zu vermitteln. Sie darf keine Aussage enthalten, welche bei Berücksichtigung ihrer den Laienrichtern zugänglichen sprachlichen Bedeutung und unter der Voraussetzung ihrer denkgesetzmäßigen Handhabung eine falsche Rechtsansicht nahezulegen vermag. Eine unrichtige Rechtsbelehrung im Sinne des eingewendeten Nichtigkeitsgrundes liegt vor, wenn ihr maßgebender Inhalt gesetzlichen Bestimmungen oder Grundsätzen des Strafrechtes oder des Strafverfahrensrechtes widerspricht; eine einer Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung gleichzustellende Unvollständigkeit liegt dann vor, wenn es zufolge dieser Unvollständigkeit zu Mißverständnissen über die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt‑ und (oder) Eventualfrage gerichtet ist, zu irriger Auslegung der in den einzelnen Fragen enthaltenen Ausdrücke des Gesetzes oder zu Irrtümern über das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander oder über die Folgen der Bejahung oder der Verneinung der einzelnen Fragen kommen kann, oder die Rechtsbelehrung überhaupt nach den Umständen des einzelnen Falles geeignet ist, die Geschwornen bei Beantwortung der an sie gestellten Fragen auf einen falschen Weg zu weisen (Mayerhofer‑Rieder StPO3 EGr 66 zu § 345 Abs. 1 Z 8).
Eine derartige Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung liegt hier vor:
Die Verfahrensergebnisse eröffnen eine Reihe von Handhabungsvarianten der Waffe durch Nelio S*. Während der Erstangeklagte einräumte, zur Tatzeit im Besitz eines Fallmessers gewesen zu sein, mit der Behauptung, damit nur "herumgespielt" bzw es "heraussen" gehabt zu haben, seinen Einsatz als Mittel der Drohung aber leugnete (S 125, 127, 129 a, 269 f, 318), bestätigte Tomislav T* vor dem Untersuchungsrichter (S 115, 117) zwar, daß S* mit einem Messer "herumgespielt" habe, ergänzte allerdings, daß der Erstangeklagte das Messer ca 0,5 m von den beiden Raubopfern entfernt stehend "in ihre Richtung" gehalten habe, während er in der weiteren Folge (abermals) deponierte, ".... daß sich Nelio in einer Entfernung von drei bis fünf Metern mit einem Messer (nur) spielte" (S 332). Der Angeklagte A* hingegen gab zunächst beim Untersuchungsrichter zu Protokoll (S 197), daß Nelio S* Christoph H* mit einem Messer bedrohte, behauptete im Gegensatz dazu aber in der Hauptverhandlung am 17. Dezember 1992 (S 275), S* habe mit dem Messer (bloß) gespielt. Der Angeklagte Mario T* wieder sagte zunächst bei der Polizei aus, daß der Erstangeklagte ein Springmesser im Zuge von (von anderen Personen verübten) Tätlichkeiten gezogen habe (S 43), gab beim Untersuchungsrichter zu Protokoll, daß der gesondert verfolgte Ale F* auf Ewald B* losgegangen und dann auch Nelio S* mit einem Springmesser in der Hand dazugelaufen sei (S 180) und deponierte in der Hauptverhandlung am 17. Dezember 1992: "Nelio ist mit dem Messer zu denen hingelaufen" (S 286), während Christoph H* und Ewald B* Nelio S* anklagekonform belasteten.
