OGH 10ObS91/93

OGH10ObS91/9325.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Michael Manhard (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Klaus Hajek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margarethe P*****, vertreten durch Dr.Werner Walch und Dr.Michael Prager, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des Bestandes von Versicherungszeiten der Pensionsversicherung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Jänner 1993, GZ 33 Rs 152/92-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3.September 1992, GZ 25 Cgs 507/92-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 4.9.1931 geborene Klägerin wurde am 22.5.1960, 6.11.1962 und 12.1.1964 von lebendgeborenen Kinder entbunden.

Auf Antrag der Klägerin vom 28.10.1991 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 12.2.1992 zum Ermittlungsstichtag, dem 1.11.1991, ua folgende Versicherungszeiten fest:

9.56 bis 3.60 43 Pflichtversicherungsmonate als Ang.

4.60 bis 7.60 4 (Ersatzmonate für) Wochengeldbezug

8.60 1 Pflichtversicherungsmonat als Ang.

1.61 bis 9.62 21 Pflichtversicherungsmonate als Ang.

10.62 bis 1.63 4 (Ersatzmonate für) Wochengeldbezug

11.63 1 Pflichtversicherungsmonat als Ang.

12.63 bis 3.64 4 (Ersatzmonate für) Wochengeldbezug

2.65 bis 2.66 13 Weiterversicherungsmonate PVAng

3.66 bis 6.66 4 (Ersatzmonate für) Wochengeldbezug

7.66 bis 3.76 117 Weiterversicherungsmonate PVAng.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt die Klägerin ua, auch die Monate September bis Dezember 1960, Februar bis Oktober 1963, April bis Dezember 1964 und Jänner 1965 als Versicherungszeiten der österreichischen Pensionsversicherung festzustellen, weil sie sich während dieser Monate nach den oben erwähnten Entbindungen auf Karenzurlaub befunden habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß im Zusammenhang mit diesen Entbindungen über die bereits festgestellten Ersatzzeiten während des Wochengeldbezuges weitere Ersatzzeiten nach § 227 Abs 1 Z 4 ASVG nicht festgestellt werden könnten, weil diese Entbindungen vor dem 1.1.1971 erfolgten.

Das Erstgericht wies das ua auf die Feststellung der Monate September bis Dezember 1960, Februar bis Oktober 1963 und April bis Dezember 1964 sowie Jänner 1965 als Versicherungszeiten gerichtete Klagebegehren nach der geltenden Gesetzeslage (§ 227 Abs 1 Z 4 lit a sublit aa ASVG) ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die sich nur darauf stützte, daß die genannte Gesetzesstelle verfassungswidrig sei, nicht Folge. Dabei folgte es der nunmehr zu SSV-NF 6/54 veröffentlichen E 28.4.1992 10 Ob S 89/92, in der der erkennende Senat begründete, daß er keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die zit Gesetzesstelle habe.

In der Revision, in der die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend macht, wird angeregt, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der ihrer Meinung nach verfassungswidrigen Wortfolge "der frühestens am 1.Jänner 1971" im § 227 Abs 1 Z 4 lit a sublit aa ASVG zu beantragen, und (nach Aufhebung dieser Wortfolge durch den Verfassungsgerichtshof) das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Das ASVG sah vor dem Pensionsanpassungsgesetz (PAG) BGBl 1965/96 für Mütter keine begünstigte Ersatzzeitanrechnung vor.

Erst seit dem PAG gelten ab 1.6.1965 die Zeiten, während derer eine Versicherte Wochengeld bezog oder während derer dieser Anspruch ruhte, als Ersatzzeiten (§ 227 Abs 1 Z 3 ASVG).

