OGH 10ObS43/93

OGH10ObS43/9311.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Margarethe Peters (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Friedrich Wienerroither (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Draga K*****, Pensionistin, ***** Jugoslawien (Serbien), vertreten durch Dr. Friedrich Mosing, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Oktober 1992, GZ 31 Rs 143/92-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. März 1992, GZ 5 Cgs 166/90-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit dem Urteil des Erstgerichtes wurde das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. August 1990 zu gewähren, abgewiesen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Dieses Urteil wurde dem der Klägerin im Rahmen der Verfahrenshilfe beigestellten Rechtsanwalt am 11. November 1992 zugestellt. Nach dem Wortlaut des Beschlusses vom 2.Juni 1992 über die Bewilligung der Verfahrenshilfe galt die Beigebung des Rechtsanwaltes für die Berufung gegen das Urteil vom 10.März 1992 "und das weitere Verfahren (einschließlich eines spätestens innerhalb eines Jahres nach Abschluß des Rechtsstreits eingeleiteten Vollstreckungsverfahrens)."

Am 10. Dezember 1992 langte beim Berufungsgericht ein Schreiben der Klägerin ein, in dem sie erklärte, Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erheben zu wollen und gleichzeitig Verfahrenshilfe (Beigebung eines Rechtsanwaltes) auch für das Revisionsverfahren beantragte. Dieses Schreiben wurde vom Berufungsgericht zuständigkeitshalber dem Erstgericht übermittelt, bei dem es am 11. Dezember 1992 einlangte (ON 21).

Das Erstgericht faßte daraufhin den Beschluß, daß die der Klägerin bewilligte Verfahrenshilfe auf Bestellung des bisher beigegebenen Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer auch zur Erhebung einer Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erweitert werde. Dieser Beschluß wurde dem Verfahrenshelfer am 16. Dezember 1992 zugestellt. Die vorliegende Revision wurde am 8. Jänner 1993 zur Post gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Rechtsmittel ist verspätet.

Die Revision wird durch Überreichung eines Schriftsatzes (Revisionsschrift) bei dem Prozeßgericht erster Instanz erhoben. Die Revisionsfrist beträgt vier Wochen von der Zustellung des Berufungserkenntnisses an; sie kann nicht verlängert werden. § 464 Abs 3 ZPO ist sinngemäß anzuwenden (§ 505 Abs 1 und 2 ZPO). Hat daher eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei innerhalb dieser Frist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, so beginnt für sie die Revisionsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn. Voraussetzung für die Unterbrechung (Verlegung des Beginnes) der Revisionsfrist ist daher, daß die Partei noch während der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe - sofern eine solche nicht bereits erfolgt ist - und die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt (vgl EvBl 1976/214; EFSlg 44.044 ua; SSV-NF 5/57; Fasching ZPR**2 Rz 500). Im vorliegenden Fall war die erste Beigebung des Rechtsanwalts auch für das Revisionsverfahren wirksam, weil der hierüber ergangene Beschluß vom 2. Juni 1992 die in der Praxis oft vorkommende Einschränkung auf das Berufungsverfahren - über deren Zulässigkeit und Wirksamkeit hier nicht abzusprechen ist - nicht enthielt (SSV-NF 5/32 mwN), sondern sogar ausdrücklich erklärte, die Beigebung des Rechtsanwalts gelte auch für das "weitere Verfahren". Es hätte also weder eines neuerlichen Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe noch einer "Erweiterung" für das Revisionsverfahren bedurft. Aus § 464 Abs 3 ZPO ist allerdings abzuleiten, daß grundsätzlich jeder Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts die Wirkung einer Unterbrechung der Rechtsmittelfrist hat. Wird daher einer Partei im Rahmen der Verfahrenshilfe neuerlich ein Rechtsanwalt beigegeben, obgleich der früher beigegebene Rechtsanwalt noch zur Vertretung der Partei befugt ist, beginnt die Rechtsmittelfrist dennoch erst ab Zustellung der Entscheidung an den neuen Rechtsanwalt zu laufen (SSV-NF 5/32 mwN). Voraussetzung muß auch hier sein, daß der entsprechende Antrag fristgerecht gestellt wurde, also vor Rechtskraft der anzufechtenden Entscheidung. Gerade das ist hier nicht der Fall:

Da das Urteil des Berufungsgerichtes am 11. November 1992 (Mittwoch) zugestellt wurde, endete die Revisionsfrist am 9. Dezember 1992 (ebenfalls Mittwoch; § 125 Abs 2 ZPO). Mit Ablauf dieses Tages ist mangels Erhebung einer Revision oder Stellung eines Verfahrenshilfeantrages die Rechtskraft des berufungsgerichtlichen Urteils eingetreten.

Das erst am 11. Dezember 1992 beim Erstgericht eingelangte Schreiben der Klägerin mit der Erklärung, Revision erheben zu wollen und Verfahrenshilfe zu beantragen, war nicht geeignet, die Revisionsfrist zu unterbrechen. Die Verfahrenshilfe ist nämlich beim Prozeßgericht erster Instanz schriftlich oder zu Protokoll zu beantragen. Über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe hat stets das Prozeßgericht erster Instanz zu entscheiden, auch wenn sich die Notwendigkeit hier zuerst im Verfahren vor einer höheren Instanz ergibt (§ 65 Abs 1 und 2 ZPO). Nach § 89 Abs 1 GOG werden bei gesetzlichen Fristen, die einer Partei zur Überreichung von Schriftsätzen offenstehen, die Tage des Postlaufes in die Frist nicht eingerechnet. Es entspricht einheitlicher, von der Lehre gebilligter Rechtsprechung, daß die Post nur dann als "verlängerte" Einlaufstelle des Gerichtes auftritt, wenn der Brief an das richtige Gericht adressiert war; eine unrichtige Adressierung schließt die Anwendung des § 89 GOG generell aus. In einem solchen Fall ist die einzuhaltende Frist nur dann gewahrt, wenn ungeachtet der ursprünglich unrichtigen Adressierung das Geschäftsstück noch am letzten Tag der Frist beim zuständigen Gericht einlangt (RZ 1990/109 mwN). Wird ein Rechtsmittel versehentlich beim Rechtsmittelgericht eingebracht, so ist es nur rechtzeitig, wenn es noch innerhalb der ursprünglichen Rechtsmittelfrist beim Erstgericht einlangt (Holzhammer, Österr. ZPR**2 318). Dieser Grundsatz muß auch für den zwecks Erhebung eines Rechtsmittels gestellten Verfahrenshilfeantrag gelten. Lediglich bei gemeinsamer Einlaufstelle ist es für die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels gleichgültig, ob in der Anschrift das unrichtige der beiden Gerichte genannt wurde (RZ 1991/31).

Wie oben dargestellt, adressierte die Klägerin ihr Schreiben nicht an das Erstgericht (Arbeits- und Sozialgericht Wien), sondern an das Berufungsgericht (Oberlandesgericht Wien), das mit dem Erstgericht keine gemeinsame Einlaufstelle besitzt. Für die Rechtzeitigkeit dieses Schreibens ist daher nicht die Postaufgabe, sondern das Einlangen beim richtigen Gericht ausschlaggebend. Beim Erstgericht ist dieses Schreiben aber erst zwei Tage nach Ablauf der Revisionsfrist eingelangt.

Daß das Erstgericht die Verfahrenshilfe "erweiterte" und der Klägerin einen Rechtsanwalt für die Erhebung der Revision beigab, ändert daran nichts (SSV-NF 5/57 mwN), weil die Bewilligung der Verfahrenshilfe die bereits eingetretene Rechtskraft einer Entscheidung nicht zu beseitigen vermag.

Die verspätete Revision war daher zurückzuweisen (vgl Fasching Komm IV 363 und ZPR**2 Rz 1956).

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