Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Zufolge der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen kann der am 5. Jänner 1940 geborene Kläger nur leichte Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen ohne Arbeitspausen, die über ein physiologisches Ausmaß hinausgehen, verrichten. Es muß jedoch die Möglichkeit gegeben sein, nach ca. einer halbe bis maximal dreiviertel Stunde sitzender Arbeit im Gehen oder Stehen arbeiten zu können. Arbeiten im Gehen oder Stehen können länger toleriert werden. Arbeiten, die mit den Armen über Schulterhöhe zu verrichten sind, können nicht ausgeführt werden; auch Arbeiten, die unter Einfluß von Nässe und Kälte oder die mit Bücken und Heben von Lasten über 10 kg verbunden sind und Arbeiten, die eine gebeugte Haltung des Kopfes erfordern, sind nicht möglich. Ein öffentliches Verkehrsmittel kann benützt werden. Der Zustand besteht seit Antragstellung. Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine gesteigerte körperliche Affektresonanz oder für psychosomatische Störungen, für Depressivität, Labilität oder Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls. Er bietet das Bild eines seelisch unbeeinträchtigten, psychisch gesunden Menschen.
Der Kläger hat Volks- und Hauptschule besucht. Nach Abschluß eines Konservatoriums genoß er an der Musikhochschule eine Ausbildung als Klarinettist. Vom Jahre 1963 bis 1967 war er Musiker beim Stadttheater ***** und ist seit September 1967 1. Klarinettist beim ***** Orchester in *****. Es besteht ein definitives Dienstverhältnis mit dem Land, der Kläger ist jedoch nicht pragmatisiert. Der Kläger kann den Beruf eines Orchestermusikers nicht mehr ausüben, weil er dabei nicht die Möglichkeit hat, nach einer dreiviertel Stunde sitzender Arbeit im Gehen oder Stehen tätig zu sein.
Voraussetzung für die Anstellung als Lehrer an Landesmusikschulen oder städtischen Musikschulen ist das "B-Seminar", das an einem Konservatorium absolviert werden kann. Die Einstellung als Musiklehrer an solchen Schulen ist dann möglich, wenn der Bewerber die Reifeprüfung an einem Konservatorium abgelegt hat. Dies ist beim Kläger der Fall. Über die Anstellung entscheidet das Abschneiden bei einem Probespiel und einem Lehrauftritt, wobei Bewerber, die ein Hochschuldiplom und zusätzlich eine pädagogische Ausbildung haben, vorgezogen werden. Der Kläger besitzt die theoretischen Anstellungserfordernisse für einen Lehrer für das Fach Klarinette an einem Koservatorium oder einer Musikschule. Er besitzt zwar ausreichende, aber keine besonders günstigen Voraussetzungen für diese Tätigkeit. Alleine in Oberösterreich bestehen mehr als 100 Arbeitsplätze für Klarinettenlehrer in Musikschulen. In Gesamtösterreich sind mindestens 450 bis 500 solche Arbeitsplätze vorhanden. Ein Teil dieser Lehrer ist teilzeitbeschäftigt, der größte Teil vollbeschäftigt.
Mit Bescheid vom 30.Jänner 1990 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen ab.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger, die Beklagte zur Gewährung der beantragten Leistung ab 1.Oktober 1989 zu verpflichten.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger könne zwar den Beruf eines Orchestermusikers nicht mehr ausüben, doch sei ihm die Tätigkeit eines Musiklehrers an einer Musikschule oder einem Koservatorium zumutbar. Wohl verfüge der Kläger nicht über pädagogische Fachkenntnisse und sei auch nie als Lehrer tätig gewesen, doch komme es für einen Klarinettenlehrer in erster Linie darauf an, das Instrument zu beherrschen und den Schülern die Technik des Klarinettenspiels zu vermitteln. Hiefür seien keine besonderen pädagogischen Kenntnisse erforderlich, zumal die Musikschüler an der Erlernung der Beherrschung des Instrumentes interessiert seien, sodaß es auf ein besonderes pädagogisches Geschick und eine besondere Motivationsgabe nicht ankomme; pädagogische Kenntnisse würden auch als Anstellungserfordernis nicht vorausgesetzt. Die Berufsgruppe des Musikers sei so weit zu fassen, daß einem Orchestermusiker auch die Lehrtätigkeit für das betreffende Instrument zugemutet werden könne. Die Tätigkeit eines Musiklehrers könne der Kläger aber noch ausüben, weil dabei die Möglichkeit bestehe, den notwendigen Haltungswechseln Rechnung zu tragen.