Nach der RV zur 25.ASVGNov 157 BlgNR 12.GP, 14, erschien es angebracht, einer Anregung von Interessenvertretungen der Dienstnehmer dahingehend Rechnung zu tragen, daß über die schon damals als Ersatzzeiten geltenden Zeiten des Wochengeldbezuges hinaus auch die Zeiten des Karenzurlaubes nach den Vorschriften des Mutterschutzrechtes als Ersatzzeiten gewertet werden. Nach der Wertung des Wochengeldbezuges als Ersatzzeit stelle dieser Vorschlag eine notwendige Ergänzung dar, um jene weiblichen Dienstnehmer, die sich entschließen, ihre Berufstätigkeit zu unterbrechen, um sich nach der Entbindung ein Jahr lang der Pflege ihres Kindes zu widmen, keinen Nachteil in ihren sozialversicherungsrechtlichen Anwartschaften erleiden zu lassen. Um die mit dieser Leistungsverbesserung (durch die neuen Z 4 bis 6) verbundenen Mehraufwendungen in der Pensionsversicherung mit den finanziellen Möglichkeiten des Bundes und der Pensionsversicherungsträger in Einklang zu bringen, sollten von der Umwandlung in Ersatzzeiten - wie in der Regierungsvorlage ausdrücklich festgehalten wurde - nur jene bisher als neutral geltenden Zeiten des Karenzurlaubes, des Bezuges von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung und des Krankengeldbezuges (der Anstaltspflege) erfaßt werden, die nach dem 31. Dezember 1970 liegen. Dadurch würden sich am Beginn nur geringfügige Mehraufwendungen ergeben, die erst im Laufe der Jahre langsam ansteigen werden.

In der mit 1.1.1973 in Kraft getretenen 29.ASVGNov BGBl 1973/31 wurde eine zwölfmonatige Ersatzzeit nach der Entbindung eingeführt. Die zeitliche Einschränkung der 25.ASVGNov blieb dabei aufrecht. Im Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung zu dieser Novelle 578 BlgNR 13.GP, 5 wird zur Änderung der Z 4 ausgeführt, entsprechend dem aus der Gesetzgebung der letzten Jahre erkennbaren Bemühen, den sozialrechtlichen Schutz der Mutter immer stärker auszubauen, erscheine es richtig, jeder Frau, die von einem lebendgeborenen Kind entbunden werde, ein Versicherungsjahr im Anschluß an die Entbindung anzurechnen. Einzige Voraussetzung für den Erwerb dieses Versicherungsjahres solle sein, daß irgendwann nach der Entbindung eine andere Versicherungszeit (Beitrags- oder Ersatzzeit) vorliegt. Entsprechend der Regelung in der geltenden Fassung kämen hiebei nur solche Entbindungen in Betracht, die frühstens am 1.Jänner 1971 stattgefunden haben.

Durch den mit 1.7.1990 in Kraft getretenen Art XI Z 4 des KarenzurlaubsgelderweiterungsG BGBl 1990/408 erhielt § 227 Abs 1 Z 4 lit a ASVG folgende, auch im vorliegenden Fall anzuwendende Fassung:

"bei einer weiblichen Versicherten höchstens die

aa) nach der frühstens am 1.Jänner 1971 erfolgten Entbindung nach einem lebendgeborenen Kind liegenden zwölf Kalendermonate,

bb) nach der frühstens am 1.Juli 1990 erfolgten Entbindung nach einem lebendgeborenen Kind liegenden 24 Kalendermonate,".

Die Ausdehnung der Ersatzzeit auf höchstens 24 Kalendermonate berücksichtigt die Verlängerung des Karenzurlaubes auf zwei Jahre durch das KarenzurlaubserweiterungsG.

Der erkennende Senat hat in SSV-NF 6/54 ausgeführt, daß er gegen § 227 Abs 1 Z 4 lit a ASVG (in der zum damaligen Stichtag, dem 1.6.1990, geltenden Fassung vor dem KarenzurlaubsgelderweiterungsG) keine verfassungsrechtlichen Bedenken habe. Es stehe in der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers festzulegen, ab wann Zeiten als Ersatzzeiten gelten. Wegen der mit der beitragsfreien Anrechnung von Ersatzzeiten verbundenen besonderen finanziellen Belastung der Versichertengemeinschaft erschienen Einschränkungen dieser Begünstigung sachgerecht.

