OGH 8Ob538/93

OGH8Ob538/9329.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. E. Huber, Dr. Jelinek, Dr. Rohrer und Dr. I. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Czeslaw D*****,

2. Jadwiga *****, ***** und 3. D***** Ges.m.b.H., ***** vertreten durch Dr. Walter Funovics, Rechtsanwalt in Eisenstadt, wider die beklagte Partei M***** Ges.m.b.H., ***** vertreten durch Dr. Heidi Preisz, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufhebung eines Vertrages, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 21.1.1993, GZ R 219/92-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom 17.9.1992, GZ 2 C 2104/91v-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.881,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die erst- und zweitklagenden Parteien sind je zur Hälfte Eigentümer der Grundstücke ***** der EZ *****; die drittklagende Partei hat auf diesen Grundstücken ein Betriebsgebäude für das Gast- und Schankgewerbe errichtet. Am 30.7.1990 schlossen die Parteien mit Wirksamkeit vom 15.8.1990 über diese Liegenschaft samt dem darauf befindlichen Gebäude und allem Zubehör auf unbestimmte Zeit einen Mietvertrag.

Mit der vorliegenden Klage wird die Auflösung dieses Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB und die Verurteilung der beklagten Partei zur Räumung der Liegenschaft mit der Begründung begehrt, die beklagte Partei sei des öfteren mit dem Bestandzins in Verzug gewesen und habe von ihr vereinbarungsgemäß zu tragende Gebühren, Steuern usw nicht beglichen. Es seien auch Unstimmigkeiten aufgetreten und der Erstkläger sei Anfang August 1991 gefährlich bedroht worden, ohne daß Zweifel darüber bestünden, daß die beklagte Partei Nutznießer dieser gefährlichen Drohung sei.

Unstrittig ist, daß im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz an Hauptmietzins kein Rückstand bestand, jedoch die von der beklagten Partei zu bezahlende Feuerversicherungsprämie in der Höhe von S 22.560,-- aushaftete. Hiezu brachte die beklagte Partei vor, sie habe der drittklagenden Partei ein Darlehen in der Höhe von S 50.000,-- gewährt und mit diesem "sollte die offene Feuerversicherungsprämie aufgerechnet werden" bzw. sei sie "aufzurechnen gewesen".

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Es traf ua die Feststellung, daß die beklagte Partei der drittklagenden Partei ein Darlehen von S 50.000,-- gewährt habe, das unberichtigt aushafte.

Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und daß die Revision zulässig sei. Zur Rechtsrüge führte es hinsichtlich des in Form einer ausständigen Feuerversicherungsprämie von S 22.560,-- behaupteten Bestandzinsrückstandes aus:

Das Erstgericht habe eine Aufrechnung dieser Feuerversicherungsprämie mit der offenen Darlehensschuld der drittklagenden Partei deswegen als nicht zulässig erachtet und demgemäß das Vorliegen eines Zinsrückstandes angenommen, weil der Schuldner mit seiner Forderung nicht gegen einen Gesamtgläubiger aufrechnen könne, zumal jeder der Gesamtgläubiger das Recht habe, von ihm die Schuld zu fordern. Dieser Rechtsauffassung könne das Berufungsgericht nicht folgen. Nach herrschender Ansicht könne bei aktiver Korrealität der Schuldner zwar grundsätzlich nicht mit einer Gegenforderung gegen einen Mitgläubiger aufrechnen und zwar auch nicht in dem Umfang, als dieser Rückgriffsrechte gegen andere Gläubiger habe. Diese sich an § 429 Abs 2 dBGB orientierende Lösung beruhe auf dem Gedanken, daß bei der Gesamtforderung der Schuldner jenem Gläubiger, der ihn zuerst angehe, das Ganze entrichten müsse. Er dürfe daher nicht mit Forderungen gegen andere Gläubiger aufrechnen, weil dies zu bloß teilweiser Zahlung an den fordernden Mitgläubiger und zu einer Einmischung in das Innenverhältnis der Gläubiger führe. Von dieser Regel seien aber Ausnahmen dann gemacht worden, wenn das Interesse des Schuldners, kompensieren zu können, auf Grund eines Manövers zwischen den Mitgläubigern anzunehmen sei oder auch, wenn die Gesamtgläubigerschaft dem Interesse des Schuldners, etwa in Form einer Zahlstelle, dienen sollte. Wesentlich sei, daß durch die Aufrechnung kein ersichtliches Gläubigerinteresse verletzt werde. Im hier zu beurteilenden Falle sei ein solches Gläubigerinteresse nicht ersichtlich, denn mit der vorliegenden Klage, die im übrigen nicht auf Zahlung gerichtet sei, werde doch von keinem Gläubiger gesondert der ausständige Bestandzins eingefordert. Wenn man in der Klage eine Mahnung als Voraussetzung der Auflösung sehen wollte, so träten alle Gläubiger gemeinsam auf. Bevor aber der Schuldner angegangen werde (§ 892 ABGB), könne er im ersterwähnten Falle an jenen Mitgläubiger leisten, gegen den er eine Gegenforderung habe, sodaß hier eine Aufrechnung zulässig erscheine. Im zweiten Falle (Mahnung) sei zu bedenken, daß hier ihrem Wesen nach von den Klägern als Vermietern eine Bestandzinsforderung geltend gemacht werde; derartige Forderungen seien aber nach herrschender Ansicht Gesamthandforderungen, bei denen die Gläubiger ohnedies nur gemeinsam die Leistung verlangen könnten. Da hier die Leistung nur an alle Gläubiger begehrt werden könne, die Gläubiger gegenüber dem Schuldner eine auch durch die Leistung an einen von ihnen nicht trennbare Gemeinschaft bildeten - der die Leistung für alle in Empfang nehmende Gläubiger sei gleichsam nur eine Zahlstelle - bestehe der Grund für die Verneinung der Aufrechenbarkeit der Gesamtforderungen im Falle des Vorliegens von Gesamthandforderungen nicht. Demzufolge habe der Oberste Gerichtshof in JBl 1991, 379 die grundsätzliche Kompensationsmöglichkeit einer Gesamthandforderung mit Forderungen, für die einzelne Gesamthandgläubiger hafteten, anerkannt. Da die beklagte Partei bereits in der Tagsatzung vom 19.3.1992 eine Aufrechnungsabrede eingewendet habe und in dieser Einwendung die Aufrechnungserklärung liege, diese Aufrechnung, wie ausgeführt, aber auch nicht am Mangel der Gegenseitigkeit scheitere, bestehe somit kein Zinsrückstand und das Klagebegehren sei demgemäß nicht gerechtfertigt.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erheben die klagenden Parteien Revision mit dem Abänderungsantrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Revisionswerber führen aus, in der von der beklagten Partei am 19.3.1992 erhobenen Einrede liege keine wirksame Aufrechnungserklärung, im vorliegenden Räumungsprozeß hätte auch nur nach Anerkennung der behaupteten Bestandschuld eine unbedingte außergerichtliche Aufrechnungserklärung abgegeben werden dürfen verbunden mit der nachfolgenden Einwendung, daß keine Bestandzinsschuldigkeit bestehe. Aber selbst bei Zugrundelegung einer Aufrechnungserklärung scheitere eine Aufrechnung daran, daß der Schuldner bei aktiver Korrealität mangels Gegenseitigkeit nicht mit einer Gegenforderung gegen einen Mitgläubiger aufrechnen könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig, sie ist aber nicht gerechtfertigt.

Der Beklagte brachte vor, er habe "der drittklagenden Partei ein Darlehen gewährt, die Feuerversicherungsprämien sollten gegen dieses Darlehen aufgerechnet werden" (ON 8 AS 21), es seien ihm aber hinsichtlich der Feuerversicherungsprämien laut Beilagen./B und ./C "nie die Rückstände bekanntgegeben worden; außerdem seien diese Rückstände gegen das dem Kläger gewährte Darlehen aufzurechnen gewesen" (ON 8 AS 22). Unmittelbar vor Schluß der Verhandlung brachte er schließlich vor, "daß es eine Aufrechnungserklärung bezüglich der 50.000 S an die Kläger gegeben habe" (ON 11 AS 35).

