OGH 8Ob559/93

OGH8Ob559/9329.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. E. Huber, Dr. Jelinek, Dr. Rohrer und Dr. I. Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des ***** mj. Andreas M*****, infolge Revisionsrekurses des Franz G*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 27.Jänner 1993, GZ 43 R 28/93-71, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 3.Dezember 1992, GZ 6 P 203/85-67, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

In Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird der erstgerichtliche Beschluß wiederhergestellt.

Text

Begründung

Der Vater des *****, in der Obsorge der Mutter befindlichen mj.Andreas M***** beantragte die Herabsetzung des von ihm in der Höhe von monatlich S 3.450,- zu leistenden Unterhaltsbeitrages auf monatlich S 1.800,- mit der Begründung (ON 60, 63), er habe in der Zwischenzeit die erste Diplomprüfung abgelegt, worin der Nachweis liege, daß er sich durch dieses erst nach vorheriger mehrjähriger Berufstätigkeit begonnene Studium keinesfalls seinen Unterhaltspflichten entziehen wollte und wodurch auch eine Änderung des Sachverhaltes eingetreten sei. Bei Abschluß des Studiums (Wirtschaftsinformatik, EDV-Programmierung) könne er in Zukunft für das Kind umso besser sorgen, weil einen unverhältnismäßig höheren Unterhalt als ohne Studium leisten. Er habe sein Studium ernsthaft betrieben und in den Ferien jeweils als Werkstudent gearbeitet, also alle seine Kräfte angespannt, um ein Gesamteinkommen von S 116.000 zu erzielen. Dieses und nicht das im Sinne der - für arbeits- und zahlungsunwillige Unterhaltspflichtige geltenden - Anspannungstheorie vor Jahren bei seiner vollen Berufstätigkeit erzielte Einkommen sei bis zur Beendigung seines Studiums der Unterhaltsbemessung zugrundezulegen.

Das Erstgericht gab dem Herabsetzungsantrag statt. Es verwies darauf, daß der Vater zunächst eine Berufstätigkeit ausgeübt und mit dem Studium erst begonnen hat, als ihm die Möglichkeit der Erlangung einer Studiumbeihilfe offenstand. Auf Grund der vorgelegten Prüfungszeugnisse, insbesondere des Zeugnisses vom 6.2.1992 über die Ablegung der ersten Diplomprüfung, sei ein ordnungsgemäßer Fortgang und Abschluß seines Studiums anzunehmen und daher zugrundezulegen, daß dem Kind in Zukunft ein höheres Einkommen des Vaters als Akademikers zugute kommen wird. Hierin liege eine erhebliche Änderung der Verhältnisse. Im Hinblick auf das steuerpflichtige Jahreseinkommen 1991 in Höhe von S 38.231,- und unter Bedachtnahme auf den Bezug des Vaters von Studienbeihilfe für zehn Monate pro Jahr von insgesamt S 53.000,- entspreche ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von S 1.800,- seiner Leistungsfähigkeit.

Auf Grund Rekurses des Kindes wies das Rekursgericht in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses den Herabsetzungsantrag des Vaters ab. Es erklärte den Revisionsrekurs für nicht zulässig und führte in seiner Entscheidungsbegründung aus:

Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liege nicht vor, der Antragsteller strebe nur eine ihm günstigere rechtliche Beurteilung des unveränderten Sachverhaltes an. Er habe seinerzeit seine Erwerbstätigkeit aufgegeben, um zu studieren und verdiene nun weniger als früher. Bereits in zwei Vorentscheidungen des Rekursgerichtes sei ausgesprochen worden, daß den Interessen des Kindes auf angemessene Alimentation der Vorrang vor dem Interesse des Vaters auf ein Studium einzuräumen sei. Diese Momente seien entscheidend, der sichtlich günstige Fortschritt des Studiums könne daran nichts ändern.

