OGH 11Os79/93

OGH11Os79/937.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.Juni 1993 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Hager, Dr.Schindler und Dr.Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Hautz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Franz Michael S***** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach dem § 206 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3.Dezember 1992, GZ 2 b Vr 1102/91-71, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugemittelt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem (auch in Rechtskraft erwachsene Teilfreisprüche enthaltenden) angefochtenen Urteil wurde der am 26.September 1952 geborene Franz S***** des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB (1. des Urteilsspruches), des Vergehens der versuchten Blutschande nach §§ 15, 211 Abs. 1 StGB (2.), des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs. 1 und 15 StGB (3.) und des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs. 1 und 15 StGB (4.) schuldig erkannt.

Darnach hat er

1.) im Jahre 1988 in Wien mehrfach mit der am 11.Jänner 1976 geborenen unmündigen Christina S***** den außerehelichen Beischlaf unternommen;

2.) im Jahre 1988 in Wien mehrfach (durch die zu 1. bezeichneten Tathandlungen) versucht, mit seiner leiblichen Tochter Christina S*****, sohin einer Person, mit der er in gerader Linie verwandt ist, den Beischlaf zu vollziehen;

3.) nachgenannte Unmündige auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht bzw zu mißbrauchen versucht, und zwar

a) im Jahre 1988 in Wien die am 11.Jänner 1976 geborene Christina S***** dadurch, daß er sie mehrfach zum Mundverkehr an ihm veranlaßte und selbst Mundverkehr an ihr vornahm, sowie dadurch, daß er einen Finger in ihre Scheide einführte,

b) zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahre 1987 oder 1988 in Schiltern die am 26.Juli 1978 geborene Renate S***** dadurch, daß er ihr mehrmals auf den entblößten Geschlechtsteil griff und sie mehrmals dazu veranlaßte, ihn mit der Hand zu befriedigen,

c) zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahre 1987 oder 1988 in Schiltern die am 26.Juli 1978 geborene Renate S***** dadurch, daß er sie (erfolglos) aufforderte, einen Mundverkehr vorzunehmen;

4.) durch die zu Punkt 1. und 3. a) bis c) genannten Tathandlungen seine dort bezeichneten minderjährigen Töchter zur Unzucht mißbraucht bzw zu mißbrauchen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft diese Schuldsprüche mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 5 a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, überdies den Strafausspruch mit Berufung.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung (I 473, II 14) gestellten Antrages auf Einholung eines (weiteren) Gutachtens eines Sachverständigen für Kinderpsychologie "zum Beweis dafür, daß unter Berücksichtigung des Milieus und der gewonnenen Erfahrungen der beiden Mädchen diese keineswegs wahrheitsgemäß aussagen, sondern vielmehr den Vater zu Unrecht beschuldigt haben", vermag damit aber keine Beeinträchtigung wesentlicher Verteidigungsrechte aufzuzeigen.

Das Erstgericht gründete seine die Schuldsprüche tragenden Feststellungen (auch) auf das als unbedenklich und schlüssig erachtete Gutachten des Sachverständigen Dr.Max H. F*****, das den Zeuginnen Christina und Renate S***** eine entsprechende moralische Urteilsfähigkeit attestiert (I 427, 433) und ihre den Angeklagten belastenden Angaben - ohne eine unmittelbare Aussage zur Frage der Aussageehrlichkeit zu treffen - auf eine sehr hohe Erlebniskomponente zurückführt (ON 40, 47).

