OGH 11Os41/93(11Os42/93)

OGH11Os41/93(11Os42/93)18.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Hager, Dr. Mayrhofer und Dr. Ebner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hautz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Franjo L***** und Marjan M***** wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Hehlerei nach den __ 164 Abs 1 Z 2, Abs 2, Abs 3, zweiter und dritter Fall, und 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4.Dezember 1992, GZ 5 b Vr 4005/92-52, sowie über die Beschwerde des Angeklagten Franjo L***** gegen den gemäß _ 494 a Abs 4 StPO gleichzeitig mit diesem Urteil gefaßten Beschluß, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Fabrizy, und des Verteidigers Dr. Bernhauser, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Franjo L***** und Marjan M***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß dem _ 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Franjo L***** und Marjan M***** werden von der Anklage, sie hätten in Wien gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen, und zwar Pkw's, nachstehenden Personen durch Einbruch mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Zueignung der Fahrzeuge unrechtmäßig zu bereichern, indem sie jeweils die Fahrzeuge mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel durch Nachsperre öffneten und zwar

A.

Franjo L***** und Marjan M***** im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter am 19. Februar 1992 der Gabriele R***** einen Pkw Audi Quattro 20 V im Wert von 241.000 S;

B.

Franjo L***** alleine am 20. Februar 1992 dem Franz M***** einen Pkw der Marke Audi im Wert von 200.000 S und

C.

Marjan M***** alleine am 20. Februar 1992 dem Thomas U***** einen Pkw der Marke VW Golf im Wert von ca 236.000 S,

sie hätten hiedurch das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach den __ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130, vierter Fall, StGB begangen,

gemäß dem _ 259 Z 3 StPO freigesprochen.

II. Der Beschwerde des Angeklagten Franjo L***** wird Folge gegeben und der Beschluß, womit die im Verfahren 9 d Vr 827/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen wurde, GZ 5 b Vr 4005/92-55 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, wird aufgehoben und der auf diesen Widerruf abzielende Antrag der Staatsanwaltschaft abgewiesen.

III. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und die Angeklagten auf die Entscheidung zu Punkt I. verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die beschäftigungslosen bosnischen Staatsangehörigen Franjo L***** und Marjan M***** des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Hehlerei nach den __ 164 Abs 1 Z 2, Abs 2 und Abs 3, zweiter und dritter Fall, sowie 15 StGB schuldig erkannt.

Darnach haben sie am 26. Februar 1992 in Ungarn gewerbsmäßig Sachen, nämlich Pkw's, die andere durch Verbrechen gegen fremdes Vermögen, welche mit einer fünf Jahre erreichenden Freiheitsstrafe bedroht sind, nämlich durch Einbruchsdiebstähle, erlangt haben, an sich gebracht bzw an sich zu bringen versucht, wobei der Wert der Pkw's jeweils 25.000 S überstieg, und zwar

A. Franjo L***** und Marjan M***** in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken in Fünfkirchen (ungarisch: Pecs) den Pkw Audi Quattro 80 mit dem österreichischen polizeilichen Kennzeichen WB 126 V im Wert von 241.000 S, welcher am 19. Februar 1992 in Wien der Gabriele R***** durch Einbruch gestohlen worden war, an sich gebracht, indem sie ihn von Ivan F***** übernahmen und ihn nach Raab (ungarisch: Györ) lenkten;

B. Franjo L***** allein in Raab (Györ) den Pkw Audi 80 mit dem österreichischen polizeilichen Kennzeichen W 481.933 im Wert von 233.000 S, welcher am 20. Februar 1992 in Wien dem Franz M***** durch Einbruch gestohlen worden war, an sich zu bringen versucht, indem er den Pkw aufsperrte, um ihn nach Fünfkirchen (Pecs) und in der Folge nach Bosnien zu überstellen und

C. Marjan M***** allein in Raab (Györ) den Pkw Golf GTI mit dem österreichischen polizeilichen Kennzeichen GM UMG 2 im Wert von 236.000 S, welcher am 22. Februar 1992 in Wien dem Thomas U***** durch Einbruch gestohlen worden war, an sich zu bringen versucht, indem er den Pkw aufsperrte, um ihn nach Fünfkirchen (Pecs) und in der Folge nach Bosnien zu überstellen.

Die Angeklagten wurden - nachdem sie in Ungarn bei Begehung der zu den Punkten B. und C. des Schuldspruchs beschriebenen Taten betreten und festgenommen worden waren - mit rechtskräftigem Urteil des städtischen Gerichtes Györ vom 24. Juni 1992, B 1008/92/5, der "strafbaren Handlung der Begünstigung als Mittäter", der Angeklagte Marjan M***** darüberhinaus der "versuchten Straftat von Verfälschung von einem Stück öffentlichen Dokumenten" (so jeweils die wörtliche Übersetzung in die deutsche Sprache) schuldig erkannt und zu Freiheitsstrafen von je sechs Monaten verurteilt sowie des Landes verwiesen. Den Schuldsprüchen wegen "Begünstigung" lag derselbe Sachverhalt wie dem angefochtenen Urteil zugrunde (ON 46).