Das Berufungsgericht gab über Berufung des Klägers dem Klagebegehren dem Grunde nach statt und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer vorläufigen Zahlung von 10.000 S monatlich. Die durch den Berufsschutz des § 273 Abs 1 ASVG begründete enge Bindung des Angestellten an den bisherigen Beruf lasse eine Verweisung nur auf solche Berufe zu, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangten. Eine Verweisung auf artfremde Berufe sei nicht möglich. Beim Beruf eines Lehrers an einer Musikschule oder einem Konservatorium handle es sich jedoch nicht um Berufe, die dem Beruf eines Orchestermusikers artverwandt seien, den der Kläger in seiner langjährigen Berufspraxis ausschließlich ausgeübt habe. Wohl sei in beiden Berufen die Beherrschung des Spielens und der Technik des jeweiligen Musikinstruments Voraussetzung und auch die Anstellungserfordernisse seien im wesentlichen gleich. Die für die Ausübung der Berufe erforderlichen Fähigkeiten seien jedoch grundlegend verschieden. Zur Lehrtätigkeit, auch wenn diese an der niedersten Stufe einer Musikschule stattfinde, gehöre nämlich neben der Beherrschung des Instrumentes, daß der Lehrer den Einzel- und Gruppenunterricht je nach den Kenntnissen der Schüler gestalte. Er habe vorerst Grundkenntnisse über das jeweilige Instrument, seine richtige Pflege und Aufbewahrung, sowie über das Notenlesen zu vermitteln, schrittweise die Beherrschung des Instrumentes zu lehren, hiezu besondere Übungen zusammenzustellen und deren Schwierigkeitsgrad zu steigern. Zum Berufsbild gehöre die laufende Kontrolle und Beurteilung der Leistungen der Schüler. Der Lehrer habe den Schülern ständig mit Erklärungen und Verbesserungen behilflich zu sein, ihnen Hausaufgaben abzuverlangen und ihnen eine theoretische Grundlage in Musikgeschichte und Stilkunde zu vermitteln. Lehrer hätten in regelmäßigen Abständen Konzertabende zu organisieren, die Schüler darauf vorzubereiten und sie allenfalls auf einem passenden Instrument zu begleiten. Daneben hätten sie regelmäßigen Kontakt zu den Eltern zu halten und mit diesen den Lernfortschritt der Schüler und deren individuelle Begabung und Fördermöglichkeit zu besprechen. Für den Musikschullehrer sei daher wie bei jedem Lehrberuf in besonderem Maß die Kontaktfähigkeit mit Eltern und Schülern erforderlich, die mündliche Sprachfertigkeit (Erklären der Stücke), die gestalterische Fähigkeit (Förderung der künstlerischen Ausdrucksfähigkeit) sowie die Selbständigkeit in der Gestaltung des Unterrichtes. Beim Orchestermusiker hingegen stünden andere Fähigkeiten, nämlich das Einarbeiten der Spielweise des Musikinstrumentes, das Umsetzen der Anweisungen des Dirigenten, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen Musikern, die Merkfähigkeit in bezug auf das Einstudieren der jeweiligen Musikstücke sowie das selbständige Üben im Vordergrund. Aus diesen Unterschieden ergebe sich, daß es sich bei den Berufen des Orchestermusikers einerseits und des Musiklehrers andererseits nicht um artverwandte Berufe handle, sodaß die Verweisung des Klägers auf eine Lehrtätigkeit ausscheide. Da auch andere Verweisungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stünden, seien die Voraussetzungen für die begehrte Leistung erfüllt. Ob der Kläger allenfalls noch eine pädagogische Ausbildung absolvieren müßte, um günstige Chancen auf eine Anstellung zu haben, sei daher nicht erheblich.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Begehren des Klägers abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Bei der Pensionsversicherung der Angestellten handelt es sich um eine Berufsgruppenversicherung, deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, das sind alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (SSV-NF 5/34 mwN).
Nach den Feststellungen hat der Kläger eine Ausbildung als Musiker genossen und war seit 1963 als Orchestermusiker, zuletzt viele Jahre als 1. Klarinettist in einem renommierten Orchester tätig. Die Ausbildung des Klägers erfüllt aber auch die Anstellungserfordernisse für eine Tätigkeit als Lehrer an einem Konservatorium oder einer Musikschule. Der Begründung des Berufungsgerichtes, die Tätigkeiten eines Orchestermusikers und eines Konservatoriums- bzw. Musikschullehrers seien nicht artverwandt und stünden der vom Erstgericht vorgenommenen Verweisung entgegen, kann nicht beigetreten werden. Ausgehend von dieser Ansicht würde sich die Verweisungsmöglichkeit auf den Beruf eines Orchestermusikers beschränken. Diese enge Sicht der Verweisungsmöglichkeit würde sogar der Sonderbestimmung des § 273 Abs 3 ASVG entsprechen, nach der der Verweisungsrahmen im wesentlichen durch die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübte konkrete Tätigkeit bestimmt wird; die Anwendung des § 273 Abs 3 ASVG scheidet aber im Hinblick auf das Alter des Klägers, der das 55.Lebensjahr noch nicht vollendet hat, aus.
