OGH 10ObS35/93

OGH10ObS35/9311.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Margarethe Peters (Arbeitgeber) und Friedrich Wienerroither (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G***** P*****, vertreten durch Dr.Herwig Rainer-Hanslik, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Rossauerlände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.September 1992, GZ 31 Rs 88/92-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30.Jänner 1992, GZ 9 Cgs 50/91-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Jahre 1970 absolvierte der am 16.Jänner 1941 geborene Kläger den sechsmonatigen Lehrgang für Bademeister, den er mit dem Erwerb eines Zeugnisses mit Erfolg abschloß. Dieser Lehrgang mit Unterrichtsgegenständen, die von ihrem Umfang und ihrem Inhalt her jenen entsprechen, die bei der zweijährigen Sportlehrerausbildung gefordert werden, beinhaltet bei erfolgreichem Abschluß unter anderem das Recht, Schwimmunterricht zu erteilen und die Qualifikation als Rettungsschwimmer. Die Ausbildung zum "Schwimmlehrer" ist als Spezialdisziplin der viersemestrigen Sportlehrerausbildung anzusehen. Bei dieser setzt die Ausbildung zum Schwimmlehrer ab dem dritten Semester ein und dauert insgesamt sechs Monate. Sie ergänzt die Sportlehrerausbildung und beinhaltet einen theoretischen Lernaufwand von etwa 120 Stunden, ergänzt durch praktische Einheiten und Übungen. Der Kläger war ab dem Jahre 1971 bei der Gemeinde Wien als Schwimmlehrer beschäftigt. Für diese Tätigkeit wird von der Gemeinde Wien eine staatliche Ausbildung bei der Bundesanstalt für Leibeserziehung vorausgesetzt, die von dieser Anstalt gemeinsam mit der MA 44 durchgeführt wird und aus einem theoretischen und einem praktischen Teil sowie einem Wasserpraktikum besteht. Ein Schwimmlehrer ist in die höchste Verwendungsgruppe des Arbeiterschemas eingestuft. Gefordert wird, daß der Schwimmlehrer ganzzeitig bei seinen Schülern am Beckenrand steht und daß er beim Unterricht schwieriger Schüler immer wieder zu diesen ins Becken steigt. Während seiner Dienstzeit erwarb sich der Kläger auch Kenntnisse in Aquarythmik, welche er sich selbst aneignete. Er hielt entsprechende Kurse aus dieser Disziplin, die oftmaliges Vortanzen und Vorspringen am Beckenrand erforderten. Die Tätigkeit des Klägers als Schwimmlehrer bestand auch in der Aufsicht über die Schwimmhalle, sowie am Beckenrand, was 8 - 14 Stunden seiner täglichen Arbeitszeit in Anspruch nahm. Er erteilte Schwimmunterricht auch für Behinderte und hatte bei Unfällen, insbesondere Badeunfällen, erste Hilfe zu leisten. Neben seiner Haupttätigkeit als Schwimmlehrer und der Aufsichtstätigkeit hatte er auch sämtliche Reinigungsarbeiten im Schwimmhallenbereich durchzuführen. Das Schwimmbecken war mit einem 30 kg schweren Bassinstaubsauger zu reinigen, der ins Becken gehoben werden mußte, er hatte die elektrische Bodenbürste zu bedienen, Reinigungsmittel mit einem Gewicht von 30 kg bis 40 kg zu transportieren, die 30 kg schweren Startsockel zu tragen und die Fenster unter Zuhilfenahme eine Leiter zu putzen. Die Reinigung des Schwimmbeckens und der Fenster war täglich durchzuführen. Das Dienstverhältnis wurde von der Gemeinde Wien zum 30.September 1991 gekündigt, weil der Kläger zufolge seiner eingeschränkten Bewegungsfähigkeit als Schwimmlehrer nicht mehr eingesetzt werden konnte. Auf Grund von gesundheitsbedingten Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit ist der Kläger nur mehr in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten in jeder Lage in der normalen Arbeitszeit bei Einhaltung der üblichen Pausen zu leisten. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, sowie Arbeiten, die dauernd im Stehen oder dauernd im Gehen zu verrichten sind, sind nicht möglich. Spätestens nach jeweils zwei Stunden muß dem Kläger kurzes Sitzen möglich sein.