Da für die Prüfung des einen Beweisantrag abweisenden Zwischenerkenntnisses durch den Obersten Gerichtshof nur jene tatsächlichen Ausführungen maßgebend sind, die dem erkennenden Gericht bei Fällung des angefochtenen Zwischenerkenntnisses vorlagen (Mayerhofer-Rieder StPO3 E Nr 40 zu § 281 Abs. 1 Z 4), der Beweisantrag des Beschwerdeführers aber in den §§ 125, 126 StPO bezeichnete Mängel des Gutachtens des vernommenen Sachverständigen nicht einmal behauptet, war der Antrag mangels der Voraussetzungen, unter denen nach dem Gesetz das Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen ist, abzuweisen. Erachten aber die Tatrichter den vernommenen Sachverständigen (wie hier) für befähigt, ein einwandfreies Gutachten über den Fall abzugeben (II 15, US 48) und ergeben sich keine Bedenken der in den §§ 125 f StPO angeführten Art, so liegt in der Abweisung eines Antrages auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen ein Akt der Beweiswürdigung, der im Nichtigkeitsverfahren nicht anfechtbar ist (Mayerhofer-Rieder StPO3 ENr 133, 133 a zu § 281 Abs. 1 Z 4; ENr 1 zu § 126).

Die erst in der Beschwerde gegen die bekämpften Gutachten ins Treffen geführten Gründe tatsächlicher Art können daher aus den angeführten Erwägungen auf sich beruhen.

Im übrigen muß ein prozessual tauglicher Beweisantrag außer Beweisthema und Beweismittel - soweit sie sich (wie hier) nicht aus der Sachlage von selbst ergeben - auch Gründe anführen, aus welchen erwartet werden kann, daß die Durchführung der beantragten Beweise das behauptete Ergebnis haben werde. Es wäre daher Voraussetzung für einen erheblichen Beweisantrag gewesen, darzutun, aus welchen Gründen das Gutachten eines weiteren Sachverständigen ein im Widerspruch zu dem Gutachten des vernommenen Sachverständigen stehendes Beweisergebnis erwarten ließ. Insofern fehlt es für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z 4 StPO an einer weiteren wesentlichen formellen Voraussetzung.

Der Mängelrüge - soweit sie sich nicht in einer hier unbeachtlichen Kritik an der vermeintlichen Voreingenommenheit des Erstgerichtes erschöpft - ist zunächst zu entgegnen, daß sich die Tatrichter - der Beschwerdeargumentation zuwider - mit den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung des Angeklagten in Wien auseinandersetzten und ohne Verstoß gegen die Denkgesetze (lebensnah), auf die Aussage der Christina S***** (I 293 f) gestützt, begründeten, daß der Angeklagte weder durch die Anwesenheit mehrerer Personen noch durch die dadurch bedingte räumliche Beengtheit des Schlafraumes an den inkriminierten Tathandlungen gehindert war (US 12, 25 f). Die Beschwerde geht ferner mit der Behauptung, daß "sexuelle Übergriffe technisch nicht möglich sind, wenn die Tochter in einem Schlafsack gelegen ist", von urteilsfremden Prämissen aus, stellt doch das Erstgericht fest, daß die Kinder mit dem Angeklagten auf Schlafsäcken bzw zeitweise auf zwei Doppelluftmatratzen nächtigten (US 12 - vgl auch Aussage des Alexander S***** in der Hauptverhandlung am 7.Juli 1992, I 31).

Die Tatrichter bezogen auch den Umstand, daß Christina S***** den Angeklagten "laut" zur Abstandnahme von sexuellen Aktivitäten aufforderte, ausdrücklich in ihre Erwägungen ein, kamen aber in Verbindung mit den (von der Beschwerde übergangenen) weiteren Angaben der Zeugin, sie habe aus Scham jedenfalls verhindern wollen, daß ihre Geschwister erwachen (I 310), beweiswürdigend zum Ergebnis, daß die Tathandlungen unbemerkt von dritten Personen stattfanden (US 26).

Entgegen der Beschwerdeargumentation waren sowohl der Aufenthalt der Zeugin Christina S***** bei der Familie L***** und die Anzeigeerstattung durch Christina S***** und das Ehepaar L***** am 26. November 1990 (US 17 f, 27 bis 29), als auch der Zweck der Vorsprache des Angeklagten beim Richter des Bezirksgerichtes Langenlois Dr.S*****, aber auch die persönliche Beziehung zwischen Alexandrina S***** und den Kindern des Beschwerdeführers (US 42, 45) Gegenstand der gerichtlichen Überlegungen, boten aber keinen Anlaß für Urteilserörterungen in der vom Beschwerdeführer bezeichneten Richtung.

