OGH 1Ob549/93

OGH1Ob549/9311.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der kündigenden Partei Gertraud S*****, vertreten durch Dr. Lukas Kozak, Rechtsanwalt in Wien, wider die gekündigten Parteien 1. Georgine P*****, und 2. mj. Sophie P*****, wegen Aufkündigung infolge Revisionsrekurses der kündigenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 16. Februar 1993, GZ 41 R 997/92-6, womit infolge Rekurses der kündigenden Partei der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 12. November 1992, GZ 44 C 655/92-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens aufgetragen.

Text

Begründung

Die Revisionsrekurswerberin kündigte den in dem der Aufkündigung angeschlossenen Plan rot umrandeten Teil der Wohnung Nr. 6 bis 8 in ihrem Haus in Wien-Landstraße auf und begehrte dessen Räumung durch die beiden Gekündigten. Sie brachte vor, deren Vater bzw Großvater sei bis zu seinem Tod Mieter dieser Wohnung gewesen. Sie habe in einem anderen, gleichfalls beim Erstgericht anhängigen Verfahren die Wohnung der Verlassenschaft nach diesem Mieter gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG mit der Behauptung aufgekündigt, daß eintrittsberechtigte Personen nicht vorhanden seien, weil die Gekündigten mit dem verstorbenen Mieter nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt hätten. Diesem Verfahren seien die Gekündigten als Nebenintervenientinnen beigetreten. Diese benützten nur einen näher umschriebenen Teil dieser Wohnung; zwischen deren dringenden Wohnbedürfnis und der Gesamtnutzfläche von 272 m2 bestehe ein krasses Mißverhältnis, so daß die Teilaufkündigung in bezug auf die nicht benützten Wohnräume jedenfalls berechtigt sei. Unbeschadet der Tatsache, daß sie im anderen Verfahren das Eintrittsrecht der Gekündigten weiterhin bestreiten werde, kündige die Rechtsmittelwerberin den näher umschriebenen Teil der Wohnung den Gekündigten „vorsichtshalber“ auf, „ohne damit außerhalb dieses Verfahrens deren Mietrechte anzuerkennen“.

Das Erstgericht wies die Aufkündigung zurück, weil die Rechtsmittelwerberin kein zu kündigendes Bestandverhältnis behauptet habe und es daher an der für die gerichtliche Aufkündigung unerläßlichen Behauptung eines Bestandverhältnisses fehle.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes zwar S 50.000 übersteige, der ordentliche Revisionsrekurs aber nicht zulässig sei. Es führte aus, zwingende Voraussetzungen der gerichtlichen Aufkündigung sei die widerspruchslose Behauptung eines Bestandvertrages. Werde behauptet, daß ein Bestandvertrag nicht bestehe und die Aufkündigung nur als Vorsichtsmaßnahme erfolge, sei das Vorbringen unschlüssig und die Aufkündigung aufzuheben. Das Vorbringen in der Aufkündigung könne nur so verstanden werden, daß aus der Sicht der kündigenden Partei ein Bestandverhältnis fehle. Gelange das Gericht bei Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen vor Bewilligung der Aufkündigung zum Ergebnis, daß das Bestandverfahren unzulässig sei, habe es die Aufkündigung zurückzuweisen.

Der Revisionsrekurs der kündigenden Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zwingende Voraussetzung des Bestandverfahrens ist in der Tat die Behauptung eines Bestandvertrags über eine unbewegliche Sache oder ein Unternehmen (Fasching LB2 Rz 2133), die Aufkündigung entbehrt jedoch dieser Behauptung bei richtigem Verständnis des Vorbringens der kündigenden Partei nicht. Sie führte zwar ins Treffen, sie werde das Eintrittsrecht der Gekündigten im anderen Verfahren weiterhin bestreiten und anerkenne deshalb deren Mietrechte außerhalb des Teilkündigungsstreits nicht, sie unterstellt damit aber gerade in diesem Verfahren einen Bestandvertrag mit den Gekündigten, dessen Auflösung sie in Ansehung der darin bezeichneten Wohnungsteile (§ 31 Abs 1 MRG) anstrebt.

Nun ist zwar eine bedingte, also eine nur für den Fall, daß das Gericht das Bestehen eines vom Kündigenden bestrittenen Bestandvertrags annehmen oder gar feststellen sollte, erklärte Aufkündigung nicht zulässig, das Vorbringen, das vorsorglich (bzw aus Vorsichtsgründen) gekündigt werde, ist indessen für sich genommen bloß die Benennung des Motivs der Kündigung und nicht schon eine dieser beigefügte Bedingung (EvBl 1970/317). Demgemäß darf die Aufkündigung nicht schon etwa deshalb aufgehoben werden, weil der Kündigende in der Aufkündigung vorbringt, er wolle durch diese Kündigung für einen weiteren Kündigungsstreit mit anderem Ziel kein Präjudiz schaffen (vgl MietSlg 23.685). Es kann dem Kündigenden - worauf die Rechtsmittelwerberin schon im Rekurs an die zweite Instanz zutreffend verwiesen hat - nicht verwehrt sein, im Bereich solcher besonderer Verfahren, in welchen die das Verfahren einleitende Handlung oder Erklärung - wie die Aufkündigung im Bestandverfahren - nicht mit Hilfsanträgen verknüpft werden kann, einen Rechtsstandpunkt einzunehmen, der ihm im zur gleichen Zeit anhängigen anderen Verfahren abträglich wäre, müßte er dann doch stets die rechtskräftige Erledigung eines dieser Verfahren abwarten, ehe er in einem weiteren Verfahren den ihm an sich weniger günstigen Erfolg anstreben dürfte; diese Benachteiligung ist durch nichts zu rechtfertigen. Die vom Rekursgericht zur Stützung seines Standpunktes zitierte Judikatur trifft Fälle wie den vorliegenden nicht.

Leitet der Kündigende ein Bestandverfahren zu einem Zeitpunkt ein, in dem er ein anderes mit - wie hier - unterschiedlichem Ziel bereits eingeleitet hat, so muß er, um die Gefahr eines Präjudizes zu vermeiden, klarstellen, daß er im anderen Verfahren einen mit der hier vertretenen Auffassung nicht zu vereinbarenden Rechtsstandpunkt einnimmt (und auch weiterhin einnehmen wird). Nichts anderes hat die kündigende Partei in der vorliegenden Aufkündigung aber getan.

Das Erstgericht wird deshalb das gesetzliche Verfahren über die Aufkündigung einzuleiten haben.

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