Mit Bescheid vom 16.April 1991 wies die beklagte Partei den auf Gewährung einer Invaliditätspension gerichteten Antrag des Klägers ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage, mit der der Kläger begehrt, die beklagte Partei zu verpflichten, ihm die Invaliditätspension ab Stichtag (1.Dezember 1990) zu gewähren. Als Schwimmlehrer habe er einen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt und genieße daher Berufsschutz. Da er nicht mehr in der Lage sei, diese Tätigkeit weiter zu verrichten, weil er den körperlichen Anforderungen nicht mehr gewachsen sei, bestehe Anspruch auf die begehrte Leistung. Wegen Alkoholismus habe er sich auch wiederholt in psychiatrischer Behandlung befunden.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Kläger sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und könne noch zahlreiche Hilfsarbeitertätigkeiten ausüben, die das Leistungskalkül nicht übersteigen.

Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt. Nach der Judikatur müßten sich für die Qualifikation als angelernter Beruf die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mit einem Lehrberuf decken. Betont werde auch, daß nicht das zeitliche Ausmaß der Anlernung entscheidend sei, sondern den erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten die wesentliche Bedeutung zukomme. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß eine bestimmte Anlernzeit in jedem Fall erforderlich sei. Hier sei zu berücksichtigen, daß der Kläger zwar nur einen sechsmonatigen Lehrgang absolviert habe, doch habe dieser umfangreiche Unterrichtsgegenstände beinhaltet. Auch habe die Schwimmlehrertätigkeit des Klägers nicht die Breite und Tiefe an Kenntnissen erfordert, wie dies bei einem Lehrberuf gefordert werde, doch könne nicht nur auf den quantitativen Aspekt abgestellt werden, sondern es sei vielmehr auch der qualitative Aspekt, sohin die inhaltlichen Anforderungen und das allgemeine inhaltliche Niveau der Tätigkeit zu berücksichtigen. Dabei zeige sich, daß der Beruf des Schwimmlehrers in der Form, in der er vom Kläger ausgeübt worden sei, sehr hohe inhaltliche Anforderungen gestellt habe. Dies vor allem auch hinsichtlich des überaus hohen Grades an zu tragender Verantwortung, aber auch von den sonstigen Anforderungen her, was sich auch aus den von der Ausbildung umfaßten Unterrichtsgegenständen ergebe. Es handle sich um eine notorisch gefährliche und verantwortungsvolle Tätigkeit, die eine spezielle Eignung und ein spezielles Talent erfordere. Die Ausbildung an der Bundesanstalt für Leibeserziehung bilde auch ein Anstellungserfordernis für Schwimmlehrer bei der Gemeinde Wien. Der Kläger habe daher einen angelernten Beruf ausgeübt. Da er nicht mehr in der Lage sei, diese Tätigkeit weiter zu verrichten seien die Voraussetzungen für die begehrte Leistung erfüllt.

