Spruch:
Der Revision des Klägers wird Folge gegeben, hingegen wird der Revision der Beklagten nicht Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:
Das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Oktober 1990 zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.
Der Beklagten wird aufgetragen, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von monatlich S 2.000,-- ab 1. Oktober 1990 zu erbringen.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 7.246,08 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.207,68 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 10.11.1931 geborene Kläger erlernte das Schuhmacherhandwerk und war von Dezember 1958 bis September 1990 ununterbrochen als selbständiger Schuhmacher tätig und als solcher bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft pflichtversichert. Neben seiner Erwerbstätigkeit als Schuhmachermeister betrieb er von 1959 bis Ende November 1991 als Betriebsführer eine Landwirtschaft, bestehend aus 3 ha 83 ar landwirtschaftlichem Grund und 37 ar Wald. Er hielt im Durchschnitt drei bis vier Kühe, lieferte Milch an die Molkerei und betrieb darüber hinaus noch etwas Ackerbau. Diese Landwirtschaft betrieb er gemeinsam mit seiner Ehefrau, die aber vorwiegend den Haushalt führte. Vom 1.1.1988 bis 30.11.1991 war er auch nach dem BSVG pflichtversichert. In seinem Schuhmachergewerbe beschäftigte er keine Dienstnehmer. Sein jährlicher Umsatz betrug zuletzt zwischen S 15.000,-- und S 20.000,--; er reparierte im Durchschnitt 2 bis 3 Paar Schuhe pro Woche, welche Arbeiten das Ausbessern und Erneuern von schadhaften Absätzen und Sohlen, das Ausbessern von schadhaften Stellen am Schuhoberteil, das Erneuern von Decksohlen und Innenfutter sowie ähnliche Tätigkeiten umfaßten. Daneben betrieb er noch einen Handel mit Gummistiefeln. Aus finanziellen Gründen war die Einstellung von Dienstnehmern oder die Umorganisation des Unternehmens nicht möglich; die persönliche Arbeit des Klägers war zur Aufrechterhaltung des Betriebes unbedingt notwendig. Mit 30.9.1990 stellte er aus gesundheitlichen Gründen seine gewerbliche Tätigkeit ein. Den landwirtschaftlichen Betrieb verpachtete er ab l.12.1991 an seine Ehefrau.
Auf Grund gesundheitsbedingter Einschränkungen sind dem Kläger nur noch leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten im Gehen und Stehen, weniger im langen Sitzen zumutbar. Die Arbeiten sollten unter Vermeidung von Kälte, Nässe und vermehrter Zugluft in geschlossenen Räumen möglich sein. Nicht zumutbar sind Arbeiten, die mit häufigem Bücken bzw. einer Extremhaltung der Wirbelsäule verbunden sind. Für Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und für Arbeiten, die ein langes ständiges Sitzen erfordern, ist der Kläger nicht mehr geeignet. Bei der manuellen Geschicklichkeit zeigen sich Einschränkungen der Grob- und Feinmotorik. Arbeiten, die besondere manuelle Geschicklichkeit erfordern, können nicht geleistet werden. Im Hinblick auf die eingeschränkte Möglichkeit des Arbeitens im dauernden Sitzen könnte der Kläger die Tätigkeit als Schuhmacher ganztägig nicht mehr ausüben.
Mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 12.3.1991 wurde der Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension gemäß § 132 GSVG mit der Begründung abgelehnt, daß seine Erwerbsfähigkeit noch nicht so gemindert sei, daß er nicht mehr imstande wäre, die selbständige Erwerbstätigkeit eines Schuhmachermeisters weiter auszuüben.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.12.1991 zu zahlen und dem Kläger eine vorläufige Leistung von monatlich S 2.000,-- zu erbringen. Das Mehrbegehren auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension für den Zeitraum vom 1.10.1990 bis 30.11.1991 wies das Erstgericht ab. Für den Pensionsanspruch nach § 133 Abs 2 GSVG sei entscheidend, ob der Kläger der zuletzt ausgeübten selbständigen Tätigkeit noch nachgehen könne. Da der Kläger das Schuhmachergewerbe mit 30.9.1990 aufgegeben, die Landwirtschaft jedoch bis 30.11.1991 selbständig betrieben habe, sei diese Tätigkeit die letzte von ihm durch 60 Kalendermonate ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit. Da der Kläger den landwirtschaftlichen Betrieb, für den seine persönliche Arbeitsleistung erforderlich gewesen sei, wegen seines eingeschränkten Gesundheitszustandes nicht mehr führen könne, sei der Pensionsanspruch berechtigt, allerdings erst mit dem Stichtag der Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebes, also mit 1.12.1991. Daß der Kläger erst seit 1.1.1988 Versicherungszeiten nach dem BSVG nachweisen könne, stehe dem nicht entgegen, weil er vor diesem Zeitpunkt von der Versicherungspflicht nach dem BSVG befreit gewesen sei.