Daß die Zeiten des Karenzurlaubes, des Bezuges von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung und des Krankengeldbezuges, die bis 31.12.1970 als neutrale Zeiten galten, erst seit 1.1.1971 Ersatzzeiten sind, ist nach der RV zur 25.ASVGNov 157 BlgNR 12.GP, 14 darauf zurückzuführen, daß die mit dieser Leistungsverbesserung verbundenen Mehraufwendungen in der Pensionsversicherung mit den finanziellen Möglichkeiten des Bundes und der Pensionsversicherungsträger in Einklang gebracht werden mußten. Durch diese Stichtagsregelung ergaben sich zunächst nur geringfügige Mehraufwendungen, die erst im Laufe der Jahre langsam anstiegen. Dabei ist hinsichtlich der an die Entbindung anschließenden Ersatzzeiten vor allem zu berücksichtigen, daß versicherte Frauen, die nach dem 31.12.1970 noch im gebärfähigen Alter standen, in der Regel erst nach zwanzig oder mehr Jahren, also erst jetzt, das Anfallsalter für eine Alterspension erreichen und daß sich auch die Geburtenzahl seither erheblich verringert hat. Deshalb konnte sich die durch die 25.ASVGNov vorgenommene Umwandlung der nachgeburtlichen Karenzurlaubszeit von einer neutralen Zeit in eine Ersatzzeit bisher in erster Linie bei Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspensionen auswirken.

Ohne die Beschränkung der beitragsfreien Anrechnung dieser Zeiten auf die frühestens am 1.Jänner 1971 erfolgten Entbindungen hätte sich die erwähnte sozialversicherungsrechtliche Verbesserung zwar sofort voll ausgewirkt und vielen seither in Pension gegangenen Müttern höhere Versicherungszeiten und damit auch höhere Pensionsansprüche gebracht. Diese Maßnahme hätte aber die Versichertengemeinschaft und den Bund besonders stark belastet, so daß die Einschränkung auf die erst nach dem 31.12.1970 erfolgten Entbindungen sachlich gerechtfertigt ist (ähnlich Teschner in Tomandl, SV-System 5.ErgLfg 382). Ob sie sozialpolitisch oder familienpolitisch voll befriedigend ist, hat mit ihrer Verfassungsgemäßheit nichts zu tun.

Auch Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 65 und Grillberger, Österreichisches Sozialrecht, 69 erwähnen diese Stichtagsregelung, ohne verfassungsrechtliche Bedenken geltend zu machen.

Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß der einfache Gesetzgeber Mütter, die vor dem 1.1.1971 entbunden haben, zumindest dadurch begünstigt, daß die Zeiten des Wochengeldbezuges oder des Ruhens dieses Anspruches nach § 227 Abs 1 Z 3 ASVG als Ersatzzeiten gelten.

Auf Grund des Art VII der 32.ASVGNov BGBl 1976/704 bestand die Möglichkeit, Lücken im Versicherungsverlauf in der Zeit vom 1.1.1956 bis 31.12.1976 durch nachträgliche Beitragsentrichtung zu schließen. Diese besondere Nachentrichtung - im Gesetz "nachträglicher Einkauf von Versicherungszeiten" genannt - führte zum Entstehen von Beitragszeiten der freiwilligen Versicherung. Diese Einkaufsregelung wurde durch Art VII Sozialrechts-Änderungsgesetz 1978 (33.ASVGNov) BGBl 684 in etwas modifizierter Form auf Zeiten der Kindererziehung (-pflege) im Zeitraum vom 1.1.1939 bis 31.12.1978 bis zum Höchstmaß von 36 vollen Kalendermonaten ausgedehnt (Teschner in Tomandl, SV-System 5.ErgLfg 381f). Diese Regelung gilt auch für Mütter, die vor dem 1.1.1971 Kinder geboren und sich deren Pflege und Erziehung gewidmet hatten.

Schließlich muß auch der durch die 40.ASVGNov BGBl 1984/484 als zusätzlicher Bestandteil des Steigerungsbetrages eingeführte Kinderzuschlag (§ 261a ASVG) berücksichtigt werden, durch den sich der nach § 261 leg cit ergebende Hundertsatz für jedes lebendgeborene Kind - also auch für ein vor dem 1.1.1971 geborenes -, ....grundsätzlich im Ausmaß von 3 vH der (höchsten) Bemessungsgrundlage erhöht.