Das Berufungsgericht wies über Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren ab. Der Kläger habe lediglich einen Lehrgang für Bademeister mit 120 Unterrichtsstunden absolviert. Es liege auf der Hand, daß durch diese Ausbildung nicht Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt worden seien, die den in einem erlernten Beruf vermittelten gleichgestellt werden könnten. Die Tätigkeit eines Bademeisters begründe daher keine Facharbeiterqualifikation. Daran könne auch die Einstufung durch den Dienstgeber nichts ändern. Es möge sein, daß der Kläger aufgrund des Lehrganges befähigt gewesen sei, Schwimmunterricht zu erteilen, seine Qualifikation sei jedoch nicht als die eines Schwimmlehrers mit viersemestriger Sportlehrerausbildung anzusehen, die viel weitreichendere Kenntnisse vermittelte, als der Bademeisterlehrgang. Das Maß der Verantwortung, das mit der Tätigkeit verbunden gewesen sei, sei kein Maßstab für die Beurteilung eines Berufs als angelernten Beruf im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG. Die Invalidität des Klägers sei daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Da er noch in der Lage sei, zahlreiche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Tätigkeiten zu verrichten, seien die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß seinem Begehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Dauer der Ausbildung in einem Beruf kommt keineswegs die untergeordnete Bedeutung zu, die ihr das Erstgericht beigemessen hat. Aus der Ausbildungsdauer können nämlich maßgebliche Rückschlüsse auf die Kenntnisse und Fähigkeiten gezogen werden, die in diesem Rahmen vermittelt werden. Die Dauer der Lehrzeit in einem erlernten Beruf beträgt regelmäßig mindestens 3 Jahre; es liegt auf der Hand, daß in einem sechsmonatigen Kurs mit einer durchschnittlichen monatlichen Unterrichtsdauer von 20 Stunden - dies entspricht einer wöchentlichen Unterrichtsdauer von 5 Stunden - ein einem Lehrberuf vergleichbares Ausbildungsniveau nicht erreicht werden kann. Wenn der Lehrgang auch zahlreiche Unterrichtsgegenstände umfaßte, ergibt sich schon aus der Gesamtunterrichtszeit, daß die Befassung mit den Unterrichtsinhalten in diesen Gegenständen naturgemäß nur sehr oberflächlich sein kann. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit einem vergleichbaren Fall der Entscheidung SSV-NF 2/71 auseinandergesetzt. Nach dem dort der Entscheidung zugrunde gelegenen Sachverhalt hatte die Klägerin eine kursmäßige Ausbildung als Heilbademeisterin und Heilmasseurin absolviert. Die Dauer dieser Ausbildung beträgt zwischen 130 und 210 Stunden. Ausgehend von dieser Ausbildungsdauer und unter Gegenüberstellung mit der Ausbildungsdauer in einem Lehrberuf wurde die Annahme der Voraussetzungen für einen angelernten Beruf abgelehnt. In einer jüngst ergangenen Entscheidung (SSV-NF 6/147) wurde ausgesprochen, daß die Tätigkeit eines Straßenbahnfahrers, die eine Ausbildungszeit von drei Monaten erfordert, wobei die gesamte Arbeitszeit der Ausbildung gewidmet ist, so daß sich stundenmäßig eine weit höhere Ausbildungsdauer ergibt als im vorliegenden Fall, nicht im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG qualifiziert sei. Die in diesen Entscheidungen ausgesprochenen Grundsätze können auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Ob die Ausübung der Schwimmlehrertätigkeit nach Absolvierung der Sportlehrerausbildung an der Bundesanstalt für Leibeserziehung als angelernter Beruf zu qualifizieren wäre, kann unerörtert bleiben, weil der Kläger diese Ausbildung nicht absolviert hat. Diese Ausbildung vermittelt viel weitergehendere Kenntnisse und Fähigkeiten. Im Rahmen einer viersemestrigen allgemeinen Sportlehrerausbildung wird ein sechsmonatiger Speziallehrgang als Schwimmlehrer absolviert, so daß die gesamte Ausbildungszeit rund zwei Jahre beträgt, wogegen der Kläger nur einen Kurs von 120 Unterrichtsstunden absolvierte.

Auch daraus, daß seine Tätigkeit allenfalls mit besonderer Verantwortung verbunden war, ist für den Kläger nichts gewonnen. Für die Frage, ob ein angelernter Beruf vorliegt, ist allein maßgeblich, welche Kenntnisse und Fähigkeiten für seine Ausübung erforderlich sind. Das Maß der Verantwortung sagt darüber nichts aus. Auch wenn ein Beruf mit hoher Verantwortung verbunden ist - dies ist etwa auch bei einem Straßenbahnfahrer der Fall - ist er nicht als angelernter Beruf qualifiziert, wenn die für seine Ausübung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht an einen Lehrberuf heranreichen. Davon kann aber bei einer bloßen Kursausbildung mit einer Unterrichtsdauer von 120 Stunden nicht die Rede sein.

Zu Recht ist daher das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, daß dem Kläger Berufsschutz nicht zukommt. Die Invalidität des Klägers ist daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Daß er ausgehend hievon auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist, wird in der Revision nicht in Frage gestellt. Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

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