Das Berufungsgericht gab den von beiden Streitteilen erhobenen Berufungen nicht Folge. Auszugehen sei davon, daß der Kläger nebeneinander zwei selbständige Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, wobei zumindest in den letzten fünf Jahren vor dem Stichtag die Tätigkeit als Schuhmacher vom Beschäftigungsumfang und auch von der wirtschaftlichen Bedeutung her eine untergeordnete Rolle gespielt habe. In Fällen, in denen ein Versicherter ein Unternehmen im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit führe, das aus mehreren Betrieben bzw. mehreren Erwerbstätigkeiten bestehe, komme es für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 Abs 2 GSVG auf jene Erwerbstätigkeit an, die in ihrer Bedeutung überwiege. Ungeachtet der Leistungszuständigkeit der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft sei für die Prüfung der Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht nur die gewerbliche Tätigkeit des Klägers heranzuziehen, sondern auch seine selbständige Beschäftigung als Landwirt. Nur durch diese Betrachtungsweise könne das unbillige Ergebnis vermieden werden, daß die Erwerbsfähigkeit nach einer Beschäftigung gemessen werde, die im Gesamterwerb des Versicherten nur marginale Bedeutung hätte. Es sei also nicht nur die nach dem GSVG versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Demnach sei aber die Aufrechterhaltung des landwirtschaftlichen Betriebes über den 1.10.1990 hinaus nicht unerheblich. Der Kläger übersehe, daß bei Außerachtlassung der landwirtschaftlichen Beschäftigung ein Pensionsanspruch nach § 133 Abs 2 GSVG nicht gegeben wäre, da es für die Verweisbarkeit nach dieser Gesetzesstelle auf den konkreten Betrieb des Versicherten nicht nur nach der Art der Tätigkeit, sondern auch nach dem Umfang ankomme, so daß bei isolierter Betrachtung des Schuhmacherbetriebes, den der Kläger noch führen könnte, keine Erwerbsunfähigkeit gegeben wäre.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Streitteile. Der Kläger beantragt die Abänderung im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens (also bereits für den Zeitraum ab l.10.1990), die Beklagte beantragt die Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung. Beide Teile stellen hilfsweise ein Aufhebungsbegehren.
Der Kläger beantragte überdies, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist berechtigt, nicht jedoch die Revision der Beklagten.
