OGH 2Ob508/93

OGH2Ob508/9317.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karina P*****, vertreten durch Dr.Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ernst H*****, vertreten durch Dr.Paul Appiano, Dr.Paul Georg Appiano und Dr.Bernhard Kramer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 23.September 1992, GZ 41 R 556/92-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 12.August 1991, GZ 43 C 688/90d-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.497,60 (darin S 1.449,60 Umsatzsteuer und S 1.800 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Hauptmieterin der verfahrensbetroffenen Wohnung. Der Beklagte war freier Mitarbeiter der Hausverwaltung der Klägerin sowie der (am gleichen Standort betriebenen) Immobilienkanzlei des Bruders der Klägerin. Aus diesem Grunde wurde ihm von der Klägerin deren Mietwohnung für die Dauer seines Beschäftigungsverhältnisses als freier Mitarbeiter bei der Klägerin im Wege eines mündlich geschlossenen Untermietvertrages zur Verfügung gestellt. Der vom Beklagten vereinbarungsgemäß in Höhe des der Klägerin vorgeschriebenen Hauptmietzinses zu zahlende Mietzins wurde ihm im Verrechnungswege von seinen "Provisionsansprüchen" einbehalten. Der Beklagte schied im März 1989 als freier Mitarbeiter der Klägerin und ihres Bruders aus, räumte jedoch ungeachtet dahingehender Aufforderungen die Wohnung nicht.

Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Räumung der Wohnung mit dem Vorbringen, daß die Wohnung als Dienstwohnung gemäß § 1 Abs 2 Z 2 MRG nicht in den Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes falle und vom Beklagten seit seinem Ausscheiden als freier Mitarbeiter ab 1.April 1989 titellos benützt werde.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, er habe die Wohnung statt bzw als Bestandteil eines Gehaltes bekommen; er wisse nicht, ob er Untermieter sei oder nicht; ihm sei zugesagt worden, er könne die Wohnung benützen, solange er wolle; an die eingetretene Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses sei die Wohnungsbenützungsdauer nicht gebunden worden.

Das Erstgericht gab auf der Grundlage des eingangs dargestellten Sachverhaltes dem Klagebegehren statt, weil der an die Dauer des Dienstverhältnisses als freier Mitarbeiter gebundene Mietvertrag nicht dem Mietrechtsgesetz unterliege und daher mit der unstrittigen Beendigung dieses Dienstverhältnisses beendet worden sei, sodaß der Beklagte als titelloser Benützer zur Räumung verpflichtet sei.

