OGH 11Os72/93

OGH11Os72/934.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Mai 1993 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Hager, Dr.Schindler und Dr.Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hautz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann F***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde sowie die Berufung wegen Schuld und Strafe des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 30.November 1992, GZ 12 Vr 456/92-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Schuldberufung werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung (wegen Strafe) werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß dem § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann F***** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB und des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs 1 StGB (1.) und des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB (2.) schuldig erkannt.

Darnach hat er in S*****, Gemeinde R*****,

1. seit Anfang des Jahres 1991 bis Anfang April 1992 zu nicht näher bekannten Zeitpunkten wiederholt, und zwar etwa sechsmal und in der Nacht zum 6. oder 7. April 1992 seine am 12. Dezember 1982 geborene unmündige eheliche Tochter Claudia F***** dadurch, daß er ihr zwischen die Beine auf den Geschlechtsteil griff und diesen streichelte, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht und

2. am 13. April 1992 seinen Stiefsohn Michael K***** dadurch, daß er ihn an den Haaren erfaßte, hochzog, gegen eine Musikbox stieß und ihm kurze Zeit danach einen Faustschlag gegen den Bauch versetzte, vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine leichte Verletzung, nämlich eine Kopfprellung und ein stumpfes Bauchtrauma zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Inhaltlich nur gegen den Schuldspruch zu 1. richten sich die auf die Z 3, 5 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung "wegen Schuld" des Angeklagten, der auch den Strafausspruch mit Berufung (wegen Strafe) bekämpft.

Die Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO laufen darauf hinaus, daß die Verwertung der Aussage der Zeugin Claudia F*****, die sich vor dem erkennenden Gericht gemäß dem § 152 Abs 1 Z 2 StPO der Aussage entschlagen hat, unzulässig gewesen sei, das erkennende Gericht aber auch auf die Ausage der ebenfalls dem Personenkreis des § 151 StPO (richtig: § 152 Abs 1 Z 2 StPO) angehörenden Zeugin Julia F***** nicht hätte zurückgreifen dürfen. Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer nicht im Recht.

Die Gattin des Angeklagten hat sich zwar zunächst im Vorverfahren gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO der Aussage entschlagen, aber vor dem erkennenden Gericht nach neuerlicher Belehrung über ihr Entschlagungsrecht diese Erklärung widerrufen und sich zur Aussage bereit gefunden (59). Das erkennende Gericht durfte und mußte sich daher mit dieser - den Angeklagten entlastenden - Aussage auseinandersetzen. Aber auch die Verlesung und Verwertung der gegenüber der Gendarmerie deponierten Angaben der Zeugin Claudia F*****, die sich vor dem erkennenden Gericht gemäß dem § 152 Abs 1 Z 2 StPO der Aussage entschlagen hat, stellt den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO nicht her. Nach gefestigter Judikatur, von der abzugehen im vorliegenden Fall kein Anlaß besteht, sind die Angaben eines Angehörigen vor den Sicherheitsorganen dann, wenn er vor dem erkennenden Gericht von seinem Entschlagungsrecht Gebrauch macht, zu verlesen und nach ihrem Beweiswert zu würdigen (siehe Mayerhofer-Rieder, StPO3, ENr 23 f zu § 152 StPO): Den vom Beschwerdeführer angesprochenen Verteidigungsrechten im Lichte des Art 6 Abs 3 EMRK ist im vorliegenden Verfahren dadurch Rechnung getragen, daß der Beweiswert der Angaben der Claudia F***** vor den Sicherheitsbehörden durch eine Reihe von Kontrollbeweisen überprüft und abgesichert wurden. Die Verlesung der vor der Gendarmerie abgelegten Aussage der Zeugin Claudia F***** gemäß dem § 252 vorletzter Absatz StPO und deren Verwertung im Urteil begründen demnach keine Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO (siehe Mayerhofer-Rieder, aaO, ENr 17 zu § 281 Z 3).

Die im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) aufgestellte Behauptung, die Gründe für die dem Schuldspruch zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen seien offenbar unzureichend, trifft nicht zu. Die Tatrichter haben vielmehr ausführlich dargelegt, auf Grund welcher Erwägungen sie der Aussage der Zeugin Julia F***** vor Gericht nicht folgten und weswegen sie ihre ursprünglichen, den Angeklagten belastenden Angaben für wahr und als Folge davon die Verantwortung des Angeklagten für unwahr hielten. Dabei konnten sie sich auf die Wahrnehmungen des Zeugen Dr. Walter K*****, des Vorstehers des Bezirksgerichtes R*****, und die Angaben der Zeuginnen Tanja F***** und Manuela R***** stützen, die unmittelbar nach dem Vorfall die Vernehmung der Claudia F***** durchführten und deponierten, sie hätten den Eindruck gehabt, Claudia F***** habe ihre Angaben wahrheitsgemäß und nicht unter dem Einfluß ihrer Mutter vorgebracht. Da die Tatrichter alle Beweisergebnisse erschöpfend behandelt haben, kamen sie ihrer Begründungspflicht iSd § 270 Abs 2 Z 5 StPO nach, weswegen dem angefochtenen Urteil auch kein formeller Begründungsmangel anhaftet. Die Bemühungen des Beschwerdeführers, zu anderen als den von den erkennenden Richtern getroffenen Feststellungen zu gelangen, stellen sich in Wahrheit als im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässiger Versuch dar, nach Art einer Schuldberufung die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes zu bekämpfen. Der Umstand allein, daß aus den Beweisergebnissen auch andere Schlußfolgerungen zu ziehen möglich gewesen wäre, kann den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO aber nicht begründen.

Die Einwände zur Rechtsrüge (Z 9 lit a), die darauf hinzielen, die Berührungen zwischen dem Angeklagten und seiner ehelichen Tochter - wenn überhaupt stattgefunden - als zufällig darzustellen, sind insgesamt nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt, weil sie nicht von den diesbezüglich eindeutigen Urteilsfeststellungen ausgehen, diese vielmehr negligieren und auf eigenen - anderen - Grundlagen aufbauen. Eine Rechtsrüge ist aber nur dann dem Gesetz gemäß ausgeführt, wenn sie am gesamten Urteilssachverhalt festhält (Mayerhofer-Rieder, StPO3, ENr 26 ff zu § 281 StPO).

Die zum Teil offenbar unbegründete, zum Teil nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß dem § 285 d StPO sofort bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Ebenso war mit der vom Gesetz im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht eingeräumten und sohin unzulässigen "Berufung wegen Schuld" zu verfahren.

Zur Entscheidung über die Berufung (wegen Strafe) ist demnach das Oberlandesgericht Graz zuständig (§ 285i StPO).

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