Gemäß § 133 Abs 2 GSVG gilt als erwerbsunfähig der Versicherte, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Das Gesetz stellt dabei ausdrücklich auf die zuletzt konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit ab: Nur wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, den zuletzt geführten Betrieb aufrecht zu erhalten, ist er erwerbsunfähig (SSV-NF 3/30 ua). Die als Vergleichsmaßstab dienende Erwerbstätigkeit, die der Versicherte als letzte durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat, muß nicht die letzte Erwerbstätigkeit vor dem Stichtag sein und es wird auch nicht vorausgesetzt, daß die Erwerbstätigkeit in 60 aufeinanderfolgenden Kalendermonaten ausgeübt wurde (SSV-NF 4/93 mwN). Im vorliegenden Fall ist unbestritten, daß der Kläger am Stichtag 1.10.1990 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und daß seine persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Schuhmacherbetriebes (ebenso wie auch zur Aufrechterhaltung des landwirtschaftlichen Betriebes) notwendig war. Die zwischen den Parteien strittige Frage, ob bei Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 2 GSVG auch die frühere Tätigkeit des Klägers als selbständiger Landwirt berücksichtigt werden muß, kann jedoch im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen auf sich beruhen:
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist nämlich der Kläger nach den unbekämpft gebliebenen erstgerichtlichen Feststellungen auch außerstande, seine zuletzt ausgeübte selbständige Tätigkeit als Schuhmachermeister weiterhin zu verrichten. Die Vorinstanzen haben nämlich übersehen, daß sich nach den Feststellungen bei der manuellen Geschicklichkeit des Klägers Einschränkungen der Grob- und Feinmotorik zeigen, die vor allem mit den festgestellten körperlichen Beschwerden begründet sind. Demnach kann der Kläger Arbeiten, die besondere manuelle Geschicklichkeit erfordern, nicht mehr leisten. Nun ist aber offenkundig iS des § 269 ZPO (vgl. SSV-NF 5/96 mwN), daß zu den wesentlichen Berufsanforderungen im Schuhmachergewerbe Handgeschicklichkeit (für die Tätigkeiten des Zuschneidens und Nagelns) sowie Fingerfertigkeit (für die Tätigkeit des Schärfens und Nähens) gehören (ebenso Berufslexikon, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales Band 1 "Lehrberufe" 320 Stichwort Schuhmacher/Schuhmacherin). Fehlt es dem Kläger an dieser geforderten manuellen Geschicklichkeit und Fingerfertigkeit, dann ergibt sich daraus zwingend, daß er auch den zuletzt konkret ausgeübten Beruf eines Flickschusters nicht mehr ausüben kann, womit auch die weitere unbekämpfte Feststellung des Erstgerichtes im Einklang steht, daß er mit 30.9.1990 seine gewerbliche Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen einstellte. Die Ansicht des Erstgerichtes, dem Kläger sei die in den letzten fünf Jahren ausgeübte Tätigkeit als Schuhmacher weiterhin zumutbar, stellt trotz ihrer Aufnahme in den festgestellten Sachverhalt keine Tatsachenfeststellung, sondern eine rechtliche Wertung dar, die aber aus den oben angegebenen Gründen verfehlt ist. Auch die weitere Feststellung, der Kläger könnte eine Tätigkeit als Schuhmachermeister ganztägig nicht mehr ausüben, erlaubt nicht den Umkehrschluß, daß er etwa teilzeitig diese Tätigkeit noch ausüben könne, weil die zuletzt genannte Feststellung nur in Verbindung mit der Unfähigkeit zum dauernden Arbeiten im Sitzen begründet ist. Allein schon wegen der Unfähigkeit zu Arbeiten, die besondere manuelle Geschicklichkeit erfordern, ist der Kläger dauernd außerstande, seine selbständige Erwerbstätigkeit als Schuhmacher auszuüben. Sein Begehren auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension besteht daher ab 1. Oktober 1990 dem Grunde nach zu Recht. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger bis zum 30.11.1991 in der Pensionsversicherung nach dem BSVG pflichtversichert war, weil § 132 Abs 1 GSVG in der Fassung des Art II Z 8 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991, BGBl 1991/157, nur auf Versicherungsfälle anzuwenden ist, in denen der Stichtag nach dem 31. März 1991 liegt (Übergangsbestimmung Art V Abs 6 des zitierten Gesetzes). Nach der hier anzuwendenden alten Fassung des § 132 Abs 1 GSVG war weitere Voraussetzung für den Pensionsanspruch nur, daß die Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes am Stichtag erloschen ist (§ 130 Abs 2 lit a GSVG). Diese weitere Voraussetzung wird vom Kläger zum Stichtag 1. Oktober 1990 erfüllt.
In Stattgebung der Revision des Klägers und unter gleichzeitiger Verwerfung der Revision der Beklagten waren die Urteile der Vorinstanzen in diesem Sinne abzuändern, wobei dem Urteilsspruch die in § 89 Abs 2 ASGG vorgesehene Fassung zu geben war. Gegen die Höhe der vom Erstgericht mit S 2.000,-- monatlich ermittelten vorläufigen Zahlung wurde von den Parteien nichts vorgebracht, so daß zu einer Abänderung der Höhe nach keine Veranlassung bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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