OGH 12Os78/93

OGH12Os78/9324.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.Juni 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Markel, Mag.Strieder und Dr.Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Weigl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Fred K***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 17.März 1993, GZ 11 Vr 3787/92-13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugemittelt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 17.September 1948 geborene Fred K***** wurde der Verbrechen (zu 1) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und (zu 2) des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB sowie (zu 3) des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs. 1 und 15 StGB schuldig erkannt.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat der Angeklagte in Graz

1) in der Zeit vom Sommer 1987 bis 17.November 1988 seine am 17. November 1974 geborene Stieftochter Melanie H*****, sohin eine zu den Tatzeiten unmündige Person, wiederholt auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er ihr in die Scheide griff, sie veranlaßte, sein Glied anzugreifen, ihn oral zu befriedigen, und mehrmals mit seinem Glied in ihren After eindrang;

2) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen Sommer 1987 und 17. November 1988 mit der damals unmündigen Melanie H***** den außerehelichen Beischlaf unternommen, indem er mit seinem Glied in ihre Scheide einzudringen trachtete;

3) vom Sommer 1987 bis Herbst 1989 sein minderjähriges Stiefkind Melanie H***** durch die unter 1) und 2) angeführten Tathandlungen sowie im August 1991 einmal in Gran Canaria, indem er ihr unter der Decke auf die Scheide griff, zur Unzucht mißbraucht und im Sommer 1991 in Graz einmal zur Unzucht zu mißbrauchen getrachtet, wobei es lediglich beim Versuch blieb, weil der Angeklagte infolge der Gegenwehr des minderjährigen Opfers mit seiner Hand nicht bis zur Schamgegend, sondern nur bis zum Oberschenkel des Mädchens gelangte.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Z 4, 5 und 5 a des § 281 Abs. 1 StPO gegründeten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Unter dem zuerst genannten Nichtigkeitsgrund (Z 4) erachtet sich der Beschwerdeführer durch das Zwischenerkenntnis des Schöffengerichtes (S 167 unten bis 169 iVm US 10 bis 12), mit dem mehrere vom Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellte Beweisanträge (S 163 unten bis 167 oben) im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen wurden, die namhaft gemachten Personen seien keine Tatzeugen gewesen und auf Grund der angegebenen Beweisthemen sei weder durch die beantragten Zeugen noch durch den Inhalt der Pflegschaftsakten eine weitere Aufklärung der unter Anklage gestellten strafbaren Tatbestände zu erwarten, in wesentlichen Verteidigungsrechten verletzt.

Dies jedoch zu Unrecht.

Auszugehen ist davon, daß die Erkenntnisrichter den Schuldspruch ausdrücklich auf die in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs. 2 StPO) als glaubwürdig und unbedenklich beurteilte Aussage der Zeugin Melanie H***** unter Verwertung des von ihr und dem Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks gründeten und dabei auch "die durch verschiedene Streitigkeiten (ersichtlich im Zusammenhang mit dem Pachtobjekt "Kirchenwirt" und dem gerichtlich zu klären Obsorgerecht über Marcel K*****) zwischen dem Angeklagten und den Zeugen (Melanie H*****, Ursula K***** und Valentin L***** - vgl. US 8 - bestehende) gespannte Atmosphäre" in ihre Erwägungen miteinbezogen (US 9 und 12).

Demgegenüber zielen die Beweisthemen der in Rede stehenden Anträge 1. bis 4. lediglich auf die Untermauerung eines (möglichen) Motivs für die (vom Beschwerdeführer als ihn belastend angesehenen) Angaben der Ursula K***** und demnach auf die Erschütterung ihrer Glaubwürdigkeit ab. Die Aussage dieser Zeugin hat aber nach den Urteilsgründen bei Beurteilung der Schuldfrage erkennbar keine maßgebliche Rolle gespielt.

