OGH 10ObS95/93

OGH10ObS95/9315.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Friedrich Tschochner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Karl Dirschmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Jeroslav Z*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Univ.Doz. Dr.Friedrich Harrer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.März 1993, GZ 13 Rs 111/92-45, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 31.August 1992, GZ 18 Cgs 148/91-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 18.6.1945 in Jugoslawien geborene Kläger besuchte sechs Klassen Volksschule und vom 13. bis zum 16.Lebensjahr eine Abendschule für die Erlernung des Schneiderhandwerks; er wurde dort zum Schneiderhelfer ausgebildet und beendete diese Ausbildung im Jahr 1962 durch die erfolgreiche Ablegung einer Prüfung. Im Jahr 1971 kam er als Gastarbeiter nach Österreich. Nach siebenjähriger ununterbrochener Tätigkeit als Zuschneider bei einem Bekleidungsunternehmen und kurzfristigen Beschäftigungen in zwei anderen Schneiderbetrieben war er von November 1978 bis 10.2.1990 als selbstverantwortlicher Zuschneider in der Bekleidungskonfektionserzeugung tätig. Seither ist der Kläger arbeitslos. Aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen ist er noch in der Lage, körperlich leichte, geistig einfache Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten, wobei sitzende Tätigkeiten zu bevorzugen sind. Der Kläger soll überwiegend in geschlossenen Räumen arbeiten. Ein achtstündiger Arbeitstag ist ohne überdurchschnittliche Arbeitspausen zumutbar. Kälte- und Nässeeinwirkungen sowie das Einatmen von Giftstoffen und Staubbelastungen sind zu vermeiden. Das Heben und Tragen von Lasten ist bis zu 5 kg, für 1/4 der Arbeitszeit auch bis zu 10 kg möglich. Bückbelastungen sollten nur selten vorkommen. Es ist ein häufiger Haltungswechsel zu fordern; nach zweistündiger Arbeit in einer gewissen Körperhaltung muß der Kläger mindestens 15 Minuten in einer anderen Haltung weiterarbeiten können. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist jedoch ausreichend. Hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeit bestehen keine Einschränkungen. Von der intellektuellen Begabung her ist der Kläger durchaus in der Lage, alle jene Tätigkeiten, die er im Berufsleben erlernt und auch ausgeübt hat, weiterhin auszuüben. Die Umstellbarkeit auf gänzlich neue Berufe ist eingeschränkt, der Kläger könnte nur Tätigkeiten erlernen, die Ähnlichkeiten mit den bisher ausgeübten Tätigkeiten aufweisen. Auf einfache Hilfsarbeitertätigkeiten wäre der Kläger uneingeschränkt umstellbar.