Das Verweisungsfeld des § 273 Abs 1 ASVG ist hingegen weiter zu sehen. In Frage kommen alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. Dabei sind die Berufe eines Orchestermusikers und eines Lehrers an einer Musikschule oder einem Konservatorium derselben Berufsgruppe zuzuzählen. Wohl unterscheiden sich die Tätigkeiten ihrem Inhalt nach; das Berufungsgericht hat die Tätigkeitsinhalte im einzelnen dargestellt. Die Anforderungen sind aber nicht grundsätzlich verschieden. Wesentlich ist bei der Lehrtätigkeit die Beherrschung des Instrumentes, die Augen-Hand-Koordination (Spielen nach Noten), das Hörvermögen (Unterscheiden von Tönen und Klangfarben), die gestalterische Fähigkeit sowie die Merkfähigkeit - Einstudieren von Musikstücken (Österr. Berufslexikon 2, 395). Dabei handelt es sich jedoch um Fähigkeiten, über die auch ein Orchestermusiker verfügen muß. Erforderlich ist auch bei beiden Berufen eine soziale Kontaktfähigkeit. Beim Orchestermusiker erfordert dies die notwendige Einordnung in das Orchester, beim Lehrer der für eine erfolgreiche Tätigkeit notwendige Kontakt mit den Schülern. Unterschiede bestehen allerdings darin, daß die Lehrtätigkeit die Fähigkeit erfordert, die für die Beherrschung des Instrumentes und das Notenlesen wesentlichen Techniken und Kenntnisse auch sprachlich zu artikulieren, um sie den Schülern in entsprechender Weise zu vermitteln. Dies unterscheidet die beiden Berufe aber nicht so wesentlich, daß es gerechtfertigt wäre, sie verschiedenen Berufsgruppen zuzuordnen. Daß dem keine überragende Bedeutung zukommt, ergibt sich auch daraus, daß für die Lehrtätigkeit keine über die Musikausbildung hinausgehenden Anforderungen, insbesondere keine pädagogische Ausbildung normiert sind.
Der Kläger hat eine Musikausbildung absolviert, die auch die Voraussetzungen für die in Frage stehende Lehrtätigkeit erfüllt. Die Tätigkeit als Lehrer bedeutet auch keineswegs einen sozialen Abstieg. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß etwa die Tätigkeit an einem Konservatorium ein geringeres Sozialprestige vermittelt, als die Tätigkeit als Orchestermusiker. Tatsächlich ist auch eine große Zahl von Orchestermusikern als Lehrer an solchen Schulen tätig. Soweit der Kläger gegen die Verweisung einwendet, er müsse eine pädagogische Ausbildung absolvieren und in diesem Zusammenhang das Fehlen von Feststellungen über die Dauer einer solchen Ausbildung bemängelt, geht er nicht von den Feststellungen aus. Nach dem Sachverhalt, den die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrunde legten, erfüllt der Kläger ohne weiteres die Aufnahmeerfordernisse für eine Lehrtätigkeit. Wohl wurde festgestellt, daß im allgemeinen Absolventen einer Hochschule mit pädagogischer Ausbildung der Vorzug gegeben werde, doch kommt dem keine entscheidende Bedeutung zu. Die Situation ist nicht anders als bei einem Versicherten, der alle Voraussetzungen für die Beschäftigung in einem Beruf erfüllt, der jedoch in Konkurrenz mit anderen Bewerbern treten muß, die über diese erforderlichen Grundkenntnisse hinaus weitere Qualifikationen aufweisen, und dem es daher schwerer gelingt, einen Arbeitsplatz zu erlangen. Erfüllt aber ein Versicherter die für eine bestimmte Tätigkeit normierten Voraussetzungen, so kann eine Verweisung hierauf nicht deshalb ausscheiden, weil zu befürchten ist, daß er im Wettbewerb mit höher qualifizierten Mitbewerbern unterliegen wird. Dazu kommt hier, daß der Kläger als erster Klarinettist eines renomminierten Orchesters zweifellos über eine hervorragende Qualifikation und besondere Erfahrungen verfügt und damit Umstände vorliegen, die durchaus geeignet sind, die Erlangung einer Lehrerstelle günstig zu beeinflussen und bei einer Bewerbung das Fehlen einer pädagogischen Ausbildung auszugleichen.
Die Voraussetzungen für die begehrte Leistung sind daher nicht erfüllt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.
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