OGH 12Os43/93

OGH12Os43/9327.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Markel, Mag. Strieder und Dr. Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kobler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz R* wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 11. Jänner 1993, GZ 30 h Vr 8220/92‑46, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators Generalanwalt Dr. Hauptmann und des Verteidigers Dr. Klinner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:E34545

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil werden zur Gänze aufgehoben und die Sache an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Der Angeklagte Franz R* wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

 

 

Gründe:

 

Der am 12. September 1942 geborene Franz R* wurde im Sinne des Wahrspruchs der Geschwornen schuldig erkannt, er habe sich am 13. Juli 1992 in Wien in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Eva S* durch Versetzen von insgesamt 22 Messerstichen gegen ihren Körper zu töten, und hiedurch das Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB begangen.

Rechtliche Beurteilung

In der gegen dieses Urteil erhobenen, ausschließlich auf den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs. 1 Z 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde macht die Staatsanwaltschaft im Ergebnis zutreffend geltend, die Rechtsbelehrung leide insoweit an einer zur Irreleitung der Geschwornen geeigneten ‑ einer Unrichtigkeit gleichkommenden ‑ Unvollständigkeit, als Hinweise darauf fehlten, daß Totschlag einen spontanen ‑ also nicht konkret vorgefaßten ‑ Tötungsentschluß voraussetze, und daß zwischen dem "protrahierten Affekt" einerseits und einer spontanen Affektauslösung aus einem allfälligen Anlaß am Ende einer Krisensituation exakt unterschieden werden müsse. Nach Auffassung der Anklagebehörde hätte es solcher Hinweise umsomehr bedurft, als in der Rechtsbelehrung zusammenhanglos und ohne Betonung des Ausnahmecharakters einer derartigen Fallgestaltung die Möglichkeit einer längere Zeit hindurch andauernden ‑ eine gewisse Zeitspanne zwischen Entschluß und Tatausführung zulassenden ‑ heftigen Gemütsbewegung erwähnt worden sei.

Wenngleich die Belehrung nach § 321 StPO vorliegend Ausführungen über die Notwendigkeit enthält, im Falle einer zwar im Affekt ausgeführten, aber schon vor dem Affekt erwogenen Tat müsse genau geprüft werden, ob diese Erwägungen bereits zu einem festen Entschluß geführt haben und die Tat nur mehr dessen Ausführung darstellt oder ob der Täter vorher bloß mit dem Gedanken einer solchen Tat gespielt, den Entschluß hiezu aber erst in einer heftigen Gemütsbewegung gefaßt hat, hätte dem allerdings auch eine Klarstellung der sich hieraus für die rechtliche Beurteilung ergebenden Konsequenzen beigefügt werden müssen. Insbesondere wären die Geschwornen darauf hinzuweisen gewesen, daß die im Affekt ausgeführte, jedoch schon längere Zeit erwogene Tötung nur dann nach § 76 StGB privilegiert ist, wenn auch der Tatentschluß als solcher erst in der allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung ‑ also wegen und während des Affektes, der als zeitliche Klammer Vorsatz und Tat umschließen muß (Moos, in WK, Rz 23 zu § 76 StGB) - gefaßt worden ist, und daß daher zwar eine Tatbeurteilung nach § 76 StGB auch bei spontaner Affektauslösung aus einem möglicherweise eher zufälligen Anlaß am Ende einer als "protrahierter Affekt" zu beurteilenden Krisensituation in Betracht kommt, nicht hingegen bei einem "protrahierten Affekt" im Sinne einer rational gesteuerten Affektentladung gleichsam im Zeitlupentempo oder gar bei einem konkret vorgefaßten ‑ also nicht spontanen ‑ Tötungsentschluß (EvBl 1987/13; Moos, aaO; Leukauf‑Steininger Komm3 § 76 StGB RN 8).

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war mithin der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und nach § 349 Abs. 1 StPO wie im Spruch zu entscheiden.

Im erneuerten Rechtsgang wird im übrigen in die Rechtsbelehrung der ‑ insbesondere im Hinblick auf das Vorleben des Angeklagten sowie auf die von ihm selbst eingestandene und auch aus dem psychiatrischen Gutachten hervorgehende charakterliche Veranlagung gebotene ‑ Hinweis dahin aufzunehmen sein, daß eine nur aus einer abnormen charakterlichen Beschaffenheit des Täters resultierende heftige Gemütsbewegung nicht allgemein begreiflich, die Unterstellung der Tat unter § 76 StGB daher ausgeschlossen ist, wenn die Gemütsbewegung auf Stimmungslabilität, leichter Erregbarkeit, mangelnder Beherrschung, gesteigerter Aggressivität oder verwerflichen Leidenschaften (Neigungen) beruht (Leukauf‑Steininger Komm3 § 76 StGB RN 12, 13).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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