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses. Der Vater verweist unter Vorlage zahlreicher Prüfungszeugnisse usw. neuerlich auf seinen zwischenzeitigen guten Studienerfolg, insbesondere die Ablegung der ersten Diplomprüfung. Er habe sein Studium im 28.Lebensjahr begonnen und werde es voraussichtlich noch im 32.Lebensjahr, also in Bälde abschließen. Durch dieses Studium werde er befähigt, mit EDV-Anlagen und -Programmen umzugehen und sie im Wirtschaftsleben anzuwenden. Als Elektroingenieur (Programmentwicklung) habe er bewußt diese Studienrichtung gewählt, um seine Berufskenntnisse zu ergänzen und aufzuwerten. Die Kombination Technik und Wirtschaft sei am Arbeitsmarkt sehr gefragt. Diese günstigen Berufsaussichten seien mit wesentlich verbesserten Verdienstmöglichkeiten verbunden, die in Zukunft besonders auch dem Kind zugute kämen. Alle diese neuen Tatsachen ließen den Fall in neuem Licht erscheinen, denn er habe bewiesen, daß er das Studium nicht bloß zum Schein betreibe, um weniger Alimente zu zahlen. Davon abgesehen werde ganz allgemein Studenten bis zur Beendigung ihres Studiums ein vergleichsweise geringfügigerer Unterhaltsbeitrag für das Kind zugebilligt. Ebenso werde "Personen, die sich selbständig machen", eine Anlaufphase zugebilligt, in der sie nur einen geringeren Unterhaltsbeitrag zu leisten hätten. Es dürfe aber nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Die Anspannungstheorie dürfe nicht angewendet werden, denn er habe seine Erwerbstätigkeit nicht aufgegeben, um dem Unterhaltsberechtigten zu schaden, vielmehr werde auch dessen Unterhaltssituation in absehbarer Zeit eine unverhältnismäßige Verbesserung erfahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen der den Obersten Gerichsthof nicht bindenden (§ 16 Abs 3 AußStrG, § 508 a Abs 1 ZPO) Ansicht des Rekursgerichtes im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zulässig und er ist auch gerechtfertigt.

Nach ständiger Rechtsprechung steht es dem Unterhaltspflichtigen im Rahmen seiner Erwerbsfreiheit zwar frei, eine bisher ausgeübte, gut entlohnte Beschäftigung aufzugeben und allenfalls einem mit geringerem Einkommen verbundenen Erwerb nachzugehen. Fehlt jedoch ein besonderer, aus der Sachlage zu rechtfertigender Anlaß dazu, dann ist bei der Unterhaltsbemessung davon auszugehen, daß der Unterhaltspflichtige weiterhin zur Erzielung des bisherigen Einkommens in der Lage wäre und daher nicht das leistet, was er im Sinne seiner in § 140 ABGB normierten Pflicht bei Anspannung seiner Kräfte leisten könnte. In diesem Falle wird dann der Unterhaltsbemessung ein fiktives Einkommen in der bisherigen Höhe zugrundegelegt, um solcherart eine gesetzwidrige Verkürzung des Unterhaltsanspruches des Unterhaltsberechtigten zu vermeiden.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Aufnahme eines Studiums durch den Unterhaltspflichtigen einen bedeutsamen Grund bildet, der die Aufgabe seiner bisherigen, gut dotierten Beschäftigung und damit eine Verringerung des von ihm zu leistenden Unterhaltsbeitrages zu rechtfertigen vermag, ist im allgemeinen vor allem entscheidend, ob damit voraussichtlich auch eine zukünftige Besserstellung des Unterhaltsberechtigten verbunden sein wird und es damit also auch in seinem Interesse liegt, sowie ob der Unterhaltspflichtige die Übergangszeit möglichst kurz gestaltet und solcherart im Sinne des Gesetzes alle seine Kräfte zur Erzielung eines entsprechenden Einkommens anspannt. Das Vorliegen dieser beiden Voraussetzungen steht nicht von vornherein fest, vielmehr ergeben sich für die diesbezügliche Beurteilung erfahrungsgemäß erst nach einiger Zeit am Maße des zwischenzeitigen Fortschrittes die erforderlichen Grundlagen. Der erbrachte Nachweis eines eifrig und erfolgreich betriebenen Studiums läßt aber jedenfalls die Einschätzung begründet erscheinen, das weitere Studium des Unterhaltspflichtigen werde in Zukunft auch dem Unterhaltsberechtigten zum Vorteil gereichen.

Der in der nunmehr angefochtenen Entscheidung vom Rekursgericht zugrundegelegte - in den im gegenständlichen Falle ergangenen beiden Vorentscheidungen auch des Obersten Gerichtshofes hinsichtlich seiner Anwendung gebilligte - Satz, daß den Interessen des Kindes auf angemessene Alimentation der Vorrang vor dem Interesse des Vaters auf ein Studium einzuräumen sei, hat daher zwar weiterhin seine Gültigkeit, er muß jedoch auch diese weiteren Gesichtpunkte mit erfassen, weil letztlich das Gesamtinteresse des Unterhaltsberechtigten maßgeblich ist.

Im Nachweis eines emsig und erfolgreich betriebenen, auch den Interessen des Kindes dienenden Studiums ist somit grundsätzlich eine Änderung der bisherigen Sachlage im Sinne einer durch berücksichtigungswürdige Umstände eingetretenen, vorübergehend verminderten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen gelegen.

Im vorliegenden Falle hat der Rechtsmittelwerber zweifellos den vorstehend geforderten Nachweis erbracht. Bei der Unterhaltsbemessung ist daher nicht mehr von seinem früheren Einkommen als fiktiver Unterhaltsbemessungsgrundlage auszugehen, sondern das von ihm nach seinen Kräften derzeit erzielte Einkommen maßgeblich.

In Stattgebung des Rechtsmittels war demnach spruchgemäß zu entscheiden.

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