Das Gericht zweiter Instanz wies das Klagebegehren hingegen ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Die Klägerin habe im Verfahren nicht deutlich gemacht, daß es sich beim Beschäftigungsverhältnis zwischen den Streitteilen um einen dem § 1151 ABGB zu unterstellenden Dienstvertrag handle, der von der Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 2 Z 2 MRG "gefordert" werde. Wegen der gebotenen restriktiven Auslegung von Ausnahmebestimmungen könne diese auf andere, nicht als Dienstvertrag gemäß § 1151 ABGB zu beurteilende Rechtsverhältnisse nicht angewendet werden. Der zwischen den Streitteilen geschlossene "freie Arbeitsvertrag", der zur Arbeit ohne persönliche Abhängigkeit, weitgehend selbständig und frei von Beschränkungen des persönlichen Verhaltens verpflichte, sei nicht als Dienstvertrag anzusehen und daher von der genannten Ausnahmebestimmung nicht betroffen. Der Beklagte benütze die Wohnung sohin nicht titellos.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Gemäß § 1 Abs 2 Z 2 MRG fallen Wohnungen, die auf Grund eines Dienstverhältnisses oder im Zusammenhang mit einem solchen als Dienst-, Natural- oder Werkswohnung überlassen werden, nicht in den Anwendungsbereich des (Mietrechts-)Gesetzes. Unter diesen Ausnahmetatbestand fallen Mietverhältnisse, die mit einem Arbeitsverhältnis so verknüpft sind, daß dieses insbesondere durch Abschluß auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses zur Vertragsgrundlage wird (Würth in Rummel2 Rz 9 zu § 1 MRG; Würth-Zingher, MRG2 Anm. 15 zu § 1). Die Beurteilung einer Wohnung als Dienst- oder Werkswohnung im Sinne dieser Gesetzesstelle setzt zwei gesonderte Verträge, den Dienst- und den Mietvertrag, voraus, wobei der Dienstvertrag im Vordergrund steht; dieser muß Anlaß (Geschäftsgrundlage) des Bestandvertrages sein, doch ist nicht erforderlich, daß der Dienstvertrag einziger Grund des Bestandvertrages ist (MietSlg 37.608/9; vgl 9 Ob A 212/91). Nach dem (Mietrechts-)Gesetz ist entgegen der vom Berufungsgericht geteilten Auffassung des Beklagten als "Dienstverhältnis" im Sinn des § 1 Abs 2 Z 2 MRG nicht bloß ein - von persönlicher Abhängigkeit des Dienstnehmers durch Unterwerfung unter die Organisation des Dienstgebers bezüglich Arbeitszeit, Arbeitsort oder Kontrolle gekennzeichneter - Dienstvertrag im Sinne des § 1151 ABGB anzusehen, sondern auch (etwa) ein freier (Mit-)Arbeitsvertrag, mit dem der Dienstnehmer ebenso für gewisse Zeit Arbeit leistet (Dienstleistungen erbringt) und der Organisation und Kontrolle des Dienstgebers im weitesten Sinne unterworfen wird, auch wenn er nicht persönlich abhängig (daher "frei") ist und etwa seinen Arbeitsort und seine Arbeitszeit (Einteilung) selbst bestimmen kann. Im Mittelpunkt dieser Ausnahmebestimmung steht die Verknüpfung der Dienstleistung mit dem Wohnungsbenützungsrecht und nicht das dem unselbständigen Dienstnehmer besonders zugeschriebene Abhängigkeitsverhältnis, das sonst doch im wesentlichen seinen besonderen Schutz als Arbeitnehmer auslöst, während er etwa nach der Betrachtungsweise der Vorinstanz mit dem Ende des Dienstverhältnisses jedenfalls auch zugleich die Dienstwohnung (ohne jeden Kündigungsschutz) räumen müßte. Eine unterschiedliche Betrachtungsweise eines Dienstverhältnisses im Sinne der berufungsgerichtlichen Entscheidung ist nach dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht geboten, wurde auch bisher in der Literatur und Rechtsprechung nicht vertreten. Wegen der Beendigung des mit dem Untermietvertrag junktimierten "freien Arbeitsvertrages" des Beklagten in den Unternehmen der Klägerin und ihres Bruders ist er daher mangels Anwendung (der Kündigungsschutzbestimmungen) des MRG zur Räumung der seit 1.April 1989 titellos benützten Wohnung der Klägerin zu verpflichten (vgl EvBl 1989/3).

Der Beklagte hat erstmals in der Revisionsbeantwortung darauf hingewiesen, daß er - in seiner Rechtsbeziehung zur Klägerin - als arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 51 Abs 3 Z 2 ASGG anzusehen und der vorliegende Rechtsstreit in Wahrheit eine Arbeitsrechtssache sei; das Erstgericht sei daher sachlich nicht zuständig gewesen; diese unprorogable Unzuständigkeit sei im Verfahren auch nicht geheilt worden, weil er im erstgerichtlichen Verfahren unvertreten gewesen und über die Möglichkeit der Unzuständigkeitseinrede nicht protokollarisch belehrt worden sei; die sachliche (Un)Zuständigkeit sei gemäß § 38 Abs 1 ASGG in jeder Lage des Verfahrens amtswegig wahrzunehmen.

Diesem Vorbringen ist unter Hinweis auf § 45 JN, der nach ständiger Rechtsprechung auch im Verhältnis der ordentlichen Gerichte zu den Arbeits (- und Sozial-)Gerichten gilt (JBl 1986, 333; 9 Ob A 200, 201/91; 9 Ob A 135/91; 9 Ob A 257, 1014/90 uva), zu entgegnen, daß beide Vorinstanzen durch ihre Sachentscheidungen implizit die sachliche Zuständigkeit bejahten und diese nach Eintritt der Streitanhängigkeit "getroffenen Zuständigkeitsentscheidungen" gemäß § 45 JN nach ständiger Rechtsprechung (SZ 51/101; MietSlg 32.605;

32.606) unanfechtbar sind und auch die amtswegige Wahrnehmung der Unzuständigkeit durch das Rechtsmittelgericht ausschließen. Die Frage der Sanierung der behaupteten sachlichen Unzuständigkeit des Erstgerichtes im Sinne der §§ 38 Abs 1 ASGG bzw 104 Abs 3 JN (etwa durch Sacheinlassung des Beklagten in der durch seinen Rechtsanwalt erhobenen Berufung gegen das Ersturteil, ohne auf die Unzuständigkeit hinzuweisen) kann daher dahingestellt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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