Auf Grund einer Verständigung durch die ungarischen Polizeibehörden leitete der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am 11. Mai 1992 die Voruntersuchung gegen Franjo L***** und Marjan M***** wegen des Verdachtes des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den __ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 StGB ein und erließ am 1. Juni 1992 die entsprechenden Haftbefehle zwecks Erwirkung der Auslieferung der Genannten aus Ungarn. In diesen Haftbefehlen wurde Franjo L***** der Diebstahl des Pkw's Audi 80 mit dem österreichischen polizeilichen Kennzeichen W 481.983 sowie eines weiteren Pkw's und Marjan M***** der Diebstahl des Pkw's VW Golf GTI mit dem österreichischen polizeilichen Kennzeichen GM UMG 2 sowie gleichfalls eines weiteren Pkw's angelastet, wobei der zweite Pkw jeweils nicht näher individualisiert wurde (ON 6). Mit Note vom 27. Juli 1992 stimmte der Justizminister der Republik Ungarn der Auslieferung der beiden Angeklagten wegen der in den angeführten Haftbefehlen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erwähnten Straftaten zu (ON 18). In der Folge erhob die Staatsanwaltschaft Wien gegen Franjo L***** und Marjan M***** die Anklage wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach den __ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130, vierter Fall StGB (ON 31). Das Schöffengericht erachtete hingegen die Begehung der Diebstähle durch die Angeklagten als nicht erwiesen und fällte die eingangs erwähnten Schuldsprüche wegen Hehlerei; die inländische Gerichtsbarkeit fand es gemäß _ 64 Abs 1 Z 8 StGB als gegeben (ON 52).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Z 9 lit c (der Sache nach Z 9 lit b - siehe Mayerhofer-Rieder StPO3 ENr 12 zu _ 281 Abs 1 Z 9) des _ 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten, die damit die Verletzung der Spezialität der Auslieferung geltend machen und im Recht sind.

Der Grundsatz der Spezialität der Auslieferung besagt, daß die ausgelieferte Person wegen einer Tat, die nicht Gegenstand der Auslieferungsbewilligung ist, nicht verfolgt und bestraft werden darf. Das Verbot bezieht sich aber nur auf den Sachverhalt, nicht auch auf eine Änderung der rechtlichen Würdigung, sofern dadurch die Tat nicht den Charakter der Auslieferungsfähigkeit verliert (SSt 57/88). Ob die Verfolgung einer Person, die wegen Diebstahls ausgeliefert wurde, wegen Hehlerei zulässig ist (dagegen Linke-Epp-Dokupil-Felsenstein, Internationales Strafrecht, _ 70 ARHG Erl I. 4.a), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil die den Angeklagten angelasteten Taten durch die Änderung ihrer rechtlichen Würdigung jedenfalls ihre Auslieferungsfähigkeit verloren haben.

Diese richtet sich hier nach dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und der ungarischen Volksrepublik über die Auslieferung vom 25. Februar 1975, BGBl 1976, 340. Die Bestimmungen des Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes finden daher nur subsidiär Anwendung (_ 1 ARHG).

Nach Art 27 des erwähnten Übereinkommens darf die ausgelieferte Person in Fällen, in denen die (der Auslieferung zugrundeliegende) Handlung während des Verfahrens im ersuchenden Staat rechtlich anders als im Auslieferungsverfahren gewürdigt wird, nur insoweit verfolgt und abgeurteilt werden, als der festgestellte Sachverhalt auch nach der neuen rechtlichen Würdigung die Auslieferung zulassen würde. Die Gründe für die Versagung der Auslieferung sind gleichfalls im genannten bilateralen Vertrag geregelt. Nach Art 7 Abs 1 dieses Vertrages wird - vorbehaltlich des im gegebenen Fall nicht anwendbaren Abs 2 - die Auslieferung dann nicht bewilligt, wenn die Handlung auf dem Gebiet des ersuchten Staates begangen wurde oder wegen der Verletzung wesentlicher Interessen des ersuchten Staates dessen Gerichtsbarkeit unterliegt. Art 8 Abs 1 Z 1 des Übereinkommens sieht ferner die Unzulässigkeit der Auslieferung dann vor, wenn die auszuliefernde Person im ersuchten Staat wegen der dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Handlung rechtskräftig schuldig erkannt wurde.

Im vorliegenden Fall wurde die Auslieferung der Angeklagten aus Ungarn wegen solcher Taten bewilligt, die zur Zeit des Auslieferungsersuchens rechtlich als Diebstahl gewürdigt wurden. Das Schöffengericht erkannte die Angeklagten jedoch der Hehlerei schuldig, wobei es die Feststellung traf, daß die Tathandlungen ausschließlich in Ungarn gesetzt wurden. Die Auslieferung der Beschwerdeführer von Ungarn nach Österreich zum Zweck ihrer Verfolgung wegen Hehlerei wäre somit gemäß Art 7 Abs 1 des erwähnten Übereinkommens unzulässig gewesen. Da die Angeklagten überdies wegen der identen Taten in Ungarn bereits rechtskräftig verurteilt wurden, stand auch die Bestimmung des Art 8 Abs 1 Z 1 des Staatsvertrages ihrer Auslieferung entgegen. Es waren daher die Voraussetzungen (Art 27 des Vertrages) für eine Verfolgung und Verurteilung der Beschwerdeführer in Österreich wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Hehlerei nach den __ 164 Abs 1 Z 2, Abs 2 und Abs 3, zweiter und dritter Fall sowie 15 StGB nicht gegeben, weswegen in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden das angefochtene Urteil aufzuheben und - wie aus dem Spruch ersichtlich mit Freispruch beider Angeklagten vorzugehen war. Mit ihren hiedurch gegenstandslos gewordenen Berufungen waren die Staatsanwaltschaft wie auch die Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.

Da damit auch die Grundlage für den vom Angeklagten Franjo L***** mit Beschwerde angefochtenen (entgegen der Bestimmung des _ 494a Abs 4 StPO nicht gemeinsam mit dem angefochtenen Urteil, sondern getrennt) ausgefertigten Widerrufsbeschluß (ON 55) weggefallen ist, war auch der Beschwerde dieses Angeklagten Folge zu geben, der angefochtene Beschluß aufzuheben und der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft abzuweisen.

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