Auf die Ausführungen des Alexander S*****, wonach er den Eindruck hatte, seine Großmutter Alexandrina S***** habe ihn und seine Schwestern (Christina und Renate S*****) "gleich gern gehabt" (richtig: "gern gehabt" - I 380), sowie es sei ihm - wenngleich er nicht mehr zu Hause gewohnt habe - nicht aufgefallen, "daß die beiden Mädchen dem Vater aus dem Weg gehen", mußte mangels entscheidungswesentlicher Relevanz im Rahmen der auf gedrängte Darstellung zu beschränkenden Entscheidungsgründe (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO) ebensowenig eingegangen werden wie auf die Aussage der Zeugin Inge P*****, wonach sich Christina und Renate S***** beim Angeklagten mit den Worten "Papa danke, Bussi" bedankten, weil er ihnen Geld für Eis gegeben hatte, und den finanziellen Aufwand, den die Rückkehr der Kindesmutter von Thailand nach Österreich erforderte.

Das Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO erschöpft sich im wesentlichen - nach Art einer Schuldberufung - in der Erörterung des Wertes der vorliegenden Beweise und in einer Kritik an der Bedeutung, die das Schöffengericht aus dem gesamten Geschehnisablauf den einzelnen Verfahrensergebnissen beimaß. Damit wird aber nur unzulässig die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz bekämpft.

In der Tatsachenrüge (Z 5 a) wiederholt der Angeklagte Beschwerdepunkte der Mängelrüge, übergeht urteilsmäßige Erörterungen der Angaben der Zeugen Dr.S***** und Stefanie A***** sowie zur Frage der Nächtigung in der Wohnung der Syrit W***** und behauptet, daß der Inhalt des Pflegschaftsaktes in das Verfahren keinen Eingang gefunden habe. Das letztere Vorbringen entspricht im Hinblick auf den Inhalt der Protokolle über die Hauptverhandlungen am 9.Juli 1992 (I 428) und am 3.Dezember 1992 (II 15), wonach zunächst das Christina S***** betreffende Gutachten aus dem Akt P 51/91 des Bezirksgerichtes Donaustadt und vor Schluß des Beweisverfahrens der (gesamte) Pflegschaftsakt verlesen wurde, nicht der Aktenlage.

Die Beschwerdeargumentation vermag in ihrer Gesamtheit nicht aufzuzeigen, daß entweder das Erstgericht unter Außerachtlassung seiner Pflicht zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit die ihm zugänglichen Beweismittel, von denen es nach der Aktenlage Kenntnis haben konnte, gar nicht oder in wesentlichen Punkten derart unvollständig ausschöpfte, daß dadurch die Überzeugungskraft der Grundlage für den Schuldspruch entscheidend berührt wird, oder daß erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit wesentlicher Tatsachenfeststellungen auf Grund von (in den Akten niedergelegten) Verfahrensergebnissen bestehen, die sich bei einer lebensnahen, an der allgemeinen menschlichen Erfahrung orientierten Beurteilung mit dem festgestellten Sachverhalt nicht oder nur schwer in Einklang bringen lassen. Die geltend gemachte Nichtigkeit liegt daher erneut nicht vor.

Die Rechtsrüge (Z 10) hinwieder entbehrt der gesetzmäßigen Ausführung, weil sie mit der Behauptung fehlender Feststellungen zum auf Vollziehung des Beischlafes mit Unmündigen gerichteten Tätervorsatz nicht an dem bei Geltendmachung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes bindenden gesamten Urteilssachverhalt (US 12, 13, 27, 29, 39) festhält.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO) und teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§ 285 d Abs. 1 Z 1 iVm mit § 285 a Z 2 StPO) bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Über die Berufung wird das hiefür zuständige Oberlandesgericht Wien zu befinden haben (§ 285 i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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