Dies gilt zunächst für die beantragte Einvernahme des Zeugen Michael S***** zum Beweis "der Unrichtigkeit der Angaben der Zeugin Ursula K***** hinsichtlich der Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem vom Angeklagten geführten Gasthaus" und zum Beweis dafür, daß diese infolge ihrer dem genannten Zeugen gegenüber gemachten Äußerung, sie werde ihn "fertig machen", ebenso wie für ihre durch die Zeugenaussage der Theresia K***** zu beweisende Bemerkung, "wenn der Angeklagte nicht zu ihr zurückkomme, das sein Untergang sein werde".

In diesem Zusammenhang übergeht der Beschwerdeführer aber seine eigene Verantwortung vor Gericht (S 93), derzufolge die erwähnten Äußerungen der Zeugin Ursula K***** erst im Sommer bzw. im Dezember 1992 gefallen sein sollen (vgl. hiezu auch Melanie H***** S 131 Mitte sowie US 8 unten und 10 oben), wohingegen Melanie H***** die inkriminierten Vorwürfe gegen ihren Stiefvater bereits im Mai 1992 ihrem Freund L***** geoffenbart hat (abermals US 8 und 10 oben iVm S 113 oben, 159 vorletzter Absatz und 34 unten).

Keine Nichtigkeit begründet ferner die vom Erstgericht abgelehnte Vernehmung der Zeugin Christa S*****; denn der Frage, ob Melanie H***** und der Angeklagte auch nach dem Sommer 1987 bis zur Trennung der Familie im Sommer 1992 noch ein "äußerst amikales Verhältnis" hatten, kommt ersichtlich keine Relevanz zu. Im übrigen ist den Entscheidungsgründen zu entnehmen, daß die Tatrichter diese Tatsache ohnehin als gegeben angenommen haben (vgl. insbesonders US 4 bis 5, 9 erster Absatz, letzter Halbsatz iVm S 12 zweiter Absatz, letzter Halbsatz).

Auch der durch die beantragte Beischaffung und Verlesung des Pflegschaftsaktes 14 P 74/87 des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz unter Beweis gestellte Umstand, daß zwischen den leiblichen Eltern des minderjährigen Marcel K***** (im Gegensatz zur Aussage der Ursula K***** - S 155 Mitte -) nach wie vor "ein äußerst heftiger Streit anhängig ist", betrifft ebenfalls keinen für die Schuld oder/und für den anzuwendenden Strafsatz entscheidenden Umstand; vielmehr sollte damit erneut nur die Beweiskraft der (vom Erstgericht bloß zur Illustration verwerteten) Depositionen der Zeugin Ursula K***** in Frage gestellt werden.

Inwiefern schließlich eine "Anfrage beim Landesschulrat Graz über die Pflichtschulzeiten der Zeugin Melanie H*****" geeignet gewesen sein soll, einen Nachweis dafür zu erbringen, daß "keine Unzuchts- oder Be[i]schlafshandlungen vor Vollendung des 14.Lebensjahres .... stattfinden haben können", ist dem bezüglichen Beweisantrag auch nicht ansatzweise zu entnehmen.

Demnach wurde der Beschwerdeführer durch das - der Beschwerde zuwider zureichend und nicht bloß scheinbegründeter - bekämpfte Zwischenerkenntnis in seinen Verteidigungsrechten nicht beeinträchtigt. Dem weitwendigen Beschwerdevorbringen (S 207 bis 217) sei in diesem Zusammenhang noch erwidert (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO3 § 281 Z 4 ENr. 41 und die dort zitierte Judikatur), daß bei Prüfung der Berechtigung eines Antrages stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Antragstellung und den darin vorgebrachten Gründen auszugehen ist, sodaß die erst im Rechtsmittelverfahren vorgebrachten Argumente tatsächlicher Art, die vorliegend im Kern auf eine unzulässige Kritik an der schöffengerichtlichen Beweiswürdigung hinauslaufen, keine Berücksichtigung mehr finden können.