Ob dieses Vorbringen wegen des bei der Aufrechnung gegebenen Erfordernisses der Gleichartigkeit der beiderseitigen Forderungen als ein von der Rechtsprechung (SZ 50/35; MietSlg 32.211; MietSlg 34.269

ua) bei Räumungsklagen geforderter Schuldtilgungseinwand verbunden mit der Behauptung des Fehlens einer Bestandzinsschuldigkeit aufgefaßt werden kann oder ob diesbezüglich eine Anleitung des Beklagten gemäß § 182 ZPO zur Klarstellung erforderlich gewesen wäre,

muß nicht beurteilt werden. Eine Aufrechnung kommt hier entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nämlich von vornherein nicht in Betracht:

Das Berufungsgericht verweist zunächst zutreffend auf die herrschende Ansicht, daß bei aktiver Korrealität der Schuldner nicht mit einer Gegenforderung gegen einen Mitgläubiger aufrechnen darf (Gamerith in Rummel ABGB2 Rz 4 zu § 893; Rummel in Rummel ABGB2 Rz 13 zu § 1441; Gschnitzer in Klang2 IV/1 303 f) und sodann darauf, daß Ausnahmen von dieser Regel gemacht werden, wenn das Interesse des Schuldners, kompensieren zu können, auf Grund eines Manövers zwischen den Mitgläubigern anzunehmen sei oder auch, wenn die Gesamtgläubigerschaft dem Interesse des Schuldners etwa in Form einer Zahlstelle dienen soll (Gamerith aaO). Wesentlich sei dabei, daß durch die Aufrechnung kein ersichtliches Gläubigerinteresse verletzt werde (Gschnitzer aaO 304).

Diese für eine Ausnahme von der Regel angeführten Voraussetzungen sind hier aber nicht gegeben. Weder liegt ein Manöver zwischen den Mitgläubigern vor, um dem Beklagten als Schuldner die Deckung für seine Gegenforderung zu rauben, noch soll die Gesamtgläubigerschaft dem Interesse des Schuldners (Zahlstelle) dienen, vielmehr wird hier durch die Aufrechnung der als Gesamthandforderung - nicht Gesamtforderung gemäß § 892 ABGB - der drei klagenden Parteien als Vermietern bestehenden Bestandzinsforderung (MietSlg 28.082; 27.114; 39.064; Gamerith aaO Rz 8 zu § 890; 8 Ob 527/90) mit der bloß gegen die drittklagende Partei aus einer Darlehensgewährung bestehenden Gegenforderung des Beklagten das Gläubigerinteresse der erst- und zweitklagenden Partei verletzt. Bei Gesamthandforderungen kann, falls keine gegenteilige Vereinbarung besteht, die Leistung nur an alle erfolgen und zwar bei Übereinkunft aller an den Gläubiger, der bevollmächtigt ist, dem die Forderung zugewiesen wurde, mangels einer solchen Übereinkunft etwa durch gerichtliche Hinterlegung. Durch andere Leistungsarten wird der Schuldner nur frei, wenn die Leistung tatsächlich allen Gläubigern zugute kommt (SZ 50/151; SZ 53/101; 8 Ob 527/90 ua).

Im Falle der Aufrechnung würde hier die Leistung nur der drittklagenden Partei zugute kommen. Der Hinweis des Berufungsgerichtes auf die Entscheidung JBl 1991, 379 übersieht, daß es dort um die gemeinsame Geltendmachung der Aufrechnungseinrede durch die Gesamthandgläubiger ging.