Die Deliktsqualifikation des Raubes nach § 143 Satz 1 zweiter Fall StGB setzt voraus, daß der Raub unter Verwendung einer Waffe begangen wurde; bloßes Mitsichführen einer Waffe, ohne sie (zumindest konkludent) als Drohmittel zu gebrauchen, genügt nicht. Verwendet wird die Waffe, wenn sie bei der Ausführung des Raubes zum Einsatz gelangt. Das trifft nicht nur dann zu, wenn ‑ fallbezogen ‑ mit einer Stichwaffe zugestochen und diese Waffe somit bestimmungsgemäß gebraucht wird, sondern auch dann, wenn sie als Mittel der (qualifizierten) Drohung benützt wird, wobei der bloße (auch konkludente) Hinweis auf die Möglichkeit des Waffeneinsatzes genügt. Die Verwendung der Waffe muß Mittel der Gewaltanwendung oder Drohung sein, dazu folglich in einem funktionstypischen Zusammenhang stehen. Dafür ist nicht erforderlich, daß die Drohung oder Gewaltanwendung von Anfang an unter Waffenverwendung durchgeführt wird. Es reicht auch aus, wenn der Täter ‑ zB nach Scheitern anderer Mittel ‑ der Gewalt oder Drohung mit einer Waffe Nachdruck verleiht, nicht aber, wenn der Einsatz der Waffe deutlich getrennt von der eigentlichen Tathandlung vor sich geht (Leukauf‑Steininger Komm3 § 143 RN 6 und 7, Zipf WrK Rz 9, 10 zu § 143 StGB).
Die aufgezeigte rechtliche Problematik betrifft nicht nur den Angeklagten Nelio S*, der die faktische und unmittelbare Verfügungsmacht über das in Rede stehende Messer hatte, sondern auch die Mitangeklagten Kemal A* und Mario T*, weil die Qualifikation des bewaffneten Raubes nicht nur demjenigen Beteiligten zugerechnet wird, der die Waffe selbst beim Raub verwendet, sondern auch jenem, der ihre Verwendung durch einen anderen Beteiligten kennt und billigt (zumindest iS bedingten Vorsatzes ‑ vgl RZ 1961, 37; 1984/28; Mayerhofer‑Rieder StGB3 ENr 13 a zu § 143); sie findet aber ‑ zum Nachteil der Angeklagten ‑ in der Rechtsbelehrung keinen Niederschlag, sodaß der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 8 StPO gegeben ist.
Die Rechtsbelehrung wird aber auch sonst gesetzlichen Mindesterfordernissen nicht gerecht:
So hätte die Definition des Raubes (bloß) als ein durch Nötigung ermöglichter Diebstahl die Erläuterung der letztgenannten Tatbestände erfordert.
Unter Gewalt als Begehungsmittel des Raubes ist nicht die Anwendung körperlicher Kraft von "gewisser Schwere", sondern die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines tatsächlich geleisteten oder eines (hier aktuellen, von der Rechtsbelehrung aber übergangenen) erwarteten Widerstandes zu verstehen (EvBl 1991/12, Zipf WrK § 142 Rz 14).
Es hätte ferner der Klarstellung der Imminenz der (in ihrem Begriffsinhalt ebenfalls nicht erläuterten) gefährlichen Drohung als Begehungsmittel des Raubes ebenso bedurft, wie einer Erklärung der Tathandlungen sowohl des durch Gewahrsamsbruch determinierten Wegnehmens als auch des Abnötigens fremder beweglicher Sachen. Durch die für Laien schwer nachvollziehbare Passage "Abnötigen bedeutet, daß der Täter das Opfer durch Anwendung eines der angeführten Mittel an sich bringt, unfreiwillig die Sache herauszugeben" wurde die letztgenannte Tatbestandsvariante nicht mit hinreichender Deutlichkeit zur Darstellung gebracht.
Letztlich hätte es im Hinblick auf die divergierenden Beschreibungen der Tatwaffe und darauf, daß Nelio S* zur Tatzeit zwei Messer in seiner Gewahrsame hatte (ein Fallmesser und ein Klappmesser), der Erläuterung des materiell und eigenständig für § 143 StGB entwickelten erweiterten Waffenbegriffes (Leukauf‑Steininger aaO RN 10 bis 12) bedurft.
Da der mehrfache Instruktionsmangel schon für sich allein eine Verfahrenserneuerung unvermeidbar macht, war auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen und insgesamt spruchgemäß zu erkennen (§ 349 Abs. 1 StPO).
Auf die (auch den Strafausspruch erfassende) kassatorische Entscheidung waren die Angeklagten Nelio S* und Kemal A* mit ihren hiedurch gegenstandslosen Berufungen zu verweisen.
Die Verweisung der Strafsache gegen Mario T* vor ein anderes Geschwornengericht des Landesgerichtes für Strafsachen Wien beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
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