Diese Ausführungen zeigen, daß der einfache Gesetzgeber schon bisher durchaus bemüht war, auch bei Versicherten, die vor dem genannten Stichtag Kinder bekamen, die durch die Stichtagsregelung des § 227 Abs 1 Z 4 lit a ASVG bewirkte Benachteiligung bei der Ersatzzeitenregelung zu mildern. Daß gegen diese Ungleichbehandlung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, wurde bereits dargelegt.

Auch infolge der Novellierung der Z 4 dieser Gesetzesstelle durch das KarenzurlaubsgelderweiterungsG BGBl 1990/408 wurde diese Stichtagsregelung - entgegen der Meinung der Revisionswerberin - verfassungsrechtlich nicht bedenklich.

Es ist zwar richtig, daß nach der durch diese Novellierung eingeführten sublit bb bei einer weiblichen Versicherten höchstens die nach der frühestens am 1.Juli 1990 erfolgten Entbindung nach einem lebendgeborenen Kind liegenden 24 Kalendermonate, also höchstens zwei Kalenderjahre als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 gelten, während gemäß sublit aa nach Entbindungen in der Zeit vom 1.Jänner 1970 bis 30.Juni 1990 nur höchstens ein Jahr, nach Entbindungen vor dem 1.Jänner 1971 aber gar keine Zeit als solche Ersatzzeit gilt. Durch die Ausdehnung der Ersatzzeit nach lit bb auf höchstens zwei Kalenderjahre nach einer frühestens am 1.Juli 1990 erfolgten Entbindungen, die auf die Verlängerung des Karenzurlaubes durch das KarenzurlaubsgelderweiterungsG zurückzuführen ist, hat sich die sozialversicherungsrechtliche Situation von Versicherten, die vor diesem Stichtag von einem lebendgeborenen Kind entbunden wurden und noch keinen Anspruch auf einen zweijährigen Karenzurlaub hatten, in keiner Weise geändert. Wie bei der Stichtagsregelung nach lit aa ist auch bei der nach sublit bb zunächst nur mit geringfügigen Mehraufwendungen zu rechnen, die im Laufe der Jahre langsam ansteigen und sich erst dann voll auswirken werden, wenn die Frauen, die im Jahre 1990 noch im gebärfähigen Alter standen, das Anfallsalter für eine Alterspension erreichen werden.

Hätte der einfache Gesetzgeber anstelle der Ausweitung der Ersatzzeitenregelung durch sublit bb die Ersatzzeitenregelung der sublit aa auch auf vor dem 1.Jänner 1971 erfolgte Entbindungen ausgedehnt, hätte dies eine sofortige und wesentlich höhere Belastung der Pensionsversicherungsträger und des Bundes nach sich gezogen, weil sich dies sofort auf Versicherte ausgewirkt hätte, die das Anfallsalter für eine Alterspension schon erreicht haben oder bald erreichen werden. Gerade eine solche Mehrbelastung wollte der einfache Gesetzgeber aber - wie schon ausgeführt - durch die Beschränkung der beitragsfreien Ersatzzeitenanrechnung nach § 227 Abs 1 Z 4 lit a ASVG auf Zeiten nach frühestens am 1.Jänner 1971 erfolgten Entbindungen ausschließen. Daß dies in der rechtspolitischen Freiheit des einfachen Gesetzgebers steht und daher verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wurde bereits zu SSV-NF 6/54 dargelegt.

Die Anregung der Revisionswerberin, beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen, eine Wortfolge des § 227 Abs 1 Z 4 lit a sublit aa ASVG in der noch geltenden Fassung als verfassungswidrig aufzuheben, war deshalb mangels einer Voraussetzung des Art 89 Abs 2 B-VG nicht aufzugreifen.

Da das Klagebegehren nach der mangels verfassungsrechtlicher Bedenken anzuwendenden Rechtslage von den Vorinstanzen ohne Rechtsirrtum abgewiesen wurde, war der Revision somit nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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