Mit Bescheid vom 13.6.1991 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers vom 4.3.1991 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.4.1991 gerichtete Klagebegehren ab. Die vom Kläger in Österreich ausgeübte Tätigkeit als Zuschneider stelle nur einen Teilbereich der Tätigkeiten dar, die von einem gelernten Herren- und Damenkleidermacher verrichtet würden. Das Lehrabschlußzeugnis des Klägers aus Jugoslawien sei in Österreich nicht nostrifiziert worden. Als bloßer Zuschneider habe er in Österreich auch keinen angelernten Beruf ausgeübt. Deshalb sei seine Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu prüfen. Das Verweisungsfeld sei dabei mit dem gesamten Arbeitsmarkt identisch. Nach seinem Leistungskalkül könne der Kläger noch die Tätigkeiten eines Verpackungsarbeiters, eines Adjustierers oder eines Entgraters verrichten. Deshalb sei er nicht invalid im Sinne des Gesetzes.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit, die darin erblickt wurde, daß sich das berufskundliche Sachverständigengutachten nicht mit den Anforderungen in den Verweisungsberufen Verpackungsarbeiter, Adjustierer und Entgrater auseinandergesetzt habe; die Anforderungen in diesen Berufen seien bekannt, weshalb sie nicht gesondert festgestellt zu werden brauchten. Das vom Erstgericht festgestellte medizinische Leistungskalkül sei unbedenklich. Den behaupteten Feststellungsmängeln in bezug auf das Erlernen des Schneiderberufes in Jugoslawien komme keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, weil die Invalidität des Klägers selbst bei Annahme eines Berufsschutzes als Schneider nicht vorläge. Mit seinem Leistungskalkül sei der Kläger nämlich noch in der Lage, die Tätigkeiten eines Reparatur- oder Änderungsschneiders auszuführen, für die es in größeren Änderungswerkstätten, aber auch in größeren Handelsbetrieben ausreichend Arbeitsplätze gebe, wie dies auch der berufskundliche Sachverständige dargelegt habe. Es sei dies eine leichte Tätigkeit, bei der die Leistungsgrenzen des Klägers weder in körperlicher noch in intellektueller Hinsicht überschritten würden. Die Hebe- und Tragebelastungen überstiegen nicht 10 kg, der erforderliche Haltungswechsel zwischen Sitzen und Stehen sei möglich und es bestünden auch hinsichtlich der Umstellbarkeit auf diese Tätigkeiten deshalb keine Bedenken, weil der Kläger nach seinen Behauptungen in Jugoslawien sämtliche Schneiderarbeiten gelernt habe und die Einarbeitung und Wiedererlangung des handwerklichen Geschicks für die Anforderungen dieser Tätigkeit nicht länger als wenige Wochen dauere. Auch der neurologische Sachverständige habe nach Vorhalt der Anforderungen der Tätigkeit eines Änderungsschneiders vom medizinischen Standpunkt aus keine Bedenken gegen die Verweisung auf diesen Beruf geäußert. Da somit der Kläger auch bei Zubilligung des von ihm behaupteten Berufsschutzes als Schneider innerhalb dieser Berufsgruppe noch verweisbar sei, liege seine Invalidität auch im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt der Kläger das Fehlen von Feststellungen über die Anforderungsprofile in den Verweisungsberufen Verpackungsarbeiter, Adjustierer und Entgrater; die Anforderungen seien nicht allgemein bekannt, auch nicht allen sozialgerichtlichen Senaten. Unter diesem Revisionsgrund werden also nur Feststellungsmängel geltend gemacht, die mit der rechtlichen Beurteilung der Sache im Zusammenhang stehen. Die entsprechenden Ausführungen gehören daher zur Rechtsrüge (SSV-NF 6/150 mwN) und werden deshalb im folgenden behandelt, zumal die unrichtige Benennung des Revisionsgrundes unerheblich ist (§ 84 Abs 2 ZPO).

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist richtig. Im Bereich der Pensionsversicherung der Arbeiter ist nach ständiger Rechtsprechung eine Verweisung auf Teiltätigkeiten zulässig, sofern der Versicherte dadurch den Berufsschutz nicht verliert. Die Tätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen wird, muß daher eine Tätigkeit in einem erlernten (angelernten) Beruf im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG sein. Die Teiltätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen werden soll, muß sich qualitativ hervorheben und darf nicht bloß untergeordnet sein (SSV-NF 6/67 mwN).

Selbst wenn man also dem Kläger Berufsschutz als gelernter (oder angelernter) Schneider (Herrenkleidermacher, Damenkleidermacher) zugesteht, wäre er nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen noch in der Lage, die Tätigkeit eines Reparatur- oder Änderungsschneiders auszuführen. Eine solche Tätigkeit hebt sich von Hilfsarbeiten qualitativ wesentlich hervor und ist nicht bloß untergeordnet. Im Anschluß an das berufskundliche Gutachten wurde auch festgestellt, daß es in eigenen Änderungswerkstätten und in größeren Handelsbetrieben eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen für Reparatur- und Änderungsschneider gibt. Nach den Feststellungen bestehen auch aus medizinischer Sicht keine Bedenken gegen eine Verweisung des Klägers auf solche Tätigkeiten; ferner wurde festgestellt, daß der Kläger von seiner intellektuellen Begabung her durchaus in der Lage ist, alle jene Tätigkeiten, die er bisher erlernte und auch durchführte, weiterhin auszuüben. Die Feststellungen bieten auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß die geistigen Fähigkeiten des Klägers krankheitsbedingt herabgesunken seien (Seite 4 des Ersturteils).

Ist aber der Kläger bei Annahme eines Berufsschutzes als Schneider verweisbar und deshalb nicht invalid im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG, bedarf es keiner Feststellungen über die Anforderungen in den Verweisungstätigkeiten Verpackungsarbeiter, Adjustierer und Entgrater. Ob der Kläger auch nach § 255 Abs 3 ASVG als invalid anzusehen wäre, braucht daher nicht untersucht zu werden, so daß auch die im Zusammenhang damit gerügten Feststellungsmängel nicht vorliegen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.

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