Die Aufrechnung des Beklagten mit seiner gegenüber der drittklagenden Partei bestehenden, laut Beilage./3 seit 30.7.1991 fälligen Darlehensforderung ist demnach unzulässig. Damit ist aber für die Rechtsmittelwerber dennoch nichts gewonnen:

Der Beklagte hat ausdrücklich eingewendet (ON 5 AS 13), daß laut Punkt VI des zwischen den Streitteilen am 30.7.1990 geschlossenen vorliegenden Mietvertrages (Beilage./A) "die Vermieter auf die Dauer von 15 Jahren auf die Geltendmachung der Kündigung aus welchem Grund immer verzichtet haben". Das Erstgericht führte zu dieser Einwendung in seinem Urteil unter Hinweis auf die Entscheidung MietSlg 39.162 lediglich aus, ungeachtet eines derartigen Kündigungsverzichtes könne die Aufhebung des Vertrages nach § 1118 ABGB dann begehrt werden, wenn der Bestandnehmer ein vertragswidriges Verhalten an den Tag lege, dessen Duldung dem Bestandgeber nicht zumutbar sei.

Nach der Rechtsprechung steht die vereinbarte Unkündbarkeit eines Dauerschuldverhältnisses, insbesondere auch eines Bestandverhältnisses, seiner Auflösung aus einem wichtigen Grund nicht entgegen (MietSlg 23.181; SZ 46/109, MietSlg 36/44 ua). Eine volle Abdingung der außerordentlichen Kündigung ist unzulässig (6 Ob 531, 532/85), weil sittenwidrig (SZ 59/42). Es muß sich allerdings um einen gewichtigen Grund handeln, der die Fortsetzung des Mietverhältnisses als unzumutbar erscheinen läßt.

Im vorliegenden Falle brachten die Kläger in ihrer am 9.10.1991 bei Gericht eingelangten Räumungsklage vor, der Beklagte habe eine Feuerversicherungsprämie in der Höhe von S 19.904,50 sA und bis zum 30.9.1991 fällige Grundsteuer und Kanalbenützungsgebühr von insgesamt S 12.500,- trotz Mahnung nicht bezahlt. Es werde auch per Monatsersten der mit 5-tägigem Respiro fällige Bestandzins nicht pünktlich, sondern mit zwei- bis elftägiger und ausnahmsweise noch größerer Verspätung erst immer im Laufe des Monats bezahlt. Der Erstkläger sei Anfang August 1991 durch einen unbekannten Anrufer bedroht worden, er solle den Beklagten in Ruhe lassen, der Erstkläger habe zwei Kinder und könne alles verlieren. Es könne kein Zweifel bestehen, daß der Beklagte zumindest Nutznießer dieser gefährlichen Drohung sei. Aus diesem Grunde sei die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses nicht länger zumutbar, sodaß dessen vorzeitige Auflösung begehrt werde.

Nach den unbekämpften, auf den Angaben des Erstklägers in seiner Parteienvernehmung beruhenden erstgerichtlichen Feststellungen wurde der Beklagte im Sinne seiner Einwendung von den Klägern vor der Einbringung der Räumungsklage "nie zur Zahlung der Feuerversicherungsprämie aufgefordert". Der in der Klage weiters geltend gemachte, Grundsteuer und Kanalgebühr betreffende Bestandzinsrückstand (SZ 49/54) wurde laut Beilage./1 und ./2 am 26.11.1991 (S 8.000,-) und am 7.2.1992 (S 7.475,90) beglichen. Den einzigen offengebliebenen Rückstand bildete somit im Sinne der erstgerichtlichen Feststellung die Feuerversicherungsprämie, gegen die der Beklagte aber nach deren Bekanntgabe die Aufrechnung mit dem der drittklagenden Partei gewährten, zur Rückzahlung fälligen Darlehen angeboten hat.

Diese Rückstände und die geringfügigen Zahlungsverzögerungen erscheinen nun nach den gesamten Umständen des Falles aber keinesfalls von derart gravierendem Gewicht, daß sie trotz dem Verzicht der klagenden Parteien "auf die Geltendmachung der Kündigung aus welchem Grunde immer" die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses als unzumutbar erscheinen ließen und somit seine Auflösung rechtfertigen könnten. Den klagenden Parteien stand zur erforderlichen Abhilfe grundsätzlich die Mietzinsklage zur Verfügung. Die Behauptung, der Beklagte sei jedenfalls Nutznießer einer von einer unbekannten Person ausgesprochenen einmaligen Drohung, ist ebenfalls nicht geeignet, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses mit ihm als unzumutbar zu werten.

Demgemäß war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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