In der Mängelrüge (Z 5) räumt der Beschwerdeführer zunächst zwar ein, das Erstgericht habe den Ausspruch über die entscheidende Tatsache, daß Notzuchtshandlungen vor dem 14.Lebensjahr an Melanie H***** begangen wurden, auf deren als glaubwürdig beurteilte Aussage gestützt, vermißt dann aber (über eine bloße Scheinbegründung hinausgehende) zureichende Darlegungen, "wie das Erstgericht zu diesem Schluß gekommen ist bzw warum die Aussage der H***** glaubwürdiger sein soll als jene des Angeklagten".

Damit wird aber ebensowenig wie mit dem Hinweis auf den Ausgang eines anderen, angeblich gleichgelagerten Unzuchtsverfahrens beim Landesgericht für Strafsachen Graz ein formaler Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes aufgezeigt. Vielmehr verkennt der Nichtigkeitswerber, daß die Beweiswürdigung ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang und der allgemeinen Erfahrungssätze logische Schlußfolgerungen zu gewinnen sind, die keineswegs die einzig möglichen sein müssen (Mayerhofer-Rieder StPO3 § 258 ENr. 16 und 22). Wie im allgemeinen Verkehr muß man sich daher auch in der Rechtsprechung mit einem Grad von Wahrscheinlichkeit begnügen und hiezu die vorhandenen (der Sachaufklärung dienenden) Erkenntnismittel möglichst erschöpfend und gewissenhaft anwenden (aaO ENr. 129). Der Sache nach unternimmt der Beschwerdeführer demnach auch in der Mängelrüge erneut bloß - nach Art einer gegen schöffengerichtliche Urteile in den Verfahrensgesetzen nicht vorgesehenen Schuldberufung - einen unzulässigen Angriff auf die von den Tatrichtern auf der Grundlage aller entscheidenden Beweisergebnisse zu seinem Nachteil getroffene und im Sinne des Gebotes des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO auch einwandfrei begründete Lösung der Schuldfrage.

Gleiches gilt für die Tatsachenrüge (Z 5 a), die unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Vorbringen zur Verfahrens- und Mängelrüge von einer "materiellen Fragwürdigkeit des Schuldspruchs" (?) spricht, ohne jedoch schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustandegekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufzuzeigen oder auf aktenkundige Beweisergebnisse hinzuweisen, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung, also intersubjektiv, erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Fragen aufkommen lassen (Mayerhofer-Rieder aaO § 281 Z 5 a ENr. 2).

Aus welchen Gründen die Erkenntnisrichter der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers nicht geglaubt, demnach einen Racheakt der für glaubwürdig beurteilten Melanie H***** verneint haben, und warum das Mädchen ihrer Mutter erst so spät von dem ihm widerfahrenen Unzuchtshandlungen erzählt hat, ist den Entscheidungsgründen (US 8 Mitte bis 10 oben) unmißverständlich, nachvollziehbar und plausibel zu entnehmen.

Insoweit die Beschwerde argumentiert, Melanie H***** habe einen Samenerguß beim Analverkehr in Abrede gestellt, weshalb die gegenteilige Urteilsannahme (US 6 unten) "unbegreiflich" sei, übergeht sie die korrespondierende Aussage des genannten Unzuchtsopfers vor dem Untersuchungsrichter (S 11 unten). Der weitere Beschwerdeeinwand, bei einem 12-jährigen Kind "müsse" es beim "gänzlichen" Eindringen in den After zu Verletzungen kommen, geht einerseits über die Urteilskonstatierungen (US 6 unten) hinaus und betrifft zudem keinen entscheidenden Umstand. Schließlich hat das Erstgericht die "Persönlichkeitsstruktur" des Beschwerdeführers nicht im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet, sondern erst bei der Strafbemessung.

Aus den angeführten Gründen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 281 d Abs. 1 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen, woraus folgt, daß die Kompetenz zur Entscheidung über dessen Berufung dem Oberlandesgericht Graz zufällt (§ 285 i StPO).

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